Ökosex
An dieser Stelle lesen Sie unsere ständige Kolumne "Ökosex", verfasst von Martin Unfried, 43, Dozent am European Institute of Public Administration in Maastricht im Bereich der EU-Umwelt- und Klimapolitik.
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Skandal: Ausländer zahlen keine EEG Umlage
Die FAZ kommt mit neuen, erheiternden Kostenkalkulationen für EEG Allergiker
(28. Januar 2014) Erst ein kurzer Vergleich zum Einbruch der Photovoltaik. Man stelle sich vor, der Verkauf schwerer Dienstwagen wäre im Jahr 2013 um die Hälfte zurückgegangen. Die Politik hätte nämlich die Abschreibungen für große Autos gestrichen und auf wenige kleine, CO2-freundliche Wagen beschränkt. Die deutschen Autobauer, -händler und -werkstätten hätten Millionenumsätze verloren. Man stelle sich vor, die Politik würde dies bejubeln. Dadurch hätte sich nämlich der überhitze Markt wie gewünscht abgekühlt. Potentielle Arbeitsplatzverluste würden in Kauf genommen, wegen der positiven Steuer- und Umwelteffekte. Autoindustrie und ADAC hätten vollstes Verständnis dafür.
Natürlich ist ein solches Szenario absurd. Ich vermute bei einer Halbierung des Dienstwagenverkaufs würde die Bundeskanzlerin den nationalen Notstand ausrufen, erscheinen doch die Umsatzzahlen der Autobauer als einzig wahrer Wohlstands- und Glücksindikator. Nicht so die Umsätze der Solarbranche und die Installationszahlen von Photovoltaik-Anlagen. Diese halbierten sich im Jahr 2013 tatsächlich im Vergleich zum Vorjahr und die Regierung freut sich königlich. Warum eigentlich? Wegen der Insolvenzen und Umsatzrückgänge bei Installationsbetrieben? Wohl kaum, aber die Politik meint, damit den Anstieg der EEG Umlage gebremst zu haben und damit die Kosten des Zubaus Erneuerbarer Energien. Dabei steigt die Umlage trotzdem, weil der Strom im Börsenhandel immer billiger wird.
Nun habe ich in der Vergangenheit in geradezu nerv tötender Regelmäßigkeit darauf hingewiesen, dass die EEG-Umlage keineswegs die Kosten für Erneuerbare Energien ausweist. Bekanntlich steckt da einiges drin, was nicht mit dem Ausbau zu tun hat. Und natürlich ist erst die Summe aus Börsenstrompreis und EEG-Umlage ein brauchbarer Indikator für die Strompreisentwicklung. Deshalb ist es umso merkwürdiger, dass in letzter Zeit sogar ein gesunkener Börsenstrompreis von Teilen der Presse als Desaster und weiterer Indikator einer total vermurksten Energiewende herhalten muss. Das erklärt sich nur aus der pathologischen Fixiertheit auf die EEG-Umlage. Und die steigt eben, wenn die Börsenpreise fallen, was tatsächlich ein strukturelles Problem ist.
Das Öko-Institut hat sich in diesen Tagen das Gesamtbild angeschaut: Durch die Kombination aus fallenden Strompreisen an der Börse und trotz steigender EEG-Umlage werden für das Jahr 2014 geringere Systemkosten der Stromversorgung erwartet als 2013. Das klingt erfreulich. Was daraus folgt: schränkt man nun die EEG-Ausnahmen ein und schafft es, dass gesunkene Börsenpreise an Haushalte und nicht befreite Unternehmen weiter gegeben werden, ist das EEG zurück in der Zukunft.
In der FAZ, der Apothekenumschau der EEG-Allergiker, ist solches noch nicht zu lesen. Mit dem Artikel „Ökostrom kostet jeden Deutschen 240 Euro im Jahr“ (faz.net, 9.1.2014) schießen die Kollegen den Vogel ab:
Sämtliche gezahlte EEG Vergütungen, ob von Gewerbe-, Industrie- oder Privatkunden, werden auf Privatpersonen umgerechnet und so Kosten für Privathaushalte vorgegaukelt. Schlichter geht es kaum, da Privathaushalte tatsächlich weniger als 30% des Stroms beziehen. Da stellt sich lustiger weise wegen der FAZ-Umrechnung auf "Deutsche" ebenso die Frage, ob Stromkunden mit ausländischem Pass von der EEG Umlage befreit sind. Das wäre nun wirklich eine Sauerei und Zeit für eine Seehofersche Ausländer-Maut auf Strom.
