ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)
Fossile Brennstoffe dürfen keine Zukunft haben. Warum also nicht gemeinsam die öffentlichen Flächen für die Versorgung aller Häuser nutzen? Dann liegt die komplette Infrastruktur für wirklich jeden zugänglich vor jedem Haus. Philipp Metz berichtet über ein wegweisendes Bürgerprojekt in Bremen.
Von Philipp Metz

(28. Juli 2024) Offensichtlich klappt es nicht so recht mit der Wärmewende. Vielleicht liegt es daran, dass gerade in den „entwickelten“ Staaten die Menschen es nicht mehr gewohnt sind, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen? Viel zu leicht gibt man der Versuchung nach, seine Probleme gegen ein kleines Entgelt an professionelle Problemlöser zu delegieren. Wenn diese dann keinen Erfolg haben, kann man sich ja immer noch beschweren.

Doch vielleicht sollten wir uns alle nun aufmachen? Nachdem wir es in Europa geschafft haben, das erste vollständige Jahr hinter uns zu bringen, in dem jeder Monat mit einem Allzeithoch der Durchschnittstemperaturen über den jeweiligen Vorjahren lag, wäre es an der Zeit.

 ED 02/2024 Was tun! – statt – Was tun? (S.22/23) 

Philipp Metz │ Diplom-Physiker, selbständig und nun im Ruhestand, Hard- und Softwareentwickler. Seit Marckolsheim & Wyhl setzt sich Philipp Metz leidenschaftlich für eine lebenswerte Zukunft ein. Er ist Vorstand der Genossenschaft Erdwärme Dich eG mit Lust auf mutige, selbst-ermächtigte Veränderung.

Ökologisch, bezahlbar, zukunftssicher

Es ist nun wahrlich nicht so, als hätten nur wir in Bremen mit unserer Genossenschaft Erdwärme Dich den Stein der Weisen gefunden und ein gütiger Geist lässt jede Nacht das himmlische Manna der Erkenntnis auf uns herabregnen. Nein, wir mussten feststellen, dass wir es allein, jeder für sich, nicht schaffen können, die Wärmeversorgung unserer Wohnungen zukunftssicher, bezahlbar und ökologisch sinnvoll zu regeln.

Fossile Brennstoffe dürfen keine Zukunft haben, organische Brennstoffe geben durch die Natur mühevoll gebundenes CO2 wieder an die Umwelt frei. Es ist nicht wirtschaftlich, warmes Wasser durch die Straßen zu leiten und auf dem Weg zum Verbraucher 15 % und mehr der wertvollen Wärme zu verlieren, nur um die Straßen das ganze Jahr zu beheizen. Auch die Lösung Wärmepumpe scheidet für viele aus. Denn gerade in den innerstädtischen Bestandsgebieten ist eine flächendeckende Ausstattung mit Luftwärmepumpen aufgrund der TA Lärm nicht möglich. Und um sich individuell Erdwärme zu erschließen, fehlt meistens der Platz – schade.

 ED 02/2024 Was tun! – statt – Was tun? (S.22/23) 

Viele positive Veränderungen entwickeln sich in nachbarschaftlichen Beziehungen.

Not macht erfinderisch

Unsere erste Annäherung an die Erdwärme geschah auf einem relativ gut zugänglichen Eckgrundstück inmitten eines dicht bebauten Quartiers. Die überwiegend geschützten Gründerzeit-Reihenhäuser, sogenannte Altbremer Häuser, sollten über gemeinsame Erdsonden auf diesem Grundstück durch die rückwärtigen Gärten mit einem Solenetz versorgt werden.

Die Idee machte schnell die Runde und bald wollten auch die Anwohner der gegenüber auf der anderen Straßenseite liegenden Häuser mitmachen. Damit war die Notwendigkeit entstanden, auch den öffentlichen Raum zur Versorgung zu nutzen. Denn es wäre fatal und heuchlerisch, die Nachbarn mitfühlend zu bedauern, dass ausgerecht sie nicht so privilegiert sind, sich CO2-freie Erdwärme privat zu erschließen.

