Ölkriege und das Völkerrecht
Es gibt seit vielen Jahren einen blutigen Kampf um den Zugriff auf das „Schwarze Gold“. Der schweizer Friedensforscher Daniele Ganser setzt sich sehr kritisch mit der Rolle der NATO auseinander und sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Politik, Militär und der weltweiten Ölversorgung. Wir zitieren mit freundlicher Genehmigung aus seinen beiden Büchern „Europa im Erdölrausch“ und „Illegale Kriege“.
(16. März 2017) Mit dem Angriff von Hitler auf Polen 1939 begann der Zweite Weltkrieg und forderte 60 Millionen Tote. Erschüttert vom Leid des Weltkriegs wurde am 26. Juni 1945 in San Francisco die UNO gegründet. Erstmals in der Menschheitsgeschichte haben sich alle Staaten der Welt in einer Organisation zusammengeschlossen und sich dort auf Regeln verständigt, deren Einhaltung neue Kriege verhindern soll. Der Grundgedanke der UNO ist einfach und klar: Kriege sind illegal. In Artikel 2 der UNO-Charta heißt es: „Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Dieser Text ist unmissverständlich und deutlich. Es gibt nur zwei Ausnahmesituationen, in denen Krieg auch heute noch erlaubt ist: Das Recht auf Selbstverteidigung oder ein Krieg, der mit explizitem Mandat des UNO-Sicherheitsrates geführt wird.
Daniele Ganser (Dr. phil.) ist Schweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945 und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an der Universität St. Gallen und leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel.
In Deutschland gelten die Verhaltensvorschriften der UNO-Charta sogar für jeden Bürger. Im Grundgesetz der Bundesrepublik heißt es im Artikel 25: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ Deutschland ist 1973 der UNO beigetreten. Deutschland ist aber auch seit 1955 Mitglied der NATO.
Seit 1998 gibt es erstmals auch einen unabhängigen internationalen Strafgerichtshof (iSTGH), der Verstöße gegen das Völkerrecht mit einer eigenen Vollzugsgewalt bestrafen kann. Deutschland ist mit 121 anderen Staaten seinen Statuten beigetreten. Die USA haben ihren zunächst zugesagten Beitritt widerrufen und sogar gesetzlich festgelegt, dass US-Bürger, die vom internationalen Strafgerichtshof festgehalten werden, mit militärischer Gewalt zu befreien sind.
Die NATO gefährdet den Weltfrieden
„Die historischen Fakten der letzten 70 Jahre zeigen deutlich, dass NATO-Länder wiederholt andere Länder angegriffen und hierdurch das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot verletzt haben. Die NATO ist keine Kraft für Sicherheit und Stabilität, sondern eine Gefahr für den Weltfrieden. NATO-Staaten haben wiederholt völlig straflos das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot missachtet“, konstatiert Ganser in seinem Buch.
Gansers Buch vertritt die These, dass die NATO kein Verteidigungsbündnis, sondern ein Angriffsbündnis ist, dass die Verantwortlichen dabei stets straflos bleiben und die NATO-freundlichen Medien die illegalen Kriege sogar noch befeuern und unterstützen, indem sie die NATO-Propaganda kritiklos in die gute Stube der Leser hineintragen. Er belegt dies mit vielen Beispielen.
1. Irakkrieg
Als der irakische Diktator Saddam Hussein 1990 in Kuwait einmarschierte, war das ein illegaler Krieg, der umgehend und zu Recht vom UNO-Sicherheitsrat verurteilt wurde. Saddam Hussein ist ein Kriegsverbrecher, er wurde durch eine internationale Streitmacht unter Führung der USA mit Mandat der UNO 1991 wieder aus Kuwait vertrieben. Das war ein legaler Krieg, weil er ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates hatte.
Für eine solch klare Verurteilung eines Angriffskrieges braucht es aber die Unterstützung aller fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, also die drei NATO-Länder USA, Frankreich und Großbritannien sowie die beiden BRICS-Staaten Russland und China. Doch die NATO-Länder und die BRICS-Staaten haben bekanntlich oft nicht dieselben Interessen. Anders nach Saddams Invasion von Kuwait. Hier waren sich die Mitglieder im Sicherheitsrat einig.
Serbien
1999 wurde Serbien bombardiert. Der damalige US-Präsident Clinton hatte hierfür kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates, der Krieg war illegal. Auch der damalige Bundeskanzler Schröder hat durch die Beteiligung Deutschlands das Völkerrecht gebrochen und das später auch eingestanden.
