Mythen und Irrtümer über die Energiewende

Die Energieversorgung ist komplex. Und die von der Fossil-Lobby bezahlten Gegner der Energiewende sind im Verbreiten von Unwahrheiten sehr fleißig und geschickt. Deshalb wollen wir hier einige der gängigen Irrtümer richtigstellen.
Von Aribert Peters

(11. Januar 2024)

Genug erneuerbare Energie vorhanden?

Die Sonneneinstrahlung auf einem Prozent von Deutschlands Fläche ist höher als der gesamte Energieverbrauch Deutschlands! Die jährliche Sonneneinstrahlung summiert sich für jeden Quadratmeter unseres Landes auf 1.000 kWh. Die Energiedichte eines Quadratmeters Sonnenenergie gebündelt bringt Eisen zum Schmelzen.

 ED 04/2023 Mythen und Irrtümer über die Energiewende (S.10/11) 

Flächen für Erneuerbare sind in Deutschland genügend vorhanden. Eine Dissertation an der Uni Karlsruhe aus dem Jahr 2017 hat errechnet, dass allein auf den Dachflächen eine Strommenge von 3.000 TWh erzeugt werden kann, fünfmal mehr als der deutsche Stromverbrauch. Deutschland hat laut Ecofys 2.344 Quadratkilometer Dachflächen, die für Solarnutzung geeignet sind und je Quadratmeter eine Strommenge von 200 kWh jährlich erzeugen könnten. Das sind 400 TWh jährlich oder 80 % des deutschen Stromverbrauchs. Alle übrigen Flächen sowie die Stromerzeugung aus Wind und Biomasse kommen noch hinzu.

Energiewendegegner reden dagegen von Flatterstrom und Fakestrom: „Mit Sonne, Wind und Biogas kann man das Stromnetz eines Industrielandes nicht betreiben, erst recht nicht, wenn man auch die gesamte fossile Primärenergie durch Sonne, Wind und Biogas ersetzen will. Die Energieflussdichte dieser ‚erneuerbaren Energien‘ ist so gering, dass sie für eine Vollversorgung von Deutschlands Fläche viel zu klein ist“, schrieb uns ein Leser. Die Sache mit der Energiewende sei eine Mogelpackung, setzt Comedian Vince Ebert drauf. Es lässt sich anhand der obigen Fakten leicht nachrechnen, dass dies nicht stimmt.

Versorgung mit 100 % Erneuerbaren möglich?

Gerade in den dunklen Wintermonaten ist die Stromnachfrage besonders hoch (Heizung, Licht, Weihnachtsbraten etc.). In den Wintermonaten und nachts bringen PV-Anlagen wenig oder gar keine Stromerzeugung. Deshalb wird es zu dieser Jahreszeit mit der Stromversorgung vollständig durch Erneuerbare schwierig.

Die Lösung ergibt sich durch ein Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen:

  • In den Wintermonaten weht häufig der Wind stärker als im übrigen Jahr, daher gleicht die Windkraft teilweise die fehlende PV-Leistung aus. Es gibt aber auch im Winter Tage ohne Wind. Allerdings tritt eine Windflaute höchst selten in allen Regionen gleichzeitig auf. Dadurch ergibt sich ein Ausgleich.
  • Stromlieferung aus den Nachbarländern.
  • Verringerung der Nachfrage durch höhere Preise bei Stromknappheit und durch Strompreisvergünstigung für abschaltbare Abnehmer.
  • Massiver Ausbau der Erneuerbaren und Speicherung des sommerlichen Überflussstroms als chemische Energie (Methanol, Wasserstoff, Ammoniak), die im Winter verstromt wird.
  • Ausbau von Stromspeichern (Batterien, Pumpspeicher, Druckluft) für die kurzfristige Netzstabilisierung, sodass man ohne rotierende Massen in fossilen Kraftwerken auskommt.
  • Erhöhung der Stromeffizienz und Verzicht auf unnötigen Stromverbrauch.
  • Reservekraftwerke, die mit Biogas und geringen Mengen Erdgas anspringen, wenn es doch am Ende knapp wird.

Zahlreiche Studien von allen renommierten Wirtschaftsforschungsinstituten haben auf der Basis historischer Wetterdaten errechnet, dass eine zu 100 % erneuerbare Stromversorgung durchaus möglich ist. Das Zusammenspiel der obigen Faktoren ist sehr flexibel. Je nach Ausbaustand der Erneuerbaren und den Speichermöglichkeiten sind zum Beispiel unterschiedlich viele Reservekraftwerke erforderlich. Deshalb gibt es nicht „die“ Lösung des Problems, sondern viele verschiedene Lösungen, die im Zusammenspiel funktionieren. Neben dem Ausbau der Erneuerbaren müssen zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um das Stromnetz auch in Zukunft stabil zu halten.