Warum also nicht gemeinsam die öffentlichen Flächen für die Versorgung aller Häuser nutzen? Dann liegt die komplette Infrastruktur für wirklich jeden zugänglich vor jedem Haus. Das Innovative ist, die Erfahrungen aus vielen Anergienetzen in Neubauvorhaben der letzten Jahre auf den Bedarf eines dicht bebauten innerstädtischen Quartiers zu übertragen. Es gibt nichts, was dagegenspricht, aber viele gute Argumente dafür.

Zusammenschluss zu Clustern

Dies ist die Idee, das Vorhaben und das Ziel der Genossenschaft Erdwärme Dich eG: Anlieger finden sich in sogenannten Clustern und die Genossenschaft plant, finanziert, baut und betreibt das Anergienetz für die Cluster. Dieses Netz versorgt die Wärmepumpen, die in den jeweiligen Häusern die Brennwertthermen ersetzen. Jedes Cluster kann in alle Richtungen bei Bedarf weiterwachsen und Cluster können mit anderen zu einem großen Netz zusammenwachsen. Dabei gilt: Jeder kann – keiner muss!

Die Erschließungskosten durch die preisgünstigen, nicht isolierten PE-Rohre sind so gering, dass Spätentschlossene auch zu einem späteren Zeitpunkt folgen können. Die Nutzung erfolgt pauschal über eine monatliche Gebühr pro kW angeschlossener Heizlast des Hauses. Um wirklich allen unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten die Teilnahme zu ermöglichen, baut die Genossenschaft die Hausanschlüsse und die Wärmepumpen gegen eine zweite monatliche Gebühr.

Solange beide Gebühren inklusive der Betriebskosten nicht die aktuellen Heizkosten wesentlich übersteigen, ist die Teilhabe an der CO2-freien Wärmeversorgung für jeden bezahlbar. Und unsere Berechnungen zeigen, dass dies in den meisten Fällen möglich ist. Insbesondere wenn für den Vergleichsfall auch die Kosten einer neuen Brennwerttherme und die absehbare Steigerung des CO2-Preises einbezogen werden, was den Gaspreis um 50 % Prozent ansteigen ließe. 
•    www.bdev.de/ariadneco2

 ED 02/2024 Was tun! – statt – Was tun? (S.22/23) 

Der Appetit kommt beim Essen

Wir haben uns in Bremen auf den Weg gemacht und stellen mit Freude fest, wie viel Spaß die Beteiligten daran haben, ihren persönlichen Bedarf mit anderen, den Nachbarn, zu einem gemeinsamen Projekt zu verschmelzen. Sehr schnell treten persönliche Befindlichkeiten und Vorbehalte hinter das Zutrauen, gemeinsam Lösungen zu finden. Wir nennen diesen Prozess Selbstermächtigung und lernen, dass sich damit viele positive Veränderungen in den nachbarschaftlichen Beziehungen in den Quartieren entwickeln.

Und bekanntlich kommt der Appetit beim Essen. Stetig wachsen das Interesse und die Bereitschaft, für naheliegende Fragen neue Ideen und Vorschläge zu entwickeln. Aus dem Bedürfnis, möglichst selbst erzeugten Strom zu verwenden, entsteht das Interesse an einem gemeinsamen Einkauf von PV-Anlagen und einer kostengünstigen Installation. Dann kommt die gemeinsame Nutzung des selbst erzeugten Stroms. Oder soll man gleich neue PVT-Elemente auf die Dächer bauen und die zusätzlich zum Strom geerntete Wärme nicht nur in den einzelnen Häusern, sondern auch zur Regenerierung der Erdsonden einspeisen?

Gemeinsam, solidarisch, demokratisch

Wir stellen mit Erstaunen fest, dass es in einem solchen Prozess gar nicht so schwer ist, gemeinsam, solidarisch und demokratisch zu handeln. Wir entdecken und praktizieren Demokratie in ihrem besten Sinne – eine leider etwas in Vergessenheit geratene Tugend. Das Erstaunen bei Politik und Verwaltung, wenn sich Quartiere ganz ohne staatliche Geburtshilfe zu Wärmewendern entwickeln, ist bemerkenswert. In der letzten Zeit wurde ein Gutteil auf vielen Kongressen und Symposien zum Thema Wärmewende damit zugebracht, sich gegenseitig zu erzählen, was die Politik und Verwaltung doch eigentlich zu tun haben, um den Menschen die notwendigen Maßnahmen zu erklären. Vor lauter Arbeitskreisen und Gremien findet in dem ganzen Tohuwabohu keiner mehr den einfachen Weg – das zu tun, was notwendig, erprobt, zukunftssicher und bezahlbar ist.

