Sozialtarif
Prepaidzähler für Strom: Licht- und Schattenseiten
Kurz in den Supermarkt, eine Guthabenkarte kaufen und damit das Mobiltelefon aufladen. Mit der Prepaidkarte funktioniert das schnell, hat sich millionenfach bewährt und viele Verbraucher davor geschützt, dass die Telefonrechnung das Budget überschreitet. Aber ist Prepaid auch ein verbraucherfreundliches Prinzip für Strom? Dies hat Oliver Wagner vom Wuppertal Institut untersucht.
(15. Januar 2018) Prepaidzähler für Strom lassen sich ähnlich wie bei Prepaid-Handys als Tarifmodell für Strom in Haushalten und Unternehmen einsetzen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Man verbraucht nur das, was man vorher per Vorkasse eingezahlt hat. Das Guthaben für den Stromverbrauch kann über ein Display am Zählergerät jederzeit eingesehen werden, wodurch eine Kontrolle über die täglichen Stromkosten möglich ist.
Oliver Wagner ist am Wuppertal Institut Projektleiter in der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik. Seit 1995 arbeitet der diplomierte Sozialwissenschaftler zu verschiedenen Fragestellungen rund um das Thema Energieeinsparung.
In Deutschland sind bisher jedoch nur rund 17.000 solcher Prepaidzähler installiert. Doch schon allein vor dem Hintergrund einer breiten Einführung intelligenter Zähler und der jährlich über 300.000 in Deutschland durchgeführten Stromsperren, hat das System großes Potenzial und ist in anderen Ländern teilweise schon weit verbreitet. In Nordirland beispielsweise nutzen bereits über 40 Prozent der Haushalte einen Prepaidzähler. Auch in Großbritannien, Österreich, den USA und vielen weiteren Ländern sind Prepaidzähler relativ weit verbreitet. Insgesamt belegen die Erfahrungen in diesen Ländern, dass Prepaidzähler helfen Energie einzusparen, die Lage von einkommensarmen Haushalten zu stabilisieren und die Versorgungsunternehmen im Inkassobereich zu entlasten. Anders als in Deutschland wurden in anderen Ländern aber auch klare ordnungsrechtliche Vorgaben gemacht.
In Großbritannien dürfen Versorger keine Stromschulden, die älter als 12 Monate sind, über den Zähler verrechnen. In Österreich sind die Kosten für die Installation eines Vorauskassezählers auf einmalig 24 Euro festgelegt, verbunden mit einem laufenden monatlichen Aufpreis in Höhe von 1,92 Euro. Unsere Studie sollte aufzeigen, welche Erfahrungen Haushalte, die einen solcher Zähler haben, gemacht haben, wie die Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer ist und welche Rahmenbedingungen sinnvoll wären.
Vorbehalte
Zunächst zu den weit verbreiteten Vorurteilen gegen Prepaidzähler für Strom: Ein häufig vorgetragenes Argument gegen solche Zähler ist, dass Menschen durch die Guthabenzahlung „stigmatisiert“ würden. Tatsächlich aber, so das eindeutige Ergebnis unserer Interviews, haben die betroffenen Haushalte gar keine Probleme damit. Im Gegenteil ist es vielmehr so, dass wenn es überhaupt Reaktionen aus dem Umfeld gibt, diese eher positiver Natur sind und die Haushalte uns eher mit Stolz von ihrem modernen Zähler erzählten.
Man ist einfach entspannter mit dem Prepaidzähler. Man hat nicht diese Panik vor der Jahresendabrechnung. Ich habe die Kontrolle über meine Kosten ohne böse Überraschungen.
Berufstätige Frau mittleren Alters
Zwar wird von Kritikern zu Recht angeführt, dass Vorkassezähler die prekären Verhältnisse der betroffenen Haushalte nicht grundsätzlich ändern. Fakt ist allerdings auch, dass durch Prepaidzähler weder neue Stromschulden, noch Mahn- oder Sperrgebühren entstehen. Für die Tilgung der bestehenden Schulden können zwar Sozialbehörden einspringen, die Schulden werden dadurch jedoch nur verlagert. Denn die Betroffenen erhalten einen verringerten ALG-II-Satz bis die Schulden getilgt sind. Die finanzielle Situation der Betroffenen verschlechtert sich also wiederum. Der Prepaidzähler ist daher keine Verschlechterung gegenüber den vielerorts getroffenen Vereinbarungen zwischen Energieversorgern und Sozialbehörden.
Stromsparzähler
Studien aus Großbritannien belegen, dass Prepaidzähler helfen, den Stromverbrauch zu reduzieren, beziehungsweise zu managen und die vulnerablen Nutzergruppen auch dabei unterstützen, Energieverschwendung zu mindern.
Auch unsere in NRW durchgeführte Befragung kam zu dem erfreulichen Ergebnis, dass der Prepaidzähler, dem subjektiven Empfinden der Befragten nach, auch wirklich einen Stromspareffekt hat. Eine überwältigende Mehrzahl von 85 Prozent der befragten Haushalte gab an, dass der Zähler bei ihnen zu Stromeinsparungen geführt habe. Dabei haben die Haushalte eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, ihren Stromverbrauch zu senken. Vielfach wurde das Nutzerverhalten geändert. Zudem wurden viele kleinere Maßnahmen ergriffen, um mit geringen Investitionen – etwa für abschaltbare Steckerleisten – den Verbrauch zu reduzieren. Bei der Neuanschaffung von Geräten wird bewusst auf den Energieverbrauch geachtet. Vor diesem Hintergrund kann man sehr berechtigt sagen, dass Prepaidzähler einen Spareffekt haben.