Spaß beiseite, laut Öko-Institut gibt es im Jahr 2014 eine wichtige politische Herausforderung: Wie können die fallenden Systemkosten an die Privatkunden weitergegeben werden. Irgendwelche erhellenden Vorschläge?
Hält geistig fit: Zwei Weltenrettungsbücher mit gegensätzlichen Standpunkten synchronlesen
Welzer 5 : Fücks 5
Hält geistig fit: Zwei Weltenrettungsbücher mit gegensätzlichen Standpunkten synchronlesen
(8. April 2013) Es gibt zwei große Ökosex-Trends nach Ostern 2013. Denken und Tun. Erst zum Tun. Mineralwasser trinken in der Kneipe und zuhause ist bekanntlich super uncool. Ich frage jetzt in jedem Schuppen immer nach Leitungswasser, weil Leitungswasser einfach besser schmeckt. Die anderen Gründe muss ich ja nicht mehr nennen. Zum Leitungswasser gibt es einige tolle Kampagnen. Bei mir in den Niederlanden und in Belgien ist das beispielsweise “krnwtr”, das ist eine witzige Abkürzung von kraanwater, Leitungswasser (www.krnwtr-drinkkraanwater.nl). Sehr gut finde ich auch “soulbottles.com”. Das ist ein deutsch-österreichisches Start-up. Da kann man mit bescheidenen Beträgen gerade einiges in Gang setzen (www.startnext.de/soulbottles-and-soulwater). Das mache ich, weil mir das Design der Soulbottles super gefällt.
Vom Tun kommt man schnell zum Denken. Macht das wirklich Sinn, was ich tue? Der neue Trendsport heißt Synchronlesen von Büchern mit unterschiedlicher Ansage. Das hab ich an Ostern gemacht. Ich habe Harald Welzers “Selbst Denken” und Ralf Fücks “Intelligent Wachsen” nebeneinander gelegt. Da geht es ja schlicht darum, wie die Welt ein bisschen besser werden könnte. Ob “grünes Wachstum” die Lösung ist (Fücks) oder der Bruch mit der Wachstumslogik und der persönliche Widerstand (Welzer) gegen das zerstörerische Geschäftsmodell der Mineralölkonzerne, der Agrarindustrie, des Finanzsektors. In beiden Büchern geht es intellektuell zur Sache. Der “Futur II” Bedenker Harald Welzer meint zu Recht, die fixe Idee vom grünen Wachstum und der Entkopplung von Energie- und Ressourcenverbrauch sei ein grüner Pudding, den man meint sowohl haben zu können als auch zu verspeisen (englisches Sprichwort). Er nennt grünes Wachstum eine “alchimistische Perspektive”, also etwas sehr Irreales.
Der Chef der Heinrich Böll-Stiftung Ralph Fücks dagegen teilt zu Recht aus gegen derartigen Pessimismus und Postwachstumsprosa: angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung mit all ihren Nöten, Wünschen und Ambitionen grenze der Traum von der Postwachstumsgesellschaft an Realitätsflucht. Der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum liege in einer Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch. Natürlich widerspricht Welzer zu Recht: Keine Entkopplung, nirgends. Nur Verrückte könnten glauben, dass es in einer physikalisch begrenzten Entität von allem immer mehr geben könnte. Schon national verschwinde die Entkopplung ins Reich der Phantasie, global gehe das schon gar nicht. Hinter Welzer steht natürlich Niko Paech, der ausgiebig zitiert wird: “Unter den Bedingung eines beständigen Wirtschaftswachstums sei es unmöglich, die Ökosphäre absolut zu entlasten.”