Zugang zum öffentlichen Raum

Wir stellen der Politik nur die einfache Frage, was Daseinsvorsorge im Kern bedeutet. Sind Wasser, Luft und auch Erdwärme nicht etwas, das allen gehört und das man nicht für Geld zur gewerblichen Nutzung verschwenden darf? Mit der Erdwärme macht man keine Geschäfte. Eine verantwortungsbewusste öffentliche Verwaltung stellt diese Wärme zur Verfügung, damit die Bürger diesen universellen, öffentlichen Schatz gemeinsam genossenschaftlich nutzen und unter sich gerecht verteilen.

In diesem Zusammenhang stellt sich automatisch in den Städten die Frage nach einem gleichberechtigten, diskriminierungsfreien Zugang zum öffentlichen Raum. Tendenziell sind Anergienetze disruptive Änderungen der Daseinsvorsorge, weil sie die Gasnetze für die Wärmeversorgung überflüssig machen. Das unterscheidet Anergienetze von klassischen Wärmenetzen. Es wird nicht nur kein warmes Wasser verlustreich, teuer und CO2-belastet durch die Straßen gepumpt. Ja, wir haben hier den Übergang zu einer neuen Art der Wärmeversorgung, ähnlich der Entwicklung von analoger zu digitaler Kommunikation. Das ist Fortschritt. 
•    www.bdev.de/anergienetz

Kalte Wärmenetze sind günstig und leicht zu bauen. Sie haben kaum Wärmeverluste und eignen sich sowohl für den ländlichen Raum als auch für hochverdichtete Siedlungen. Das Beste: Sie ermöglichen die Nutzung von Erdwärme, Solarwärme und Abwärme. Wir berichten über eine wenig bekannte gemeinschaftliche Heiztechnik.
Von Aribert Peters

(20. Dezember 2023) Brauchen wir wirklich Fernwärmenetze mit Vorlauftemperaturen von 75 bis 90 °C, damit es in den angeschlossenen Gebäuden 20 °C warm wird? „Kalte Wärmenetze bieten ein so großes technisches und wirtschaftliches Potenzial zur Nutzung erneuerbarer Energien und unvermeidbarer Abwärme wie keine andere Wärmenetzart. Sie sind leicht zu bauen und praktisch ohne Netzverluste unkompliziert zu betreiben und sehr gut erweiterungsfähig. Die Baukosten von kalten Wärmenetzen liegen bei nur rund einem Zehntel der Kosten von klassischen heißen Wärmenetzen, ähnlich verhält sich der Planungs- und Betreuungsaufwand. Systembedingt haben kalte Netze keine Abhängigkeit von einem zentralen und heißen Wärmeerzeuger und hohen Wärmeliniendichten. Obwohl sich kalte (Nah-)Wärmenetze insbesondere für ländliche Gebiete eignen, stellen sie auch im urbanen Raum hervorragende Möglichkeiten dar, kostengünstig Gas-Etagenheizungen durch dezentrale Wärmepumpen mit Nutzung eines kalten Netzes als Umweltwärmequelle zu ersetzen. … Gerade die Gewinnung von Abwärme ist mit kalten Netzen oft überhaupt erst wirtschaftlich möglich, jeder Bürger kann – zum Beispiel bei solaren Überschüssen – so auch zum Einspeiser werden. Auch die Funktion von Kältenetzen gemäß EU-Vorgabe wird mit diesen Netzen automatisch erfüllt, zukünftige Aspekte der Klimaanpassung sind bereits infrastrukturell vorbereitet. … Dem Mehraufwand bei der Aufstellung der Wärmeplanung durch die Betrachtung von kalten Netzen stehen unmittelbar Einsparungen durch die Vermeidung unnötiger Betrachtungen von heißen Netzen gegenüber.“ Was sich wie eine Werbebroschüre liest, ist tatsächlich ein Beschluss des Bundesrats (BR-Drucksache 388/23, Beschluss vom 29.9.2023). Das macht neugierig auf die „kalten Wärmenetze“. Was hat es damit auf sich?

