ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Klimakompensation

CO2-Emissionen

Klimaschutz schöngerechnet

CO2-Emissionen: Klimaschutz schöngerechnet

Von Louis-F. Stahl

(15. Juni 2022) Eine Klimakonferenz jagt die nächste und von Klimaabkommen zu Klimaabkommen überbieten sich die teilnehmenden Staaten mit CO2-Minderungsversprechen. Die US-Zeitung „Washington Post“ hat sich die Berichte einiger Staaten über angeblich erfolgte Klimagasminderungen näher angesehen und erstaunliche Details zutage gefördert. Wie die Staaten ihre eigenen Klimaschutzmaßnahmen selbst bewerten, ist nämlich nicht einheitlich geregelt.

So schreibt sich beispielsweise Malaysia für seine Waldflächen viermal so hohe CO2-Minderungsmengen pro Flächeneinheit gut, wie das Nachbarland Indonesien. Das Ergebnis: Malaysia hat allein durch diesen einen Rechentrick 243 Millionen Tonnen CO2 gespart und darf von sich behaupten, die selbst gesteckten Klimaziele einzuhalten. Ein weiteres Beispiel ist die Zentralafrikanische Republik, die laut eigenen Angaben im Jahr 2010 gut 1,8 Milliarden Tonnen CO2 eingespart haben will. Eine solche Menge entspräche den gesamten Emissionen von Ländern wie Russland oder Japan sowie mehr als dem Doppelten der deutschen CO2-Emissionen.

Auch bei den deklarierten Emissionen wurden abenteuerliche Angaben aufgedeckt. Vietnam deklarierte beispielsweise in einem Bericht aus dem Jahr 2018, dass die Emissionen der aus Klima- und Kühlanlagen entweichenden F-Gasen im Land einem CO2-Äquivalent von 23.000 Tonnen entsprächen. Eine unabhängige Untersuchung durch Wissenschaftler von 13 Universitäten kommt zu dem Ergebnis, dass die in diesem Bereich deklarierten Emissionen nur rund einem Prozent der tatsächlichen Emissionen entsprechen dürften.

„Im Ergebnis sind alle Zusagen und Versprechungen Fantasie“, befindet der Klimawissenschaftler Prof. Philippe Ciais von der Universität Paris-Saclay. So lange „zwischen der Bilanzierung und den realen Emissionen große Diskrepanzen bestehen“, haben die Versprechen kaum einen Wert.

Fragwürdige CO2-Kompensationen

Von Aribert Peters

(23. April 2019) Viele Menschen sind bemüht, sich im Alltag möglichst klima- und umweltschonend zu verhalten. Doch die CO2-Emissionen durch Flugreisen sind häufig um ein Mehrfaches höher als die Alltagsemissionen. Der Durchschnittsdeutsche verursacht jährliche CO2-Emissionen von 11,6 Tonnen. Klimaverträglich wären nur 1,8 Tonnen. Der Verzicht auf Fleischkonsum reduziert die CO2-Emissionen um rund 500 kg jährlich. Wärmedämmung spart noch einmal etwa 500 kg pro Jahr. Das lässt sich mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamtes ausrechnen.

2109 Flugzeug Lufthansa / Foto: code83 (CC0)

Mit Flügen reißen wir dann alle Umweltentlastungen ein, die wir mit viel Mühe im Alltag errungen haben. Im Schnitt schlagen Auto, Bus und Bahn mit jährlich 1,61 Tonnen CO2 zu Buche, Flugreisen mit 0,58 Tonnen. Kräftig ins Kontor schlagen insbesondere Fernflüge: Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Sydney verursacht je Passagier 10 Tonnen CO2, nach Gran Canaria 1,9 Tonnen und nach New York 3,8 Tonnen CO2.

Wer unbedingt fliegen muss, kann die dadurch verursachten Emissionen wieder kompensieren. Man zahlt je Tonne CO2-Emission zwischen 5 und 23 Euro an eine Organisation, die für dieses Geld eine Emissionsminderung verspricht. Für einen Flug nach Neuseeland sind etwa 236 Euro zu zahlen. Verbraucher können den gewünschten CO2-Ausgleich über die Internetseiten der Anbieter abwickeln. Die Emissionen sind jedoch durch den Flug unabhängig von der Kompensation entstanden und wenn sich in den kommenden 16 Jahren die Zahl der Flugpassagiere von 4 auf 8 Milliarden verdoppelt, so wird die Kompensation daran nichts ändern.

