ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)

Klimaproteste und Zivilgesellschaft

Die Klimakrise ist längst keine abstrakte Bedrohung mehr, sondern hat spürbare Folgen in Deutschland und weltweit. Uns drohen heiße Millionenstädte, überflutete Küstenregionen, katastrophal lange Dürreperioden, Wasserknappheit, Ernteausfälle, riesige Wald- und Buschbrände und als Folge Abermillionen an Klimaflüchtlingen.
Von Aribert Peters

(24. April 2023) Doch trotz der bereits unübersehbaren Folgen des Klimawandels und der düsteren Zukunftsaussichten gibt es immer noch Menschen, die die Augen vor der Realität verschließen und dissonante Informationen abwerten, wie Christian Stöcker vom Spiegel betont: „Mir ist von Tag zu Tag unverständlicher, wie Menschen mit Kindern und Enkeln es schaffen, vor all dem die Augen zu verschließen. Alle kognitiven Abwehrmechanismen müssen dazu gleichzeitig auf Hochtouren laufen: dissonante Information abwerten, Überbringer dissonanter Information abwerten, oft auf aggressive Weise.“

Protest und Gegenprotest

Deshalb ist es umso wichtiger, dass Menschen auf die Straße gehen und sich gegen die Verursacher der Klimakrise und ihre Folgen gemeinsam zur Wehr setzen, wie zum Beispiel die Aktivisten der „Letzten Generation“. Denn wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung betont: „Proteste, Demos, Whistleblowing, Widerstand – nicht Ruhe, sondern Unruhe ist in einer lebendigen Demokratie Bürgerpflicht!“

Doch der Protest wird nicht von allen positiv aufgenommen. Wie Sebastian Leber, Tagesspiegel-Reporter, schreibt, treibt die Disziplin, „sich über Protestformen von Klimaaktivisten zu beschweren, ohne selbst den Arsch hochzukriegen, immer wildere Blüten. Der Wunsch, jede Protestform zu canceln, wirkt zunehmend totalitär. Selbst wenn die Aktivisten künftig bloß noch Schweigeminuten veranstalteten, müssten sie sich -vermutlich den Vorwurf anhören, sie atmeten zu laut.“

2712 Demo Braunkohletagebau / Foto: Ingmar Björn Nolting / laif.de

Klima-Kampf eskaliert: RWE räumt letztes Dorf für Braunkohleabbau – Polizei gegen Aktivisten! Die Polizei startete am 11. Januar 2023 eine Räumung des besetzten Dorfes Lützerath. Doch die Klimaaktivisten gaben nicht auf. Am 14. Januar versammelten sich Tausende von Demonstranten, um gegen die Abbaggerung zu protestieren. Bei der Großdemonstration kam es zu Gewalt, als Demonstranten versuchten, auf das abgesperrte Gelände zu gelangen. Die Polizei spricht von mehr als 70 verletzten Polizisten. Die Aktivisten beschuldigen ihrerseits die Polizei, übermäßige Gewalt anzuwenden. Der RWE-Konzern kündigte zivilrechtliche Schritte gegen die Demonstranten an. Offensichtlich will RWE mit der Opferung von Lützerath nur mehr Braunkohle mit höherem Gewinn verstromen. Der Klima-Kampf geht weiter nach dem Motto „Lützerath lebt“.

Folgen des Klimawandels

Dabei ist Protest notwendiger denn je. Denn selbst wenn es uns gelänge, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie UN-Generalsekretär António Guterres warnt, „wird es immer noch zu einem beträchtlichen Anstieg des Meeresspiegels kommen. Die Folgen all dieser Entwicklungen sind unvorstellbar. Niedrig gelegene Gemeinden und ganze Länder könnten für immer verschwinden. Wir würden eine Massenflucht ganzer Bevölkerungen in biblischem Ausmaß erleben. Und wir würden einen immer schärferen Wettbewerb um Süßwasser, Land und andere Ressourcen erleben.“