 ED 04/2023 Kalte Wärme für Stadt und Land (S.16-18) 

Was sind kalte Wärmenetze?

Luft-Wasser-Wärmepumpen sind während der Heizperiode weniger effizient als Wärmepumpen, die Grundwasser oder das Erdreich als Niedertemperaturquelle nutzen. Die Erschließung dieser ergiebigeren Wärmequellen treibt aber die Kosten einer Wärmepumpeninstallation deutlich nach oben oder ist in vielen Fällen aufgrund der lokalen Gegebenheiten überhaupt nicht möglich. In beiden Fällen bietet es sich an, die Wärme zur Versorgung der Wärmepumpen aus Solarthermie, Abwärme und oberflächennaher Geothermie an einer zentralen Stelle gemeinschaftlich zu gewinnen und auf sehr niedrigem Temperaturniveau in den angeschlossenen Gebäuden zu verteilen: über kalte Wärmenetze oder Anergienetze.

Wärme im Winter – Kälte im Sommer

Die Wärme zirkuliert auf geringem Temperaturniveau („kalt“) zwischen den Gebäuden. Unterwegs zu den einzelnen Abnehmern nimmt das Wassergemisch unterirdisch weitere Umgebungswärme aus dem Erdreich auf. Wegen der geringen Temperaturen kommt das Netz nahezu ohne Dämmung und Wärmeverluste aus – oftmals können durch den Wärmeeintrag aus dem Erdreich sogar erhebliche Wärmegewinne erzielt werden. Das verschafft den kalten Wärmenetzen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber heißen Wärmenetzen. Erst in den einzelnen Gebäuden wird das Wassergemisch mithilfe von effizienten Wärmepumpen auf die gewünschte Temperatur gebracht: etwa 35 °C für die Heizung und mehr als 65 °C für eine hygienische Trinkwassererwärmung. Das System sorgt nicht nur für wohlige Wärme im Winter, sondern kann auf Wunsch an heißen Tagen auch kühlen, und das völlig emissionsfrei. 

Wärmenetze im Wandel der Zeit
1. Generation Dampfnetz 200 °C
2. Generation Heißwassernetz über 100 °C
3. Generation Wärmenetz 75 bis 95 °C
4. Generation Niedertemperaturnetz 40 bis 70 °C
5. Generation Anergienetz oder kaltes Wärmenetz -5 bis 20 °C
Beim kalten Wärmenetz sind die Verteilungsverluste auf 5 % reduziert.
Ersatz von fossilen Heizungen

„Auch in dicht besiedelten Bestandsquartieren können kalte Netze die Gasgeräte zum Beispiel in Wohnungseigentümergemeinschaften ersetzen helfen, indem Umweltwärme aus dem öffentlichen Straßenraum/Böden/Gewässern unkompliziert entnommen und in den Mehrfamilienhäusern genutzt wird und eine optische Beeinträchtigung des Baubestandes mit Splitgeräten dadurch verhindert wird. Sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum sollten klimaneutrale Kalte Netze schnell, effizient und ohne großtechnologische Betriebsorganisationen aufgebaut werden. Die Abhängigkeit von externen Energielieferanten wird verringert, Resilienz und Kostensicherheit gestärkt“, so der Bundesrat in seiner oben genannten Entschließung. Der Investitionsbedarf ist zwar bei reinen Luft-Wärmepumpenlösungen geringer als bei Anergienetzen. Allerdings haben solche Wärmepumpen einen höheren Stromverbrauch und damit höhere Energiekosten. 