Ukraine
Im Februar 2014 wurde der ukrainische Präsident Janukowitsch gestürzt und durch Präsident Poroschenko ersetzt. Gemäß dem früheren CIA-Analytiker Ray McGovern standen die NATO und die USA hinter diesem Putsch. Wenn McGovern Recht hat, dann ist die Besetzung der Krim durch Putin nicht etwa eine Aggression ohne Grund, sondern eine Reaktion auf den NATO-Putsch in Kiew. Der entscheidende Unterschied zwischen Janukowitsch und Poroschenko ist dabei offensichtlich: Poroschenko will in die NATO.
2. Irakkrieg
Im Jahr 2003 haben der US-Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair die ganze Welt angelogen, als sie behaupteten, Saddam Hussein, der damalige Präsident des Iraks, habe atomare, chemische und biologische Waffen und daher müsse man den Irak angreifen. Heute wissen wir: Das war nicht wahr, es gab keine ABC-Waffen im Irak. Der Angriff fand ohne UNO-Mandat statt und war daher illegal. Bush und Blair sind Kriegsverbrecher. In Wahrheit ging es um die Kontrolle des irakischen Erdöls. Als Hussein getötet und seine Armee aufgelöst wurde, ist ein Teil seiner ehemaligen Offiziere zum sogenannten „Islamischen Staat“ gewechselt und jetzt dreht sich die Gewaltspirale weiter, weil sich diese Terrormiliz vom Irak nach Syrien ausbreitet.
Iran
Die USA und die Briten hatten schon 1953 im Nahen Osten interveniert, um ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Damals stürzte der amerikanische Geheimdienst CIA zusammen mit dem britischen Geheimdienst MI6 die demokratisch gewählte Regierung des Irans, weil diese unter Premier Mossadegh das iranische Erdöl verstaatlicht hatte. Die Briten und Amerikaner sicherten sich so den Zugriff auf die Ressourcen.
Die Iraner haben das bis heute nicht vergessen. Zudem haben die USA Saddam Hussein und den Irak unterstützt, als dieser den Iran angriff. Der Krieg zwischen Irak und Iran von 1980 bis 1988 forderte mindestens 400.000 Tote.
Drohnenkrieg
Durch US-Drohnen wurden zahllose Menschen getötet, vor allem in Afghanistan und Pakistan. Dagegen regt sich inzwischen auch in den USA vereinzelt Widerstand. Professor Noam Chomsky etwa verurteilt den Drohnenkrieg von Präsident Obama als die größte Terrorkampagne der Geschichte. Das habe es so noch nie gegeben. Wenn man die Rollen vertauscht und sich vorstellt, die Al-Qaida würde in den NATO-Ländern, also in Europa und Nordamerika, mit ferngesteuerten Flugzeugen täglich Raketen abfeuern, würde man das hier auch als grässlichen Terror bezeichnen.
Der Guardian bezifferte, dass die USA im Jahr 2016 durchschnittlich jede Stunde nahezu drei Bomben abgeworfen haben. Das sind insgesamt 26.171 Bomben im Jahr 2016. bdev.de/drohnen
Syrienkrieg
Der 2011 begonnene Angriff auf Syrien ist illegal. Die USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben brutale Banden trainiert, mit Waffen ausgerüstet und versuchten Präsident Assad zu stürzen. Diese brutalen Banden müssen als Terroristen bezeichnet werden, aber die Angreifer benutzen das Wort „moderate Rebellen“ und verwirren dadurch die Öffentlichkeit. Deutschland hat sich erst spät in den Krieg eingebracht, dann aber auf der Seite der Angreifer. Das ist genauso illegal, wie wenn Assad Frau Merkel stürzen wollte.
Der Krieg in Syrien hat mehr als 400.000 Tote gefordert und eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst. „Viele Menschen fragen sich“, so Ganser, „wo wir wohl in 20 oder 30 Jahren sind, ob wir dann noch mehr Gewalt und Flüchtlinge haben werden oder ob wir es irgendwie schaffen, aus der Gewaltspirale auszusteigen.“
Vor allem aber wirken die Medien oft kriegstreibend und nicht kriegshemmend. So forderten die Medien den Sturz von Assad in Syrien. Dabei wird selten erklärt, dass dieses Ansinnen völlig illegal ist und es dem UNO-Gewaltverbot widerspricht, eine Regierung in einem fremden Land zu stürzen. „Regime Changes sind verboten.“
„Krieg gegen den Terror“
Die Regierung von Präsident Bush ließ sich nach 9/11 von der UNO bestätigen, dass jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung hat. Die UNO hat in ihrer Resolution den USA nicht das Recht gegeben, Afghanistan anzugreifen, was die USA am 7. Oktober 2001 jedoch taten. In der UNO-Resolution wird Afghanistan gar nicht erwähnt. Der Angriff auf Afghanistan war daher illegal. Er basierte auf der von Präsident Bush vorgetragenen Geschichte, dass Osama bin Laden für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gewesen sei. Doch genau dieser Punkt konnte, so Ganser, vor der UNO nicht bewiesen werden und ist bis heute umstritten.