Hohe Zufriedenheit trotz hoher Arbeitspreise
Es wurde allerdings auch sehr deutlich, dass es in diesem Segment sehr dringend eines regelnden Ordnungsrahmens bedarf. Bislang ist der Prepaidmarkt in Deutschland völlig unreguliert. In der Folge können über den Stromzähler horrende Arbeitspreise in Euro pro Kilowattstunde verlangt werden, mit denen unbegrenzt Altschulden – auch für andere Medien wie Gas – abbezahlt werden. Oft ist der Arbeitspreis sogar mehr als doppelt so hoch wie der übliche Grundversorgertarif. In einem Extrembeispiel wurden über den Stromzähler 11.000 Euro Altschulden für Gas abgerechnet, was zu täglichen (!) Kosten für Strom in Höhe von 45 Euro für einen Fünfpersonenhaushalt führte.
Ein Drittel von meinem Hartz IV kassiert der Stromversorger. Ich finde das nicht in Ordnung.
Stromkunde in einem Privatinsolvenzverfahren
Dass dennoch rund 80 Prozent der Befragten zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit dem System sind, liegt vor allem an der ansonsten unausweichlichen Stromsperre mit weitaus schlimmeren Folgen für die betroffenen Personen, die dann längere Zeit ohne Stromversorgung sind und hohe Kosten für Sperrung und Entsperrung zu tragen haben. Für Haushalte mit Energieschulden ergibt sich durch Prepaidzähler hingegen die Möglichkeit, ihre Energiekosten besser in den Griff zu bekommen. Wenn aufgrund von Zahlungsausfällen die Unterbrechung der Stromversorgung droht, können Prepaidzähler daher eine sinnvolle Alternative darstellen und den betroffenen Haushalten helfen, weitere Energieschulden zu vermeiden.
Doch insgesamt offenbart das Fehlen eines Ordnungsrahmens für Prepaidzähler, dass es ein asymmetrisches Kräfteverhältnis zwischen Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten und Versorgungsunternehmen gibt. Die Bereitstellung der für menschliche Aktivitäten notwendigen Energie ist ein zentraler Aspekt der Daseinsvorsorge, der momentan für den Bereich Prepaid kaum geregelt ist. Und das, obwohl die betroffenen Haushalte in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Energieversorgungsunternehmen stehen, weil sie aufgrund der Schuldensituation oft den Energieversorger nicht wechseln können.
Ich weiß jetzt, dass ein Weihnachtsessen mit Gans und so weiter acht Euro an Strom kostet. Ich koche häufiger mal eine Suppe, die braucht nicht so lange wie Fleisch.
Rentnerin, die bereits drei Stromsperren hatte
Handlungsempfehlungen für Prepaidzähler
Es ist somit offensichtlich, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Insbesondere hinsichtlich der Tarife ist eine Rahmenvorgabe nötig, die den Umgang mit Altschulden regelt und eine Preisobergrenze festlegt. Der Einbau eines solchen Zählers sollte nur mit Einverständnis der Verbraucher erfolgen und ein Tarifwechsel zu günstigen Tarifen sollte jederzeit möglich sein. Zudem muss die weit verbreitete Kopplung mit der Abrechnung für andere Medien (wie Gas) verboten werden und Selbstsperren (Abschaltungen durch den Zähler wegen aufgebrauchtem Guthaben) nur in vorab definierten Zeiträumen und nicht an Wochenenden oder Feiertagen erlaubt werden. Zur Kundenfreundlichkeit würde beitragen, wenn es mehr und bessere Möglichkeiten der Aufladung gäbe. Denn bislang ist meist eine Aufladung nur in den Kundencentern möglich. Wenn der Verbrauch jederzeit sichtbar wäre, beispielsweise durch eine Displaylösung im Wohnbereich oder per Handy-App, würde dies ebenso einen Beitrag zur Kundenfreundlichkeit leisten.
Weitere Informatioen:
- Guthabenzahlung für Strom: bdev.de/wiprojekt
- Studie im Auftrag des NRW Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz „Guthabenzahlung für Strom“ zum Download: bdev.de/prepaidstudie
Die 1.000-Watt Lösung von Köln
In Köln-Meschenich installiert die Rheinenergie ab Februar 2013 660 kluge Stromzähler. Gerät einer dieser Kunden in Zahlungsverzug, so kann er weiter eine geringe Strommenge beziehen.
Jörg Detjen berichtet über dieses wegweisende Pilotprojekt.
(28. März 2013) Im April 2007 beschlossen SPD, Grüne und DIE LINKE gemeinsam im Stadtrat Köln, künftig Stromsperren zu vermeiden, einen Sozialtarif zu prüfen und sich auf Bundesebene für einen Tarif einzusetzen, der sich „an dem belgischen Modell oder dem des Bundes der Energieverbraucher orientiert“ (Mindestmenge Strom). Dieser Beschluss löste überall im Land Diskussionen aus, aber in Köln passierte erst einmal gar nichts.
Jörg Detjen | Fraktionssprecher DIE LINKE im Rat der Stadt Köln und Mitglied im Aufsichtsrat der Stadtwerke GmbH
StromsparCheck in Köln
Schließlich startete 2010 endlich auch in Köln das Projekt StromsparCheck vom Caritas-Verband, unterstützt von der kommunalen Stadtwerke-Tochter RheinEnergie. Hartz-IV-Bezieher wurden ausgebildet und suchten Haushalte mit wenig Einkommen auf, um sie über Möglichkeiten von Energieeinsparungen konkret vor Ort in ihrer Wohnung zu beraten. Bedürftige Haushalten bekamen kostenlos Energiesparlampen zur Verfügung gestellt – im Durchschnitt für 52 Euro. Das Projekt wurde ein Erfolg. Bis heute wurden 1.088 Haushalte beraten. Sie sparten im Durchschnitt 141 Euro jährlich an Strom und Wasserkosten. Seit Herbst letzten Jahres wurde dieses Projekt auf das Doppelte aufgestockt. Insgesamt acht Personen sind heute in Sachen StromsparCheck täglich in Köln unterwegs.
