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Ermessen bei Preiserhöhungen

Amtsgericht verweist Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof.

Ermessen bei Preiserhöhungen

Von Leonora Holling

(27. Oktober 2018) Mit seinem Urteil vom 28.10.2015 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass § 4 Abs.1 und Abs. 2 der Allgemeinen Versorgungsbedingungen Gas und § 5 Abs. 2 der Gasgrundverordnung mit dem Transparenzgebot der EU-Gasrichtlinie 2003/55/EG nicht vereinbar sind (Az. VIII ZR 158/11). Zugleich ermächtigen die Vorschriften, nach Auffassung des BGH, Gasgrundversorger nicht, Preiserhöhungen gegenüber Endkunden zu rechtfertigen. Gleichzeitig befand das höchste deutsche Zivilgericht aber, dass eine Preiserhöhung dennoch „billigem Ermessen“ entspreche, wenn bei richtlinienkonformer Auslegung der Gasrichtlinie die Angemessenheit der Preiserhöhung gemäß § 315 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches nachvollzogen werden kann.

1700 Gerichtssaal / Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

Die gegen diese ergänzende richterliche Vertragsauslegung eingelegten Verfassungsbeschwerden von Verbrauchern sind bekanntlich inzwischen abschlägig beschieden worden (siehe ED 2/2016, S. 9 und ED 1/2018, S.8). Die Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichtes Bremen, den Europäischen Gerichtshof bezüglich Vereinbarkeit der „Ergänzenden Vertragsauslegung des Bundesgerichthofs“ mit EU-Recht anzurufen, scheiterte an der Rücknahme der Berufung seitens des Versorgers. Dort wollte man offensichtlich vermeiden, dass der Europäische Gerichtshof sich zu der kreativen Lösung des Bundesgerichtshofes, Preiserhöhungen zu rechtfertigen, äußert.

Aufsehen muss daher erregen, wenn jetzt auch ein Amtsgericht gegen die Meinung des Bundesgerichtshofes opponiert. Mit Beschluss vom 21. Juni 2018 hat das Amtsgericht Lingen den Rechtsstreit des örtlichen Stadtwerkes gegen eine Endverbraucherin ausgesetzt, um ebenfalls den Europäischen Gerichtshof zu der Vereinbarkeit der ergänzenden Vertragsauslegung mit EU-Recht zu befragen (Az. 4 C 1/18). Spannend wird sein, ob der Versorger vielleicht seine Klage zurücknimmt, um einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu entgehen.

Verbrauchern sollte aber jetzt schon im Klagefall geraten werden, beim zuständigen Gericht auf Aussetzung des eigenen Verfahrens zum Zwecke der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu drängen.

Wärmespeicherstrom

Tarif nach Kündigung

Wärmespeicherstrom: Tarif nach Kündigung

(3. April 2018) Am 7. März 2017 hat der Bundesgerichtshof ein wichtiges Urteil zu Wärmespeicherstrom gefällt (Az. EnZR 56/17), das allerdings erst kürzlich veröffentlicht wurde (RdE 2018, Seite 27). Der Bundesgerichtshof bestätigt in dieser Entscheidung zunächst, dass Sonderverträge im Bereich Wärmespeicherstrom vom Versorger gekündigt werden können. Allerdings könnte nicht angenommen werden, dass automatisch die Abrechnung der Grundversorgung zulässig ist, wenn der Endverbraucher den Abschluss eines neuen Sondervertrages ablehnt. Wird das Versorgungsverhältnis fortgesetzt, entspräche es vielmehr dem Willen der Parteien, dass ein neuer Sondervertrag zu den tariflichen Bedingungen des Versorgers begründet wird.

1700 Taschenrechner / Foto: Meditations (CC0)

Erfreulich an dieser Entscheidung ist, dass damit erstmals höchstrichterlich festgestellt wird, dass im Wärmespeicherstrombereich Grundversorgungstarife nicht anwendbar sind. Gleichzeitig bleibt aber unklar, welche Preise für den konkludent zustande gekommenen neuen Sondervertrag gelten. Was genau unter den „tariflichen Bedingungen“ gemeint ist, hat das höchste deutsche Zivilgericht nämlich nicht definiert.