Trotz all dieser Warnungen gibt es immer noch Menschen, die den Klimawandel als etwas Abstraktes betrachten, das sie nicht direkt betrifft. Dabei betonte der Arzt, Kabarettist und Moderator Eckart von Hirschhausen im Fernsehinterview, dass Klimaschutz zwar Geld kostet, aber „das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist, weiterhin zu wenig zu tun. Diese Priorisierung bedeutet, dass wir vergessen haben, was eigentlich Wohlstand ist: nämlich atmen zu können bei erträglichen Außentemperaturen. Etwas zu essen zu haben, etwas zu trinken zu haben. Frieden statt Kriege um die letzten bewohnbaren Fleckchen Erde. Das sind Überlebensfragen, die kein Markt von alleine regelt. Dem Markt sind Menschen egal. Mir nicht. Die Luft dreckig zu machen ist immer noch gefährlich billig. Wer meint, dass Geld wichtiger ist als Gesundheit, kann ja mal versuchen, beim Luftanhalten sein Geld zu zählen.“

Hannovers OB und „Letzte Generation“ einigen sich

In Hannover haben die Klimaproteste etwas bewirkt: Unter der Leitung des grünen Oberbürgermeisters Belit Onay hat die Stadtverwaltung eine Vereinbarung mit der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“ getroffen. In einem Brief an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen (mit Ausnahme der AfD) erklärte Onay seine Unterstützung für Forderungen der Gruppe nach einem Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und einem Tempolimit auf Autobahnen. Der Deal wurde von beiden Seiten als bedeutender Durchbruch in der Klimapolitik gefeiert. In Hannovers Stadtpolitik hat Onay deswegen keinen leichten Stand. Die CDU und FDP warfen ihm vor, sich mit „Kriminellen“ an einen Tisch zu setzen, während die SPD den Vorstoß nicht unterstützt und den Aktivisten Demokratieverachtung vorwirft. „Das ist grotesk und unsachlich“, kommentiert Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung, „was für ein Unsinn.“ Es ist klar, dass Onays Deal mit der „Letzten Generation“ ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaschutz ist. Die Unterstützung des Neun-Euro-Tickets und des Tempolimits auf Autobahnen könnte einen Wandel in der Verkehrspolitik in Hannover einleiten und ein Beispiel für andere Städte sein.

2712 Demobanner Wer ist hier der Klimaterrorist / Foto: Jacques Tilly, Großplastiken, Düsseldorf, www.grossplastiken.de

Dieser Schritt ist umso bemerkenswerter, als es in anderen Städten Deutschlands zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen Klimaaktivistinnen und Autofahrern gekommen ist. Seit Monaten haben die Aktivisten in vielen deutschen Städten Hauptverkehrsadern blockiert, um für mehr Klimaschutz zu kämpfen. In Bayern setzte die Justiz sogar Präventivhaft gegen Wiederholungstäter ein und es gab Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Brandenburg. Der Kompromiss zwischen Hannover und der „Letzten Generation“ zeigt jedoch, dass ein Dialog zwischen Aktivisten und Politikern möglich ist, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft dazu da ist. „Die harte Münchner Linie ist nicht nur eine Nervenprobe für Justiz und Polizei. Sie ist, wie man dank Hannover jetzt sieht, auch einfach unklug“, so Ronen Steinke. Es bleibt abzuwarten, ob andere Politiker in Deutschland Onays Beispiel folgen werden und den Dialog mit Klimaaktivisten suchen, wie das in Tübingen und Marburg schon geschehen ist.

Klima-Solidarität oder kollektiver Selbstmord

Der UN-Generalsekretär Antonio Gutteres spricht mit klaren Worten über die Klimakatastrophe. Er ist seit 2017 im Amt und war zwischen 1995 und 2002 Premierminister von Portugal. Wir zitieren hier aus seinen Reden über die Klimakatastrophe. Zum 6. Bericht des IPCC (siehe „Weltklimarat: Sechster Bericht“).

(25. Januar 2023)

Die Jury hat das Urteil gesprochen: Schuldig!