Beratung für Energiearmut
In den letzten Jahren entwickelte sich aber auch die Zusammenarbeit zwischen dem örtlichen Beirat der Verbraucherzentrale und der kommunalen RheinEnergie. Seit kurzem gibt es eine Erstberatung für Energiearmut bei der Kölner Verbraucherzentrale, die von der RheinEnergie und der Landesregierung finanziert wird. Die Gesamtaufwendungen der RheinEnergie für alle Energiesparmaßnahmen belaufen sich auf ca. 400.000 Euro im Jahr.
10.000 Stromsperren in Köln
Im Sommer 2012 fragten wir im Sozialausschuss im Kölner Stadtrat, wie viel Stromsperren es in Köln gibt. Antwort: Jedes Jahr etwa 10.000 Stromsperren in Köln. Das setzte eine neue Diskussion in Gang. Es darf doch nicht sein, dass Menschen im Dunkeln sitzen. Rund 60 Prozent aller Stromsperren trifft Rentner, die oft nur geringe finanzielle Spielräume haben.
Pilotprojekt Strommindestmenge
Der Grundgedanke – jeder Mensch braucht eine Mindestmenge Strom – führte dann zu einem weiteren neuen Pilot-Projekt: In drei Hochhäusern mit insgesamt 660 Haushalten in Köln-Meschenich (ca. 1.300 Haushalte) wurden intelligente Stromzähler installiert. Die Investitionskosten betrugen über 100.000 Euro. Für die Kunden vor Ort entstanden keine zusätzlichen Kosten. Diese Stromzähler können von dem Energieunternehmen aus der Zentrale den Befehl erhalten, die Leistung zu begrenzen.
Smarte Zähler machen komplette Stromsperren überflüssig.
Im Fall einer Stromsperre wird dem Haushalt nicht einfach der Strom gekappt, sondern die Leistung auf höchstens 1.000 Watt reduziert. Das reicht aus, um die notwendigste Versorgung sicherzustellen. Eine Herdplatte auf kleinster Stufe verbraucht rund 400 Watt. Der Haushalt kann also auf zwei Herdplatten kochen und hat noch 200 Watt für Licht etc. zur Verfügung. Würde aber dann noch ein stromfressender Fön betätigt, würde die gesamte Stromzufuhr unterbrochen. Der Stromzähler kann dann nur über den Hausmeister manuell wieder angestellt werden. Inzwischen gibt es noch modernere Stromzähler, wo das nicht mehr nötig wäre.
Leistungsreduzierung statt Sperre
Diese Leistungsreduzierung findet dann statt, wenn der Haushalt nach dreimaliger Mahnung Schulden von über 150 Euro nicht beglichen hat. Statt der vierten Mahnung kommt dann der Hinweis auf die Leistungsreduzierung, verbunden mit dem Angebot einer Schuldnerberatung durch den Caritasverband.
Dieses Projekt begann am 1. Februar 2013 und wird wissenschaftlich begleitet durch die FH Düsseldorf, Forschungsschwerpunkt Wohlfahrtsverbände, unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Münch.
Sollte das Pilotprojekt erfolgreich sein, würden weitere intelligente Stromzähler in sozialen Brennpunkten installiert. Zum Vorteil der Kunden und des Energieversorgers, der seine Aufwendungen reduzieren könnte.
Weiteres
- Rosa Luxemburg-Stiftung NRW: Sozialökologischer Umbau - Solidarisch und solar
Prepaid ersetzt unsoziale Sperrpraxis
(17. Dezember 2012) Durch Prepaid-Zähler lassen sich Stromsperren verhindern. Dafür hat sich das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie ausgesprochen.
Das Konzept „Zahlen nach Bedarf“ sei vom Handy vertraut: Neige sich das Guthaben dem Ende zu, stehe die Aufladung an. Für den Kunden gebe es keine Nachzahlungen mehr, zudem schaffe die Anzeige von Verbrauch und Guthaben Kostentransparenz und -bewusstsein.
Die Stromversorger profitierten von einer enormen Kostenersparnis, da Mahnverfahren überflüssig wären, die Kosten für Versorgungssperren und Ablesen entfielen und Außenstände sich abbauten. Zahlungsausfälle gebe es nicht mehr, ebenso entfiele die schlechte Publicity durch Sperrungen. Stadtwerke berichteten von hoher Kundenzufriedenheit mit den Prepaidzählern.
Das Institut empfiehlt eine Vorgabe im EnWG, die Sperrungen verbietet und die kostenlose Installation eines Prepaidzählers vorschreibt. Bei der gegenwärtigen Standardisierung der Smart Meter sollte bereits eine solche Prepaidfunktion berücksichtigt werden. Ihre Installation wäre ein Schritt zur Linderung von Energiearmut.
Positive Erfahrungen gibt es bei den Stadtwerken Neustadt bei Coburg. Dort werden Prepaid-Zähler kostenlos installiert. Über positive Erfahrungen berichten auch die Stadtwerke Düren und Olpe. Auch in den USA wird das System genutzt.
