Mehr als nur weniger: Suffizienz
Trotz deutlich effizienterer Hausgeräte steigt der Stromverbrauch von Haushalten beständig an. Erst das Konzept der Suffizienz führt zu einer nachhaltigen Einsparung. 80 Prozent Stromeinsparung ohne Komfortverlust sind möglich, wenn man sich auf Änderungen einlässt. Grund genug, sich genauer mit Suffizienz zu befassen. Wir berichten über neue Forschungsergebnisse.
Von Aribert Peters
(25. Juli 2016) Der Energieverbrauch privater Haushalte hat zwischen 1990 und 2013 um neun Prozent zugenommen, obwohl moderne Hausgeräte deutlich effizienter arbeiten, also weniger Strom verbrauchen. Höhere Effizienz alleine verringert den Energieverbrauch also keineswegs. Eine zunehmende Nutzung macht den Effizienzgewinn der einzelnen Geräte wieder zunichte. Dieser Effekt wird unter der Bezeichnung „Rebound“ diskutiert. Wer diesem Problem etwas entgegensetzen möchte, redet über „Suffizienz“.
Der Stromsparwettbewerb des Bundes der Energieverbraucher zeigte, dass viele Haushalte mit weniger als 1.000 kWh Strom pro Jahr auskommen können, der Bundesdurchschnitt liegt jedoch bei fast 4.000 kWh. Noch überraschender: Die sparsamen Haushalte berichteten nicht über Verzicht, sondern über Freude an einer sparsamen und bewussten Lebensweise.
Es ist also höchste Zeit für einen genaueren Blick auf ein besseres Leben mit geringerem Verbrauch. Es trifft sich gut, dass zu diesem Thema aktuell ein großes Forschungsprojekt abgeschlossen wurde. Das Projekt „Energiesuffizienz“ startete 2013 beim Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Internetseite www.energiesuffizienz.de dokumentiert die umfangreichen Projektergebnisse.
Die Studie zeigt, wie der Stromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushalts von 3.700 auf 850 kWh reduziert werden kann und welche bescheidene Rolle die Energieeffizienz dabei spielt. Im Projekt wurde auch systematisch erforscht, wie sich Suffizienz als Lebensweise verbreiten lässt. Oft wird Suffizienz aber als Bevormundung missverstanden, die über den Einsatz effizienterer Geräte hinausgeht. Deshalb wird Suffizienz mit Misstrauen und Ablehnung begegnet. Suffizienz ist in Forschung und Politikberatung gleichermaßen unpopulär.
Energiearmut zwingt zu „freiwilligen“ Einschränkungen. Im kalten Winter 2012 saßen an kalten Tagen hochgerechnet 6,2 Millionen Deutsche mit Stiefeln in der Wohnung, um sich warm zu halten und weniger zu heizen. 16 Millionen wärmten sich in der Wohnung mit Decken. Alleine die materielle Not zwingt mitunter viele Menschen, sich mit einem geringeren Energieverbrauch einzurichten. Suffizienzkonzepte zeigen, wie man auch mit weniger Energieeinsatz gut leben kann.
Das Konzept der Suffizienz
Altkanzler Ludwig Erhard startete in den 1970er Jahren die Suffizienz-Debatte: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter und mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtsleistung auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.”
Kritik am materialistischen Lebensstil basiert auch auf dem Bericht „Grenzen des Wachstums“ durch den Club of Rome aus dem Jahr 1972. In diesem Buch hatten verschiedene Szenarien den Zusammenbruch einer auf Wachstum ausgerichteten Zivilisation innerhalb des 21. Jahrhunderts errechnet.
Der Begriff Suffizienz geht auf „sufficere“ zurück und kann übersetzt werden mit „ausreichen“, „genügen“ oder „genug“. In der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion gibt es zwei unterschiedliche Suffizienzkonzepte:
Zum einen gilt Suffizienz als Lebensstil und Weltanschauung. Die Autoren kritisieren die Fixierung auf materialistische Bedürfnisbefriedigung und stellen dieser die Betonung der Förderung von kreativem Schaffen wie Musik und anderer Kunst in einer solidarischen Gesellschaft gegenüber.
Daneben gibt es eine Strömung, die mit „Eco-Suffizienz“ bezeichnet werden könnte. Der Ausgangspunkt ist dabei die Übernutzung der Erde, die nicht durch technologische Innovationen gelöst werden kann. Der Fokus wird also auf eine mögliche Obergrenze der Ressourcennutzung und deren gerechter globaler Verteilung gelegt.