  • Dieser Bericht des IPCC ist eine Aufzählung von gebrochenen Versprechen. Es ist ein Dokument der Schande. Er listet die leeren Versprechen auf, die uns auf den Weg in eine unglaubliche Welt führen.
  • Wir sind auf einer Schnellstraße, die uns in die Klimakatastrophe führt. Überhitzte Meere, Hitzewellen, verheerende Stürme, verbreiteter Wassermangel, die Ausrottung von Millionen von Tier und Pflanzenarten. Das ist keine Phantasie oder Übertreibung. Das ist das, was uns die Wissenschaft sagt über unsere gegenwärtige Energiepolitik.
  • Wir sind auf dem Wege in eine Erderwärmung um mehr als doppelt so hoch, als dessen was wir in Paris verabredet haben.
  • Die Regierung sagen das eine, aber tun etwas ganz anderes. Einfach ausgedrückt: Sie lügen. Die Folgen werden katastrophal sein.
  • Das ist ein Klimanotstand. Klimawissenschaftler sagen uns, das wir gefährlich dicht an Kipppunkten sind, die zu sich beschleunigenden und nicht wieder gut zu machenden Klimaschäden führen. Aber Regierungen und hochrangige Firmenchefs sehen das nicht. Die scheren sich nicht darum und haben nur ihre eigenen Interessen und ihre Investitionen in Fossilenergien im Blick und gießen Öl ins Feuer. Während die günstigeren erneuerbaren Energien grüne Arbeitsplätze, Energieversorgungssicherheit und höhere Preisstabilität bringen.
  • Die Wissenschaft ist klar: Um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten, müssen die Emissionen dieses Jahrzehnt um 45% vermindert werden. Aber die gegenwärtigen Minderungsversprechen führen zu einem Anstieg der Emissionen um 14 % bis 2030. Und nicht einmal diese unzureichenden Versprechen werden eingehalten.
  • Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikalisten bezeichnet. Aber die wirklichen Radikalisten sind die Länder, die die Produktion von Fossilenergien erhöhen.
  • Investitionen in neue Fossilenergie ist moralischer und ökonomischer Irrsinn, zerstört die Landschaft und reißt ein Loch ins Investment Portfolio.
  • Regierungen müssen die Kohleinvestitionen beenden, nicht in anderen Ländern, sondern im eigenen Land.
  • Wir müssen auf die jungen Leute hören und die indigenen Völker, die Alarm schlagen und die unsere Führer zur Rechenschaft ziehen. Wir müssen auf ihre Arbeit setzen, um eine Grasroot Bewegung zu starten, die nicht mehr ignoriert werden kann.
  • Der Wechsel zu Erneuerbaren wird Hoffnung für Millionen von Menschen bringen, die heute unter den Folgen des Klimawandels leiden. Klimapläne und Versprechen müssen jetzt in die Tat umgesetzt werden.
  • Es ist höchste Zeit, die Verbrennung unseres Planeten zu stoppen und in die im Überfluss zur Verfügung stehende erneuerbare Energien zu investieren.

Guterres-Rede zur Veröffentlichung des IPCC-Berichts AR6, siehe „Weltklimarat: Sechster Bericht“.

2712 Antonio Gutteres / Foto: U.S. Mission Photo by Eric Bridiers (gemeinfrei)

  • Die Treibhausgasemissionen steigen weiter. Die globalen Temperaturen steigen weiter. Und unser Planet nähert sich schnell Wendepunkten, die das Klimachaos unumkehrbar machen werden.
  • Wir sind auf einem Highway in die Klimahölle, mit dem Fuß immer noch auf dem Gaspedal.
  • Menschliche Aktivität ist die Ursache des Klimaproblems. Also muss menschliches Handeln die Lösung sein.
  • Die Menschheit hat die Wahl: kooperieren oder untergehen. Es ist entweder ein Klima-Solidaritätspakt – oder ein kollektiver Selbstmordpakt.
  • Die tödlichen Auswirkungen des Klimawandels sind hier und jetzt. Verluste und Schäden können nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden. Es ist ein moralischer Imperativ. Es ist eine grundlegende Frage der internationalen Solidarität – und der Klimagerechtigkeit.
  • Diejenigen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, ernten den Wirbelwind, den andere gesät haben.
  • Vergessen wir nicht, dass der Krieg gegen die Natur an sich schon eine massive Verletzung der Menschenrechte ist.
  • Der globale Kampf gegen das Klima wird in diesem entscheidenden Jahrzehnt gewonnen oder verloren – unter unserer Aufsicht.
  • Eines ist sicher: Wer aufgibt, wird mit Sicherheit verlieren. Also lasst uns gemeinsam kämpfen – und lasst uns gewinnen. Für die 8 Milliarden Mitglieder unserer Menschheitsfamilie – und für kommende Generationen.
  • Die rote Linie, die wir nicht überschreiten dürfen, ist die Linie, die unseren Planeten über die 1,5-Grad-Grenze bringt.
  • Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, die 1,5-Grad-Marke einzuhalten, müssen wir massiv in erneuerbare Energien investieren und unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden.