 ED 04/2023 Kalte Wärme für Stadt und Land (S.16-18) 

Mehr als 80 Anergienetze deutschlandweit

Es gibt bereits seit 15 Jahren in ganz Europa Anergienetze mit guten Jahresarbeitszahlen. Besonders einfach sind sie in Neubaugebieten zu verwirklichen. Aber auch im Bestand haben sich viele kalte Wärmenetze bewährt. Einen Überblick über die mindestens 80 Anergienetze hierzulande erhält man unter bdev.de/anetze. Dort lassen sich auch Auswertungen finden zu technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Einzelheiten. Die meisten Anergienetze nutzen ungedämmte Kunststoffrohre. Viele sind länger als zwei Kilometer, das kleinste Netz ist 150 Meter lang und versorgt vier Gebäude. Auch gibt es etliche Bürgerenergienetze.

Etwa die Hälfte der Anergienetze hat keinen Anschlusszwang. In vielen Fällen befinden sich die dezentralen Gebäudewärmepumpen im Besitz der Wärmenetzbetreiber. Nach zehn Jahren gehen sie oft in das Eigentum des Gebäudebesitzers über. 

Versorgung zu 100 % mit kalter Nahwärme

„Eine grundlegende Frage war, ob in der dicht bebauten Stadt genug Platz für die nötigen Erdwärmesonden vorhanden ist – und das konnte mit Ja beantwortet werden“, berichtet Gerhard Bayer, Experte der Non-Profit-Organisation ÖGUT, über eine Untersuchung in Wien. Durch eine fachgerechte Auslegung der Erdwärmesonden könnte in den meisten Stadtgebieten der gesamte Wärmebedarf und auch die komplette Warmwasserbereitung abgedeckt werden, wenn auch öffentliche Flächen wie Gehsteige, Straßen und Plätze genutzt werden. Technisch ist zwar auch die Beheizung eines einzelnen unsanierten Altbauhauses möglich, flächendeckend ist so ein Modell in der Stadt aber nicht realisierbar. 

Tausch Brennwerttherme gegen Wärmepumpe

Das ist grundsätzlich möglich. Es gibt Wärmepumpen, die auch Vorlauftemperaturen von 60 bis 70 °C aus der Erdwärme erzeugen. Da sie hier etwas mehr Arbeit verrichten müssen, wird auch etwas mehr Strom benötigt. Der COP-Wert einer Wärmepumpe ist dann nicht mehr ganz so hoch, aber der Nutzen bleibt immer noch weit besser als bei einer Brennwerttherme. 

Kosten Erdwärme versus Gasheizung

„Es hat sich gezeigt, dass der Umstieg auf Anergie nicht teurer ist als eine weitere Versorgung mit Erdgas“, so Gerhard Bayer zu seiner Untersuchung für die Stadt Wien. Die Erschließung von Erdwärme verursacht höhere Investitionskosten als eine konventionelle Heizung. Die Betriebskosten sind jedoch niedriger, da die Stromkosten für die Wärmepumpe deutlich niedriger liegen als die Kosten für das Erdgas. Werden die aktuellen Betriebskosten einer Gasheizung monatlich angesetzt, sind die Investitionskosten in ein Erdwärmepumpensystem nach 15 bis 20 Jahren abgeschrieben. Danach sind deutlich geringere Heizkosten zu erwarten, insbesondere dann, wenn die Preise der fossilen Brennstoffe weiter steigen. 

In etlichen bereits gebauten Netzen gibt es keinen Wärmepreis mehr, sondern nur ein Entgelt für den Anschluss ans Netz, unabhängig davon, wie viel Wärme oder Kälte man entnimmt beziehungsweise einspeist. In Neubaugebieten werden die Kosten für Netz und Quellensystem oft auf den Grundstückspreis (Erschließungskosten) umgeschlagen oder können durch Nutzungsgebühren abgegolten werden. Es ist dann kein Zählersystem notwendig. 

Anergienetz nur mit Erdwärme?

Erdwärme ist zwar die häufigste Wärmequelle für Anergienetze. Meistens werden die Kollektoren horizontal verlegt, gefolgt von Geothermiebohrungen. Es geht aber auch ohne Erdwärme. Etliche Netze nutzen Außenluft, Abwärme, Abwasserwärme oder Eisspeicher. Solarwärme eignet sich am besten für Netze mit höheren Temperaturen. Denn es ist schade, die oft hohen Temperaturen aus Solaranlagen durch Mischung mit kühlerem Wasser abzukühlen. Als Backup und Spitzenlastdeckung dienen konventionelle Erzeuger wie Kessel oder BHKW. 