Vorzeitige Kündigung

Paketpreise bei Umzug

Vorzeitige Kündigung: Paketpreise bei Umzug

(26. März 2018) Der Gasversorger Extraenergie hatte mit einem Verbraucher einen Paketpreis vereinbart. Verbraucht ein Kunde bei einem solchen Pakettarif weniger als vereinbart, muss er dennoch den vollen Paketpreis bezahlen. Verbraucht er mehr, muss er den zusätzlichen Verbrauch besonders teuer bezahlen.

1700 Paket / Foto: OpenClipart-Vectors (CC0)

Ein Verbraucher, der umzog und seinen Vertrag deshalb kündigte, sollte dennoch den vollen Paketpreis für die gesamte Laufzeit zahlen. Der Verbraucher verweigerte die Zahlung, da kein Minderverbrauch, sondern eine vorzeitige Vertragsbeendigung vorliege. Extraenergie klagte auf Zahlung des vollen Paketpreises.

Das Amtsgericht Nordhorn gab dem Verbraucher Recht (Urteil vom 5.12.2017, Az. 3 C  507/17). Der Verbraucher würde andernfalls unangemessen benachteiligt. Das Gericht folgte damit anderen Gerichtsurteilen, wie dem des OLG Köln (Az. 6 U 132/16), die in dieser Frage den Verbraucher eindeutig im Recht sehen.

Pyrrhussieg

Nichtigkeit von Preiserhöhungen

Pyrrhussieg: Nichtigkeit von Preiserhöhungen

(21. März 2018) Über die Frage der Rechtmäßigkeit von Preiserhöhungen wird seit vielen Jahren vor vielen Gerichten in noch viel mehr Verfahren immer wieder gestritten. Und immer wieder glaubt eine Seite gewonnen zu haben: So glaubten zuletzt die Verbraucher mit einem Urteil des EuGH vom 23. Oktober 2014 (Az. C-359/11, C-400/11) gesiegt zu haben. Mit diesem Urteil stellte der EuGH fest, dass die deutschen Anforderungen an Preiserhöhungen den strengeren europäischen Verbraucherschutzrichtlinien nicht genügen und dass darauf gestützte Preiserhöhungen nichtig sind. Doch weit gefehlt. Denn der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil kassiert und seine eigene Rechtsauffassung dagegengesetzt, ohne dies noch einmal vom EuGH prüfen zu lassen.

Dagegen gab es drei Verfassungsbeschwerden, die letztendlich allesamt vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurden. In einem Fall wurde dies ausführlich begründet. Das Verfassungsgericht entschied, dass der BGH hier zu Recht selbst entschieden und nicht zuvor den EuGH gefragt hatte. Ob allerdings die Entscheidung des BGH europarechtskonform ist, darüber hat das Bundesverfassungsgericht nicht entschieden und sich dazu auch nicht geäußert.

Das Oberlandesgericht Bremen hatte in einem Streitfall zwar den EuGH angerufen. Aber knapp vor der EuGH-Entscheidung gab der klagende Versorger den Streit verloren und verhinderte so ein wegweisendes Urteil des EuGH.

Wenn ein weiteres Gericht, das über einen solchen Fall zu entscheiden hat, Zweifel an der Europarechtskonformität der deutschen Linie hegt, kann es diese Frage dem EuGH nach Artikel 267 Abs. 2 AEUV erneut vorlegen. Vermutlich wird dann jedoch wieder der klagende Versorger die Klage zurückziehen.

Energieversorger kneifen vor dem EuGH

Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V. vom 21. Dezember 2017

Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V.

Energieversorger kneifen vor dem EuGH

(21. Dezember 2017) Die Stadtwerke Delmenhorst verklagten einen Verbraucher auf Zahlung von 5.300 Euro. Um diesen Betrag hatte der Verbraucher seine Rechnung in den Jahren von 2005 bis 2012 gekürzt, weil die Preiserhöhungen nicht den Anforderungen des europäischen Verbraucherschutzes entsprachen. Rund 100 andere Verbraucher, die ebenfalls die Gasrechnung jahrelang gekürzt hatten, einigten sich außergerichtlich mit dem Versorger.