  aus: Guterres-Rede zum Abschluß der COP27

Hoffnung heißt, etwas zu tun

Krieg in Europa, unbezahlbare Energiepreise und die Klimakrise – viele Menschen verlässt der Mut. Wir lassen uns aufmuntern von drei besonderen Menschen, die zum Thema Hoffnung geschrieben haben: Greta Thunberg, Heribert Prantl und Luisa Neubauer.

2712 Collage Thunberg Prantl Neubauer / Fotos: Leonhard Lenz (CC0); Superbass (CC-BY-SA-4.0); Stefan Müller (CC BY 2.0)

(23. Januar 2023) Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat grade ein 500-Seiten-Buch herausgebracht: Das Klimabuch, in dem über 100 Wissenschaftler verschiedene Aspekte des Klimawandels beleuchten. Und auch Frau Thunberg selbst schreibt in diesem äußerst lesenswerten Buch:

„Hoffnung bedeutet nicht, so zu tun, als würde alles gut werden. Sie bedeutet nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder sich Märchen über nichtexistente technologische Lösungen anzuhören.

Für mich ist Hoffnung nichts, was einem geschenkt wird, sie ist etwas, was man sich verdienen, was man schaffen muss. Sie ist nicht passiv zu bekommen, indem man dasteht und darauf wartet, dass jemand anderes etwas unternimmt.

Hoffnung heißt, etwas zu tun. Es heißt, aus seiner Komfortzone herauszutreten. Und wenn ein paar verrückte Schulkinder in der Lage waren, Millionen Menschen dazu zu bringen, dass sie ihr Leben ändern, stellt euch nur mal vor, was wir alle zusammen schaffen könnten, wenn wir es wirklich versuchen würden.

Ganz gleich, wie finster die Lage auch werden mag, Aufgeben ist nie eine Option. Denn jeder Bruchteil eines Grades und jede Tonne Kohlendioxid wird immer eine Rolle spielen. Es wird nie zu spät für uns sein, so viel zu retten, wie wir nur können!“ (S. 462)

Hoffen ist Pflicht

Dr. Heribert Prantl ist Jurist und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. Dort schrieb er am 1.10.2022 einen Kommentar, aus dem wir zitieren:

„Es gibt eine Pflicht zur Hoffnung. Warum? In der Hoffnung steckt Kraft zum Handeln. Das ist aber nun kein Plädoyer dafür, Gefahren schönzureden. Hoffnung sieht die Gefahr; sie verweigert aber Unglück und Unheil den totalen Zugriff. Es gibt eine Egozentrik der Hoffnungslosigkeit, die Optimismus fast als Beleidigung empfindet. Man kann Zukunftslosigkeit so finster beschreiben, dass die Zukunft vor einem wegläuft. Man kann die Indizien des drohenden Untergangs präsentieren. Aber solches Katastrophalisieren führt zu Depression und Aggression.

Wie geht so ein Hoffen? Muss man sich selber einen Vor-Schuss an Optimismus impfen, bevor man anfängt, etwas zu tun - muss man sich selbst die Gewissheit injizieren, dass es etwas bringen wird? So ist es nicht. Hoffnung fängt schlicht mit dem eigenen Tun an. Václav Havel hat einmal gesagt: ‚Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Sondern Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.‘“

Gegen die Ohnmacht

Luisa Neubauer, die Mitbegründerin der Fridays-Bewegung in Deutschland hat zusammen mit ihrer Großmutter, Dagmar Reemtsma, ein Buch geschrieben: Gegen die Ohnmacht. Wir zitieren daraus:

„Es ist verlockend, sich der Ohnmacht hinzugeben. Je größer die Krisen, desto verlockender wird es. Und genau dann gilt es, den Blick von der Ohnmacht weg und auf die Wirklichkeit zu richten. Dort, wo Menschen überall ganz andere Geschichten schreiben. Wer wären wir, jetzt zu sagen: »Ich mach doch eh keinen Unterschied.« Wir, die so viele Errungenschaften genießen, die Menschen vor uns über lange Zeit erkämpft haben. Das Wahlrecht, die Wochenenden, die Gleichberechtigung, das wurde alles gegen Widerstände erkämpft. Das alles wurde erst möglich, weil Menschen akzeptiert haben, dass es auf sie ankommt. Dass es sich lohnen wird. Der große, entscheidende Unterschied zu vergangenen Kämpfen ist der: Heute fehlt uns die Zeit. Wir werden nicht weiter jahrzehntelang für einzelne Erfolge kämpfen können. Das ist kein Grund aufzugeben. Im Gegenteil! Das ist alles, was wir wissen müssen. Irgendwo legt schon jemand los, in genau diesem Augenblick. Irgendwer greift gerade zum Telefonhörer, zum Demoschild, fängt an zu mailen, sich zu vernetzen oder zu organisieren. Irgendwo baut gerade jemand ein Baumhaus in einem durch Rodung gefährdeten Wald. Nicht, weil dieses eine Baumhaus den Unterschied machen wird. Sondern weil das Baumhaus nicht alleine bleiben wird, weil überall auf der Welt andere Menschen ihren Teil zum Schutz der Lebensgrundlagen beitragen werden.

Die Hoffnung liegt in uns, denjenigen, die weitermachen. Es ist an uns, jetzt zu entscheiden, nicht länger so zu tun, als wäre alles nur halb so wild. Sondern zu handeln, als ginge es um alles. Denn das tut es.“

Lützerath und die 1,5 Grad Grenze

Von Aribert Peters

(17. Januar 2023) Ein Dorf, ein paar Häuser, viele engagierte wunderbare Menschen, denen das Gemeinsame wichtiger ist als der eigene Vorteil. Sie stehen für so vieles in dieser Zeit. Sie sind ein lebendiges Zeichen für Solidarität, für Engagement, für eine lebenswerte Zukunft ohne fossile Energie, ohne Hierarchie. Der Ort steht wenige Meter entfernt vom Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II. Krasser könnten die Gegensätze kaum sein: Gigantische Bagger, eine von RWE verantwortete Mondlandschaft soweit das Auge reicht und dicht am Rand eine Oase des Friedens, des Umweltengagements und der Mitmenschlichkeit.

2712 Protest in Lützerath

Zwischen 100 und 200 meist junge Menschen leben seit gut zwei Jahren in Lützerath. Sie haben Holzhäuser gebaut, Hütten in Baumwipfeln 10 Meter über dem Boden und sie leben in den von den Bewohnern verlassenen Häusern. Sie leben dort im Sommer und im Winter, auch bei Regen, Schnee und Kälte harren sie gemeinsam dort aus, wo es keinerlei Komfort gibt. Sie organisieren ihr Leben eigenständig und gemeinschaftlich. Sie haben nur ein Ziel: durch ihre Anwesenheit die Braunkohlebagger von RWE zu stoppen um damit das 1.5 Grad Klima-Ziel zu retten.

Ich war oft dort zu Besuch mit meinen Kindern, mit meinen Enkeln und mit Tausenden anderen Menschen, die dort ihre Solidarität demonstrieren. Und ich kenne und bewundere viele der Menschen, die dort ausharren und die meiner Solidarität sicher sein können.

RWE gehören seit August 2022 alle Häuser in Lützerath. Nun soll im Januar oder Februar 2023 die Polizei das Dorf räumen, damit die Bagger es zerstören können. RWE hat den gut 100 dort ständig lebenden Aktivisten am 6.12. den Strom abgestellt. Die Menschen in Lützerath werden das Gelände nicht freiwillig aufgeben. Wenn die Polizei eine Räumung versucht, dann drohen bald gewaltsame und schmerzhafte Kämpfe, die leicht von beiden Seiten eskalieren können. Im Hambacher Forst war die Räumung rechtswidrig, wie sich später herausstellte. Die Polizisten werden sehenden Auges in eine unnötige und fragwürdige Schlacht geschickt. Der Bürgermeister von Erkelenz weigert sich, der Polizei den Räumungsbefehl zu geben.