Wie startet man ein Anergie-Netz?

Auch wenn die Investitionen bei Anergienetzen nicht per se geringer sind als bei Fernwärme, eignen sie sich im Vergleich zu konventionellen Wärmenetzen besonders gut für Netze in Bürgerhand. Damit eine Anergienetz-Startzelle zustande kommt, muss sich eine Gruppe von mindestens drei bis fünf Liegenschaftseigentümern und -eigentümerinnen in der unmittelbaren Nachbarschaft zusammenfinden, sei es in der Stadt oder auf dem Land. Es gibt zwei Organisationsmodelle:
Es wird ein kommerzieller Betreiber gesucht (Stadtwerke bzw. Contractor) oder die Bürger organisieren sich gemeinschaftlich als Verein oder Genossenschaft wie beispielsweise in der Humboldtstraße in Bremen. Die gemeinschaftliche Organisation erfordert hohes Engagement. Eine kommerzielle Lösung liefert die Eigentümer dem späteren Preisdiktat des Netzbetreibers aus, wenn nicht verbraucherfreundliche Preisregelungen vertraglich fixiert werden: Die Heizkosten für die Bewohner sollten deutlich unter den ortsüblichen Fernwärmekosten liegen. Weiter sollte darauf geachtet werden, dass die Preisanpassung (Indexierung) anhand der tatsächlich auftretenden Kosten (Strom für die Wärmepumpe, Wartung, Service, Reinvestitionen) erfolgt.

 ED 04/2023 Kalte Wärme für Stadt und Land (S.16-18) 

Gründung des Bürgervereins „ErdwärmeDich e.V.“ in Bremen

Zusammengefasst bieten kalte Nahwärmenetze eine zukunftsweisende Lösung, die sowohl umweltfreundlich als auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Sie erweisen sich als vielseitig anpassbar an unterschiedliche urbane und energetische Gegebenheiten.

Für ihre wertvollen Kommentare danke ich Axel Horn, Philipp Metz, Gerhard Bayer, Martin Lohrmann, Marco Wirtz und Thomas Giel

Weil erneuerbare Wärmeversorgung im Quartier und gemeinsam viel günstiger ist, müssen sich Bürger darauf verständigen und das zusammen anpacken. Das leistet die Wärmeplanung, die jetzt sogar gesetzlich gefordert wird. Wie das konkret ablaufen soll, erläutert dieser Artikel. Die Energiewende zeigt, was sie kann.
Von Aribert Peters

(20. Dezember 2023) Bis 2045 muss der Gebäudesektor emissionsfrei sein, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. 19 Millionen fossil befeuerte Heizungen müssen also auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Beispiele aus Europa und auch Deutschland zeigen, dass die gemeinschaftliche Versorgung mit Wärme die Nutzung von Erdwärme, Solarwärme, von Abwärme und Wärmespeichern ermöglicht, die im einzelnen Gebäude nicht möglich wäre. Deren Umsetzung bietet viele weitere Vorteile 
wie die Organisation von Bürgerenergiegemeinschaften, die Hilfestellung durch die Kommunen usw. Die gemeinschaftliche Wärmeversorgung wird organisiert und angestoßen durch eine kommunale Wärmeplanung.

 ED 04/2023 Kommunale Wärmeplanung: Pflicht oder Kür? (S.14/15) 

Die Wärmeplanung soll Bauherren, Eigentümer und Unternehmen informieren und ihnen bei ihren Investitionsentscheidungen für ein kosteneffizientes, klimagerechtes Heizen helfen. Deshalb ist es sehr sinnvoll, dass die Wärmeplanung durch ein Gesetz bundesweit zur Pflicht geworden ist. Das Wärmeplanungsgesetz (Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung von Wärmenetzen) tritt am 1.1.2024 in Kraft.