Vor dem Landgericht Bremen wurde die Klage der Stadtwerke Delmenhorst zunächst vollumfänglich abgewiesen, weil die Stadtwerke ihrer „Darlegungslast hinsichtlich sämtlicher Preiserhöhungen nicht im Ansatz nachgekommen ist“. (Urteil vom 2.9.2016 Az. 3 O 1712/11, bdev.de/lgbremen). Die Stadtwerke legten dagegen Berufung ein. Das Oberlandesgericht Bremen fragte daraufhin den europäischen Gerichtshof (EuGH), ob die europäischen Verbraucherschutzrichtlinien direkte Gültigkeit in Deutschland entfalten (Beschluss vom 19.5.2017, Az. 2 U 115/16; EuGH Az. C-309/17). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wären die Preiserhöhungen zulässig gewesen. Der BGH hatte sich zuvor mit seiner versorgerfreundlichen Rechtsprechung über ein Urteil des EuGH vom 23.10.2014 hinweggesetzt. Deshalb hat der Fall erhebliche rechtliche Brisanz (siehe bdev.de/eugh).

Nun haben die Stadtwerke Delmenhorst die Berufung überraschend zurückgezogen. Damit erlangt das erstinstanzliche Urteil Rechtskraft. Der Versorger hat also keinen Anspruch auf die Zahlung der gekürzten Rechnungsbeträge. Die Versorger haben offenbar so viel Angst vor dem Urteil des EuGH, dass sie lieber einen Streit verloren geben, als das Risiko eines Urteils des EuGH einzugehen. Es geht darum, ob die Preiserhöhungen dem Verbraucher brieflich mitgeteilt und ausreichend begründet worden ist mit Hinweis auf das Kündigungsrecht des Verbrauchers.

Der betroffene Verbraucher kann sich freuen. Die anderen Verbraucher, die sich auf einen Vergleich eingelassen hatten, profitieren davon nicht mehr. Auch hatte das Amtsgericht Delmenhorst in vielen ähnlichen Fällen dem Versorger Recht gegeben und die Verbraucher mussten die gekürzten Beträge nachzahlen. Auch diese Urteile, in denen wegen eines Streitwertes unter 600 Euro keine Berufung möglich war, behalten Gültigkeit.

Offenbar scheuen die Versorger ein Urteil des EuGH in dieser Sache. Betroffene Verbraucher sollten sich diesen Umstand zunutze machen und auf die direkte Wirkung des europäischen Rechts zu ihren Gunsten hinweisen.

EuGH: Karten werden neu gemischt

Viele Gerichtsverfahren zum Preisprotest werden derzeit mit Hinweis auf die Linie des Bundesgerichtshofes negativ entschieden. Jedoch steht genau diese BGH-Rechtsprechung jetzt wieder einmal beim Europäischen Gerichtshof auf dem Prüfstand.

EuGH: Karten werden neu gemischt

(10. Oktober 2017) Viele Gerichtsverfahren zum Preisprotest werden derzeit mit Hinweis auf die Linie des Bundesgerichtshofes negativ entschieden. Jedoch steht genau diese BGH-Rechtsprechung jetzt wieder einmal beim Europäischen Gerichtshof auf dem Prüfstand.

1700 Karten mischen / Foto: pixabay.com/Counselling

Bekanntlich hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) bisher geweigert, seine Linie, die nach Ansicht vieler Experten klar europarechtswidrig ist, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorzulegen. Dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden sind noch nicht entschieden. Jedoch hat jetzt das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen am 19. Mai 2017 den EuGH diesbezüglich angerufen (OLG Bremen, Az. 2 U 115/16, Vorinstanz: LG Bremen, Urteil vom 02.09.2016 - Az: 3 O 1712/11). Damit ist wieder völlig offen, ob die bisherige BGH-Linie auch künftig Bestand haben wird. Bereits die letzte Entscheidung des EuGH in dieser Sache hatte die zuvor verkündeten BGH-Entscheidungen klar abgelehnt und verworfen, worauf der BGH den Trick mit der ergänzenden Vertragsauslegung aus dem Hut gezaubert hatte.