Worauf Fücks im Geiste von Ernst Ulrich von Weizsäcker zurecht entgegnet, wir sollten Begeisterung für eine grüne industrielle Revolution wecken und insbesondere gewaltige Investitionen in Umwelttechnologien. Er macht sich dann über Welzer lustig, der meint, weil das Klimaproblem durch Technikeinsatz entstanden sei, könne Technikeinsatz als Teil des Problems nicht die Lösung sein. Genauso könne man laut Fücks der Demokratie, die uns in die Misere geführt habe, die Fähigkeit absprechen, die Probleme zu lösen. Welzer wiederum sieht zu Recht die Notwendigkeit gegen eine Politik Widerstand zu leisten, die Zukunftsfeindlichkeit unterstützt und fördert. Sein Thema ist die politische Heimatlosigkeit des Befürworters der nachhaltigen Moderne. Kein politischer Akteur würde heute gegen die Absichten von BP, Exxon, Gazprom vorgehen, weil beispielsweise auch der Aufstieg der Mittelklassen in den Schwellenländern daran hänge. Das ethisch wünschenswerte Ziel global nur annähernd egalitärer Wohlstandsniveaus stehe deshalb im Widerspruch zu allen Nachhaltigkeitszielen. Nun ist für Welzer die Schlussfolgerung daraus nicht etwa, dass man den Wohlstandzuwachs bei den Armen nicht zulassen solle, sondern die Forderung richtet sich an uns: wir müssen die Komfortzone verlassen, verzichten, abgeben und andere Modelle des Verteilens, Wirtschaftens und Lebens entwickeln. Allerdings nicht durch schöne Appelle, sondern durch gutes Tun (Funny van Dannen), durch die Nutzung unserer Handlungsspielräume.
Das findet Fücks nun zu Recht wieder naiv und sehr auf Europa zentriert: gegen den ökologischen Calvinismus (Sloterdijk) spreche, dass Vielfalt von Optionen, Konsumfreiheit, Mobilität, Geschwindigkeit unmittelbar mit der Moderne verbunden seien. Diese Phänomene seien keine äußerlichen Attribute, sondern Daseinsformen des modernen Individuums. Wo Fücks meint, es gehe nicht um ein Programm der Menschenverbesserung, plädiert Welzer für eigene “moralische Streckübungen” (Günther Anders), um eigens Handeln zu ändern im Angesicht des zerstörerischen Potentials unserer Lebenspraxis.
Puuuh, Synchronlesen ist natürlich heavy. Das hört sich jetzt tatsächlich nach großen Meinungsverschiedenheiten an. Aber wie gesagt, hier geht es ums Denken. Für das Tun hat das eigentlich keine Auswirkung. Beide plädieren für Ökosex. Mal in lila, mal in blau.
12 Thesen zu den gesellschaftlichen Herausforderungen der Energiewende
(27. Februar 2013, Kurzfassung)
1. Ohne gesellschaftlichen Wandel keine umfassende Energiewende
Das Gelingen einer umfassenden Energiewende ist nicht allein von technischen und ökonomischen Voraussetzungen abhängig. Gesellschaftliche Voraussetzungen wie Lebensstil- und Konsummuster und vor allem die gesellschaftliche Akzeptanz politisch gesteuerter Energiepreise und ambitionierten Ordnungsrechts sind wichtige Bedingungen für zukünftige Entwicklungen und politische Mehrheitsentscheidungen. Diese gesellschaftlichen Voraussetzungen sind nicht festgeschrieben, sondern durch Politik und Gesellschaft veränderbar.
2. Lebensstil- und Konsumfragen und politische Haltungen einer Gesellschaft haben nur am Rande mit der Moral des Einzelnen zu tun
Private politische Haltungen, Lebensstil und Konsum sind Ausdruck kultureller Prozesse (z.B. Werte, Konsumleitbilder, Moden). Sie sind eingebettet in wirtschaftspolitische Entscheidungen (Industriepolitik, Steuerpolitik) und entsprechende Ordnungspolitik (Ge- und Verboten, technische Standards, Produktdesign-Gesetzgebung). Beispielsweise wird die heutige autozentrierte deutsche Verkehrspolitik mit öffentlich finanzierter Infrastruktur ermöglicht, mit Steuerrecht begünstigt (Dienstwagen, Pendlerpauschale) und mit rigidem Ordnungsrecht flankiert (Versicherungspflichten, Baurecht, Parkraumbewirtschaftung). Deshalb ist es eine Lebenslüge der Gesellschaft, den Produktbereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien aus dieser Art Konsumlogik heraus zu nehmen und einer reinen Kostenlogik zu unterwerfen (oder die moralische Verantwortung des Einzelnen zu bemühen). Die Energiewende gelingt, wenn innovative Techniken zu neuen Leitbildern der Konsum- und Industriegesellschaft werden (was in Ansätzen bereits der Fall ist), und diese durch weitergehende, steuer-, sozial- und ordnungspolitische Entscheidungen flankiert und von der Gesellschaft akzeptiert werden (was noch nicht der Fall ist).