Die Wärmeplanung ist keine Hintertür, um die Umstellungspflichten für Heizungen hinauszuschieben – das wäre auch unklug wegen des Preisanstiegs von Fossilenergien. Sondern eine Chance für die Bürger und Gemeinden, sich gemeinsam und mit qualifizierter Hilfe und Unterstützung der möglichst schnellen Umstellung auf erneuerbare Energien zu stellen und daraus etwas Neues, Besseres zu machen.

Das Wärmeplanungsgesetz (WPG)

Das Gesetz wendet sich an die Bundesländer und verpflichtet sie, flächendeckend in allen Kommunen Wärmepläne zu erarbeiten. Um die Kommunen nicht zu überlasten, ist der Zeitplan für die Erstellung der Wärmepläne nach Einwohnerzahlen gestaffelt: ab 100.000 Einwohnern bis 2026 und bei weniger als 100.000 Einwohnern bis 2028. Es gibt auch ein vereinfachtes Verfahren für Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern. Und natürlich können Kommunen auch im sogenannten „Konvoi-Verfahren“ diese Wärmepläne zusammen erstellen.

Das WPG ist mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) verknüpft: Für den Neubau und Ausbau von Wärmenetzen gelten verlängerte Übergangsfristen beim Umstieg auf erneuerbare Energien (GEG § 71 b und § 71 j). Örtlich wird entschieden, wann entsprechende Fristen nach dem GEG in Kraft treten. Somit entscheidet die Umsetzungsstruktur vor Ort darüber, wann das 65-Prozent-Ziel erfüllt werden muss. Dabei definiert das Gesetz die Wärmeplanung als eine rechtlich unverbindliche, strategische Fachplanung: „Der Wärmeplan hat keine rechtliche Außenwirkung und begründet keine einklagbaren Rechte oder Pflichten.“ Durch Ratsbeschluss einer Kommune kann jedoch aus einer zunächst unverbindlichen Wärmeplanung ein verbindlicher Plan werden. Der Bund will die Erstellung von Wärmeplänen mit 500 Millionen Euro fördern und hat ein bundesweites Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW) in Halle ins Leben gerufen. 

Bürgerenergiegemeinschaften

Für Gemeinden mit über 45.000 Einwohnern gibt es sogar eine Vorgabe im Gesetz: Im Wärmeplan muss eine Bewertung der Rolle von Erneuerbare-Energien-Energiegemeinschaften oder anderer von den Verbrauchern ausgehenden Initiativen enthalten sein, die aktiv zur Umsetzung lokaler Projekte im Bereich Wärmeversorgung beitragen können (WPG § 21 Abs. 2). Auch muss der Plan eine Bewertung enthalten, wie die Umsetzung der Strategien und Maßnahmen finanziert werden kann, und Finanzierungsmechanismen ermitteln, die es den Verbrauchern ermöglichen, auf Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Quellen umzustellen.

Dekarbonisierung der Wärmenetze

Aktuell sind etwa 14 % der Haushalte an Fernwärme angeschlossen, die nur zu 20 % aus erneuerbaren Energien stammt. Bis 2045 soll die gesamte Fernwärmeversorgung klimaneutral erfolgen. 2030 sollen die Wärmenetze zu 30 % und bis 2040 zu 80 % Wärme aus erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme führen. Das hört sich einfach an, ist es aber ganz und gar nicht. Neue Wärmenetze müssen bereits ab dem 1. Januar 2024 mindestens 65 % erneuerbare Wärme führen. Allerdings sind keine Bußgeldvorschriften vorgesehen oder Betriebsverbote für Wärmenetze, welche die vollständige Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 verfehlen. 

