Interview mit Prof. Dr. Uwe Leprich

Neu aufgesetzte Energiewende von unten

Interview mit Prof. Dr. Uwe Leprich

(23. Februar 2025)

Energiedepesche: Herr Professor Leprich, wie stehen die Chancen, dass sich das komplexe System des Strommarktes umstrukturieren lässt? 

Uwe Leprich: Die Umstrukturierung des Stromsektors ist ja bereits seit den Anfängen der Liberalisierung zur Jahrtausendwende in vollem Gange. Ging es zunächst um die Einführung von Wettbewerb auf den unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen, stand schon bald der ehrgeizige Ausbau der dargebotsabhängigen erneuerbaren Energien Wind und Solar im Mittelpunkt. Beide paradigmatischen Ansätze haben diesen Sektor bis heute fundamental verändert. 

  ED 01/2023 Strommarktdesign als Sektordesign  (S. 24/25)
ED 04/2024 Neu aufgesetzte Energiewende von unten (S.12)  

Prof. Dr. Uwe Leprich ist seit 1995 Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) und leitete von April 2016 bis März 2018 die Abteilung Klimaschutz und Energie des Umweltbundesamts.

Nun geht es darum, dass Wind- und Solaranlagen vollständig den Taktstock übernehmen und der Stromsektor immer stärker mit dem Wärmesektor zusammenwächst. Dezentralisierung, Flexibilisierung und Digitalisierung werden diese weitere Umstrukturierungsphase prägen und ich bin optimistisch, dass dies in enger Abstimmung mit den Bürgern und den Entscheidungsträgern vor Ort gelingen kann. Wie schnell es gehen wird, hängt von den weiteren Kostendegressionen der notwendigen Technologien, den politisch-regulatorischen Rahmenbedingungen und der Verfügbarkeit der Umsetzungsakteure ab.

Energiedepesche: Wie kann man vorgehen, um die Umstellung zu schaffen, ohne zu wissen, wie genau das künftige System aussehen soll? 

Uwe Leprich: Die Richtung ist doch ziemlich klar: Der weitere Ausbau von Wind- und Solaranlagen ist gesetzlich festgelegt, der Zubau der notwendigen Backup-Kapazitäten politisch eingestielt und mit der kommunalen Wärmeplanung müssen in den nächsten Jahren die Hausaufgaben vor Ort gemacht werden, die die Ausgestaltung eines dekarbonisierten Strom-Wärme-Systems auf kommunaler und regionaler Ebene ermöglichen. Der Grad der Dezentralität dieser Systeme sowie die Wahl der Techniken zur Sicherung der Versorgung werden sich auf der Zeitachse über den Reifeprozess der zur Verfügung stehenden technischen Optionen entscheiden und lassen sich aus heutiger Sicht nicht exakt vorhersagen. Die Politik kann den Umstellungsprozess sicherlich eine Zeit lang hemmen und Weichenstellungen verzögern, die Richtung ändern kann sie jedoch aller Voraussicht nach nicht. Schön wäre natürlich eine aktive Rolle der Politik beim Design eines dezentralen Strom-Wärme-Sektors als Kernelement einer neu aufgesetzten Energiewende von unten.

Energiedepesche: Welche Rolle spielen dabei gegensätzliche Interessen beispielsweise der Fossillobby, der gutverdienenden Beratungsgesellschaften, der Kommunen und der Erneuerbaren-Lobby?

Uwe Leprich: Die Fossil- und die Atomlobby sind global immer noch sehr einflussreich, in Deutschland jedoch ist quasi nur noch die Gaslobby übrig geblieben, die natürlich versuchen wird, Erdgas, solange es irgend geht, im Spiel zu halten. Das ist auch nicht dramatisch, solange es keinen konkurrenzfähigen Wasserstoff gibt. Die Erneuerbaren-Lobby denkt meines Erachtens viel zu strukturkonservativ und hält am zentralistischen System fest, ohne die Chancen einer Dezentralisierung zu erkennen. Die Beraterszene heute ist entweder geprägt von Transporteuren der jeweiligen Auftraggebermeinungen oder von neoliberalen Lehrbuch-Verkündern, die bei einer solchen fundamentalen Umstrukturierung nicht wirklich weiterhelfen. Die Kommunen fühlen sich heute schon vielfach überfordert und versuchen vieles abzuwehren, was mit Neuerungen und Geldausgeben zu tun hat. Wichtig wäre in dieser Situation insbesondere eine massive Unterstützung der Stadtwerke und Regionalversorger, damit diese in die Rolle von Sektormanagern des kombinierten Strom-Wärme-Sektors hineinwachsen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

letzte Änderung: 25.06.2013