Kommentar

Prof. Kurt Markert, der früher die Energieabteilung des Bundeskartellamts leitete, hat den Vorlagebeschluss in der Zeitschrift EnWZ Ausgabe 7/2017 kommentiert. Wir zitieren daraus:

„Bis zur Entscheidung des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV dauert es in aller Regel eineinhalb bis zwei Jahre. Nach den beiden Vorlagen des VIII. Zivilsenats des BGH zum Preisanpassungsrecht der Tarifkunden und Grundversorger hat der Senat im Hinblick darauf alle späteren einschlägigen Verfahren nach § 148 ZPO analog vorerst ausgesetzt. Dies empfiehlt sich auch für die Verfahren der Instanzgerichte. Soweit über Zahlungsansprüche von Versorgern und Rückzahlungsansprüche von Kunden nach der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH bereits rechtskräftig entschieden wurde, müssen sich die davon betroffenen Kunden allerdings damit abfinden. Aus dem zu erwartenden Urteil des EuGH zur Vorlage des OLG Bremen könnte auch ersichtlich sein, ob die in § 5 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StromGVV/GasGVV normierte Verpflichtung der Versorger, die Kunden über Anlass, Voraussetzungen und Umfang beabsichtigter Preisanpassungen rechtzeitig vorab zu informieren, ebenfalls eine mit einer ergänzenden Vertragsauslegung ‚nicht heilbare‘ Wirksamkeitsvoraussetzung für diese Anpassungen ist.“

BGH-Rechtsprechung vor dem EuGH

Eine allgemeine Information über Preisänderungen erfüllt die Anforderung nicht, die die EU-Gasrichtlinie an Preiserhöhungen stellt.

BGH-Rechtsprechung vor dem EuGH

(12. Juni 2017) Eine allgemeine Information über Preisänderungen erfüllt die Anforderung nicht, die die EU-Gasrichtlinie an Preiserhöhungen stellt. Jeder einzelne Kunde muss über Gründe und Umfang der Erhöhung sowie seine Kündigungsrechte klar verständlich informiert werden. Ist eine Preiserhöhung dadurch nun insgesamt unwirksam?

Diese Frage hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (Entscheidung vom 19. Mai 2017, Az 2 U 115/16). Wenn der EuGH dies bejaht, ist die gesamte sehr umstrittene BGH-Rechtsprechung zu Preiserhöhungen hinfällig. Dabei könnte es auch eine Rolle spielen, ob das Unternehmen in staatlicher Hand ist.

Wer sich als Verbraucher in einem laufenden Verfahren befindet, sollte das Gericht unbedingt über diesen veränderten Stand informieren und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH beantragen. Viele Verfahren haben auf der Basis der verfehlten BGH-Urteile für Verbraucher in den vergangenen Monaten leider keinen guten Ausgang genommen. Dies könnte sich zukünftig ändern.

Details hier: bdev.de/eughdelm

Grundversorgung

Kündigung unzulässig

Grundversorgung: Kündigung unzulässig

Von Michaela Sievers-Römhild

(29. März 2017) Die Kündigung eines Stromvertrages durch den Grundversorger ist in der Regel unzulässig. Dies entschied das Landgericht Frankenthal in seinem Urteil vom 9. November 2016 (Az. 2 S 74/16).

1700 abschaltbare Steckdose / Foto: Pixabay.com

Es hatte sich folgendes zugetragen: Ein Verbraucher rügte jahrelang die einseitigen Preiserhöhungen des Grundversorgers als unbillig. Er zahlte nicht die volle Forderung, sondern akzeptierte lediglich eine seiner Meinung nach angemessene Preiserhöhung. Der Grundversorger kündigte daraufhin den Grundversorgungsvertrag.

So geht es nicht, entschied in erster Instanz das Amtsgericht Ludwigshafen im Februar 2016 (Az. 2 f C 127/15) und jetzt in zweiter Instanz das Landgericht Frankenthal. Erst müssten Rückstände eingefordert und eingeklagt werden, dann könnte der Strom gesperrt werden und als ultima ratio bliebe die Kündigung. Sonst würde das Prozessrisiko dem Kunden auferlegt.

Das Gericht begründet seine Entscheidung auch damit, dass der Grundversorger erst im Prozess zur Angemessenheit seiner Preiserhöhungen vortrug, aber nicht vorher. Ähnlich entschied das Landgericht Kiel in seinem Urteil vom 29. Juli 2015 (Az. 4 O 96/15):

Die Versorgung von Kunden, die Widerspruch gegen einseitige Preiserhöhungen einlegen und die Rechnungen kürzen, ist dem Energieversorgungsunternehmen nicht wirtschaftlich unzumutbar.

