Rückstellungen
Konzerne sollen verantwortlich bleiben
(25. September 2015) Das Bundeswirtschaftsministerium hat einen Referentenentwurf für das "Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz" vorgestellt. Darin werden die Atomkonzerne dauerhaft für die Milliardenkosten beim KKW-Rückbau und der Endlagerung des Atommülls in die Verantwortung genommen.
Atomkraftwerk / Pixelio.de/Rosel Eckstein
Bislang endete die Haftung fünf Jahre nach der Ausgliederung einer Tochtergesellschaft, wie sie E.ON und Vattenfall gegründet hatten. Der Referentenentwurf sieht nun vor, dass Konzerne auch dann für die Kosten der Atommeiler einzustehen haben, die durch den Abriss und die Entsorgung entstehen, wenn sie die Betreibertöchter nach Inkrafttreten des Gesetzes abspalten oder den Konzern anderweitig umbauen.
GLS-Vorstand Jorberg kommentiert: Ein vertiefter Blick in die bereits veröffentlichten Konzernjahresabschlüsse zeigt, dass die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken wirtschaftlich kaum in der Lage sind, die Lasten zu tragen.
Rückstellungen der Atomkonzerne zu gering
(18. September 2015) Der Vorstand der GLS-Bank Thomas Jorberg kommentiert die Rückstellungen der Atomkonzerne wie folgt:
Den Atomausstieg werden die Steuerzahler mittragen müssen. Das wird immer wahrscheinlicher. Eigentlich sollen die Betreiber der Kernkraftwerke für den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung des Mülls aufkommen. Doch laut eines neuen Gutachtens im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums könnten dafür bis zu 30 Milliarden Euro fehlen. Die Konzerne E.On, RWE und EnBW wiesen entsprechende Medienberichte zurück. Sie hätten konservativ und angemessen gerechnet und ausreichend Rückstellungen gebildet.
Dabei zeigt ein vertiefter Blick in die bereits veröffentlichten Konzernjahresabschlüsse, dass die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken wirtschaftlich kaum in der Lage sind, die Lasten zu tragen. Das volle Ausmaß der Problematik ist immer noch nicht ausreichend im Visier. Im Endeffekt könnte sich herausstellen, dass die tatsächlichen Kosten für den Strom der vergangenen Jahrzehnte deutlich höher sind, als für den Strom heute und in Zukunft aus regenerativen Energien.
Schon mehrfach haben Expertisen Zweifel geäußert, ob die Unternehmen ausreichend Rückstellungen gebildet haben. Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ist dieser Frage ein Gutachten der Kanzlei Becker Büttner Held aus Berlin nachgegangen, sowie eine Studie der Hochschule Ruhr-West im Auftrag der Grünen. Beide kommen zu begründeten Zweifeln, ob der tatsächliche Rückbau durch die Unternehmen finanzierbar ist. Auch Werner Müller, Chef der RAG-Stiftung, ist dieser Meinung. Er schlägt deshalb ein Stiftungsmodell vor, vergleichbar der RAG-Stiftung, die die Erblasten des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet trägt.
In den Bilanzen der drei deutschen Stromkonzerne E.ON, RWE und EnBW befinden sich zum Jahresende 2014 insgesamt rd. 37 Mrd. Euro Rückstellungen für Entsorgungsverpflichtungen von Atomkraftwerken. Die Berechnung dieser Rückstellungen basiert auf externen Gutachten zu den voraussichtlich entstehenden Kosten für den Rückbau und die Entsorgung Diese Beträge sind dann mit Zinssätzen um 4,7% abgezinst. Das bedeutet: Nur wenn sich die Rückstellungen um 4,7% pro Jahr zu Lasten des Ergebnisses erhöhen, erreichen sie zum Zeitpunkt des Rückbaus die geschätzte Höhe.
Somit stellt sich zumindest aus zweifacher Sicht die Frage, ob die Rückstellungen ausreichend sind. Zum einen, ob die Schätzungen für die Rückbaukosten hoch genug sind und zum anderen, ob der Abzinsungszinssatz von 4,7% beim aktuellen Marktzinsniveau noch begründbar ist.
Entscheidend ist bei den Betrachtungen ein weiterer Aspekt. Die drei Energieunternehmen mit über 120.000 Mitarbeitern haben erhebliche Verpflichtungen aus Versorgungszusagen. Sie belaufen sich auf insgesamt 51 Mrd. Euro. Von dieser Gesamtverpflichtung sind rund 32 Mrd. Euro sogenanntes Planvermögen in der Bilanz abgezogen, sodass die ausgewiesenen Pensionsrückstellungen „nur“ noch 19 Mrd. Euro betragen. Diese Pensionsrückstellungen sind mit einem Zinssatz von rund 2% abgezinst.
Dieser Zinssatz beträgt weniger als die Hälfte des Abzinsungssatzes für die Atomrückstellungen. Eine Begründung dafür findet sich in den veröffentlichten Konzernjahresabschlüssen nicht.