3. Die deutsche Gesellschaft kann sich die Energiewende leisten, wenn sie sich die Energiewende leisten will
Natürlich hat die im Vergleich reiche, deutsche Gesellschaft den Handlungsspielraum, Investitionsprioritäten zu verändern und neue kulturelle und gesellschaftliche Prioritäten im Sinne der Energiewende zu vereinbaren. Sie kann sich die Energiewende leisten, wenn sie sich die Energiewende leisten will, auch wenn die Energiepreise (nicht unbedingt die Energiekosten) steigen sollten. Die Debatte um gestiegene Strompreise in Privathaushalten zeigt allerdings, dass dieser Handlungsspielraum (im Vergleich zu anderen Prioritäten) kaum diskutiert und wahrgenommen wird.
4. Für eine intensivere Debatte der gesellschaftlichen Dimension der Energiewende braucht es zusätzliche wissenschaftliche Studien und Szenarien
Wie im technisch-ökonomischen Bereich braucht es fundierte Studien für eine gründlichere Diskussion verschiedener Szenarien gesellschaftlicher Entwicklung. Heutige Einschätzungen zur Bedeutung von Instrumenten wie Steueranreizen, Bürgerbeteiligung, genossenschaftliches Wirtschaften, Werbung für nachhaltige Lebensstile müssen systematischer zur Entwicklung einer gesellschaftlichen Strategie und verschiedener Szenarien führen.
5. Der ökonomisch-technische als auch der gesellschaftliche Wandel ist im Strombereich am weitesten
Der Bundesumweltminister liegt falsch, wenn er gerade die Herausforderungen der Stromwende überzeichnet. Die ökonomischen und technischen Pfade der Stromwende sind weitgehend bekannt. Auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Umstiegs auf erneuerbare Stromproduktion ist trotz anspruchsvoller raumplanerischer und preissteuernder Eingriffe hoch. Die Transformation im Strombereich ist gesellschaftlich in vollem Gange mit regionalem und lokalem Bürgerengagement und reger Beteiligung an Planungsprozessen.
6. Es geht im Kern um die politische und gesellschaftliche Unterstützung neuer Geschäftsmodelle und Märkte gegen gefestigte Interessen
Jenseits der oberflächlichen Betonung von Technik und Kosten geht es bei der Energiewende vor allem um die Veränderung von Märkten und gängiger Geschäfts- und Konsummodelle (z.B. Energieverkauf, Automobilverkauf, Geräteverkauf), die gekoppelt sind an die Interessen von Konzernen und heutiger Konsumenten. Hier sind die Konflikte im Strombereich nur Vorläufer für spätere gesellschaftliche Interessenskonflikte.
Damit verbunden sein kann der notwendige Um- oder Abbau großer Stromkonzerne aufgrund des politisch gewollten Verschwindens bisheriger Geschäftsmodelle (z.B. Große Atom- und Kohlekraftwerke) und einer Dezentralisierung der Stromproduktion. Die gesellschaftliche Akzeptanz einer Dezentralisierung der Energiewirtschaft scheint bereits hoch zu sein, was fehlt ist die deutliche politische Zielsetzung und wirtschaftspolitische Flankierung. Das wird mit Blick auf deutsche und europäische Automobilunternehmen in wenigen Jahren ähnlich relevant, wenn neue Mobilitätsdienstleister erfolgreich neue Marktanteile übernehmen sollen, und dies politisch flankiert werden muss. Hier ist noch kaum absehbar, wie politische und gesellschaftliche Mehrheiten für einen bewussten Umbau des Mobilitätsmarktes gegen gefestigte Interessen entstehen sollen. Im Gebäudebereich ist die Situation einfacher, da in diesem mittelständisch geprägten Sektor heutige Wirtschaftsakteure Träger der Energiewende und wirtschaftliche Profiteure sein können.