Die Stiftung Warentest hat sechs Anbieter für Klimakompensationen von Flugreisen unter die Lupe genommen. Entscheidend für das Testurteil war vor allem die Qualität der Kompensation. Die besten Noten gab es für Projekte, die nach dem „Gold-Standard“ ausgestellt sind, einem Gütesiegel für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern. Mit der Note „sehr gut“ abgeschnitten haben Atmosfair, Klimakollekte und Primaklima. Atmosfair kompensiert auch Kreuzfahrten und baut Biogasanlagen, Solaranlagen sowie effiziente Öfen in Ruanda oder in anderen Entwicklungsländern. Das Pflanzen von Bäumen ist hingegen umstritten, weil die Bäume irgendwann gefällt und verbrannt werden könnten, wobei das gebundene CO2 wieder freigesetzt wird.

Klimakompensation

Zusätzlich zu einem Flugticket kann man ein Zertifikat kaufen, das die Umweltbelastung des Flugs wieder ausgleicht.

Klimakompensation

(23. Dezember 2007 aktualisiert 11. Mai 2010) Zusätzlich zu einem Flugticket kann man ein Zertifikat kaufen, das die Umweltbelastung des Flugs wieder ausgleicht. Statt selbst auf Emissionen zu verzichten, bezahlt man dafür, die verursachten Emissionen wieder zu binden oder auf künftigen CO2-Ausstoß zu verzichten. Einige Autohäuser verkaufen mit dem Auto eine Klimakompensation für 15.000 Kilometer Autofahrt. Eine Vignette dazu ist gut sichtbar an der Windschutzscheibe angebracht. Es gibt auch schon "klimaneutrale" Tagungen und Bücher.

Fliegen und Autofahren schadet dem Klima jedoch, egal ob man zusätzlich ein Klimazertifikat erwirbt oder nicht. Man könnte das Zertifikat auch erwerben, ohne zu fliegen oder Tagungen zu veranstalten.

Klimasiegel durchgefallen

Die Bostoner Tufts-Universität hat 13 Klimasiegel untersucht und nur vier empfohlen, darunter Atmosfair und Myclimate. Die anderen scheiterten an zu hohen Verwaltungskosten, falschen CO2-Berechnungen und dem Fehlen effizienter Projekte.

Download Studie:

Wenn die finanzierte Maßnahme auch ohne die zusätzliche Förderung zustande käme, weil sie zum Beispiel wirtschaftlich ist, dann ist die Förderung überflüssig und das Geld dafür hinausgeworfen. Viele Maßnahmen sind jedoch entweder sowieso wirtschaftlich oder erhalten anderweitig Fördergelder.

Die Wirkungsweise von Zertifikaten

Die Klimaverbesserer führen entweder selbst eigene Projekte zur Klimaverbesserung durch oder sie kaufen eines der zahlreichen Emissionszertifikate am Markt. Letzteres ist einfacher und günstiger. Der Nutzen hängt davon ab, wie überzeugend das Zertifikat ist (siehe Kasten). Durch den Kauf eines Zertifikats kann dieses individuelle Dokument nicht mehr den Ausstoß von Emissionen ermöglichen. Es stammt entweder aus einer größtenteils kostenlosen Zuteilung eines EU-Mitgliedsstaats an einen Emittenten oder es ist das Ergebnis eines Emissionsminderungsprojekts in einem Entwicklungsland mit (CER) oder ohne (VER) anerkannte Kontrolle gedruckt.

Preise verschieden

Die Preise der Klimaverbesserer unterscheiden sich gravierend: Bei Atmosfair kostet eine Tonne CO2 ungefähr 20 Euro, bei "Prima-Klima-Weltweit" dagegen nur zehn Euro. Atmosfair investiert in teure Energieprojekte, die unter Beachtung hoher sozialer Standards Klimagase in Entwicklungsländern einsparen: zum Beispiel ein Solarküchen-Projekt in Indien oder eine Biogas-Anlage in Thailand. Prima-Klima lässt Bäume pflanzen. Das ist weitaus billiger. Jedoch kann niemand vorhersehen, ob diese Bäume auch in hundert Jahren noch stehen und CO2 binden. Bei der Climate Company kostet das Klima-Zertifikat für eine Tonne CO2 sogar 59,90 Euro. Aber nur 16 Euro fließen über den Erwerb eines VER-Zertifikats in ein Projekt, das sind gerade 27 Prozent. Bei Atmosfair fließen 88 Prozent in Projekte.

Emissionszertifkate

Der Emissionshandel gilt laut verschiedenen Studien, z. B. der Dag-Hammarskjöld-Stiftung, als fragwürdig. Der Handel dient eher den Interessen von Emissionshändlern, Zertifizierern, Wissenschaftlern und Bürokraten als einer effektiven Emissionsverminderung. Viel Geld verschlingt das Handelssystem selbst. Klimaschützer bemängeln zudem, der Ablasshandel verringere den Druck, das Verhalten nachhaltig zu verändern. Vergleicht man Aufwand und Ertrag vom Emissionshandel mit direkten Investitionen in Erneuerbare, dann schneidet der Emissionshandel erbärmlich schlecht ab.

