Sanieren wie am Fließband

Rund 75 % der 21 Millionen deutschen Gebäude sind unzureichend isoliert und ineffizient. Bis 2045 müssen täglich 2.000 Gebäude saniert werden. Das niederländische Energiesprong-Prinzip, das digitale und industrielle Techniken nutzt, könnte durch Serienfertigung die Sanierungsdauer drastisch verkürzen.
Von Ariane Steffen

(30. August 2024) Deutschland steckt im Sanierungsstau: Rund drei Viertel der 21 Millionen deutschen Gebäude sind entweder gar nicht oder nur unzureichend gedämmt, werden mit Gas oder Öl beheizt und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie, als heutzutage technisch möglich wäre. Um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, müssen rein rechnerisch rund 2.000 Gebäude pro Tag energetisch modernisiert werden.

Mit herkömmlichen Verfahren ist diese Mammutaufgabe nicht zu schaffen. Zumal die dafür nötigen Fachkräfte fehlen. Sanieren muss somit völlig neu gedacht und komplett anders organisiert werden – digitaler, automatisierter, standardisierter. Serielles Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip ermöglicht es, mit weniger Fachkräften mehr Bestandsgebäude in kürzerer Zeit fit für die klimaneutrale Zukunft zu machen. 

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Was bedeutet serielles Sanieren?

Energiesprong ist ein in den Niederlanden entwickeltes innovatives Konzept zur seriellen Sanierung, das digitale Planung mit industrieller Präfabrikation und standardisierten Prozessen kombiniert. Während bei der konventionellen Sanierung rund 90 Prozent der Arbeiten manuell und kleinteilig auf der Baustelle erfolgen, verlagert die serielle Sanierung einen Großteil der Arbeiten ins Werk. Die dort vorgefertigten Fassaden-, Dach- und Technikmodule werden auf der Baustelle nur noch montiert. Dadurch verkürzt sich die Bauzeit von mehreren Monaten auf wenige Wochen. Serielles Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip zeichnet sich durch folgende Vorteile aus: 

  • Einfach: Komplettsanierung aus einer Hand
  • Schnell: Kurze Bauzeit, optimierte Planung
  • Bezahlbar: Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent sowie weitere Kostensenkungspotenziale
  • Gut: Planungssicherheit, gleichbleibend hohe Qualitätsstandards, ansprechende Optik
Wie funktioniert eine Energiesprong-Sanierung?

Die millimetergenaue Vermessung der zu sanierenden Gebäude per 3D-Laserscan und Drohnentechnik bildet den Startpunkt jedes Energiesprong-Projekts. Aus den verdichteten Messdaten wird ein BIM-Modell generiert. Dieser „digitale Zwilling“ ist die Planungsgrundlage für die Produktentwicklung und Vorfertigung der Dach-, Fassaden- und Technikmodule. Die Fassadenelemente werden inklusive Dämmung, Fenstern, Lüftung, Leerrohren und gewünschter Oberfläche im Werk passgenau in gleichbleibend hoher Qualität vorgefertigt. Im Anschluss werden die maßgeschneiderten Elemente per Tieflader zur Baustelle transportiert und am Gebäude montiert. Ebenfalls vorgefertigt sind Haustechnik-Module, die vor Ort nur noch angeschlossen werden. Auch in die Fassadenelemente integrierte TGA-Lösungen sind möglich. Energiesprong-Sanierungen lassen sich in den meisten Fällen in bewohntem Zustand durchführen. 

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Eine in der Fabrik vorgefertigte Fassade wird einschließlich aller Leitungen und Anschlüsse vor die vorhandene Fassade montiert. 

Welche Gebäude eignen sich für die Energiesprong-Sanierung?

Optimal geeignet für eine serielle Sanierung sind Gebäude aus den 50er- bis 70er-Jahren mit einfacher Kubatur und hohem Energieverbrauch. Im Mehrfamilienhausbereich entsprechen rund 500.000 Gebäude mit 3 Millionen Wohnungen diesen Kriterien. Allein im optimal geeigneten Segment liegt das Sanierungsvolumen bei mehr als 100 Milliarden Euro. Bei schnellem Markthochlauf könnten hier bis 2045 mindestens 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Nach Schätzungen der Deutschen Energie-Agentur (Dena) sind zudem rund 4 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser grundsätzlich für eine serielle Sanierung geeignet. Bei Nichtwohngebäuden liegt der Fokus derzeit auf öffentlichen Gebäuden wie zum Beispiel Schulen oder Verwaltungsgebäuden. 

Wie werden die Sanierungskosten refinanziert?