7. Die Qualität gesellschaftlicher Kostendebatten ist ein entscheidender Faktor, wenn es um Kosten geht
Ein aktuelles Problem im Strombereich sind nicht nur reale heutige und künftige Kosten, sondern die Grundlagen der gesellschaftlichen Strommarkt- und Kostendebatte. Insbesondere ist das Hantieren mit einem beschränkt volkswirtschaftlich aussagefähigen Kostenindikator (wie der EEG Umlage) problematisch: das führt zu verzerrten Debatten über Milliardenkosten der Erneuerbaren und wenig Sicht auf volkswirtschaftliche Effekte und den echten Kosten der fossilen Konkurrenz.
Im Verkehrsbereich, dessen praktische Transformation noch kaum begonnen hat, zeigen sich seit Jahren ähnliche Probleme der Kostenkommunikation. Bisher werden beispielsweise höhere Grenzwerte für CO2 bei PKW mit dem betriebswirtschaftlichen Argument der höheren Kosten pro Modell aus Sicht der Autobauer/Autofahrer diskutiert. Auch der schleppende Umbau der deutschen Städte und Gemeinden in Richtung ÖPNV und Fahrradstadt wird mit hohen Kosten und fehlenden individuellen Finanzmitteln begründet. Dem liegt ein Rechenmodell zugrunde, das beispielsweise Radwege in der deutschen Verkehrsplanung auf allen Ebenen als zusätzliche Kosten der Autogesellschaft verbucht. Auch heutige Kostenkalkulationen, die Kommunikation von Kosten und die Struktur öffentlicher Haushalte stehen der Energiewende im Wege.
8. Heutige Konsumstandards und Konsumanreize sind noch wesentliche Blockaden der Energiewende, jedoch nicht durch Appelle an den Einzelnen zu ändern
Konsumentscheidungen und der allgemeine Umgang mit Energie beeinflussen in großen Maße Energieverbrauch und die Marktchancen innovativer Technologien. Beim Sprit, Öl/Gas und Stromverbrauch sind bisher noch keine großen Sprünge in Richtung spektakulärer Energieeinsparungen zu erkennen. Eine echte Energiesparkultur oder Effizienzkultur ist noch nicht in Sicht. Dabei ist der persönliche Konsum nur am Rande abhängig von individuellen Vorlieben. Hier spielen kulturelle Prozesse, wirtschaftspolitische Entscheidungen, öffentliche Infrastruktur, Technologieentwicklung und entsprechende Ordnungspolitik eine wesentliche Rolle. Deshalb können Konsumvorlieben auch nur bedingt durch den Appell an den individuellen Konsumenten verändert werden, sondern durch konzertierte Maßnahmen in den oben genannten Bereichen. Insofern braucht die Energiewende eine viel detailliertere Sicht und ein Programm zur Aktivierung der Potentiale der Konsumgesellschaft.
9. Die Energiewende braucht gesellschaftliche Konsumvorbilder und eine Energiewendekultur
Trotz des oben beschriebenen breiteren Rahmens spielen kulturelle Prozesse für Konsum und Lebensstil durchaus eine wichtige Rolle. Hier gibt es gesellschaftliche Blockaden, insbesondere bei Gruppen mit souveräner Handlungsfreiheit. Gegenwärtige deutsche Eliten taugen noch nicht als gesellschaftliche Leitbilder einer neuen Konsumkultur der Energiewende oder des Klimaschutzes (z.B. Mobilität, Wohnen, Reisen). Eliten und Vorbilder werden allerdings dringend gebraucht, um eine neue Konsum- und Lebensstilkultur der Energiewende attraktiv zu machen.
10. Energiewendefreundliches individuelles Verhalten muss finanziell belohnt werden (und ist abhängig von weiteren Bedingungen)
Es gibt durchaus definierbare Bedingungen, die gesellschaftliches Engagement und einen energiewendefreundlichen Lebensstil erleichtern und die in einer neuen gesellschaftlichen Strategie der Energiewende zentral diskutiert werden müssen:
- Ein energiewendefreundliches Verhalten (eine Investition, Konsum) muss finanziell belohnt und durch öffentliche Infrastruktur begünstigt werden (und nicht bestraft oder behindert),
- es muss auf bisherige Konsummuster und Lebensstile aufbauen können und positiv auf den gesellschaftlichen Status wirken,
- es muss zum gesellschaftlichen Standard (Normalität statt Exklusivität) werden können oder bereits sein und von überzeugenden Protagonisten im Umfeld vorgelebt werden.