Es gibt eine politische Einigung zwischen Landesregierung und RWE, die sogar als Bundesgesetz beschlossen wurde: bdev.de/braunkohle. Darin wird Lützerath geopfert gegen die RWE-Zusage, dass im Rheinischen Braunkohlegebiet der Kohleausstieg schon 2030 statt 2038 vollzogen wird. Ob dadurch tatsächlich CO2-Emissionen vermindert werden, ist umstritten. Denn zunächst einmal wird mehr emittiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schreibt: „Die Abbaggerung weiterer Dörfer wegen darunterliegender Braunkohlevorräte ist für den Braunkohlestrombedarf jedoch nicht notwendig. Dies gilt auch für die Orte Lützerath im Rheinland und Mühlrose in der Lausitz“. 

www.x-tausend-luetzerath.de

Klimakrise, Klimaaktivismus und das Dorf Lützerath

Wenn wir die Emissionen nicht in den kommenden sieben Jahren halbieren, könnten wir die Erde auf lange Zeit für Menschen unbewohnbar machen. Wer nichts tut gegen die Klimakrise, macht sich mitschuldig. Die Aktionen von Klimaaktivisten weisen auf den notwendigen und bisher unzureichenden Klimaschutz hin und auf die Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath.

Klimakrise, Klimaaktivismus und das Dorf Lützerath

Wenn wir die Emissionen nicht in den kommenden sieben Jahren halbieren, könnten wir die Erde auf lange Zeit für Menschen unbewohnbar machen. Wer nichts tut gegen die Klimakrise, macht sich mitschuldig. Die Aktionen von Klimaaktivisten weisen auf den notwendigen und bisher unzureichenden Klimaschutz hin und auf die Auseinandersetzung um das Dorf Lützerath.
Von Aribert Peters

(13. Januar 2023) Kurz vor der Klimakonferenz COP27 hat Ministerin Baerbock den Kampf gegen Erderwärmung als höchste Priorität bezeichnet. „Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu“, warnte sie. Greta Thunberg sagt: „Die Wahrheit ist, wenn wir die schlimmsten Auswirkungen der Klima- und Ökologiekrise abwenden wollen, können wir uns unsere Vorgehensweise nicht mehr aussuchen - wir müssen alles tun, was wir können“. Damit sind wir bei den Klimaaktivisten der letzten Generation, von XR und Ende Gelände.

Dürfen Aktivisten Straßen und Flughäfen blockieren, Kunstwerke beschädigen? Ist das nicht verboten und muss bestraft werden? Gibt die Klimakrise den Aktivisten das Recht zum zivilen gewaltfreien Ungehorsam? Sind solche Aktionen überhaupt sinnvoll?

2712 3511 Protestschild 1,5 Grad ist das Limit

Aktivisten respektieren Gesellschaftssystem

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, bemüht sich um verbale Abrüstung. Er halte die Klimaaktivisten der Gruppe ,Letzte Generation‘ nicht für extremistisch, sagte Haldenwang dem SWR. Es handele sich um eine ,spezielle Gruppe‘, die auch Straftaten begehe, „aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“. Extremistisch seien Gruppen immer dann, „wenn der Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage gestellt wird“, führte Haldenwang aus. „Und genau das tun die Leute ja eigentlich nicht.“ Die ,Letzte Generation‘ sage im Grunde: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun“, sagte Haldenwang weiter. „Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“

Über Blockaden beim Klimaschutz reden

Der Grüne Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich sagt in der Bundestagsdebatte am 2.12.2022: „Mir kann doch keiner erzählen, dass es verhältnismäßig ist, dass man 30 Tage ins Gefängnis gehen soll, weil man sich für zwei Stunden auf der Straße angeklebt hat. Das hat nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Denn in Wahrheit ist es doch so, dass unsere Welt nicht durch die Blockaden der Klimabewegung in Brand gerät, sondern durch die Klimakrise. Wir müssen mehr über die Blockaden beim Klimaschutz reden und weniger über die Blockaden auf der Straße. Wer nur noch Nulltoleranz fordert und wer nur noch ruft: „Wegsperren!“, der hat mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nichts mehr zu tun.“

