Rekommunalisierung mit Hindernissen
Die Stromkonzerne behindern durch eine Reihe halblegaler Praktiken die Übernahme örtlicher Verteilnetze durch die Kommunen. Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie berichten über eine neue Studie dazu.
(16. Juni 2013) Derzeit laufen in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden Konzessionsverträge für Strom und Gas aus. Das eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, die Konzession für den Netzbetrieb neu zu vergeben und damit auch, die Netze zu rekommunalisieren. Doch der Wettbewerb um die örtlichen Verteilnetze ist unfair ausgestaltet und durch behinderndes Verhalten der Altkonzessionäre sowie eine asymmetrische Wettbewerbssituation gekennzeichnet. Dazu zählen Regelungslücken im Energierecht, diskriminierende Auslegungsgrundsätze geltender Gesetze und behördliche Vollzugsdefizite. Diese Mängel werden von den Stromkonzernen systematisch genutzt, um örtliche Stromnetzübernahmen zu verhindern.
Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie
Aber auch Anreize oder Sanktionen gehören zum Umfang ihrer Aktivitäten. Eine jetzt vorgelegte Kurzstudie des Wuppertal Instituts zeigt, welche Behinderungspraktiken die Stromkonzerne beim Wettbewerb um örtliche Stromnetze anwenden.
Von den in der Abbildung genannten Strategien werden im Folgenden einige beschrieben:
Zu hoher Netzpreis: Ein deutlich zu hoher Netzpreis ist trotz der bisherigen Novellierungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) immer noch das gängigste Argument der Altkonzessionäre, drohende Rekommunalisierungen zu verhindern. Denn in § 46 EnWG ist bislang nicht klar geregelt, zu welchem Preis ein Netz verkauft werden soll. Die Rechtsprechung (z.B. im Fall Kaufering, BGH-Urteil von 1999) sowie die Empfehlungen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur in ihrem gemeinsamen Leitfaden von 2010 sind inzwischen eindeutig: Es gilt nicht der Sachzeitwert, sondern der oft weitaus niedrigere Ertragswert.
Drohung mit Arbeitsplatzverlusten: Kommunen, die Filialen, Schaltzentralen, Werkstätten oder ähnliche Niederlassungen des Altkonzessionärs in der Kommune beherbergen, wird gedroht, dass bei einer durchgeführten Rekommunalisierung oder Vergabe des Konzessionsvertrags an einen anderen Netzbetreiber diese Betriebsstellen geschlossen werden.
Landschaftspflege: Hierunter fallen Strategien aus dem Bereich des Sponsorings (beispielsweise für Sportvereine) sowie die Einbindung wichtiger kommunaler Mandatsträger in Beiräten. Beim Sponsoring wird die Unterstützung häufig an einen Fortbestand der Konzession gebunden. Lukrative Vergütungen weniger Beiratssitzungen führen zu Abhängigkeiten oder zumindest Verpflichtungsgefühlen.
Verweigerung der Datenherausgabe: Will eine Kommune (oder ein Wettbewerber) ein Netz kaufen, braucht sie ausreichende und verlässliche Daten zum Mengengerüst. Denn nur dann kann sie abschätzen und erfahren, in welchem Zustand sich das Netz befindet und wie die sogenannte Erlösobergrenze definiert ist. Die Konzerne geben diese netzrelevanten Daten oft nicht, nur teilweise oder sehr spät heraus. Die Gemeinden haben seit der Neuregelung des § 46 EnWG im Jahr 2011 einen Anspruch auf rechtzeitige Herausgabe der Daten. Leider wurde im Gesetz keine Aussage darüber getroffen, welche netzrelevanten Informationen der Altkonzessionär zur Verfügung stellen muss.
Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben: Aufgrund entstehender Verzögerungen kann häufig bis zum Auslaufen des Konzessionsvertrages der Netzbetrieb nicht an den vorgesehenen neuen Netzbetreiber übergeben werden. In solchen Interimszeiten weigern sich viele Altkonzessionäre, die weiterhin über den Strompreis vereinnahmten Konzessionsabgaben an die Kommune auszuzahlen. Damit setzt man die betroffenen Kommunen finanziell erheblich unter Druck, da die Einnahmen aus Konzessionsabgaben für sie eine wichtige Einnahmequelle darstellen.
Peter Becker und Wolf Templin, erfahrene Fachanwälte aus Berlin, weisen auf weitere Praktiken hin, die Altkonzessionäre unter Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung dann anwenden, wenn sich die Gemeinde bereits für die Konzessionsvergabe an einen Neukonzessionär entschieden hat. Dabei geht es um
- Verweigerung von Kaufvertragsverhandlungen,
- Verweigerung der Netzübertragung und
- Verweigerung einer zügigen Netzentflechtung.
Ziel dabei ist immer, eine diskriminierungsfreie Konzessionsvergabe zu erschweren.
Kommunen können gegen missbräuchliches Verhalten der Stromkonzerne vorgehen
Vor dem Hintergrund der genannten Praktiken konstatieren Becker und Templin: „Die wettbewerblichen Behinderungen sind nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern stellen ein bundesweites Phänomen dar“ (Becker/Templin 2013, S. 10). So sei die Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben eine Praxis, die von den Altkonzessionären „systematisch und im großen Stil“ betrieben werde. Die Stromkonzerne kennen die „Ausstrahlungswirkung“ dieser Praktiken, die dazu führe, dass viele netzübernahmewillige Städte und Gemeinden und auch potenzielle neue Netzbetreiber abgeschreckt würden. Das heißt, eingeschüchterte Kommunen entscheiden sich aus Furcht für eine Fortsetzung mit dem Altkonzessionär und potenzielle Wettbewerber scheuen das Risiko, sich mit dem „Platzhirsch“ auseinandersetzen zu müssen.
Die Berliner Anwälte reklamieren außerdem, dass das Bundeskartellamt die Wettbewerbslage falsch beurteile. Denn es weise nur den Gemeinden (als einzigem Anbieter der Konzession) eine marktbeherrschende Stellung zu. Dass die Altkonzessionäre als alleinige Inhaber der netzrelevanten Daten selbst marktbeherrschend sind, werde von der Behörde nicht erkannt.
Die Fachanwälte belegen unter Verwendung zahlreicher Gerichtsurteile, behördlicher Beschlüsse, Gesetzesbegründungen etc. ausführlich, dass die Praktiken der Stromkonzerne als missbräuchliches Verhalten im Sinne der §§ 30 und 32 EnWG einzustufen sind. Zudem seien alle Praktiken, die dazu dienen, Kommunen bei Konzessionsvergabeverfahren unter Druck zu setzen (z.B. Einstellung von Sponsoring), unzulässige Verstöße im Sinne der §§ 19, 20 und 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Betroffene Gemeinden sollten sich auf jeden Fall wehren. Sie können nach § 30 Abs. 2 energierechtliche Missbrauchsverfahren und nach § 32 Abs. 1 EnWG auch zivilgerichtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen.
Becker und Templin schlagen zur Problemlösung vor, dass Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die missbräuchlichen Praktiken der Altkonzessionäre beim Wettbewerb um örtliche Strom- und Gasnetze thematisieren und verbieten. Die Studie des Wuppertal Instituts liefert zudem einen Überblick über den Stand der Gesetzesinitiativen und macht Vorschläge, wie der rechtliche Rahmen so gestaltet werden kann, dass die Wettbewerbssituation fairer wird.
Verwendete Literatur
Becker/Templin 2013: Missbräuchliches Verhalten von Netzbetreibern bei Konzessionierungsverfahren und Netzübernahmen nach §§ 30, 32 EnWG, in: Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2013, Heft 1, S. 10-18.