Die Photovoltaik und die Windenergie zeigen, welche Beschleunigung und grundsätzliche Umwälzung das Engagement von privaten Haushalten auslösen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Energiewende muss insbesondere auch als Wende des privaten Konsums gesehen werden. Im Bereich des Energiesparens, des nachhaltigen Verkehrs und Wohnens sind diese Potentiale noch nicht einmal angekratzt.
11. Verrechtlichung: Es braucht eine gesellschaftliche und politische Mehrheit für strikte Klimaschutzgesetze, weitergehendes Ordnungsrecht und Steuerrecht als wichtige Voraussetzungen der Energiewende
Die grundsätzliche rechtliche Absicherung von Zielen des Klimaschutzes und der Energiewende sind heute immer noch schwach. In einer verrechtlichen Gesellschaft unterliegen Interessen, wenn sie nicht rechtlich geschützt sind (darum Denkmalschutz, Naturschutz, etc.). Die Energiewende braucht rechtliche Grundlagen durch allgemeine Klimaschutzgesetze und im Detail durch neues Ordnungsrecht, wie beispielsweise in Zukunft den Neubauverbot für Kohlekraftwerke, Tempolimits, strengere Wärmegesetze etc. Die politische und gesellschaftliche Herausforderung wird sein, für diese weitergehenden Ge-und Verbote die nötige Akzeptanz zu schaffen.
12. Bürgerbeteiligung, Regionalisierung von Wirtschaftsunternehmen, sozialer Ausgleich: die Energiewende braucht ein Gesamtkonzept der „sozialen Energiewirtschaft“
Noch wird die Energiewende vor allem in den Medien als Kostenfrage porträtiert, die angeblich bereits zu großen sozialen Verwerfungen geführt habe. Auch hier ist der Strombereich nur der Vorgeschmack auf die sozialen Debatten der Zukunft (insbesondere bei Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft). Deshalb wird es Zeit, ein Leitbild der erneuerbaren „sozialen Energiewirtschaft“ zu entwickeln. Die Befürworter von Bürgerbeteiligung, Rekommunalisierung, Regionalisierung und Privatisierung von Stromproduktion müssen hier offensiv ein attraktives Gesamtkonzept erarbeiten und dieses gesellschaftlich bewerben. Insbesondere braucht es deutliche Positionen zum sozialen Ausgleich und der wichtigen flankierenden Rolle von Sozialpolitik bei steigenden Energiepreisen, die durchaus politisch gewollt sein können.
Die Langfassung finden Sie auf oekosex.eu
Die 12 Thesen zur Energiewende von Agora Energiewende
Im Klimaschutz ist es Zeit für eine neue gesellschaftliche Normalität: ich habe unterschrieben!
Im richtigen Leben einfach richtig leben
Im Klimaschutz ist es Zeit für eine neue gesellschaftliche Normalität: ich habe unterschrieben!
(28. Januar 2013) Ich brauche noch Zeit für meine angekündigten 12 Gesellschaftsthesen zur Energiewende.
These 1 habe ich schon: Es ist schwieriger über die gesellschaftlichen Voraussetzungen zu schreiben, als über die technischen und politischen Dinge.
Heute ruft ja erfreulicherweise sogar der Bundesumweltminister, es gehe um gesellschaftliche Akzeptanz und um Teilhabe. Jawohl, das ist aber noch kein umfassendes Programm für die Klimaschutz- und Energiewende-Gesellschaft. Deshalb umso interessanter, dass in einem ganz neuen Papier mit dem Titel >>Fahrplan Energiewende<< von Martin Pehnt (IFEU-Institut) und Michael Sterner (Hochschule Regensburg), die gesellschaftliche Dimension konkret diskutiert wird.
Da geht es eben nicht nur um Speicher und Leitungen, sondern auch um Transparenz, aktive gesellschaftliche Akzeptanz, Beteiligung bei Planung und Finanzierung. Kann ich nur empfehlen. Ich habe lange mit Martin Pehnt gesprochen, und er gab zu, dass das bisher wenig in die Tiefe geht. Wo stecken denn jetzt die gesellschaftlichen Blockaden in Sachen Energiewende tatsächlich? Die Medien vermuten, dass eigentlich niemand ein Windrad vor der Tür haben möchte oder eine Stromleitung. Außer er verdient daran.