Bei der seriellen Sanierung nach dem Energiesprong-Prinzip werden die Sanierungsinvestitionen größtenteils über eingesparte Energie- und Instandhaltungskosten refinanziert. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Net-Zero-Standard. Nach der Sanierung erzeugen die Gebäude (durch Photovoltaik auf dem Dach und gegebenenfalls Teilen der Fassade) im Jahresdurchschnitt so viel erneuerbare Energie, wie die Bewohnerinnen und Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen. 

Im Idealfall wird die Modernisierungsumlage durch hohe Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent und dauerhaft günstigen, selbst erzeugten Mieterstrom kompensiert. Damit eröffnen sich neue Perspektiven für die klima- und sozialverträgliche Bestandssanierung. Hinzu kommen weitere kostensenkende Faktoren wie eine schnellere Umsetzung, Planungssicherheit, höhere Qualität und eingesparte CO2-Kosten. Perspektivisch werden die Kosten für serielle Sanierungslösungen durch Digitalisierung, Prozessoptimierung, Automatisierung und Skaleneffekte weiter sinken.

Wie wird serielles Sanieren gefördert?

Wie bei allen Innovationen sind die Kosten serieller Sanierungslösungen im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren derzeit noch höher. Diese Wirtschaftlichkeitslücke wird durch den 15-prozentigen Bonus im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) geschlossen. Damit sind serielle Sanierungslösungen bei deutlich schnellerer Umsetzung bereits heute auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen. 

Die Förderung besteht aus zinsvergünstigten Krediten von bis zu 150.000 Euro pro Wohneinheit, die 1 bis 2 Prozentpunkte unter den marktüblichen Zinskonditionen liegen. Hinzu kommen Tilgungszuschüsse, die sich im günstigsten Fall auf 45 Prozent summieren können, was einer Förderung von 67.000 Euro pro Wohneinheit entspricht. Damit hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) die Weichen für eine breite serielle Sanierungswelle gestellt.

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Ariane Steffen arbeitet als Kommunikationsexpertin Innovation & Transformation bei der Deutschen Energie-Agentur GmbH (Dena). Im Team Serielles Sanieren ist sie für die Bereiche Pilotkommunikation, Presse und Publikationen zuständig.

Was ist die Rolle der Dena?

Im Auftrag des BMWK treibt die Dena die Marktentwicklung serieller Sanierungslösungen in Deutschland aktiv voran. Ihr Energiesprong-Team ist zentraler Anlaufpunkt zu allen Fragestellungen rund um das serielle Sanieren. Die Beratungsleistungen reichen von der Gebäudeauswahl, Konzeptentwicklung und Fördermittelberatung bis zu Portfolioanalysen, Pilotprojekten und Produktentwicklungen. Darüber hinaus engagiert sich die Dena für optimale politische und finanzielle Rahmenbedingungen. Regelmäßige Kick-off-Workshops, Fördertalks, Exkursionen zu seriellen Sanierungsprojekten und Networking Events vervollständigen das kostenlose Angebot. 

Wie weit ist die Marktentwicklung in Deutschland?

Nach erfolgreicher Pilotphase im Mehrfamilienhausbereich wird das Know-how nun auf ganze Portfolios, komplexere und höhergeschossige Gebäude, Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Nichtwohngebäude übertragen. Die Ausweitung auf weitere Gebäudetypen spiegelt sich in steigenden Zahlen wider: 59 serielle Sanierungsprojekte wurden 2023 fertiggestellt (2022: 4), 28 sind im Bau (2022: 9), 175 weitere befinden sich in unterschiedlichen Planungs- und Vorbereitungsphasen (2022: 51). 

Erste Wohnungsunternehmen wie die Gewobau Erlangen sanieren ganze Quartiere mit mehreren Tausend Wohneinheiten seriell. Weitere Wohnungskonzerne sind dabei, die in den Pilotprojekten gewonnenen Erkenntnisse sukzessive auf die Sanierung größerer Bestände zu übertragen. Parallel dazu erweitert die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten. Große Player wie Saint-Gobain, Knauf, Sto, Vaillant, Vonovia und LEG sind in die serielle Sanierung eingestiegen und senden mit ihrem Engagement ein wichtiges Signal in den Markt. 

Fazit 

In den nächsten 21 Jahren muss ein enormes Sanierungsvolumen gestemmt werden. Um den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen, braucht es innovative Lösungen, die mehr Tempo in die Bestandssanierung bringen. Serielles Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip hat das Potenzial, sich zum Treiber der klimaneutralen Transformation zu entwickeln. Komplettsanierungen lassen sich mit diesem Konzept schneller, einfacher und kostengünstiger auf breiter Ebene umsetzen.

letzte Änderung: 24.07.2023