Beiden Ansätzen gemeinsam ist der Zweifel an rein technischen Lösungen und einer Hinterfragung des Bedarfs. Es werden jedoch nicht die Bedürfnisse hinterfragt. Sondern es wird untersucht, ob sich diese Bedürfnisse mit geringerem Aufwand befriedigt lassen.
Die sogenannten „fünf E“ können eine Orientierung für Suffizienzstrategien sein:
- Entrümpelung
- Entschleunigung
- Entkommerzialisierung
- Entflechtung
- Emanzipation
Diese „fünf E“ können auch als Orientierung für einen Ausweg aus dem Mangel dienen und damit für die Armutsbekämpfung nützlich sein. Ausgangspunkt für Suffizienz ist das Bewusstmachen und Abwägen der eigenen Bedürfnisse und der damit verbundenen Inanspruchnahme von Ressourcen. Suffizienz konzentriert sich auf das Wesentliche, auf das was wichtig und im Kontext der Nachhaltigkeit verantwortbar ist.
Suffizienz heißt nicht, mit so wenig wie möglich auszukommen oder Mangel zu leiden (Askese, Minimalismus), sondern nicht mehr zu verbrauchen, als man beabsichtigt und benötigt.
Folgende drei Suffizienz-Ansätze haben sich für die Energieeffizienz als wichtig herauskristallisiert:
- Reduktion: Quantitative Verringerung des Techniknutzens nach Bewusstmachung des tatsächlich benötigten Bedarfs und Entlastungen durch verringerten Technikgebrauch (weniger fernsehen) oder bewusste Entscheidungen bei Geräteausstattung (kleinerer Fernseher) oder Haushaltsproduktion (Kleidung seltener waschen).
- Substitution: Qualitative Veränderung von sozialen Praktiken und Alltagsroutinen im Haushalt, die Nutzen mit hohem Aufwand an technischer Energie liefern, hin zu Arten des Nutzens mit geringerem Aufwand an technischer Energie. Beispiele können hier sein: Nutzung von Wäscheleine statt Wäschetrockner, frische Nahrung statt Tiefkühlgerichte, Innenstadt-Wohnung statt Eigenheim am Stadtrand.
- Anpassung: Bewusste Angleichung der verwendeten technischen Dienstleistung an den gewünschten Techniknutzen (beispielsweise die Anpassung der beheizten Herdplattenfläche an die Topfgröße) oder Anpassung des Technikgebrauchs an den tatsächlichen Bedarf (modulare Abschaltung von nicht genutztem Kühlvolumen). Der Ansatz kann auch über technische Sensoren und Automatismen und damit ohne notwendige Bewusstmachung erfolgen. Damit ist die Anpassung vor allem eine Verringerung von Überfluss und unnötigem Energieverbrauch.
Das Prinzip der Suffizienz ist jedoch in wesentlichen Punkten mit der heutigen auf Wachstum des Materialkonsums ausgelegten Wirtschaft und Gesellschaft nur schwer vereinbar. Suffizientere Lebensstile werden heute noch durch kontraproduktive Stadt- und Regionalplanung, Infrastrukturen, Produktgestaltung sowie fehlende oder zu teure Dienstleistungsangebote verhindert oder erschwert. Deshalb ist Suffizienz nicht nur Sache des Einzelnen, sondern muss auch politisch ermöglicht werden.
Was bringt Suffizienz im Haushalt?
Am Beispiel eines durchschnittlichen Zwei-Personen-Haushalts hat das IFEU-Institut die Auswirkungen von Energieeffizienz und Energiesuffizienz untersucht.
Das Ergebnis war selbst für Experten verblüffend: Der durchschnittliche Jahresstromverbrauch von rund 3.500 kWh, ließ sich durch vollständige Ausstattung mit den derzeit effizientesten Geräten um ein Viertel vermindern. Die Geräteausstattung und der Gerätegebrauch blieben dabei unverändert. Durch Suffizienzentscheidungen bei der Geräteausstattung lässt sich der Stromverbrauch gegenüber der effizienten Ausstattung um weitere 25 Prozent vermindern. Werden darüber hinaus beim Gerätegebrauch suffiziente Entscheidungen getroffen, kann der Stromverbrauch fast um 60 Prozent gegenüber der reinen Effizienz-Variante gesenkt werden, also nochmals um fast zwei Drittel!
