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Trotz gigantischer Zubauzahlen erneuerbarer Energien fragt sich mancher, woher der Strom in einer kalten Winternacht kommen soll

Die Angst vor der Stromflaute

Trotz gigantischer Zubauzahlen erneuerbarer Energien fragt sich mancher, woher der Strom in einer kalten Winternacht kommen soll, wenn gleichzeitig Windstille herrscht und zahlreiche Stromverbraucher wie Heizöfen, Lampen und Herde laufen.

(26. März 2012) Stellen wir uns vor, es gibt genügend Wind- und Sonnenkraftanlagen in Deutschland gibt, um den jährlichen Strombedarf zu decken. Dann gilt es noch, zwei Probleme zu lösen.

Erstens müssen die über Stunden und wenige Tage schwankenden Leistungen (und Energiemengen) durch ein sogenanntes Lastmanagement und kurzfristige Speicher wie Pumpspeicher, Lastausgleich mit Nachbarregionen und Nachbarländern und neuen Speichern ausgeglichen werden.

Zweitens müssen ausreichend Speicher oder Ersatzkraftwerke zur Verfügung stehen, um eine längere Sonnen- und Windflaute zu überbrücken. Es muss damit gerechnet werden, dass Erneuerbare beispielsweise im Winterhalbjahr über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen so gut wie keine Leistung zur Verfügung stellen. Energielieferungen aus dem Ausland können in diesem Fall nicht helfen, denn möglicherweise sind auch die Nachbarländer von der Energieflaute betroffen.

Lastmanagement mit Speichern

Für jede einzelne Sekunde im Jahr muss die Kapazität der Kraftwerke im Stromnetz genauso groß sein wie der aktuelle Bedarf aller Verbraucher. Man redet von der „Last“ und meint damit die zur Verfügung stehende Kraftwerksleistung. Sie wird gemessen in Gigawatt (ein Gigawatt = 1.000 Megawatt = 1.000.000 Kilowatt). Ein Atomkraftwerk hat etwa die Leistung von 1.300 Megawatt, eine einzelne große Windkraftanlage leistet fünf Megawatt.

1580 Diagramm Durchschittliche Nachfrage nach elektrischer Energie (Last) in Deutschland

Spitzenlast und Kraftwerkskapazitäten müssen aber nicht nur für das gesamte Land übereinstimmen, sondern auch für jede einzelne Region. Gibt es ein regionales Ungleichgewicht, weil in der einen Region mehr Kraftwerke produzieren, während in einer anderen mehr Strom verbraucht wird, dann müssen genügend Leitungen für den Stromtransport von Region zu Region zur Verfügung stehen.

Täglich verbraucht Deutschland etwa zwei Terawattstunden Strom (zwei Milliarden Kilowattstunden). Die Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland können nur 0,038 Terawattstunden Strom speichern. Sie haben eine Leistung von sieben Gigawatt – genug, um den Stromverbrauch Deutschlands für ganze 30 Minuten zu decken. Ganz Europa verfügt über Pumpspeicherkraftwerke mit einem Speichervermögen von 0,3 Terawattstunden. Es wird klar, dass neue kostengünstige, möglichst verlustfrei arbeitende Speicher benötigt werden.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zwei Lösungen für dieses Problem vorgeschlagen:

  • Bau von Druckluftspeicherkraftwerken mit einer Kapazität von 32 Gigawatt und einem Speichervolumen von 3,5 Terawattstunden.
  • Import von Strom aus Skandinavien oder Nordafrika.
Höchstlast mit Sicherheitspuffer

Derzeit werden laufend neue Wind- und Sonnenkraftwerke gebaut, allein im Jahr 2011 mit einer Leistung von neun Gigawatt, während die konventionelle, gesicherte Stromerzeugung in den kommenden Jahren ständig zurückgehen wird. Wie sehen also die tatsächlichen Lastverhältnisse und Speicherkapazitäten heute und in den kommenden Jahren aus? Dazu hat das Arrhenius-Institut für Energie- und Klimapolitik in Hamburg eine Studie erarbeitet.

Im Jahr 2010 lag die Jahreshöchstlast in Deutschland bei 77 Gigawatt. Die gesicherte Leistung im Januar 2011 lag bei 93 Gigawatt. Mit Erneuerbaren betrug die gesamte Leistung 160 Gigawatt. Die europäischen Netzbetreiber wollen aus Sicherheitsgründen, dass die verfügbare gesicherte Kraftwerksleistung elf Prozent über der zu erwartenden maximalen Last liegt – also 85 Gigawatt.

1580 Diagramm Entwicklung der Nettoleistung konventioneller Kraftwerke in Deutschland bis 2030

Die Grafik oben stellt dar, wie sich die Leistung konventioneller Kraftwerke in Deutschland bis 2030 entwickelt. Dabei sind auch schon im Bau befindliche neue Kraftwerke berücksichtigt, die bis 2014 ans Netz gehen. Bis 2030 werden lediglich noch 60 Gigawatt gesicherter Kraftwerksleistung zur Verfügung stehen.