Sozialfonds: Hilfe für Energieverbraucher in Not
(28. Mai 2011) Die Stadtwerke Hannover haben mit Unterstützung der Landeshauptstadt einen Härtefonds „enercity Härtefonds e. V." gegründet. Der Fonds unterstützt Verbraucher mit geringem verfügbaren Einkommen, um Härten bei der Sperrung von Strom, Gas und Wasser zu vermeiden. Betroffene Kunden können sich über das JobCenter oder den Fachbereich Soziales der Landeshauptstadt an den Fonds wenden.
Der Fonds unterstützt auch bedürftige Verbraucher, die keine sozialen Unterstützungszahlungen erhalten. Der Verein wurde auf Anregung einer Diskussionsrunde gegründet, die öffentlich gewordene Sperrfälle unter die Lupe nahm.
E.on hat ebenfalls einen neuen Sozialfonds eingeführt. Er bietet sozial- und finanziell benachteiligten Familien einen Rabatt von 100 Euro auf die jährliche Stromrechnung, wenn eine GEZ-Gebührenbefreiung vorliegt und ein Kind zwischen zwei und sechs Jahren im Haushalt lebt.
Ägypten - Progressiver Stromtarif
(5. Januar 2010) Die Stromtarife für Haushalte sind in Ägypten progressiv: Mit dem Verbrauch steigt der Preis. Die ersten 50 Kilowattstunden im Monat kosten lediglich 0,6 Cent. Die nächsten 50 Kilowattstunden kosten schon den doppelten Preis. Wer über 1.000 Kilowattstunden pro Monat verbraucht, muss zehnmal mehr berappen als für die Basismenge. Somit betreibt Ägypten mit seinen Strompreisen ganz bewusst Sozialpolitik.
Das Bundesverbraucherministerium hat die Wirkung von Stromspartarifen untersuchen lassen
Gutachten kritisiert Spartarife
(3. März 2009) Das Bundesverbraucherministerium hat in einer Studie vom Wuppertal Institut und dem Freiburger Büro Ö-quadrat die Wirkung von Stromspartarifen untersuchen lassen. Die Schlussfolgerung: "Die verpflichtende Einführung von Stromspartarifen ist nicht geeignet, einkommensschwache Haushalte bei Energiepreissteigerungen zu entlasten und gibt keinen Anreiz zur Stromeinsparung".
Allerdings ist diese Schlussfolgerungen durch die Studie kaum gedeckt. Auf Seite 8 ist nachzulesen, dass von 108 Hartz IV-Haushalten sich 85 Haushalte besser stellen und nur 23 Haushalte sich verschlechtern. Schlechter stellen sich die Haushalte mit hohem Stromverbrauch. Insofern ist auch nicht nachzuvollziehen, warum Stromspartarife keinen Anreiz zur Stromeinsparung bieten würden.
Bedauerlicherweise geht die Studie nicht auf die im Ausland schon gesammelten Erfahrungen mit derartigen Tarifen ein. Und letztlich bleibt auch ein wesentlicher Vorteil der Sozialtarife völlig unerwähnt und völlig ausserhalb der Betrachtung: Sie können nämlich durch den Bezug von minimalen Strommengen die Versorgung für Abnehmer sichern, die ansonsten einer Stromsperre ausgesetzt wären. Und das sind nicht wenige.
Die Gutachter vom Wuppertal Institut und vom Büro Ö-quadrat schlagen statt des genannten "Stromspartarifs" vor, die Regelsätze für Transfereinkommensbezieher den gestiegenen Stromkosten anzupassen und lineare Tarife ohne Grundpreise einzuführen.
Kurzgutachten_Stromspartarife Größe 1 MB
Immer weniger einkommensschwache Privathaushalte können ihre Energierechnungen vollständig bezahlen.
Verbraucherzentrale NRW fordert Einführung eines Strom-Spartarif
(11. Juni 2008) Immer weniger einkommensschwache Privathaushalte können ihre Energierechnungen vollständig bezahlen. Nach Berechnungen der Verbraucherzentrale NRW sind rd. 20 % der Bevölkerung gezwungen, mehr als 13 % ihres verfügbaren Einkommens für Energiekosten (Strom, Wärme und zum Teil Treibstoff) aufzuwenden.
Auf Anfrage der Verbraucherzentrale NRW bei 38 örtlichen Energieversorgungsunternehmen hatten 24 Anbieter im Frühjahr 2008 angegeben, etwa ein Fünftel ihrer Kunden befände sich im Zahlungsverzug oder im Mahnverfahren. Bei 59.000 Privathaushalten - rund zwei Prozent aller Haushaltskunden - hatten die auskunftsbereiten Versorger im letzten Jahr eine bereits eine Stromsperre verhängt.
Dabei sind nicht nur Empfänger von Transferleistungen, sondern insbesondere auch Bezieher geringer Einkommen von den steigenden Energiekosten besonders betroffen - angesichts der angekündigten weiteren Preiserhöhungen und stagnierende Einkommen wird sich das Problem der Energiearmut für diese Bevölkerungsgruppe noch weiter verschärfen.
Die Verbraucherzentrale NRW fordert daher die Einführung eines Strom-Spartarifs. Der Strom-Spartarif soll einen Preisvorteil von ca. 15 Prozent gegenüber dem jeweiligen Grundversorgungstarif gewährleisten und seitens der Grundversorger neben dem Grundversorgungsangebot als Pflichttarif für die Stromversorgung privater Haushalte angeboten werden. Entstehende Mehrkosten für die Einrichtung und Nutzung dieses Tarifs sollen über ein bundesweites Umlageverfahren auf die Netznutzungsentgelte der lokalen Verteilnetze und damit auf alle Verbraucher umgelegt werden.