Das ist aber alles noch ziemlich oberflächlich. Noch weniger analysiert: mit welchen Instrumenten könnte man denn kulturelle und emotionale Totalblockaden im Klimaschutz abbauen? Nehmen wir die deutsche Liebe zum Rasen in völlig überdimensionierten Rennschüsseln auf der Autobahn. Wäre eine Autogefühlswende wirklich entscheidend?
Ich meine ja, und deshalb heißt eine meiner gesellschaftlichen Thesen: Es ist erst mal wichtig herauszufinden, welche Blockaden der umfassenden Energie- und Klimaschutzwende tatsächlich technischer und ökonomischer, und welche kultureller und emotionaler Natur sind.
Das schlimmste sind nämlich Erwartungen an die Gesellschaft in Bereichen, wo Politikversagen vorliegt. "Flieg doch weniger nach Majorka!" Wenn der Flug mit Hotel günstiger ist als die Bahn nach Sylt - wegen gezielter Steuerpolitik - dann ist der Aufruf an den Einzelnen natürlich verlogen. "Fahr doch Kleinwagen", halte ich dagegen für eine pfiffige Aufforderung, mit der man auch viel Geld sparen kann. Viele Linke sagen, es gäbe kein gutes privates Klimaschutzleben im Falschen. Das ist natürlich Quatsch. Da ist mehr machbar, Herr Nachbar, als viele in ihrer privaten Bequemlichkeit zugeben.
Wir brauchen beispielsweise, und damit zu einer meiner Hauptthesen, ein Gruppe von Menschen in der Gesellschaft, die die Energiewende und den Klimaschutz so richtig professionell in ihr eigenes Leben einbauen.
Meint ja auch Claudia Langer von Utopia. Ich denke dabei aber nicht an eine neue Form von Radikalität oder kasteiende Verzichts-Übung einer Minderheit, sondern im Gegenteil als bürgerliche Selbstverständlichkeit und attraktive Normalität für den Mainstream. Die Betonung liegt aber hier auf professioneller Normalität. Eben das Gegenteil von symbolischen Einzelmaßnahmen wie Hybridauto oder regionale Produkte kaufen.
Nein ich meine den eigenen Umstieg zum 100% erneuerbaren Effizienzhaushalt mit angeschlossenem intelligenten Konsum für ein normal, gutes Leben. Dazu kann auch professionelles Kompensieren eigener Emissionen durch die Finanzierung von Projekten weltweit gehören. Nun gibt es dazu gerade eine schöne Kampagne von Horst Emse, der Leute mit seinem Berliner Appell (www.klimaneutral-handeln.de) genau dazu aufruft, nämlich souverän für die sonst anderen aufgebürdeten Lasten unseres Energieverbrauchs einzustehen. Also so viel wie möglich selbst weg vom fossilen Leben und wenn nötig auch zu kompensieren. Das ist mal eine ganz neue Unterschriftenaktion. Damit rufen die Unterzeichner nicht die Regierung auf, sondern verpflichten sich öffentlich zur konkreten eigenen Klimaschutzwende.
Das nenne ich souverän, da habe ich natürlich unterzeichnet. Aus zwei Gründen: weil ich die Ökonomin Claudia Kemfert toll finde, und die hat auch unterschrieben. Und zum zweiten ist das gute Klimaschutzleben ja bereits bei mir zuhause Normalität mit dem 100% erneuerbaren Haushalt. Ich nehme jetzt selbstverständlich an, auch Sie liebe LeserIn werden sich begeistert Einschreiben ins Klimaschutzleben. Weil es eben das Normalste von der Welt ist. Oder?
Zweitausenddreizehn Thesen
Meine These: die Energiewende geht nur mit einer anderen Gesellschaft
(07. Januar 2013) Weihnachten ohne Atom war wieder herrlich. Ich lese im Heimaturlaub zwischen den Jahren immer den Stromzähler meiner Photovoltaikanlage ab, was eine wunderbare Aufgabe ist. Noch schöner ist jetzt der Januar 2013, seit wir unseren eigenen Windstrom in Maastricht zuhause verbrauchen können, womit ich neulich mal so richtig angegeben hatte. Angeben ist bekanntlich eine eher unerfreuliche Charaktereigenschaft, allerdings in der produktfixierten Konsumgesellschaft schlicht systemimmanent. Deshalb auch in Sachen Nachhaltigkeit erste Bürgerpflicht.