Angesichts dieser hohen Gesamtverpflichtungen ist schleierhaft, wie die drei Konzerne die finanziellen Verbindlichkeiten meistern wollen. Den Gesamtrückstellungen in Höhe von 84 Mrd. Euro stehen zum Jahresende 2014 kurzfristige liquide Mittel und Wertpapiere in Höhe von 18 Mrd. Euro gegenüber. Alle andern Aktiva sind unterschiedliche Investitionen in Anlagen oder Unternehmen.
Die Stromkonzerne haben daher in Zukunft nicht nur die Last des Rückbaus ihrer abgeschalteten Kraftwerksanlagen zu finanzieren, sondern auch in erheblichem Umfang die Versorgungsverpflichtung gegenüber ihren ehemaligen Mitarbeitern zu erfüllen.
Es greift daher viel zu kurz isoliert zu prüfen, ob die zukünftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stromkonzerne ausreicht, um den Rückbau von Atomkraftwerken zu finanzieren. Sondern bei dieser Betrachtungsweise sind die erheblichen Belastungen aus den Versorgungszusagen mit zu berücksichtigen. Bestehende und zukünftige Gutachten und Studienaufträge müssen um diesen Aspekt erweitert werden.
Diese Fragen machen deutlich, dass die Altlasten des Atomstromzeitalters noch lange nicht transparent und weitgehend ungelöst sind. Bei der Suche nach dem deutschen Endlager für Atommüll stehen wir genauso am Anfang, wie bei der Suche nach einem „Endlager“ für die Versorgungs- und Entsorgungsansprüche, zu denen sich die Stromkonzerne verpflichtet haben. Dass die Stromkonzerne ihren Verpflichtungen langfristig nicht voll nachkommen können bzw. diese auf schleichendem Wege loswerden wollen, pfeifen die Spatzen laut von den Dächern. Es tut dringend Not, einmal sehr genau und überall unter den Dächern der Stromkonzerne nach den stillen Lasten zu schauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Lasten von uns allen getragen werden, also vom Staat zu tragen sind, ist groß.
Wer bezahlt das dicke Ende?
Drei aktuelle Gutachten zu den Rückstellungen der Atomkonzerne zeigen: Die Finanzierung von Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke ist unsicher. Am Ende besteht die Gefahr, dass Verbraucherinnen und Verbraucher doppelt zur Kasse gebeten werden.
Von Prof. Dr. Wolfgang Irrek
(6. Juli 2015) Das Ende der kommerziellen Nutzung der Atomenergie in Großkraftwerken ist in Deutschland absehbar. Einige Atomkraftwerke befinden sich bereits im Rückbau. Sofern der Rückbau „normal“ verläuft, sind dessen Kosten abschätzbar. Ein Konzept für den Umgang – oder besser gesagt die „Entsorgung“ – der abgebrannten hochradioaktiven Brennelemente, der radioaktiven Betriebsabfälle und weiterer Rückbauabfälle fehlt bislang.
Prof. Dr. Wolfgang Irrek | Hochschule Ruhr West Campus Bottrop, Postfach 10 07 55, 45407 Mülheim an der Ruhr, Wolfgang.Irrek@hs-ruhrwest.de
Finanzierung von Ewigkeitslasten
Insgesamt stellt die Summe dieser Unsicherheiten für die Betreiber ein bedeutendes wirtschaftliches Risiko dar. Da liegt es für die Betreiber nahe, darüber nachzudenken, wie man sich der Ewigkeitslasten des Atomkraftwerkbetriebs entledigen könnte. Im Steinkohlebergbau übernimmt die RAG-Stiftung ab dem Jahr 2019 die Finanzierung der Ewigkeitslasten. Sollte das Geld am Ende nicht reichen, müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einspringen. Und wie ist das bei der Atomkraft?
Die Betreiber haben in ihren Bilanzen Rückstellungen für Rückbau und Ewigkeitslasten der deutschen Atomkraftwerke in Höhe von insgesamt rund 38 Milliarden Euro gebildet. Es handelt sich um Geld, das die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Strompreis bezahlt haben. Die 38 Mrd. Euro liegen aber nicht in einer Kasse, auf die jederzeit zugegriffen werden kann. Ob die Gelder sicher angelegt, zur Finanzierung von Kraftwerksinvestitionen, Auslandsbeteiligungen oder anderen Aktivitäten genutzt werden, wissen höchstens die Unternehmen selbst.
Rückstellungen für kommerzielle Atomkraftwerke in Deutschland zum 31. Dezember 2014
Atomkonzern | Rückstellungen für Rückbau und Ewigkeitslasten [Mio. Euro] |
E.ON | 16.567 |
RWE | 10.367 |
EnBW | 8.071 |
Vattenfall* | 3.014 |
Summe | 38.019 |
* Umgerechnet mit 9,393 SEK/Euro
Quelle: Geschäftsberichte der betreffenden Unternehmen
Drei Gutachten zur unsicheren Finanzierungsvorsorge
Drei aktuelle Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi), des Bundesumweltministeriums (BMUB) und des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sind sich einig: Die Finanzierung des dicken Endes der Atomkraft ist unsicher. Worin besteht die Unsicherheit?