Durch dieses Verfahren soll eine bundesweit möglichst gleichmäßige Verteilung erfolgen und zugleich sichergestellt werden, dass konkurrierende Stromanbieter durch die Einführung dieses Tarifs keinen Wettbewerbsvorteil erzielen können. Über die Umlage der Mehrkosten auf die örtlichen Netzentgelte wird der Strom-Spartarif zusätzlich durch die Regulierungsbehörde(n) kontrolliert.
Der Stromspar-Tarif selbst besteht aus einer geringen Anzahl Frei-Kilowattstunden, die für ein Jahr pro Haushaltsmitglied in Anspruch genommen werden können, sowie aus einem Arbeitspreis in Cent pro Kilowattstunde für all die Mengen, die über die Frei-Kilowattstunden hinaus bezogen werden. Dieser Arbeitspreis enthält sämtliche Kosten für Bereitstellung, Lieferung, Abrechnung, Konzessionsabgabe, Umlagen (EEG, KWK), Strom- und Umsatzsteuer.
Die Ausrichtung des Strom-Spartarifs als Pflichttarif für Elektrizitätsversorgungsunternehmen in der Grundversorgung hilft zudem, dem Problem zu begegnen, dass Verbraucher mit schlechter Bonität von Anbietern als Kunden abgelehnt werden (sogenannte (Scoringauslese).
Mit dem von der Verbraucherzentrale NRW entwickelten Strom-Spartarif können nunmehr alle Haushalte in den Genuss einer preisgünstigeren Stromversorgung kommen - die umso vorteilhafter ist, je mehr Strom gespart wird.
Die Verbraucherzentrale NRW hat in einer Kurzstudie Best Practice Beispiele aus drei europäischen Ländern erstellt: Belgien, Frankreich und Großbritannien. Untersucht wurden Maßnahmen von Seiten der Versorgungsunternehmen bei Zahlungsverzug der Kunden, Angebote von Sozialtarifen für Strom und Gas sowie weitere finanzielle Unterstützungen für sozial benachteiligte Verbraucher im Hinblick auf ihre Energiekosten.
Der Kommission ist es nicht gelungen, zu einer einheitlichen Bewertung und einvernehmlichen Empfehlungen zu kommen.
Düsseldorfer Enquetebericht abgeschlossen
(23. April 2008) Die Enquetekommission "Auswirkungen längerfristig stark steigender Preise von Öl- und Gasimporten auf die Wirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher in NRW" hat auf einer Pressekonferenz die Ergebnisse ihrer Arbeit vorgestellt. Der Landtag NRW ist das erste Parlament, das eine Enquetekommission zu diesem Thema eingesetzt hat.
Der Kommission ist es nicht gelungen, zu einer einheitlichen Bewertung und einvernehmlichen Empfehlungen zu kommen. Der Bericht gliedert sich daher in einen Abschlussbericht der Mehrheit von CDU und FDP sowie in ein Sondervotum, welches von SPD und GRÜNEN verfasst worden ist. Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Obleuten der Fraktionen, Christian Weisbrich (CDU-Fraktion) und Dietmar Brockes (FDP-Fraktion) auf der einen und Uwe Leuchtenberg (SPD-Fraktion) und Reiner Priggen (Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN) auf der anderen Seite werden zum Beispiel in der Rolle des Staates sowie in der Einschätzung über die weitere Entwicklung der Energievorräte deutlich. Während CDU und FDP dem Markt innerhalb von staatlichen Rahmendaten zutrauen, vernünftige Lösungen zu finden, und die Erdölvorräte noch lange nicht erschöpft sehen, setzen sich SPD und GRÜNE für ein energisches Eingreifen des Staates ein. Der Markt alleine finde keine Antworten auf die Herausforderungen, die steigende Energiepreise auslösen könnten. Der Höhepunkt der weltweiten Ölförderung müsse in etwa zehn Jahren erwartet werden. Alle vier Obleute präsentierten unfangreiche Handlungsempfehlungen.
Der Abschlussbericht und die Gutachten und auch das Protokoll einer Anhörung mit den Stellungnahmen der Experten sind im Internet abrufbar.
Der Landtag wird den Bericht der Enquetekommission in seiner Plenarsitzung am 14. Mai 2008 diskutieren.
Auszug aus dem Sondervotum:
Wir, die Abgeordneten Dipl. Ing. Reiner Priggen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Vorsitzender der Enquetekommission), Uwe Leuchtenberg, Andre Stinka, Bodo Wißen (SPD-Fraktion) sowie die von der Präsidentin des Landtags ernannten Sachverständigen Dr.-Ing. Dieter Attig (Stadtwerke Saarbrücken), Dr.-Ing. Manfred Fischedick (Wuppertal Institut) und Michaela Hofmann (Diözesan- Caritasverband für das Erzbistum Köln) fassen mit diesem Sondervotum die aus unserer Sicht wichtigsten Analysen und Empfehlungen aus der Arbeit der Enquetekommission zusammen. ...
Hierzu führt der Sozialbericht weiter aus, dass die Haushalte, die dem untersten Fünftel der Einkommensverteilung angehören, im Durchschnitt mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen. Daher verfügen sie über keinerlei Möglichkeit, Ansparungen für notwendige Anschaffungen wie Kühlschrank, Fahrrad oder für unkalkulierbare Wechselfälle des Lebens wie Erkrankung des Partners/der Partnerin oder Arbeitslosigkeit anzusparen.
Auch der Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersversorgung ist so kaum möglich. Über 2/3 der Einnahmen (71,4 %) werden für den Lebensunterhalt (Wohnen, Ernährung, Kleidung, Gesundheit) ausgegeben.