Effizienz und Suffizienz zusammen vermindern den Stromverbrauch um 80 Prozent auf ganze 800 kWh jährlich, Effizienz allein schafft nur 1.835 kWh. Die Modellberechnung können als Orientierung dienen, welche Einsparungen sich durch Suffizienzentscheidungen erzielen lassen. Die Einsparungen wurden allerdings nur theoretisch vorhergesagt. Ob sich solche Konzepte praktisch umsetzen lassen und zu welchen Einsparungen sie führen, wurde nicht ausgetestet.
Eine praktische Bestätigung der gewaltigen Einsparpotenziale liefern jedoch die Ergebnisse des Stromsparwettbewerbs vom Bund der Energieverbraucher aus dem Jahr 2008. Etliche Familien konnten durch bewussten Umgang mit Energie den Stromverbrauch im Haushalt von 4.000 auf unter 1.000 Kilowattstunden (kWh) reduzieren.
Die Anwendungen Kühlen/Gefrieren, Waschen, Trocknen, Spülen, Kochen/Braten, Beleuchtung, Rechner/Unterhaltung und Warmwasser wurden einzeln im Detail untersucht: Wie lassen sich Geräte verkleinern, wie lassen sich Nutzungsintensität und -häufigkeit verringern? Der Heizwärmebedarf wurde nicht untersucht.
Sowohl bei suffizienter Geräteausstattung, als auch beim suffizienten Gerätegebrauch kommen die drei Strategien Reduktion, Substitution und Anpassung zum Einsatz.
Jahresstromverbräuche bei der Umsetzung von Effizienzmaßnahmen undSuffizienzhandlungen in kWh/a für einen Zwei-Personen-Haushalt |
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2-Personenhaushalt in kWh/a |
Durchschnitt | Effizienz | Suffizienz bei Geräteausstattung |
Suffizienz bei Gerätegebrauch |
Kombination |
Kühlen + Gefrieren | 504 | 147 | 89 | 119 | 47 |
Waschen + Spülen | 412 | 274 | 147 | 160 | 85 |
Kochen + Backen | 340 | 293 | 203 | 145 | 133 |
Beleuchtung | 270 | 44 | 36 | 36 | 28 |
Unterhaltung/ Information/ Kommunikation |
745 | 570 | 241 | 203 | 143 |
Sonstiges | 235 | 194 | 104 | 99 | 49 |
Umwälz- und Zirkulationspumpen |
150 | 75 | 68 | 75 | 68 |
Elektrisches Warmwasser |
1.060 | 1.060 | 575 | 553 | 295 |
Gesamt | 3.715 | 2.657 | 1.463 | 1.390 | 847 |
Kühlen und Gefrieren
Viele Kühlschränke sind zu kalt eingestellt, ohne dass damit ein Nutzen verbunden ist. Empfohlen werden sieben Grad fürs Kühlen und -18 Grad fürs Gefrieren. Wenn die Kühltemperatur um zwei Grad angehoben wird, dann verringert sich der Stromverbrauch bereits erheblich. In der Urlaubszeit könnte man den Kühlschrank völlig abschalten. Ohnehin wird bei längerer Abwesenheit alles Verderbliche aus dem Kühlschrank ausgeräumt.
Waschen
Das ursprüngliche Gerät war möglicherweise überdimensioniert und lief dadurch oft nur halb beladen. Die Wäsche könnte länger getragen werden, in dem pflegeleichte Materialien angeschafft werden. Oder die Wäsche wird weniger strikt sortiert und dadurch wird die Auslastung je Waschgang erhöht. Auch die Waschtemperatur kann oftmals herabgesetzt werden, ohne dass dies einen Einfluss auf das Waschergebnis hat.
Geschirrspüler
Das bisherige Gerät war möglicherweise zu groß und wurde deshalb nicht komplett befüllt. Das Geschirr könnte länger genutzt werden, indem Trinkgefäße nur kurz abgespült und weiter genutzt werden oder Essensbretter trocken gebürstet werden, wenn sie nur mit Krümeln belegt sind.
Kochen und Backen
Nutzung von Restwärme beim Kochen durch früheres Abschalten der Kochplatte. Bei Mikrowelle und Kaffeebereitung können Standby und Bereitschaftsverluste eliminiert werden. Weniger oft und dafür größere Mengen kochen verkürzt die Kochzeit. Kochen in der Gemeinschaft spart Strom.
Beleuchtung
Die Helligkeit der Wohnung kann von 80 auf 70 Lux im Mittel verringert werden. Überdimensionierte Leuchtmittel können durch angepasste Leuchten ersetzt werden. Durch Dimmen kann die Beleuchtungsstärke angepasst werden. Sensoren können die Beleuchtungsstärke automatisch an das Tages-lichtangebot und die Nutzungsbedürfnisse anpassen. Nutzung von Tageslicht mittels Verlagerung lichtintensiver Tätigkeiten in die Tagesphase.
