Was tun! – statt – Was tun?

Fossile Brennstoffe dürfen keine Zukunft haben. Warum also nicht gemeinsam die öffentlichen Flächen für die Versorgung aller Häuser nutzen? Dann liegt die komplette Infrastruktur für wirklich jeden zugänglich vor jedem Haus. Philipp Metz berichtet über ein wegweisendes Bürgerprojekt in Bremen.
Von Philipp Metz

(28. Juli 2024) Offensichtlich klappt es nicht so recht mit der Wärmewende. Vielleicht liegt es daran, dass gerade in den „entwickelten“ Staaten die Menschen es nicht mehr gewohnt sind, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen? Viel zu leicht gibt man der Versuchung nach, seine Probleme gegen ein kleines Entgelt an professionelle Problemlöser zu delegieren. Wenn diese dann keinen Erfolg haben, kann man sich ja immer noch beschweren.

Doch vielleicht sollten wir uns alle nun aufmachen? Nachdem wir es in Europa geschafft haben, das erste vollständige Jahr hinter uns zu bringen, in dem jeder Monat mit einem Allzeithoch der Durchschnittstemperaturen über den jeweiligen Vorjahren lag, wäre es an der Zeit.

 ED 02/2024 Was tun! – statt – Was tun? (S.22/23) 

Philipp Metz │ Diplom-Physiker, selbständig und nun im Ruhestand, Hard- und Softwareentwickler. Seit Marckolsheim & Wyhl setzt sich Philipp Metz leidenschaftlich für eine lebenswerte Zukunft ein. Er ist Vorstand der Genossenschaft Erdwärme Dich eG mit Lust auf mutige, selbst-ermächtigte Veränderung.

Ökologisch, bezahlbar, zukunftssicher

Es ist nun wahrlich nicht so, als hätten nur wir in Bremen mit unserer Genossenschaft Erdwärme Dich den Stein der Weisen gefunden und ein gütiger Geist lässt jede Nacht das himmlische Manna der Erkenntnis auf uns herabregnen. Nein, wir mussten feststellen, dass wir es allein, jeder für sich, nicht schaffen können, die Wärmeversorgung unserer Wohnungen zukunftssicher, bezahlbar und ökologisch sinnvoll zu regeln.

Fossile Brennstoffe dürfen keine Zukunft haben, organische Brennstoffe geben durch die Natur mühevoll gebundenes CO2 wieder an die Umwelt frei. Es ist nicht wirtschaftlich, warmes Wasser durch die Straßen zu leiten und auf dem Weg zum Verbraucher 15 % und mehr der wertvollen Wärme zu verlieren, nur um die Straßen das ganze Jahr zu beheizen. Auch die Lösung Wärmepumpe scheidet für viele aus. Denn gerade in den innerstädtischen Bestandsgebieten ist eine flächendeckende Ausstattung mit Luftwärmepumpen aufgrund der TA Lärm nicht möglich. Und um sich individuell Erdwärme zu erschließen, fehlt meistens der Platz – schade.

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Viele positive Veränderungen entwickeln sich in nachbarschaftlichen Beziehungen.

Not macht erfinderisch

Unsere erste Annäherung an die Erdwärme geschah auf einem relativ gut zugänglichen Eckgrundstück inmitten eines dicht bebauten Quartiers. Die überwiegend geschützten Gründerzeit-Reihenhäuser, sogenannte Altbremer Häuser, sollten über gemeinsame Erdsonden auf diesem Grundstück durch die rückwärtigen Gärten mit einem Solenetz versorgt werden.

Die Idee machte schnell die Runde und bald wollten auch die Anwohner der gegenüber auf der anderen Straßenseite liegenden Häuser mitmachen. Damit war die Notwendigkeit entstanden, auch den öffentlichen Raum zur Versorgung zu nutzen. Denn es wäre fatal und heuchlerisch, die Nachbarn mitfühlend zu bedauern, dass ausgerecht sie nicht so privilegiert sind, sich CO2-freie Erdwärme privat zu erschließen.

Warum also nicht gemeinsam die öffentlichen Flächen für die Versorgung aller Häuser nutzen? Dann liegt die komplette Infrastruktur für wirklich jeden zugänglich vor jedem Haus. Das Innovative ist, die Erfahrungen aus vielen Anergienetzen in Neubauvorhaben der letzten Jahre auf den Bedarf eines dicht bebauten innerstädtischen Quartiers zu übertragen. Es gibt nichts, was dagegenspricht, aber viele gute Argumente dafür.

Zusammenschluss zu Clustern

Dies ist die Idee, das Vorhaben und das Ziel der Genossenschaft Erdwärme Dich eG: Anlieger finden sich in sogenannten Clustern und die Genossenschaft plant, finanziert, baut und betreibt das Anergienetz für die Cluster. Dieses Netz versorgt die Wärmepumpen, die in den jeweiligen Häusern die Brennwertthermen ersetzen. Jedes Cluster kann in alle Richtungen bei Bedarf weiterwachsen und Cluster können mit anderen zu einem großen Netz zusammenwachsen. Dabei gilt: Jeder kann – keiner muss!