Protest mit Rückenwind - vom Verfassungsgericht

Der Journalist Ronen Steinke kommentierte am 5.10.2022 in der Süddeutschen Zeitung: „In Deutschland werden neuerdings Menschen als „Verfassungsfeinde“ abgestempelt und überwacht, deren politische Ziele erst vor Kurzem von höchster Stelle, vom Bundesverfassungsgericht gepriesen worden sind. Das ist ein Treppenwitz, aber lustig ist er nicht. Die Richterinnen und Richter sind rhetorisch spröde geblieben, wie es ihres Amtes ist, sie sprachen von „intertemporaler Freiheitssicherung“, aber sie meinten: Klimazerstörung ist Demokratiezerstörung. Deutschland müsse seine Art des Wirtschaftens ändern, und zwar dringend. Sie ließen nur offen, wie. Man kann sich da ja verschiedene Wege vorstellen. Die Aktivisten treten bekanntlich für einen besonders schnellen Weg ein. Das ist eine Protestkultur, die – ein Novum – sozusagen den frischen Rückenwind Karlsruhes hat. Erstaunlich ist dann nur, wie viele Sicherheitsbehörden auf diese legitime politische Position anspringen. Und zwar im Angriffsmodus.“

Übertriebene Gegenwehr bestätigt Erfolg

Ob der Klimaprotest letztlich etwas bewegt? „Bei keiner großen Protestbewegung … wusste man doch vorher, wie es ausgehen wird. Ob es eine kleine Gruppe von Menschen schafft, die große Mehrheit zum Umdenken zu bewegen? Die Kritik am Protest wird unterfüttert, indem man die Dringlichkeit des Themas infrage stellt. Die Klimakrise als Menschheitsproblem? Jetzt habt euch mal nicht so. Der Ärger über blockierte Straßen, verschmutzte Kunstwerke Bilder usw gehört dazu. Gut möglich, dass, die Heftigkeit der Gegenwehr am Ende die geeignete Währung sein wird, um den Erfolg von Protestaktionen zu messen“ schrieb Katharina Riehl dazu in der SZ am 5.12.2022.

Rechtfertigender Notstand

Der Koblenzer Richter des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, Michael Hassemer hält die umstrittenen Proteste der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ für teils gerechtfertigt. „Ich kann den Klimawandel ohne weiteres als Notstandssituation verstehen.“ Straftaten dieser Demonstranten könnten unter Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs fallen, der einen „rechtfertigenden Notstand“ beschreibt. Danach ist eine Tat womöglich nicht rechtswidrig, wenn nur so eine Gefahr abgewendet werden kann.

Wir verantworten unsere Zukunft

Die negativen Nachrichten aus der Klimawissenschaft und die trostlose Verschleppung der notwendigen Klimawende durch die Politik führen zu fatalem Pessimismus und lähmen unser Handeln. Das neue Buch „The Future We Choose: Surviving the Climate Crisis“ von Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac ermuntert zum Optimismus.

Wir verantworten unsere Zukunft

Die negativen Nachrichten aus der Klimawissenschaft und die trostlose Verschleppung der notwendigen Klimawende durch die Politik führen zu fatalem Pessimismus und lähmen unser Handeln. Das neue Buch „The Future We Choose: Surviving the Climate Crisis“ von Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac ermuntert zum Optimismus.
Von Aribert Peters

(6. August 2020) Was das Buch besonders interessant macht, ist der Blickwinkel der beiden Autoren. Sie betrachten nicht nur den fortschreitenden Klimawandel und die Untätigkeit der politischen Entscheider weltweit, sondern ergründen die Ursachen. Christiana Figueres hat als UN-Verhandlungsleiterin das Pariser Klimaabkommen durchgesetzt und kennt damit die Wurzeln der bestehenden Probleme. Tom Rivett-Carnac ist als Umweltmanager ebenfalls ein ausgewiesener Experte und ermuntert als früherer Zen-Mönch zum Optimismus. Ihr gemeinsames Werk ist bisher nur im englischen Originaltext verfügbar. Wir haben nachfolgend für Sie die wichtigsten Darstellungen und Argumente aus dem Buch zusammengestellt und übersetzt. Die englische Originalausgabe ist im deutschen Buchhandel bestellbar.

