Privatgutachten
(09. März 2009) Versorger belegen die angeblich Billigkeit ihrer Preisgestaltung häufig mit Wirtschaftsprüferbescheinigungen. Dabei handelt es sich rechtlich gesehen um Privatgutachten.
Ein privates Gutachten kann die freie Meinungsbildung des Gerichts nicht ersetzen. An Unabhängigkeit und Aussagekraft des Gutachtens bestehen oft berechtigte Zweifel.
So werden vielfach mehrere Tarife zusammen untersucht und als Ergebnis nur Durchschnittswerte abgebildet. Das Resultat hängt zudem von der Definition des Untersuchungsgegenstands ab.
Deshalb kann einem Gutachten kein Hinweis auf die Billigkeit im Sinne von § 315 BGB entnommen werden. Der Verbraucher muss selbst Gelegenheit bekommen, relevante Unterlagen einzusehen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Beschluss vom 28.12.1999 (Az.: 1 BvR 2203) entschieden:
"Für bürgerlich- rechtliche Streitigkeiten ist aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Dieser muss grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes ermöglichen. Die Beteiligten müssen die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten.
Zu einem wirkungsvollen Rechtsschutz gehört auch, dass der Richter die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht. Ohne eine solche Prüfung fehlt es an einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Entscheidungsgrundlage.
Eine Beweisführung durch einen neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen (Wirtschaftsprüfer) als Beweismittler scheidet aus. Denn auch ein gerichtliches Sachverständigengutachten ist als Beweismittel unverwertbar, wenn es auf Geschäftsunterlagen beruht, die eine der Parteien nur dem Sachverständigen, nicht dem Gericht und der Gegenpartei zur Verfügung gestellt hat und die im Verfahren auch nicht offen gelegt werden (BVerwG Beschl. v. 15.08.03 - 20 F 08.03 unter Verweis auf BGHZ 116, 47).
Die gerichtliche Verwertung eines solchen Sachverständigengutachtens versagt nicht nur den Beteiligten, welche die geheim gehaltenen Tatsachen nicht kennen, das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Gericht verletzt auch seine Pflicht, ein von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten sorgfältig und kritisch zu würdigen, insbesondere auch, ob es von zutreffenden und tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht. Dieser Pflicht und dem Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs kann das Gericht nur entsprechen, wenn der Sachverständige die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens offen legt."
Wenn dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits für ein gerichtliches Sachverständigengutachten gilt, dann muss es erst recht für eine gekaufte Bescheinigung gelten, bei der es sich allenfalls um ein Parteigutachten handeln kann.
Kritisch zu hinterfragen sind bei einem Privatgutachen:
- welcher Auftrag liegt dem Gutachten zugrunde?
- welche Unterlagen lagen dem Gutachter vor?
- Ist das Gutachten nachprüfbar?
- Welche Rechen- und Vergleichsmethode liegt dem Gutachten zugrunde? Was man dabei falsch machen kann: hier lesen
- Hat das Gericht die notwendige Sachkunden, um Einwände gegen das Gutachten und auch das Gutachten selbst beurteilen zu können?
Wichtig ist es, das Gutachten unter alles dargestellten Aspekten möglichst genau zu bestreiten. Bestreitet man das Gutachten nicht, dann geht das Gericht davon aus, dass alle Prozessparteien mit dem Gutachten einverstanden sind.
Dazu juristische Quellen:
1. Kommentar Baumbach/Lauterbach zur Zivilprozessordnung:
Becksche Kurz-Kommentare, Band 1 Zivilprozessordnung
Mit Gerichtsverfassungsgesetz und anderen Nebengesetzen
Baumbach/Lauterbach
Verlag C.H.Beck München 2008
Buch 2, Abschnitt 1. Verfahren vor den LGen
Rdn 21: 8) Privatgutachten, dazu Graf von Hardenberg Diss Erlangen 1975: Das ist ein Gutachten, das sich eine Partei bei einem von ihr ausgewählten Sachverständigen beschafft, Mü RR 88, 1534, etwa vorprozessual nach (jetzt) §§ 585 ff BGB, Deggau ZMR 84, 74. Es ist ein substantiiertes, urkundlich belegtes Parteivorbringen, BGH VersR 01, 1458. Das Gericht darf und muß ein Privatgutachten wie jeden Parteivortrag natürlich von vornherein mit aller Sorgfalt nach § 286 würdigen, BGH VersR 01, 1458, Saarbr VersR 92, 757, Broß ZZP 102, 433. Dabei sollte das Gericht mitbeachten, dass oft ein auch gerichtlich sogar vielbeschäftigter Fachmann nicht schon deshalb an seiner Überzeugungskraft verlieren muß, weil ihn diesmal eine Partei beauftragt hatte. Keineswegs hat ein Privatgutachten erst im Anschluß an eine Beweisaufnahme ein Gewicht, aM Gehrlein VersR 03, 575 (aber das Gericht dürfte sogar ohne jede Beweisaufnahme urteilen, § 286 Rn 5, solange gegen einen durch Privatgutachten überzeugend gewordenen Parteivortrag kein Gegenbeweisantritt vorliegt).