Der von den USA und den NATO-Ländern 2001 ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ bietet keinen glaubwürdigen Ausstieg aus der Gewaltspirale an. Er ist durchsetzt von Lügen und geht die realen Ursachen für den Terror nicht an. Er zielt, so Ganser, auf die Eroberung und Sicherung von Erdöl, Erdgas, Geld und Macht ab.
Die Bilanz nach 15 Jahren ist verheerend: Mehrere Staaten, darunter Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien, sind völlig destabilisiert. Misstrauen und Angst breiten sich aus. Es gibt nicht weniger, sondern mehr Terroranschläge, während die Bürgerrechte abgebaut und der Überwachungsstaat ausgebaut werden.
Der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ stärkt den militärisch-industriellen Komplex und schwächt die Menschenrechte und die UNO-Charta. Er muss von der Friedensbewegung beendet werden, weil er gescheitert ist.
Libyen
Beim Angriff der USA auf Libyen 1986 gab es kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates. Auch US-Präsident Reagan müsste sich vor einem Gericht verantworten, wenn er noch leben würde. 2011 haben die USA zusammen mit Frankreich und Großbritannien Libyen erneut angegriffen. Diesmal gab es zwar ein Mandat der UNO, aber nur für eine Flugverbotszone und nicht für einen Angriff. Die NATO-Länder kümmerte das aber nicht, sie führten einen Regime Change durch, Gaddafi wurde in der Wüste begraben, auch das war völlig illegal und ist durch die UNO-Resolution nicht abgedeckt. Libyen versinkt seither im Chaos. Aber der französische Präsident Sarkozy, der britische Premier Cameron und US-Präsident Obama kamen mal wieder völlig straflos davon. Am 1. August 2016 hat Obama Libyen nochmals bombardiert. Das wurde in den meisten Zeitungen nur noch auf den hinteren Seiten vermeldet. Das Völkerrecht wird systematisch zerschlagen und dieses Vorgehen von Medien sowie Zivilgesellschaft ignoriert.
Was jeder einzelne tun könnte
Ganser empfiehlt folgendes: „Zuerst müssen wir den „Balken im eigenen Auge“ sehen, und nicht nur den „Splitter im Auge“ der anderen. Das heißt, die NATO-Länder in Europa und den USA müssen über ihre eigenen Kriege nachdenken. War der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan richtig oder falsch? Es ist nachzudenken über die Rolle der USA in der heutigen Welt und über den Ressourcenverbrauch. Mit einfachen Feindbildern wie „die bösen radikalen Muslime“ und „die bösen Russen“ blendet man systematisch die NATO-Gewalt aus. Wenn man zu diesem schmerzhaften Schritt bereit ist, wird man sehen, dass wir ein Teil der Gewaltspirale sind.“
Dazu Daniele Ganser: „Es gibt Lösungen, es gibt Hoffnung. Ich bin für eine Wende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien, also weg vom Krieg um Erdöl und Erdgas, hin zur dezentralen, erneuerbaren Energieproduktion. Ich habe selber ein Elektroauto und Solarzellen auf meinem Haus.
Ich beobachte, dass immer mehr Menschen gegenüber der NATO kritisch eingestellt sind, sich aber machtlos fühlen, solange sie täglich NATO-Propaganda lesen und im TV sehen. Daher sollte man in die eigene Medienkompetenz investieren, weniger TV schauen und keine Zeitungen lesen, die NATO-Propaganda verbreiten.“
Illegale Kriege | Dr. Daniele Ganser, Oktober 2016, Orell Füssli Verlag, 370 Seiten, ISBN 978-3-280-05631-8
Europa im Erdölrausch | Dr. Daniele Ganser, September 2012, Orell Füssli Verlag, 416 Seiten broschiert und als eBook, ISBN 978-3-280-05474-1