Klassifizierung der Wärmebedarfsdichten (Endenergie)
nach potenzieller Eignung für Wärmenetze
Wärmedichte
 [MWh/haxa]
Einschätzung der Eignung zur Errichtung von Wärmenetzen
0 – 70 kein technisches Potenzial
70 – 175 Empfehlung von Wärmenetzen in Neubaugebieten
175 – 415 Empfohlen für Niedertemperaturnetze im Bestand
415 – 1.050 Richtwert für konventionelle Wärmenetze im Bestand
> 1.050 Sehr hohe Wärmenetzeignung
Quelle: Kommunale Wärmplanung, Handlungsleitfaden, Baden-Württemberg

In klassischer Betrachtung entscheidet die Wärmedichte, ob sich ein Wohngebiet für ein Wärmenetz eignet. „Die vorgegebene Betrachtungsweise verengt hinsichtlich der Wärmeliniendichte die Wärmenetze auf die langwierig zu planenden, aufwendig zu errichtenden, im Invest teuren und technologisch sehr betreuungsintensiven heißen Netze“, kritisierte der Bundesrat. Die kalte Nahwärme ermöglicht auch dort gemeinschaftliche Versorgung, wo das bisher nicht für möglich gehalten wurde.

Ablauf der Wärmeplanung nach WPG
  • Beschluss oder Entscheidung der planungsverantwortlichen Stelle über die Durchführung einer Wärmeplanung.
  • Eignungsprüfung (nach WPG § 14): Für Gebiete, die von vornherein als ungeeignet für ein Wärmenetz eingestuft werden, entfallen die weiteren Planungsschritte. 
  • Bestandsanalyse (nach WPG § 15): Erhebung des aktuellen Wärmebedarfs und -verbrauchs und der daraus resultierenden Treibhausgasemissionen einschließlich Informationen zu den vorhandenen Gebäudetypen und Baualtersklassen, der Versorgungsstruktur aus Gas- und Wärmenetzen, Heizzentralen und Speichern sowie Ermittlung der Beheizungsstruktur der Wohn- und Nichtwohngebäude.
  • Potenzialanalyse (nach WPG § 16): Ermittlung der Potenziale zur Energieeinsparung für Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme in den Sektoren Haushalte, Gewerbe/Handel/Dienstleistungen, Industrie und öffentliche Liegenschaften sowie Erhebung der lokal verfügbaren Potenziale erneuerbarer Energien und Abwärme, beispielhaft in Wien.
  • Entwicklung und Beschreibung eines Zielszenarios (nach WPG § 17): Entwicklung eines Szenarios zur Deckung des zukünftigen Wärmebedarfs aus erneuerbaren Energien zur Erreichung einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Dazu gehört eine räumlich aufgelöste Beschreibung der dafür benötigten zukünftigen Versorgungsstruktur im Jahr 2050 mit einem Zwischenziel für 2030. Dies gelingt durch die Ermittlung von Eignungsgebieten für Wärmenetze und Einzelversorgung.
  • Einteilung des beplanten Gebiets in voraussichtliche Wärmeversorgungsgebiete (nach WPG § 18): Welche Wärmeversorgungsart eignet sich für das jeweilige beplante Teilgebiet besonders?
  • Entwicklung einer Umsetzungsstrategie mit konkreten Maß-nahmen, die innerhalb des beplanten Gebiets zur Erreichung des Zielszenarios beitragen sollen. 
Europarecht

Die gerade beschlossene Effizienzrichtlinie der EU (2023/1791) räumt den Verbrauchern in § 21 bei der Wärmeversorgung umfangreiche Rechte ein. Nach § 25 Abs. 4 dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten Fernwärme- und Fernkälteinfrastrukturen aufbauen, wenn Analysen zeigen, dass dies vorteilhaft und kosteneffizient ist. Das ist von den Mitgliedstaaten bis 11. Oktober 2025 in nationales Recht umzusetzen. Ein Förderprogramm des Bundes unterstützt den Bau von Wärmenetzen: die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW). 

Als Abschluss dieses Artikels eignet sich, was der Abgeordnete Bernhard Herrmann von den Grünen bei der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag sagte: „Mit der kommunalen Wärmeplanung schaffen wir die Grundlage, um konsequent für alle sicher und bezahlbar von immer teurer werdenden fossilen Brennstoffen wegzukommen. Die Klimakrise wartet nicht. Ambitioniertere Klimaziele im Gebäudebereich erreichen wir im Tandem von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Steigen wir alle auf! Machen wir uns auf die Tour zu einer langfristig bezahlbaren, wirtschaftlichen, sicheren und ökologischen Wärmeversorgung.“ 

letzte Änderung: 10.07.2024