Der Begriff der „Grundlast“ entstammt einer Versorgungswelt mit fossilen Kraftwerken und hat für die künftige Stromversorgung keine Bedeutung mehr, weil man völlig ohne Grundlastkraftwerke eine ganzjährig stabile Stromversorgung sichern kann. Etliche Länder versorgen sich bereits heute vollständig oder zu großen Anteilen mit Erneuerbaren und be-weisen die praktische Richtigkeit: Albanien (100 %), Äthiopien, Costa Rica (98 %), Dänemark (74 %), Island, Kenia (89 %), Kongo (100 %), Luxemburg (86 %), Neuseeland (86 %). 

Senken Atomkraftwerke den Strompreis?

CDU, FDP und AfD fordern, durch die Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Atom-kraftwerken das Stromangebot auszuweiten und dadurch die Strompreise zu senken. Atomkraft sei günstig und zudem CO2-frei. Stimmt das?

Selbst wenn die nächste Bundesregierung die drei gerade abgeschalteten Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen möchte (womit sie in der Vergangenheit schon zweimal gescheitert ist), braucht man dafür eine neue Betriebsgenehmigung und umfangreiche Nachrüstungen der alten Reaktoren. Vor dem Ende der Dekade würde also keines der alten AKW wieder ans Netz gehen können. Nebenbei: Bis 2030 werden jährlich 22 GW an neuen PV-Anlagen und 9 GW neue Windkraftanlagen ans Netz gehen – im Vergleich zu den 3 GW Leistung der stillgelegten AKW. Neue AKW zu planen, dafür bräuchte man Standorte, Investoren und viele Jahre Zeit. Im Gegensatz zu AKW sind PV-Anlagen schneller und einfacher zu bauen und liefern Strom auch preiswerter. Für das neue AKW Hinkley Point in Großbritannien hat die Regierung  einen Strompreis von 11 ct/kWh einschließlich Inflationsausgleich für 35 Jahre garantiert. Und die viel gelobten Mini-AKW (SMR) gibt es gar nicht: Der SMR-Entwickler NuScale Power Corporation und der Energieversorger Utah Associated Municipal Power Systems (UAMPS) haben gerade beschlossen, trotz staatlicher Milliardenzuschüsse doch keinen Small Modular Reactor im US-Bundesstaat Idaho zu bauen. Es sollte das erste Mini-AKW in den USA werden.

  ED 04/2023 Mythen und Irrtümer über die Energiewende (S.10/11)  

Schon heute liefern PV- und Windkraftanlagen deutlich günstigeren Strom als Kohle- und Gaskraftwerke (siehe Grafik) und für die kommenden Jahre werden sich die Erzeugungskosten Erneuerbarer weiter deutlich verringern. Und für die Grundlast braucht man keine Atomkraft (siehe oben). 

Fazit: Atomstrom ist in Deutschland kurzfristig nicht verfügbar und mittelfristig deutlich teurer als erneuerbarer Strom. Darüber hinaus: Die Gefahren der Atomkraft und das immer noch ungelöste Endlagerproblem machen diese Technologie nicht akzeptabel. Zudem: Derzeit gehen weltweit jeden Tag PV-Anlagen mit der Leistung eines Atomkraftwerks ans Netz, dagegen gehen im ganzen Jahr zehn neue Atomkraftwerke in Betrieb. Die Atomkraft ist weltweit abgehängt!

 ED 01/2013 Kampf um die Energiewende (S.29-31)
ED 04/2023 Mythen und Irrtümer über die Energiewende (S.10/11) 

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist eine gefragte Gesprächspartnerin in Politik und Medien. Sie leitet die Abteilung Energie und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Sie hat auch zahlreiche gut lesbare Bücher zum Thema veröffentlicht.

Strompreisanstieg durch die Energiewende?

Dazu sagt Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert: „Erneuerbare Energien wirken kostensenkend an der Strombörse, dadurch konnten die Stromkosten gesenkt werden. Dass die Preise für dich und mich trotzdem gestiegen sind, liegt nicht an den erneuerbaren Energien, sondern daran, dass die Stromversorger die günstigen Börsenpreise nicht an uns Verbraucher weitergegeben haben.“ Eine Studie aus Oxford zeigt: „Ein schneller Übergang zu grüner Energieversorgung würde vermutlich Billionen von Dollar einsparen – selbst dann, wenn man die Schäden durch den Klimawandel und andere Vorteile von Klimaschutz nicht mit einrechnet … Die Überzeugung, dass die Umstellung auf grüne Energie teuer sein wird, hat in den letzten vierzig Jahren maßgeblich zu einer ineffektiven Reaktion auf den Klimawandel beigetragen. Dieser Pessimismus steht im Widerspruch zu vergangenen Trends bei der Kostenverbesserung von Technologien und birgt die Gefahr, die Menschheit in eine teure und gefährliche Energiezukunft zu verstricken.“

letzte Änderung: 25.06.2013