Dass die Anzahl der verschuldeten Haushalte steigt (2005 mindestens 720.000 Personen in NRW), ist nicht verwunderlich. Reicht doch schon ein unkalkulierbarer Wechselfall des Lebens oder eine Strom- und Heizkostennachzahlung aus, um den gesamten Haushaltsplan ins Wanken zu bringen.
Personen und Haushalte, die Leistungsempfänger und -empfängerinnen nach dem SGB II (umgangssprachlich: Hartz IV) oder SGB XII (Sozialhilfe) sind, sollten ihre Heizkosten in angemessener Höhe erstattet bekommen. Die Stromkosten sind anteilig im Regelsatz enthalten.
Die praktische Umsetzung in den Kommunen und Kreisen vor Ort zeigt jedoch, dass durch Verordnungen und "machbare Illegalität" die Übernahme von Heizkosten häufig nicht in der angemessenen Höhe erfolgt.
Laut Aussage des Präsidenten des Landessozialgerichtes NRW, Jürgen Brand, seien häufig Klagen zur Angemessenheit von Unterkunfts- und Heizungskosten anhängig und Sachbearbeiter bzw. Sachbearbeiterinnen gingen bei der Bewertung der Fälle zu schematisch vor.
Darüber hinaus gibt es keinerlei Einigung innerhalb der Kommunen und Kreise wie die Heizkosten zu berechnen sind, so dass sich sehr unterschiedliche Berechnungen ergeben, die für einen normalen Menschen nicht nachzuvollziehen sind.
Bei den Leistungsbeziehern nach SGB II und SGB XII ist davon auszugehen, dass sie die Öl- und Gaspreiserhöhungen, die sich auch auf die Strompreise auswirken, aus dem Regelsatz auffangen müssen. Für Ansparungen, Schulausflüge, Schuhe, Lebensmittel, Gesundheit und für gesellschaftliche Teilhabe bleibt immer weniger übrig.
Empfehlung 20: Haushalte mit geringem Einkommen beraten und unterstützen
Ziel:
Die Steigerung des Wissens um Energieeffizienz und der Einsatz von energiesparenden Geräten ist eine Voraussetzung, um Energiekosten in Transfer- und Grenzhaushalten zu reduzieren. Dazu sind Beratung und Unterstützung von prekären Haushalten erforderlich.
Maßnahme:
Grenz- und Transferhaushalte brauchen Hilfestellungen bei der Anschaffung von energiesparenden Geräten. Die Beratung und Unterstützung von prekären Haushalten zur Steigerung der Energieeffizienz ist derzeit weder selbstverständlich noch im Beratungsangebot der Kosten- und Leistungsträger mitbedacht.
Umsetzungsschritte:
- Vereinbarungen zwischen Freier Wohlfahrtspflege, Kommunen, Verbraucherzentrale und Energieversorgern, wie die Beratung und Unterstützung von Haushalten mit geringem Einkommen umgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch die Erstellung einer Statistik von Kunden und Kundinnen, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, und den tatsächlichen Sperrungen zu vereinbaren.
- Ausbildung von Energieberatern und -beraterinnen
- Projekte in Sozialräumen
- Unterstützung der Mieterinnen und Mieter bei Mängeln in der Wohnung durch Mieterberatung und Rechtsanwälte
- Überprüfung des Wohnungsbestandes durch die Kommunen und Anerkennung der tatsächlichen Heizkosten, die durch schlechte Bausubstanz oder Wohnausstattung zustande kommen
- Einheitliche Regelung im Land für die Berechnung und Übernahme der Heizungskosten
- Anreize zur Effizienzsteigerung schaffen
- Einrichtung einer übergreifenden Arbeitsgruppe (Ministerien für Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Städtebau; Kommunen und Freie Wohlfahrtspflege, Mieterbund, Verbraucherzentrale) zur Entwicklung von Projekten zur Unterstützung der Haushalte mit niedrigem Einkommen
Zum Hintergrund
Die Energiekosten der privaten Haushalte haben sich - auch aufgrund der gestiegenen Gas- und Ölpreise - deutlich erhöht.
Die Ausgaben für Energie pro Haushalt in Deutschland stiegen durchschnittlich von 1.540 € in 1990 um 50 % auf 2.308 € in 2005.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie weist in seinen Statistiken für Nordrhein-Westfalen sogar eine Steigerung um 73 % aus, nur für Haushaltsenergie (ohne Treibstoff) um ca. 55 %. Ausgaben für Heizung und Warmwasserbereitung Die Wärmebereitstellung ist einer der beiden großen Kostenblöcke bei den Energiekosten der privaten Haushalte. 90 % des Energiebedarfes in privaten Haushalten entfällt auf Raumheizung und Warmwasserbereitung.
Da in Deutschland rund 80 % der Wohnungen mit Öl oder Gas beheizt werden, bedeutet der massive Anstieg der Energiepreise erhebliche Zusatzkosten bei der Wärmeversorgung.
Allein zwischen 2004 und 2005 stiegen die Brennstoffkosten für Ölheizungen um Werte zwischen 24 bis 27 % und für Gasheizungen um 12 bis 18 %. Das bedeutet statistische Mehrkosten von 270 € pro Jahr und Haushalt in Deutschland. Die drastischen Preissteigerungen des Jahres 2006 sind in diesen Zahlen jedoch noch nicht berücksichtigt.
Dies trifft insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen, die zudem häufiger in Wohnungen mit ineffizienter Heizung und geringer Wärmedämmung leben.
Laut dem Deutschen Mieterbund betragen die Nebenkosten bei Haushalten mit geringem Einkommen heute bis zu 50 % der gesamten Wohnkosten.
