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Mit Gleichstrom in die Zukunft Ein europäisches Supergrid mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung ist überfällig.

Mit Gleichstrom in die Zukunft

Der Strom wird knapp. Regenerative Energien müssen her. Wind- und Sonnenstrom aus sonnenintensiven Regionen im mittleren Osten und Nordafrika ist deutlich kostengünstiger als Elektrizität aus Mitteleuropa. Bereits eine Fläche von 110 mal 110 Kilometer in der Wüste reichen, um 100 Prozent des europäischen Energiebedarfs zu decken. Ein europäisches Supergrid mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung ist überfällig.
Von Julian Peters

(16. September 2007) Im Schnitt legt der Strom vom Kraftwerk zum Verbraucher etwa 100 Kilometer zurück. Die konventionellen Hochspannungsnetze mit Drehstrom funktionieren auf kurzen Distanzen wunderbar. Sie haben jedoch Nachteile für den Transport über größere Entfernungen von mehr als 100 Kilometern. Bei der Umpolung von der einen auf die folgende Phase - das passiert 50 mal pro Sekunde - muss der Leiter erst komplett neu geladen werden. Dabei treten große Magnetfelder auf, die dem Ladungsvorgang entgegenwirken. Je länger die Leitung, desto größer sind die Felder, desto größer ist der Verlust. Des weiteren fließt der Strom nur in den Rändern des Leiters, was dickere Querschnitte voraussetzt und den größten Teil des Leiters ungenutzt lässt.

An dieser Stelle setzt die Technik der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) an: Statt als Drehstrom wird die Energie als Gleichstrom auf die Reise geschickt. Die Verluste fallen deutlich geringer aus. Weil der ganze Leiterquerschnitt genutzt wird und die Zahl der Pole geringer ist - es werden zwei oder gar einer statt drei benötigt - ist der Platzbedarf einer solchen Leitung nur etwa halb so groß wie für die herkömmliche Variante. In der Praxis muss man bei einer HGÜ-Leitung von 1000 Kilometer Länge nur drei bis vier Prozent Verlust in Kauf nehmen. Hinzu kommen je 0,6 Prozent Verlust beim Umrichten. Drehstromnetze, die speziell für hohe Spannungen ausgelegt sind, haben Leitungsverluste von etwa 15 Prozent auf 1.000 Kilometern.

Ein weiterer Vorteil der Gleichspannungsübertragung: Die Wechselstromnetze, die über eine Gleichspannugsleitung verbunden sind, müssen nicht phasensynchron schwingen. Ein synchrones Wechselstromnetz überspannt derzeit zum Beispiel ganz Kontinentaleuropa.

Wenn in einem Teilnetz Produktion und Verbrauch nicht übereinstimmen, dann wird aus anderen Regionen automatisch Strom nachgeliefert bis die Drähte glühen. Die Netzstabilität ist dadurch ein gemeinsames Problem aller durch Wechselspannung verbundenen Netze. Regionen, die durch Gleichspannungskupplungen miteinander verbunden sind, können und müssen ihre Netzstabilität jeweils selbstständig sichern. England und Kontinentaleuropa sowie Mittel- und Osteuropa sind so miteinander verbunden.

Wechselrichter

Das Problem beim Gleichstromtransport: Man muss zuerst den Wechselstrom gleichrichten, übertragen und daraus anschließend wieder Wechselstrom erzeugen. Verbesserte Halbleitertechnologie mit riesigen Thyristoren hat diesen Prozess wesentlich verbessert. Die Wechsel- beziehungsweise Gleichrichtung ist ein wesentlicher Kostenfaktor einer HGÜ-Übertragung. Deshalb wird die HGÜ-Übertragung je Kilometer immer günstiger, je länger die Leitung ist. Wirtschaftlich interessant werden diese Leitungen derzeit erst ab einer Distanz von 500 Kilometern, bei Unterseeleitungen schon ab 40 Kilometern. Anders als bei Wechselstrom lässt sich eine HGÜ auch nicht unterwegs zur Stromentnahme anzapfen.

Die Gegenwart

Bisher sind schon einige HGÜ-Leitungen in Europa entstanden: Die erste HGÜ-Anlage wurde 1954 zwischen der schwedischen Insel Gotland und dem schwedischen Festland in Betrieb genommen. 1994 ging die 262 Kilometer lange Gleichstromleitung "Baltic-Cable" zwischen Lübeck-Herrenwyk und Kruseborg in Schweden in Betrieb. 1995 folgte die 170 Kilometer lange, vollständig verkabelte "Kontek" zwischen Bentwisch bei Rostock und Bjæverskov in Dänemark. England und Frankreich überbrücken den Ärmelkanal mit einer 2.000 Megawatt-Leitung, Finnland ist mit Russland durch eine 1.000-Megawatt-Leitung verbunden. Weitere Projekte gibt es in Norwegen, Schweden, Spanien, Italien und auch Deutschland. Insgesamt sind derzeit um die 50 Anlagen in Betrieb, die meisten davon in Europa. Siemens hat 2005 in China eine 940 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstrom-Strecke "Gui-Guang" gebaut. Eine weitere 1.400 Kilometer lange HGÜ-Leitung mit einer Kapazität von 5.000 Megawatt wird Siemens in China 2010 in Betrieb nehmen. Die Anbindung von Off-Shore-Windparks ist mit HGÜ-Netzen ebenfalls am günstigsten.

Die Zukunft

Die Halbleitertechnologie entwickelt sich stürmisch weiter. Das erleichtert die Gleich- und Wechselrichtung bei einer HGÜ. In Zukunft gewinnt der Stromtransport über größere Entfernungen an Bedeutung. Die HGÜ-Technik wandelt sich deshalb derzeit von der Nischentechnik zum Trendprodukt.

Geplanter Ringschluss rund um das Mittelmeer

Derzeit zeigt die UCTE, die für das europäische Stromnetz zuständige Vereinigung, allerdings noch wenig Initiative in Sachen HGÜ.

Das liegt an ungelösten Problemen bei der Zusammenschaltung der Einzelverbindungen zu einem Netz. Auch die Angst marktbeherrschender Firmen vor unliebsamer Konkurrenz könnte den Aufbau von HGÜ-Netzen bremsen. Der Bau eines europäischen Supergrids ist zwar aus einer Reihe von Gründen mehr als dringend. Politisch steht das Projekt aber noch nicht auf der Agenda.

letzte Änderung: 22.04.2025