Kritisch beleuchtet

Billigkeit und Preisanpassungsrecht

Kritisch beleuchtet: Billigkeit und Preisanpassungsrecht

(24. März 2017) Zu Beginn des Preisprotests im Jahr 2004 stützten sich die Verbraucherklagen auf die fehlende Billigkeit von Energiepreiserhöhungen nach § 315 BGB. Aber auch das Preisanpassungsrecht der Versorger insgesamt wurde kritisiert und hinterfragt.

1700 Menschenmenge / Foto: Pixabay.com

In der neueren Rechtsprechung haben die beiden Ansätze zueinander gefunden. Der Beitrag von Prof. Kurt Markert für die geplante 4. Auflage des Berliner Energierechtskommentars von Prof. Säcker hat diese Entwicklung klar herausgearbeitet. Wir zitieren aus dem Beitrag mit freundlicher Genehmigung:

„Der Billigkeitsmaßstab des § 315 Abs. 1 BGB ist bereits in das Preisanpassungsrecht sowohl der Tarifkunden- und Grundversorger als auch der Versorger von Sonderkunden integriert. Dieses Recht besteht daher nur, soweit darauf gestützte Preiserhöhungen diesem Maßstab entsprechen. Soweit dies nicht der Fall ist, sind diese Erhöhungen unwirksam und für den Kunden nicht bindend. Da es insoweit an einem wirksamen Anpassungsrecht fehlt, gilt hier auch nicht die „Vereinbarungsthese“ des VIII. Zivilsenats des BGH, der Kunde kann die Unwirksamkeit der Erhöhung auch noch später geltend machen. Macht der Kunde diese geltend, trägt der Versorger, wenn er sich auf die Wirksamkeit seines Anpassungsrechts und der darauf gestützten Preiserhöhung beruft, dafür die volle Darlegungs- und Beweislast. Für eine zusätzliche gerichtliche Billigkeitskontrolle der Erhöhung nach § 315 Abs. 3 BGB besteht dann eigentlich kein Raum mehr. Der Streit über die Billigkeit von Strom- und Gaspreiserhöhungen verlagert sich damit bereits auf die Frage, ob für die jeweilige Erhöhung überhaupt ein wirksames Anpassungsrecht bestand. Dementsprechend muss auch die Vorgehens-weise auf der Kundenseite sein, wenn begründeter Anlass besteht, bei Preiserhöhungen des Versorgers an der Einhaltung des Billigkeitsmaßstabs des § 315 Abs. 1 BGB zu zweifeln.“

Der vollständige Text ist im Internet abrufbar: bdev.de/markert315

Neue Urteile

Kommentiert von Leonora Holling

Neue Urteile

Von Leonora Holling

(22. März 2017) Im Bereich des Oberlandesgerichtes Düsseldorf hatten Nachtspeicherstromkunden nach einem jahrelangen Gerichtsverfahren ebenfalls keinen Grund zum Jubel. Nachdem ihre Sonderverträge gekündigt wurden, behauptete der Versorger, nun Grundversorgungstarife abrechnen zu können. Die zuständigen Gerichte entschlossen sich einen faktischen Sondervertrag anzunehmen und holten ein Sachverständigengutachten zu der Frage ein, welche Preise als angemessen anzunehmen sind.

1700 Menschen / Foto: Pixabay.com

Überraschend bestätigte der Sachverständige jetzt, dass dem Versorger tatsächlich hohe Beschaffungskosten entstanden sein könnten. Entsprechend müssen die betroffenen Endverbraucher nunmehr erhebliche Beträge nachzahlen. Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob der Versorger anderswo günstiger Strom hätte einkaufen können. Allerdings konnten rückwirkend die Preise von neuen Sonderverträgen vereinbart werden. Das Beispiel zeigt zugleich, dass der Preisprotest nicht auf den Umstand gestützt werden kann, ob ein Versorger günstig einkauft.

Seit ein paar Monaten ist zu beobachten, dass Fernwärmeunternehmen ihre Sonderverträge mit dem Hinweis aufkündigen, die Rechtslage habe sich geändert. Dies dürfte jedoch nur teilweise die Begründung für dieses Vorgehen sein. Vielmehr werden die Verbraucher durch die Preisänderungsklausel des Neuvertrages erheblich stärker finanziell belastet. Derzeit ist noch nicht absehbar, wie sich diese Auseinandersetzung mit den Fernwärmemonopolisten entwickelt. Verbraucher sollten aber zögerlich mit der Unterzeichnung neuer Verträge sein und sich rechtlich beraten lassen.