Ausgaben für Mobilität
In den Ausgaben für die Mobilität ist der zweite große Energiekostenblock der privaten Haushalte enthalten. Der durchschnittliche Anteil von Treibstoffkosten am Nettoeinkommen liegt 2006 für private Haushalte in Deutschland bei 2,9 %.
Die Steigerung der Treibstoffpreise in den letzten Jahren ist geringer als die Steigerung der Ölpreise, da ein beträchtlicher Teil des Treibstoffpreises aus Steuern und Abgaben besteht, die nicht von der Ölpreiserhöhung betroffen sind. Effekte aus der Ölpreiserhöhung wirken sich daher nur gedämpft auf den Treibstoffmarkt aus. Die Auswirkungen für die privaten Haushalte unterscheiden sich deutlich je nach dem zur Verfügung stehendem Nettoeinkommen (siehe Sozialbericht NRW 2007).
Es ist davon auszugehen, dass die Haushalte, die Transferleistungen erhalten bzw. über ein Einkommen verfügen, welches geringfügig darüber liegt, in besonderem Maße betroffen sind. Sie bedürfen einer Unterstützung in Form von
- Anleitung zum Energie sparen in der eigenen Wohnung,
- Hilfestellungen dem Vermieter/der Vermieterin gegenüber,
- Anreizen, um Energie zu sparen.
Bei der Entwicklung von Projekten und Anreizen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Zielgruppe um Menschen handelt, die am Existenzminimum leben und von daher mit der Sicherung ihres alltäglichen Überlebens beschäftigt sind. Die Hauptmotivation zur Beschäftigung mit dem Thema Energie und zum Energiesparen ist dort die Verbesserung der eigenen finanziellen Situation.
Die besten Ergebnisse gibt es durch geschulte Personen, die vor Ort eine Beratung vornehmen können.
Ein anderes Problem stellen die Haushaltsgeräte dar, die in der Regel nicht neu angeschafft werden können.
Eine Sozialarbeiterin aus dem Rhein-Erft-Kreis schildert die Situation folgendermaßen:
"Zum einen haben unsere Betreuten in der Regel alte Elektrogeräte, die sehr energieintensiv sind. Für die Neuanschaffung gibt es nur Beihilfen in Form eines Darlehens und das auch nur für die Beschaffung eines Gebrauchtgerätes (z.B. in Bergheim für eine Waschmaschine 155 €), der Transport muss alleine geregelt werden. Zum anderen sind die Wohnungen oft schlecht isoliert oder verfügen nicht in allen Räumen über Zentralheizung (z.B. im Bad), so dass zusätzlich mit Elektroheizlüftern geheizt wird. Generell kann ich dazu sagen, dass die Strompreiserhöhungen die Bezieher und Bezieherinnen von Grundsicherung und ALG II natürlich treffen, da sich bei einem Einkommen von 347 € monatlich jeder fehlende € bemerkbar macht."
Auch hieran wird deutlich, dass es dieser Personengruppe nicht in erster Linie an Wissen mangelt, sondern an einer grundlegenden Versorgung mit "vernünftigem" Wohnraum und den finanziellen Möglichkeiten energieeffiziente Geräte anzuschaffen.
Verbrauch reagiert kaum auf Preise
(14. Februar 2008) Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut der Universität Köln hat die Auswirkungen von Energiepreissteigerungen auf Privathaushalte untersucht (Auswirkungen stark steigender Preise für Öl und Gas auf Verbraucherinnen und Verbraucher in NRW Kurzstudie im Auftrag der Enquêtekommission zu den Auswirkungen längerfristig stark steigender Preise von Öl- und Gasimporten auf die Wirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen des Landtags Nordrhein-Westfalen).
Die Studie zeigt, dass selbst bei Energiepreissteigerungen die Energienachfrage kaum geringer wird. Wenn die Energiepreise wie in den vergangenen Jahren weiter steigen, dann müssen im Jahr 2010 die einkommensschwachen Haushalte 14 Prozent ihres Einkommens für Energie ausgeben.
In Belgien gibt es ein einzigartiges Modell: Dort bekommt jeder eine Mindestmenge Energie und Wasser kostenlos.
Elektrizität, Wärme und Wasser für alle
Wäre der Kindstod von Sömmerda vermeidbar gewesen, wenn man der Mutter nicht den Strom abgeschaltet hätte? In Belgien gibt es ein einzigartiges Modell: Dort bekommt jeder eine Mindestmenge Energie und Wasser kostenlos. Das dient den Menschenrechten, der Umwelt und dem Bürokratieabbau.
(6. Januar 2007) Der allein erziehenden Mutter in Sömmerda wurde, als sie ohnehin mit dem Rücken an der Wand stand, der Strom abgestellt, was die Überforderung noch erheblich steigerte. Vor die Wahl gestellt, nun mit den schreienden Kindern in geschlossenen Räumen im Dunkeln zu leben oder sich dieser Tortur zu entziehen, entfloh sie zu einer Freundin und überließ die Kinder ihrem Schicksal.
Dass die Entscheidung der Elektrizitätswerke die Straftat der Mutter und den Tod des Kindes wesentlich beförderte, kann kaum bestritten werden. Kann oder muss man sogar von einer Mitschuld der Elektrizitätswerke am Tod des Kindes sprechen?
Der Präsident des Kinderschutzbundes, Micha Hilgers, kritisierte, dass das Jugendamt die Mutter mit den kleinen Kindern in die dunkle Wohnung zurückschickte, statt ihr die Kinder wegzunehmen.