Von Winterflaute keine Spur

Selbst im Rekordwinter 2012 produzieren Deutschlands Kraftwerke mehr Strom als benötigt: Derzeit beträgt der Überschuss 4.000 bis 5.000 Megawatt. Das entspricht der Leistung von drei bis vier Atomkraftwerken. Deutschland liefert diese überschüssige Kapazität derzeit ins Atomkraftland Frankreich, wo aufgrund zahlreicher Stromheizungen ein hoher Bedarf herrscht. Schuld am winterlichen Überschuss ist die Photovoltaik: Die „tageszeitung“ berichtete am 3. Februar 2012 über die sonnigen und extrem kalten Tage: Zu den Stunden der höchsten Last in der Mittagszeit trug die Sonne zwischen 6.000 und 8.000 Megawatt zur Stromerzeugung bei, so viel wie fünf bis sechs Atomkraftwerke.

Zu einem kleineren Anteil können auch erneuerbare Energien zur sicher verfügbaren Leistung gezählt werden. Aus Erfahrungen der Vergangenheit ist bekannt, dass irgendwo in der Bundesrepublik immer Wind weht. Deshalb können fünf Prozent der Windkraftanlagen (Off-Shore: sieben Prozent) als gesichert gelten sowie alle Laufwasserkraftwerke und die Speicherkraftwerke. Auch die Leistung der Bioenergie sollten künftig so ausgelegt sein, dass sie Brennstoff für Spitzenlaststromerzeugung speichern können. So könnten künftig 50 Prozent der Bioenergie zur gesicherten Leistung zählen.

Bis 2030 fehlen demnach elf Gigawatt gesicherte Leistung. Diese Lücke ist durch Neubau von zehn bis 20 neuen Gaskraftwerken zu decken. Das entspricht Investitionen von drei bis sechs Milliarden Euro. Speichermöglichkeiten spielen bei dieser Betrachtung keine Rolle. Wenn jedoch Speicher vorhanden sind, dann reduzieren sie den Bedarf an Spitzenleistung.

100 Prozent Erneuerbare

Denkt man über das Jahr 2030 hinaus, dann sollen Erneuerbare Kohle- und Gaskraftwerke ganz ersetzen. Dazu müssten wesentlich größere und dezentrale Speichermöglichkeiten erschlossen werden.

In Deutschland gibt es bereits viele Tausend dezentrale Kleinst- und Kleinkraftwerke. Obwohl jedes einzelne Kraftwerk nur eine geringe Leistung hat, können sie in der Summe eine nennenswerte Größe ausmachen – sogenannte „Schwarmkraftwerke“.

Denkbar ist auch eine Umwandlung überflüssigen Stroms in Wasserstoff oder Methan. Künstlich erzeugtes „Erd“-Gas könnte in den bereits vorhandenen Gasleitungen oder Gasspeichern lagern und als Puffer für größere Energiemengen dienen.

1580 Diagramm Netzstabilität mit Erneuerbaren und Erneuerbare

Darüber hinaus gibt es unkonventionelle Speicherideen, etwa das Hubkraftwerk von Eduard Heindl. Dieses Konzept erhielt kürzlich den Erfinderpreis. Schon allein zwei solcher Anlagen könnten den Tagestrombedarf von Deutschland liefern und damit wesentlich zum Abbau von Jahreshöchstlasten beitragen: Der Lageenergiespeicher ist eine große Felsmasse, die mit konventionellen Methoden aus dem umgebenden Gestein gesägt wird. Danach wird der Felszylinder abgedichtet. Pumpt man Wasser unter den Felszylinder, wird dieser angehoben und speichert Strom. Benötigt man Strom, wenn etwa die Sonne nicht scheint, wird das Wasser über eine Turbine geleitet und erzeugt Strom. Ungewöhnlich ist, dass die Speicherkapazität mit der vierten Potenz des Zylinderradius wächst, die Baukosten aber nur mit der zweiten Potenz. Damit können, laut Heindl, praktisch beliebig günstige Speicher gebaut werden.

Auf der anderen Seite lässt sich auch die Nachfrage zum Teil variieren: Die Stromtarife könnten so gestaltet sein, dass ein geringer Verbrauch belohnt wird (siehe Bye-bye Grundpreis). Kalifornien und Italien konnten mit solchen Maßnahmen die Lastspitze deutlich senken.

Fazit: Trotz rasch steigender Anteile von erneuerbaren Energien bleiben konventionelle Kraftwerke in den kommenden 20 Jahren unverzichtbar, um Spitzenlasten zu bestimmten Zeiten abzudecken. Sie stehen aber auch in genügender Zahl zur Verfügung. Bis 2030 fehlen lediglich fünf bis zehn Gigawatt an Kraftwerksleistung.

letzte Änderung: 03.01.2014