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„Männer, die die Welt verbrennen“

Der erfolgreiche Spiegel-Kolumnist und Buchautor Christian Stöcker beschreibt in seinem gerade erschienenen Buch den Einfluss der fossilen Lobby auf Politik und Gesellschaft und ihre erstaunlichen Propagandaerfolge. Die öffentliche Diskussion braucht dringend eine „Fakteninfusion“, so Stöcker im nachfolgenden Interview. 

(10. Juli 2024)

Energiedepesche: Herr Stöcker, welchen Einfluss nehmen Männer, die die Welt verbrennen, auf unsere Welt? 

Christian Stöcker: Wir leben in einer Welt, in der eine vergleichsweise kleine Gruppe von Personen, Unternehmen, Institutionen große Macht ausübt. Allen voran die Öl-, Gas- und Kohlebranche, aber auch diesen Branchen gewogene, mit ihnen finanziell verbundene, von ihnen finanzierte oder korrumpierte Medienunternehmer, Politikerinnen und Politiker, Lobbyisten, Wissenschaftler, Agenturen, 
Anwaltskanzleien, Thinktanks und Stiftungen, Medienschaffende, Prominente, Industrieverbände und einige wenige extrem reiche Menschen. 

 ED 02/2024 „Männer, die die Welt verbrennen“ (S.12/13) 

Prof. Dr. Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und seit Herbst 2016 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei Spiegel online.

Energiedepesche: Handelt es sich nur um Männer?

Christian Stöcker: Die meisten, die an diesem Netzwerk beteiligt sind, sind Männer. Daher der Titel dieses Buches, der dem einen oder der anderen polemisch vorkommen mag. Die Ziele dieser Männer sind erschreckend simpel: Es geht darum, für möglichst lange Zeit möglichst viel Geld damit zu verdienen, fossile Brennstoffe aus der Erde zu extrahieren und zu verkaufen, um so noch reicher und mächtiger zu werden. 

Energiedepesche: Wie nehmen sie Einfluss auf den Diskurs? 

Christian Stöcker: Die Welt weiß längst, dass CO2-Emissionen die Atmosphäre aufheizen. Doch RWE und insbesondere US-Konzerne finanzierten über viele Jahre mit Hunderten von Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar eine oft sehr aggressive Kampagne, um diese Tatsache zu verschleiern. Sie ließen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attackieren, drängten Politiker aus dem Amt, etablierten das Narrativ, dass es sich bei friedlichem Klimaprotest um „Terror“ handele, verheimlichten Daten, simulierten breite Unterstützung, kauften Studien und vermeintlich unabhängige Fürsprecher. Dass sie damit inzwischen aufgehört hätten, ist ein Irrtum – lediglich die Strategien haben sie geändert. 

Energiedepesche: Welche Gewinne macht die Öl- und Gasbranche?

Christian Stöcker: Die Öl- und Gasbranche hat seit 1970 etwa drei Milliarden Dollar pro Tag Gewinn – nicht Umsatz! – gemacht. Jeden Tag, sieben Tage die Woche, seit über 50 Jahren. Der Autor dieser Studie über fossile Gewinne schreibt darüber: „Es ist eine riesige Menge Geld. Man kann damit jeden Politiker, jedes System kaufen, und ich glaube, das ist auch geschehen. Es schützt [die Öl- und Gasproduzenten] vor politischer Intervention, die ihre Aktivitäten beschränken könnte.“

Energiedepesche:  Wie verhält es sich mit den Subventionen für fossile Energien?

Christian Stöcker: Bis heute gelingt es den Profiteuren der Klimakrise, nicht nur atemberaubende Gewinne mit der fortschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu machen. Sie bekommen dafür auch noch gewaltige Mengen an Steuergeldern. Die Fossilbranchen, die eine Billion Dollar Gewinn im Jahr machen, bekommen dafür 1,3 Billionen Dollar explizite Subventionen. Diese Verzerrung ist aberwitzig. Dass sie selbst gut informierten Leuten unbekannt ist, ist ein erstaunlicher Propagandaerfolg der Fossilindustrie und ihrer Handlanger in Politik und Medien.

Energiedepesche: Ist das der Öffentlichkeit nicht längst bekannt?

Christian Stöcker: Um das abzuschätzen, habe ich in den vergangenen Wochen Hunderten gut informierten Menschen Fragen über die Energiewirtschaft gestellt: über die Gewinne und Subventionen der Öl- und Gasindustrie, den Ausbau erneuerbarer Energien. Die Ausbeute an richtigen Antworten war erschütternd. 

Auch die guten Nachrichten dringen nicht durch: 80 Prozent der im Jahr 2022 weltweit neu zugebauten Kapazität zur Stromerzeugung waren erneuerbar. Und der erneuerbare Zubau wuchs im Anschluss daran, 2023, noch einmal um 50 Prozent. Das ist weitgehend unbemerkt geblieben.