Je nach Art des Zertifikats unterscheidet man zwischen CO2-Emissionsrechten nach dem Emissionshandelssystem der EU (EUA), dem Emissionshandel nach dem Kyoto-Protokoll (CER usw.) und freien Zertifikaten wie VER und RECS.

EU-Allowance (EUA)

EU-Allowances sind Emissionsberechtigungen, die Unternehmen von EU-Mitgliedsstaaten erhalten. Ein CO2-Emissionsrecht kostet derzeit an der Börse nur wenige Cent je Tonne CO2, weil momentan ein Überangebot herrscht. Noch vergangenes Jahr kostete das Zertifikat rund 30 Euro je Tonne CO2. Im Unterschied zum Klimazertifikat verursacht ein Emissionszertifkat aber keinerlei positiven Einfluss auf die Umwelt. Ganz im Gegenteil hat sein Besitzer das Recht, eine entsprechende Menge CO2 in die Atmosphäre zu blasen.

Certified Emission Reductions (CER)

CERs sind Emissionsreduktionsgutschriften nach dem Kyoto-Protokoll, die Industrie- oder Transformationsländer (Annex-I-Staaten) durch Emissionsminderungsprojekte (CDM Clean Development Mechanism) in Entwicklungsländern (Non-Annex-Staaten), erwirtschaften. Zuerst werden CDM-Projekte vom CDM-Exekutivrat der Klimarahmenkonvention genehmigt. Danach zertifzieren Gutachter die erzeugten CER-Mengen. Diese werden anschließend in das CDM-Register der Klimarahmenkonvention eingetragen und können für die Pflichterfüllung im EU-Emissionshandel in EUAs umgetauscht werden, solange die nationale Quote nicht überschritten ist. Der "Clean Development Mechanism" (CDM) soll nicht nur Emissionsminderungen ermöglichen, sondern auch ausdrücklich die beteiligten Entwicklungsländer auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung unterstützen.

Verified Emission Reduction (VER)

Verified Emission Reductions (VER) werden im freiwilligen Klimaschutz als Zertifikate aus Emissionsminderungsprojekten zur Kompensation von Emissionen eingesetzt. In der Regel verwenden Unternehmen, die nicht vom Emissionshandel betroffen sind, sie zu Marketingzwecken. Sie sind nicht kontrolliert und daher wesentlich billiger als CER-Zertifikate.

Voluntary Carbon Standard (VCS)

Die VCS wurde von 2005 der Climate Group, der International Emission Trading Ass. und dem World Council for Sustainable Dev. gegründet, um Treibhausgasreduzierungen zu zertifzieren.

Gold Standard (GS)

Unter Federführung des WWF haben Umwelt- und Entwicklungsexperten im Jahr 2002 einen „Gold-Standard“ entwickelt, der sicherstellen soll, dass die Projekte sowohl klima- als auch entwicklungspolitisch sinnvoll sind. Auch VER-Projekte können den Gold-Standard erhalten.

Renewable Energy Certifikat (RECS)

RECS ist ein Instrument zur Organisation des Handels mit Strom aus erneuerbaren Energien. Gehandelt wird nicht der physikalische Strom, sondern nur der Umweltnutzen. Der Stromerzeuger verkauft seinen Strom an einen Stromhändler oder einen Endverbraucher zum üblichen Strompreis. Den grünen Mehrwert bietet er getrennt an über das Handelssystem RECS. Er will dadurch seine höheren Aufwendungen refinanzieren. Ein Recs-Zertifikat ist ein eindeutig nummeriertes Dokument mit folgenden Standardinformationen: Energieproduzent, Bezeichnung der Produktionsanlage, Energieträger, installierte Leistung, Ausstelldatum.

Der Nutzen der RECS-Zertifikate besteht für den Käufer darin, dass er mit ihnen sein Engagement für eine umweltfreundliche Energieversorgung belegen kann.

Mitglieder der RECS-Initiative sind u. a.: Vattenfall, RWE Energie, Electricité de France (EDF), E.on, EnBW, BP und Shell. Die Initiatoren versuchen, mit Unterstützung der Europäischen Kommission das Handelssystem RECS zum verbindlichen Handelssystem für Strom aus Erneuerbaren zu machen. Die Zertifizierung in Deutschland erfolgt über das Öko-Institut Freiburg.

Kritik am RECS-System kommt vom Solarenergie-Förderverein und von Eurosolar: Wer andere schädigt, ist zur Unterlassung und zum Schadenersatz verpflichtet. Dieser moralische und rechtliche Grundsatz wird durch den RECS-Handel in sein Gegenteil verkehrt: Nicht alle Schädiger der Umwelt - Erzeuger und Verbraucher von konventionell erzeugtem Strom - sollen zahlen, sondern nur diejenigen, die die Schädigung nicht mehr hinnehmen wollen.

letzte Änderung: 16.06.2022