Der Mutter allein oder einem alten Menschen könnte man den Strom also abstellen? Auf dass ein 80-Jähriger hinfällt und sich das Nahezu-Todesurteil eines Oberschenkelhalsbruchs zuzieht? Will die Gesellschaft, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Leben derart "teilbar" ist? Ist es akzeptabel, dass die GASAG in Berlin, wie geschehen, bei 10 Grad minus Außentemperatur einer alten Frau wochenlang das Gas abstellt, weil sie die Rechnung nicht bezahlen kann?
Welche Möglichkeiten hat eine derart in die Enge getriebene Frau? Emotional und real? Die Scham angesichts dieser Entscheidung der Versorgungswerke grenzt die Handlungsoptionen enorm ein. Mit welcher plausiblen Begründung könnte sie sich für den Rest des Winters bei Freunden oder Bekannten einquartieren? Wen könnte sie um Zahlung der Schulden bitten? Im Berliner Fall kapselte die Frau sich ab und versuchte die fehlende Raumwärme mit Hochprozentigem zu ersetzen. Was die Situation erst recht zur Eskalation brachte.
Die entscheidende Frage ist, ob Verbraucher und Gesetzgeber ein Mindestmaß an Wasser, Elektrizität und Wärme als Teil des Rechts auf menschenwürdiges Leben ansehen, das die Verfassung jedem garantiert.
Der belgische Sozialist und Umweltminister Bruno Tobback hat in Belgien ein System eingeführt, das die OECD als weltweit bestes Modell sozialen Ressourcen-Managements bezeichnet.
Beispiel Wasser: Jeder bekommt pro Kopf eine Mindestmenge kostenlos. Der Verbrauch über dieses Mindestmaß hinaus ist dagegen sehr teuer und finanziert den Verbrauch der Mindestmengen insgesamt (den der Armen und der Reichen) mit.
Dieses System hat vier Vorteile:
- Niemandem wird Strom oder Wasser abgestellt, die Mindestmenge für menschenwürdiges Leben ist garantiert.
- Da höherer Verbrauch sehr teuer ist, enthält das System einen starken Anreiz zu ressourcenschonendem Verhalten.
- Da Arme innerhalb des Kontingents nicht belastet werden, ist es möglich, nach und nach alle Umweltkosten in die Preise zu internalisieren. Das System erfordert keinerlei bürokratischen Aufwand, sondern würde die Ämter in Deutschland vermutlich sogar entlasten.
Sowohl sozial- als auch umweltpolitisch ist die Einführung dieses Modells sehr wünschenswert. Wenn es im Zuge der Hartz-Gesetze politisch möglich war, Höchstgrößen für Wohnungen festzulegen, dann sollte es ein Leichtes sein, Mindestmengen für Wasser, Strom und Wärme festzulegen und für alle dauerhaften Zugang sicherzustellen.
Übrigens sollte man auch überlegen, ob die zunehmende Zahl isoliert lebender Menschen einen kostenlosen Festnetzanschluss in allen Wohnungen notwendig macht, damit alte Menschen, Verletzte oder Kinder zumindest einen Notdienst rufen können.
Bei erwiesener Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit kann man technisch alle anderen Wahlmöglichkeiten außer dem Rettungsdienst kappen. Die deutsche Gesellschaft altert, aber anders als heute werden in 20 Jahren unter den Alten sehr viele Arme sein. Viele 40- bis 60-Jährige leben zudem gewollt oder ungewollt heute so, dass sie absehbar im Alter ohne Verwandte und sogar ohne engen Freundeskreis sein werden. Die Zahl isolierter Menschen wird zunehmen: Selten gesehene Hausbewohner, bei denen niemand bemerkt, dass ihre Situation auf Grund der Entscheidung profitorientierter Versorgungswerke immer "prekärer", d. h. menschenunwürdiger wird.
Interessant ist die Frage, weshalb die Verbraucherzentralen sich bisher für Modelle wie das belgische nicht stark machen. Leider fungieren sie - noch mehr als Gewerkschaften - als Interessenvertretungen der Privilegierten derer, die verbrauchen können und die möglichst hohe Qualität für ihr Geld wollen. Wann treten sie auch für die Zugangsrechte derer ein, die nicht verbrauchen können? Die Verbraucherzentralen hätten die Macht, die Einführung des belgischen Modells enorm zu beschleunigen. Sie müssten lediglich eine Aufklärungskampagne mit Zahlungsboykott organisieren.
Schließlich gibt jeder, der zulässt, dass Vattenfall, EnBW, GASAG und andere Versorgungsdienstleister monatlich abbuchen, damit stillschweigend seine Zustimmung zu deren Geschäftpraxis, Zahlungsunfähigen den Netzanschluss zu kappen.
Ein einmonatiger Verbraucherboykott könnte ein weiteres Sömmerda bedeutend unwahrscheinlicher machen. Der jetzige Zustand aber befördert, dass Eltern in menschenunwürdige Situationen gestellt und überfordert werden, so dass Kinder sterben.
Der jetzige Zustand befördert, dass alte Menschen an Alkoholvergiftung sterben. Dass sie sich vor Verzweiflung aufgeben und still verdursten oder verhungern, weil sie nur noch im Bett liegen und bewusst nichts mehr zu sich nehmen. Auch zur Weihnachtszeit 2006 wird es diese Todesfälle, Selbstaufgaben und stillen Selbstmorde geben, für die die Gesellschaft insgesamt und der Gesetzgeber die Verantwortung tragen.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin nachgedruckt aus der Frankfurter Rundschau vom 23.12.2006.
Die Autorin Stefanie Christmann istGründerin und Vorsitzende der Esel-Initiative, die allein erziehende Frauen in Eritrea fördert (www.esel-initiative.de). Die Journalistin und promovierte Germanistin erhielt kürzlich für ihre erfolgreiche Entwicklungsarbeit das Bundesverdienstkreuz.