Unterhaltung, Kommunikation, Computer
Durch Sensoren können sich ungenutzte Geräte selbst ausschalten. Ohne größere Einschränkungen im Sehgenuss können kleinere Bildschirme genutzt werden. Fernseher und Set-Top-Boxen können im Stillstand vom Netz getrennt werden. Laptops und moderne Computer verbrauchen oft nur ein Bruchteil verglichen mit alten Computern. Tablets sind nochmals wesentlich sparsamer.
Die Einsparmöglichkeiten in Mehrpersonenhaushalten lassen sich aus den Ergebnissen für Zweipersonenhaushalte übertragen, weil die Einsparungen, pro Person berechnet, unabhängig von der Haushaltsgröße sind. Lediglich in Einpersonenhaushalten sind sie etwas geringer.
Hochgerechnet auf alle Haushalte der Bundesrepublik würden Suffizienzstrategien den Haushaltsstromverbrauch um rund 70 TWh reduzieren. Die Strategien lassen sich jedoch, so die Untersuchung, derzeit nicht in der Breite umsetzen. Zum Vergleich: Die Stromerzeugung aus PV beträgt derzeit jährlich rund 15 TWh.
Fazit
Die richtige Antwort auf Klimawandel und endliche Ressourcen ist noch nicht gefunden. Statt Effizienz und Suffizienz gegeneinander auszubalancieren, brauchen wir möglichst viel von beidem. Und vor allem eine breite gesellschaftliche Debatte, der sich auch die Entscheider in Politik und Wirtschaft stellen.
Die freiwillige Beschränkung des Verbrauchs auf ein notwendiges Maß.
Suffizienz wichtiger als Effizienz
(21. März 2016) Der Stromsparwettbewerb vom Bund der Energieverbraucher hat es deutlich gezeigt: Durch bewussten Umgang mit Energie lässt sich der Stromverbrauch im Haushalt von 4.000 auf unter 1.000 Kilowattstunden (kWh) reduzieren.
Die betroffenen Haushalte berichten nicht über Verzicht, sondern über Spaß am Sparen sowie Engagement im Umgang mit Energie und dem Leben. Eine systematische wissenschaftliche Analyse dieses Phänomens liegt nun vor. Die freiwillige Beschränkung des Verbrauchs auf ein notwendiges Maß wird als Genügsamkeit oder Suffizienz bezeichnet.
Im Juni 2013 startete das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (IFEU) das Projekt „Energiesuffizienz“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Sozial-ökologischen Forschung (SÖF) gefördert wird. Darin sollten Energiesuffizienz-Strategien und -Instrumente zur Begrenzung des Energiebedarfs privater Haushalte im Bereich Bauen und Wohnen entwickelt werden. Eine eigene Internetseite www.energiesuffizienz.de dokumentiert die umfangreichen Projektergebnisse. Die Studie zeigt, wie der Stromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushalts von 3.700 auf 850 kWh reduziert werden kann und welche bescheidene Rolle die Energieeffizienz dabei spielt. Im Projekt wird auch systematisch erforscht, wie sich Suffizienz als Lebensweise verbreiten lässt. Wir planen, darüber im kommenden Heft der Energiedepesche ausführlich zu berichten.
Jahresstromverbräuche bei der Umsetzung von Effizienzmaßnahmen und Suffizienzhandlungen in kWh/a für einen Zwei-Personen-Haushalt
2-Personenhaushalt in kWh/a |
Durch- schnitt |
Effizienz | Suffizienz bei Geräte- ausstattung |
Suffizienz bei Geräte- gebrauch |
Kombination |
Kühlen + Gefrieren | 504 | 147 | 89 | 119 | 47 |
Waschen + Spülen | 412 | 274 | 147 | 160 | 85 |
Kochen + Backen | 340 | 293 | 203 | 145 | 133 |
Beleuchtung | 270 | 44 | 36 | 36 | 28 |
Unterhaltung/ Information/Kommunikation |
745 | 570 | 241 | 203 | 143 |
Sonstiges | 235 | 194 | 104 | 99 | 49 |
Umwälz- und Zirkulationspumpen |
150 | 75 | 68 | 75 | 68 |
Elektrisches Warmwasser |
1.060 | 1.060 | 575 | 553 | 295 |
Gesamt | 3.715 | 2.657 | 1.463 | 1.390 | 847 |