Beachtenswert ist ein Urteil des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichtes (OLG) vom 15. Dezember 2016 (Az. 16 U 18/12).

Betroffene Gasverbraucher hatten zunächst vor dem zuständigen Landgericht in erster Instanz die Billigkeit der Preisentwicklung der Stadtwerke Norderstedt überprüfen lassen und zugleich erklärt, es lägen Sonderverträge vor. Das Landgericht war jedoch von einer Grundversorgung ausgegangen und hatte die Billigkeit nach § 315 BGB geprüft und die Preiserhöhungen bestätigt. Dieses Urteil wurde dann auch in zweiter Instanz vom OLG bestätigt.

Dabei hat das OLG darauf hingewiesen, dass die Feststellung des Landgerichtes, es läge Grundversorgung vor, durch die Verbraucher nicht im Rahmen der Berufung angegriffen worden sei. Es ist empfehlenswert, wie das Beispiel Norderstedt zeigt, immer auch die eigene Einschätzung, welche Art der Versorgung vorliegt, in Verfahren vorzutragen.

Verfassungsbeschwerden

BGH im Schussfeld

Verfassungsbeschwerden: BGH im Schussfeld

(18. März 2017) Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 2015 geurteilt, dass dem Grundversorger ein Preisänderungsrecht aus dem Gesichtspunkt der sogenannten „ergänzenden Vertragsauslegung“ zusteht.

1700 Holzhammer / Foto: Pixabay.com

Zur Erinnerung: Grundversorger hatten in der Vergangenheit Preiserhöhungen damit begründet, dass ihnen § 5 Abs. 2 der Grundversorgungsverordnungen (StromGVV und GasGVV) ein Preisänderungsrecht einräume. Diese Entscheidung war sodann durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kassiert worden. Denn sie war mit dem verbraucherorientierten EU-Recht nicht vereinbar.

Der BGH, der das Urteil des EuGH eigentlich in Deutschland umsetzen sollte, hatte daraufhin angeführt, dass ohne § 5 Abs. 2 GVV dem Versorger überhaupt kein Preisänderungsrecht mehr zur Seite stehen würde. Dies sei eine „Lücke“, da Endverbraucher und Versorger eine solche Folge sicher vermeiden wollten. Somit sei der Vertragswille auszulegen mit dem Ergebnis, dass ein Preisänderungsrecht des Versorgers bestehe.

Gegen dieses Richterrecht hatten Anfang 2016 drei betroffene Endverbraucher mit Unterstützung durch den Bund der Energieverbraucher Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichtes hatte die erste Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Besonders erfreulich ist deshalb, dass im Rahmen einer der beiden anderen Verfassungsbeschwerden (Az. 2 BvR 1131/17 und 2 BvR 1396/16) der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts inzwischen die Bundesregierung zur Stellungnahme aufgefordert hat. Er will offensichtlich näher in eine Prüfung eintreten.

Viele Zivilgerichte haben ebenfalls bereits reagiert und setzen laufende Verfahren weiterhin aus. Betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern, die derzeit Klageverfahren wegen Preisanhebungen in der Grundversorgung führen, ist dringend zu raten, weiterhin auf Aussetzung zu drängen. Die meisten Versorger stimmen einem solchen Antrag erfahrungsgemäß zu.

Auch der EuGH hat sich vor kurzem nochmals im Rahmen eines ähnlich gelagerten Verfahrens zu Wort gemeldet. Er hat die Einhaltung von verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften ausdrücklich – möglicherweise auch gerade an die Adresse des BGH gerichtet – angemahnt. „Eine zeitliche oder inhaltliche Beschränkung von Rückzahlungsansprüchen aufgrund einer gegen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG verstoßenden Klausel ist unzulässig“, so das Urteil des EuGH vom 21. Dezember 2016. Aus dem Urteil ergeben sich einschneidende Folgen, so Prof. Markert. Das Verfassungsgericht wird diese ebenfalls zu berücksichtigen haben.

bdev.de/eughdez16

bdev.de/markerteugh

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letzte Änderung: 19.04.2023