Ohne die unglaubliche Aufdringlichkeit der Smartphone Angeber wäre beispielsweise die Verbreitung dieses Spielzeugs nicht so toll gelaufen (und ich hätte wohl keines gekauft). Deshalb gebe ich auch ständig auf Familienfeiern oder bei meinen Nachbarn mit meinem Eigenstrom an. Ich behaupte, Eigenstrom wird der große Trend 2013 in ganz Europa, und wer immer noch keinen hat, ist völlig uncool. Ich werde sogar von meiner niederländischen Windradgenossenschaft einen App kriegen, der mir die aktuelle Produktion auf meinem Smartphone anzeigt. Diese Kombination ist natürlich die Krönung des Angebertums. Damit zeige ich dann meinen Freunden, dass Strom von Energiekonzernen so sexy ist wie Windows 95.
Nachdem ich den Strom an Weihnachten abgelesen hatte, blieb Zeit ein paar Studien zu lesen. Empfehlen kann ich die 12 Thesen zur Energiewende der Initiative Agora (www.agora-energiewende.de). Thesen find ich immer gut, klingt nach ganz lange nachgedacht. „Grundlastkraftwerke gibt es nicht mehr. Gas und Kohle gehen in Teilzeit.“ Ist beispielsweise These Nummer 2. Das widerspricht der landläufigen Meinung der Energiewendegegner, es bräuchte noch längerfristig sogenannte Grundlastkraftwerke. Bei dem ganzen Durcheinander in den deutschen Medien in Sachen Kosten, Solar-Bashing, Leitungen und Speicher sind die Thesen erhellend.
Auch Agora meint im Wesentlichen übernähmen Solar und Wind die deutsche Stromversorgung (These 1), weil sie die günstigsten seien, eben auch mit Blick auf Kohle und Gas. Das Potenzial anderer Erneuerbarer (Wasser, Biomasse, Geothermie) sei eher beschränkt. Dabei ist für eine breite Öffentlichkeit immer noch überraschend, dass die Photovoltaik im sonnenarmen Deutschland eine so wichtige Rolle spielt.
Agora hat berechnet, dass bereits 2015 Onshore-Wind und PV Vollkosten von 7-10 Cent erreichen. Mit sogenannten Back-up Kapazitäten sei das nicht teurer als neue Gas und Kohlekraftwerke. Weitere Thesen beschäftigen sich mit Netzen und Speichern (These 5), wobei insbesondere kurz und mittelfristig nicht Speicher, sondern der Austausch mit Nachbarländern betont wird. Auch gegen den bisherigen Medienmainstream: das Importieren von Strom bei Wind und Sonnenflaute ist nicht etwa Versagen, sondern wichtiger Bestandteil des gewaltigen Ausbaus der Erneuerbaren.
So sei es kurzfristig auch viel sinnvoller, diesen bei Überschuss zu exportieren, als zu Speichern. Das ist spannend, denn ich finde dagegen heute schon Batteriesysteme im Eigenheim genial. Wegen Eigenstromemotionen. Und da sind wir auch bei einem großen Problem der bisherigen Energiewendedebatte. Auch die Agora Thesen sind fast ausschließlich technisch-ökonomischer Natur. Die gesellschaftlichen und emotionalen Voraussetzungen werden nicht diskutiert. Überhaupt wird so getan, als sei der Umbau beim Strom eine Energiewende.
Nein, mein Vorsatz für 2013: ich werde selbst an 12 Thesen zur Energiewende arbeiten.
These 1 hab ich schon: Die Stromwende ist Pipifax im Vergleich mit der Verkehrs-, Ernährungs-und Heizungswende, weil es mehr um technische Innovationen und weniger um Verhalten geht.
These 2: Wesentliche Blockaden der umfassenden Energie- und Nachhaltigkeitswende sind nicht technischer und ökonomischer Natur, sondern kultureller und emotionaler.
Beispiel: Die deutsche Gesellschaft könnte in wenigen Jahren locker 50% weniger Benzin und Diesel verbraten im privaten Autoverkehr. Das wäre technisch machbar (mit Kleinwagen!) und sogar finanziell sehr attraktiv.
These 3: Für die Energiewende müssen wir uns deshalb eine andere Gesellschaft suchen.
Das war jetzt Spaß, denn man muss natürlich nehmen, was da ist!