Die Erschließungskosten durch die preisgünstigen, nicht isolierten PE-Rohre sind so gering, dass Spätentschlossene auch zu einem späteren Zeitpunkt folgen können. Die Nutzung erfolgt pauschal über eine monatliche Gebühr pro kW angeschlossener Heizlast des Hauses. Um wirklich allen unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten die Teilnahme zu ermöglichen, baut die Genossenschaft die Hausanschlüsse und die Wärmepumpen gegen eine zweite monatliche Gebühr.

Solange beide Gebühren inklusive der Betriebskosten nicht die aktuellen Heizkosten wesentlich übersteigen, ist die Teilhabe an der CO2-freien Wärmeversorgung für jeden bezahlbar. Und unsere Berechnungen zeigen, dass dies in den meisten Fällen möglich ist. Insbesondere wenn für den Vergleichsfall auch die Kosten einer neuen Brennwerttherme und die absehbare Steigerung des CO2-Preises einbezogen werden, was den Gaspreis um 50 % Prozent ansteigen ließe. 
•    www.bdev.de/ariadneco2

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Der Appetit kommt beim Essen

Wir haben uns in Bremen auf den Weg gemacht und stellen mit Freude fest, wie viel Spaß die Beteiligten daran haben, ihren persönlichen Bedarf mit anderen, den Nachbarn, zu einem gemeinsamen Projekt zu verschmelzen. Sehr schnell treten persönliche Befindlichkeiten und Vorbehalte hinter das Zutrauen, gemeinsam Lösungen zu finden. Wir nennen diesen Prozess Selbstermächtigung und lernen, dass sich damit viele positive Veränderungen in den nachbarschaftlichen Beziehungen in den Quartieren entwickeln.

Und bekanntlich kommt der Appetit beim Essen. Stetig wachsen das Interesse und die Bereitschaft, für naheliegende Fragen neue Ideen und Vorschläge zu entwickeln. Aus dem Bedürfnis, möglichst selbst erzeugten Strom zu verwenden, entsteht das Interesse an einem gemeinsamen Einkauf von PV-Anlagen und einer kostengünstigen Installation. Dann kommt die gemeinsame Nutzung des selbst erzeugten Stroms. Oder soll man gleich neue PVT-Elemente auf die Dächer bauen und die zusätzlich zum Strom geerntete Wärme nicht nur in den einzelnen Häusern, sondern auch zur Regenerierung der Erdsonden einspeisen?

Gemeinsam, solidarisch, demokratisch

Wir stellen mit Erstaunen fest, dass es in einem solchen Prozess gar nicht so schwer ist, gemeinsam, solidarisch und demokratisch zu handeln. Wir entdecken und praktizieren Demokratie in ihrem besten Sinne – eine leider etwas in Vergessenheit geratene Tugend. Das Erstaunen bei Politik und Verwaltung, wenn sich Quartiere ganz ohne staatliche Geburtshilfe zu Wärmewendern entwickeln, ist bemerkenswert. In der letzten Zeit wurde ein Gutteil auf vielen Kongressen und Symposien zum Thema Wärmewende damit zugebracht, sich gegenseitig zu erzählen, was die Politik und Verwaltung doch eigentlich zu tun haben, um den Menschen die notwendigen Maßnahmen zu erklären. Vor lauter Arbeitskreisen und Gremien findet in dem ganzen Tohuwabohu keiner mehr den einfachen Weg – das zu tun, was notwendig, erprobt, zukunftssicher und bezahlbar ist.

Zugang zum öffentlichen Raum

Wir stellen der Politik nur die einfache Frage, was Daseinsvorsorge im Kern bedeutet. Sind Wasser, Luft und auch Erdwärme nicht etwas, das allen gehört und das man nicht für Geld zur gewerblichen Nutzung verschwenden darf? Mit der Erdwärme macht man keine Geschäfte. Eine verantwortungsbewusste öffentliche Verwaltung stellt diese Wärme zur Verfügung, damit die Bürger diesen universellen, öffentlichen Schatz gemeinsam genossenschaftlich nutzen und unter sich gerecht verteilen.

In diesem Zusammenhang stellt sich automatisch in den Städten die Frage nach einem gleichberechtigten, diskriminierungsfreien Zugang zum öffentlichen Raum. Tendenziell sind Anergienetze disruptive Änderungen der Daseinsvorsorge, weil sie die Gasnetze für die Wärmeversorgung überflüssig machen. Das unterscheidet Anergienetze von klassischen Wärmenetzen. Es wird nicht nur kein warmes Wasser verlustreich, teuer und CO2-belastet durch die Straßen gepumpt. Ja, wir haben hier den Übergang zu einer neuen Art der Wärmeversorgung, ähnlich der Entwicklung von analoger zu digitaler Kommunikation. Das ist Fortschritt. 
•    www.bdev.de/anergienetz

letzte Änderung: 25.06.2013