Die Fossilindustrie ist bemerkenswert erfolgreich darin, Informationen, die für sie selbst peinlich oder unangenehm sind, die ihre Narrative stören könnten, aus dem öffentlichen Diskurs und damit den Köpfen der Wählerinnen und Wähler herauszuhalten. Teile der Politik helfen dabei mit ständigen Scheindebatten, Nebelkerzen und echter Desinformation fleißig mit („E-Fuels“, „Wasserstoffheizung“, „Kohlewinter“, „Blackout-Gefahr“ …). Deshalb passiert selbst in demokratischen Gesellschaften bei Weitem nicht genug, um die Katastrophe abzubremsen oder gar aufzuhalten. 

Energiedepesche: Welche Folgen wird der Klimawandel haben?

Christian Stöcker: Was die Klimaforschung vorhergesagt hat, tritt ein. Das spricht für die Qualität der Prognosen, aber gegen unsere Fähigkeit, aus den Prognosen die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wir stehen erst am Anfang der Klimakrise. Klimabedingte Katastrophen vernichten schon jetzt Jahr für Jahr Milliardenwerte und töten mindestens Tausende, vermutlich eher Zehntausende von Menschen und ein Vielfaches an Tieren. Aber vorerst wird es immer schlimmer werden: tödliche Hitzewellen, Monsterstürme, Dürrekatastrophen, Wasserknappheit hier, Extremregen dort und in der Folge Hungersnöte, absterbende Korallenriffe, zerstörte Ökosysteme auch an Land, massenhaftes Artensterben, gigantische Waldbrände, Erdrutsche, durch auftauenden Permafrost bedingte Bergstürze, schmelzendes Polareis, steigender Meeresspiegel ...

Die Wanderungsbewegungen der Gegenwart, von denen sich industrialisierte, reiche Regionen wie Nordamerika oder Europa schon heute überfordert fühlen, werden sich im Vergleich zu dem, was bevorsteht, winzig ausnehmen. 

Energiedepesche: Wie wird es weitergehen mit den CO2-Emissionen?

Christian Stöcker: Die Öl- und Gasvorräte, über die all die börsennotierten und staatseigenen Unternehmen noch verfügen, übersteigen um ein Vielfaches das Restbudget, das wir noch an CO2 in die Atmosphäre blasen können, um die Erwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten unter 1,5 oder auch nur unter 2 Grad zu halten. Sowohl die Staaten, denen diese Vorräte gehören, als auch die Investoren, deren Geld in diesen Konzernen steckt, müssen daher dringend dazu gebracht werden, das CO2 im Boden zu lassen. Es gilt, gewaltige Mengen fiktiven Geldes zu vernichten, um die realen menschlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Im Moment ist davon wenig bis nichts zu sehen. Im Gegenteil, die größten Öl- und Gasfirmen des Planeten planen Investitionen in Höhe von über 850 Milliarden Euro, um weitere Quellen zu erschließen.

Energiedepesche: Sind Wärmepumpen wirklich ein Fortschritt?

Christian Stöcker: Als jemand, der seit mehr als zehn Jahren in einem mit einer Wärmepumpe beheizten, sehr behaglichen Haus wohnt, kann ich aus Erfahrung sagen: Die Behauptung, diese Heiztechnik sei „laut und hässlich“, ist absoluter Nonsens. Die Fakten lauten: Wärmepumpen funktionieren sehr wohl bei kalten Außentemperaturen, in Bestandsgebäuden, in Altbauten ohne Fußbodenheizung und auch ohne aufwendige Renovierung (aber natürlich noch besser in gut gedämmten Gebäuden). Sie erzeugen sehr angenehme Temperaturen und funktionieren auch in Wohnungen und Wohnblöcken, nicht nur in Einfamilienhäusern. Dass ständig vielerorts das Gegenteil behauptet wird, ist sehr im Interesse der Gasbranche, die ihr Netz unbedingt weiter betreiben und weiter mit Gas Geld verdienen will, Klimakatastrophe hin oder her.

Energiedepesche: Wie teuer kommt uns der Abschied von den fossilen Energien?

Christian Stöcker: Die immer wieder gestellte dumme Frage nach den „Kosten“ der Energiewende ist ein Erfolg von rücksichtslosem fossilem Lobbyismus. Richtig müsste es ohnehin nicht „Kosten“, sondern „Investitionen“ heißen. Investitionen, die sich sehr schnell rechnen, und zwar gleich doppelt: Sie sparen schon mittelfristig jede Menge Geld ein, und sie helfen, die weitere Eskalation der Klimakrise zu verhindern.

Der Diskurs über die energieökonomische Zukunft Deutschlands und der Welt braucht dringend eine massive Fakteninfusion. Das ist nicht nur existenziell für einen funktionierenden demokratischen Diskurs – sondern auch für die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stöcker. 
    
• Die Quizfragen von Christian Stöcker: www.bdev.de/stoeckerfragen

 ED 02/2024 „Männer, die die Welt verbrennen“ (S.12/13) 

Die Antworten auf unsere Fragen stammen aus dem neuen Buch von Christian Stöcker, „Männer, die die Welt verbrennen“ (soeben erschienen im Ullstein Verlag), und seiner wöchentlichen Kolumne „Der Rationalist“ auf Spiegel Wissenschaft.
In dem Buch belegt Stöcker seine Ausführungen mit zahlreichen Quellen, die wir hier nicht wiedergeben konnten.

letzte Änderung: 23.09.2024