Erstens wissen wir nicht, inwieweit die Vermögenswerte, die den 38 Milliarden Euro Rückstellungen gegenüberstehen, tatsächlich werthaltig und liquidierbar sind, wenn sie für Rückbau und Entsorgung der Atomkraftwerke benötigt werden.
Zweitens könnten die Kosten am Ende höher sein als ursprünglich geschätzt. Die Mehrkosten fallen aber erst in einigen Jahrzehnten an. Möglicherweise stehen die kostenverursachenden Konzerne dann für notwendige Nachschüsse nicht mehr zur Verfügung. Wenn beispielsweise E.ON das Atomgeschäft einschließlich der Rückstellungen in die neue Gesellschaft UNIPER überführt, muss E.ON bereits fünf Jahre nach der Abspaltung nicht mehr für etwaige Mehrkosten haften.
Und drittens wissen wir spätestens seit dem Enron-Skandal, dass auch große Energieunternehmen insolvent werden können. Während das BMU noch im Jahr 2012 das Insolvenzrisiko großer Energieunternehmen „auch in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld als eher gering“ bewertet hat, wird das Insolvenzrisiko in den aktuellen Gutachten ernst genommen und ausführlich diskutiert.
Die Bundesregierung muss dringend handeln
Damit am Ende nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ein zweites Mal zur Kasse gebeten werden, ist dringendes Handeln erforderlich. Kurzfristig bedarf es vor allem einer gesetzlichen Regelung, die verhindert, dass sich die Energiekonzerne durch Abspaltung des Atombereichs aus ihrer Verantwortung stehlen können. Außerdem müssen die Gegenwerte, die den Rückstellungen gegenüberstehen, auf ihre Liquidierbarkeit und Werthaltigkeit geprüft und anschließend nachhaltig gesichert werden. Hierfür wäre beispielsweise ein öffentlich-rechtlicher Fonds mit Nachschusspflichten der Atomkonzerne eine Lösung. Alle drei Gutachten diskutieren neben der Fondslösung auch alternative Reformoptionen, beispielsweise die Bildung eines konzerninternen, staatlich überwachten Sicherungsvermögens.
Besteht aber die Gefahr, dass dieser Schritt zur Insolvenz des Unternehmens führt? Manche argumentieren daher, man solle die Kuh nicht schlachten, die man melken möchte. Was ist aber, wenn die Atomkühe am Ende so alt und dürr sind, dass man sie weder melken noch das Fleisch nutzen kann? Oder wenn die Mutterkuh einfach über den Zaun springt und nicht mehr zum Melken zur Verfügung steht? Bevor es dazu kommt, sollte die Bundesregierung schnell handeln und die Milliarden sichern, die von den Stromkundinnen und Stromkunden über Jahrzehnte bezahlt wurden, damit sie für ihren eigentlichen Zweck zur Verfügung stehen.
- BMWi-Studie von BBH/Irrek
- BMUB-Studie der GRS: unveröffentlichter Entwurf vom Mai 2014
- BUND-Studie des FÖS mit Aktualisierung vom 09.04.2015
Zwei Studien: Rückstellungen bald sichern!
(10. April 2015) Die Rückstellungen von RWE, Vattenfall, E.ON und EnBW für den KKW-Rückbau und die Atommülllagerung beliefen sich Ende 2014 auf 37,8 Mrd Euro, so eine Analyse des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die unter www.bund.net zu finden ist.
Die Zahl liegt etwas unter den vom Bundeswirtschaftsministerium genannten 38,697 Mrd Euro, bei denen sich das Ministerium auf die Geschäftsberichte stützte. Die Kraftwerksbetreiber informierten nur unzureichend, für welchen Zweck, welches Kraftwerk und welchen Zeitpunkt die Rückstellungen vorgesehen sind, so der BUND. Über Beweggründe für Aufstockungen oder Auflösungen von Rückstellungen gebe es nur wenige Informationen, zudem seien Niveau, Entwicklung und Struktur der Rückstellungen sehr unterschiedlich. So lagen die Rückstellungen für KKW in Betrieb Ende 2013 zwischen 1.300 Euro je 1 kW im KKW Emsland und 2.100 Euro je 1 kW im KKW Brunsbüttel. RWE habe Atomrückstellungen von 1.300 Euro je 1 kW gebildet, Vattenfall von über 2.000 Euro je 1 kW.
Unterschiedliche Methoden bei der Bilanzierung in den Geschäftsberichten schränkten den Informationswert stark ein, so der BUND. Die Bundesregierung müsse schnellstens klären, welche Rückstellungen wo und zu welchem Zweck vorhanden sind. Sollten die 37,8 Mrd Euro in der Hand der Stromkonzerne bleiben, sei die Finanzierung der Folgekosten der Atomenergie infragegestellt. Die Rückstellungen für die Lagerung des Atommülls müssten schnellstens in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden.
Eine zweite Studie zum Thema wurde im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellt. Die Studie wurde von der Kanzlei Becker, Büttner Held verfasst.