Rdn. 22: Das gilt jedenfalls dann, wenn die Partei das Privatgutachten einreicht und zum Gegenstand der Verhandlung macht oder machen muß. Es ist dann auch ohne ein Einverständnis des Gegners lediglich urkundenbeweislich benutzbar, BGH NJW 87, 2300 Köln VersR 90, 311 (ärztliche Gutachter- oder Schlichtungsstelle), LG Aurich VersR 91, 214, aM BPatG GRUR 76, 609 (aber eine solche Auswertung wäre sogar bei einer urkundlichen Äußerung unterhalb des Rangs eines Gutachtens erlaubt und nötig). Daher kommt auch keine Ladung außerhalb § 273 II Z 4 in Betracht, Karlsr VersR 03, 977. Allerdings sind §§ 592 ff unanwendbar, Ffm WertpMitt 75, 87.
Rdn. 23: Freilich muß das Gericht dem Prozessgegner eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben, BGH MDR 01, 568, Karlsr NJW 90, 192. Das Gericht darf das Privatgutachten zu seiner Unterrichtung und als ein Hilfsmittel zur freien Würdigung nach § 286 benutzen. BPatG GRUR 76, 609. Das gilt anstelle eines gerichtlich erforderten Gutachtens aber wenn als Sachverständigenbeweis, also über den Urkundenbeweis hinaus, dann nur beim Einverständnis der Parteien, BGH RR 94, 256, Rex VersR 84, 619, aM ZöGre § 402 Rn 2 (aber §§ 415 ff fordern nur eine Urkunde im dortigen Sinn. Daher kommt es nicht auf den Umfang der ohnehin weiten Parteiherrschaft im Sinne von Grdz 18 vor § 128 an). Die freie Würdigung ist auch ohne ein Einverständnis der Parteien erlaubt, wenn das Gericht das Privatgutachten für ausreichend hält und halten darf, § 286, Karlsr VersR 84, 1194, LG Brschw WoM 77, 11, aM BGH VersR 86, 468 (zu streng).
Rdn. 24: Das ist bei einem Ablehnungsrecht nach § 406 Rn 5 bedenklich. Freilich kann ein Privatgutachten eine Veranlassung zu einem Vorgehen entsprechend § 411 III geben, BGH MDR 02, 570. Es mag auch dem Prozessgegner einen Antrag auf ein Gegengutachten ermöglichen. Es mag ferner einen Anlaß zur weiteren Aufklärung auch nach einem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen geben, BGH NJW 98, 2735, Köln NJW 94, 394, Mü RR 88, 1535. Allerdings wird das Gericht ihn kaum jemals zur Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen laden, Karlsr VersR 90, 55 (der letztere hat den ersteren genügend mitgewürdigt). Wenn das Gericht einen Privatgutachter nur zu seinen Feststellungen vernimmt, ist er ein sachverständiger Zeuge. Auch das Privatgutachten muß nachprüfbar sein, um prozessual uneingeschränkt verwertbar zu sein, Deggau ZMR 84, 74. Der Privatgutachter haftet nach dem Vertragsrecht, §§ 276 ff, 634, BGB. Dabei kann ein Dritter in den Schutzbereich gehören, BGH NJW 98, 1060. Der Privatgutachter haftet evtl. auch nach §§ 823 ff BGB.
2. BGH-Urteil dazu:
BGH, Beschluss vom 2. Juni 2008 – II ZR 67/07, NJW-RR- 2008, 1252
Leitsätze
b) Das Gericht darf sich ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gemäß § 286 ZPO nur dann der Bewertung eines – qualifizierten Parteivortrag darstellenden – Privatgutachtens, gegen das der Gegener Einwendungen erhoben hat, anschließen, wenn es eigene Sachkunde besitzt und darlegt, dass es deswegen in der Lage ist, die streitigen Fragen abschließend zu berurteilen.
Tz 3: Diese Privatgutachten stellten – lediglich – qualifizierten Parteivortrag dar (BHG, Urt. v 14. April 1981 – VI ZR 264/79, VersR 1981, 576 f.; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 402 Rdn. 2 m.w. Nachw.). Hiergegen hat die Beklagte (GA II, 23 bis 28) umfängliche Einwendungen erhoben. Die daraufhin von der Klägerin vorgelegte Gegenäußerung des Privatgutachters stellte wiederum nur Parteivortrag dar, dem sich das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 GG angeschlossen hat. Das Berufungsgericht hätte den qualifizierten Parteivortrag der Klägerin nur dann – wie geschehen – gemäß § 286 ZPO seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen, ohne dadurch den Anspruch der Beklagten aus Art. 103 GG zu verletzen, wenn es eigene Sachkunde besaß und darlegte, dass es deswegen in der Lage war, die streitigen Fragen abschließend zu beurteilen (vgl. Sen.Beschl. v. 21. Mai 2007 – II ZR 266/04, ZIP 2007, 1524 ff., Tz. 9). Anderenfalls musste das Berufungsgericht im Zeitpunkt der Veräußerung Beweis erheben durch Einholung des beantragten gerichtlichen Sachverständigengutachtens.