2712 Cover Buch The Future We Choose: Surviving the Climate Crisis  The Future We Choose: Surviving the Climate Crisis 

  Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac

  Englische Originalfassung 25. Februar 2020

  240 Seiten | Knopf Verlag | ISBN: 9780525658351 | etwa 12 Euro

 

Wo wir stehen

Am Anfang des Buches steht eine nüchterne Analyse der Handlungsnotwendigkeiten: Bis 2050, besser noch bis 2040, müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre beenden. Bis 2030 müssen wir die Emissionen halbiert haben. Das ist das absolute Minimum für eine 50-prozentige Chance, die Menschheit vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Der Klimawandel geht nicht auf einer geraden Linie: Ein bisschen mehr Emissionen bringen nicht nur ein bisschen Verschlechterung. Viele Teile des Klimasystems sind am Kippen, wie das arktische Sommereis, das Grönlandeis, die Permafrostböden oder Amazonaswälder. Wenn diese Systeme kippen, führt das zu irreparablen Schäden weltweit. Ein unkontrollierbarer Domino-Effekt der Verwüstung. Dieser Geist kann, einmal freigelassen, nicht wieder in die Flasche zurückgezwungen werden. Die Meilensteine 2030 und 2050 basieren auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bald wird es zu spät sein.

Wohin wir gehen

Die bevorstehende Verwüstung ist immer wahrscheinlicher geworden, aber keine unumstößliche Tatsache. Die ganze Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben, wir halten den Stift noch in der Hand. Tatsächlich halten wir ihn fester als je zuvor. Die Welt, die wir jetzt gerade erschaffen, führt zu einer Erwärmung um 3 Grad Celsius, wenn die Regierungen, Unternehmen und die Menschen keine höheren Anstrengungen unternehmen. Wenn nicht einmal die Zusagen aus dem Pariser Abkommen aus dem Jahr 2015 eingehalten werden, dann ist sogar eine Erwärmung um 4 bis 5 Grad zu erwarten. Dieses Bild ist dunkel. Selbst wenn die schlimmsten Dinge erst nach 2050 passieren, wird die Misere bis dahin groß sein und wir werden in einer Welt leben, die sich beständig verschlechtert ohne eine Erholungsmöglichkeit. Wir haben unser Aussterben eingeleitet.

2712 Globus-Kugel auf Weltatlas / Foto: Mtys / stock.adobe.com

Unbeugsamer Optimismus

Im Zentrum des Buches steht die Kraft des Optimismus. Wenn wir vor einer komplexen Aufgabe stehen, mag es seltsam scheinen, zuerst ins eigene Innere zu schauen. Aber es ist entscheidend. Wandel ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit. Unsere sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ergeben sich aus unserem Denken. Ein heller Geist bringt dich voran, ohne ihn gibt es keinen Fortschritt. Buddha verstand auch, dass wir unseren Einstellungen nicht ausgeliefert sind, sondern sie selbst hervorbringen. Für die meisten von uns bedeutet das, dass wir uns selbst umprogrammieren müssen.

Hilflosigkeit allerorten

Hinsichtlich des Klimaschutzes haben sich die meisten von uns mit einer Situation der Machtlosigkeit und Hilflosigkeit abgefunden. Wir sehen, welchen Weg die Welt nimmt und wir heben die Hände über den Kopf: Es ist schrecklich und noch dazu komplex, groß und überwältigend. Wir können nichts tun, um es zu stoppen. Diese Reaktion ist nicht nur unwahr, sie ist auch verantwortungslos.

Optimismus lässt sich lernen

Wenn Sie denken, es ist zu spät, erinnern Sie sich, dass jeder kleine Bruchteil geringerer Erderwärmung einen großen Unterschied ausmacht und jede Emissionsminderung die künftigen Belastungen mindert. Wenn Sie das alles zu deprimierend finden und sich lieber auf Dinge konzentrieren, die Sie direkt beeinflussen können, erinnern Sie sich daran, dass wenn Sie sich dieser Generationsaufgabe stellen, sich Ihr Leben mit Sinn, Bedeutung und Verbindung füllt.

Wenn Ihr Kopf sagt, es sei unmöglich, die Abhängigkeit von Fossilenergien zu verringern, erinnern Sie sich daran, dass sich Großbritannien zu 50 Prozent aus sauberer Energie versorgt und Costa Rica inzwischen zu 100 Prozent sauber ist.

Wenn Ihr Kopf sagt, das politische System sei unheilbar krank, so dass man ohnehin nichts machen kann, erinnern Sie sich daran, dass das politische System auf die Ansichten von Menschen reagiert. Es gab in der Geschichte immer Menschen, die in aussichtslosen Lagen politische Änderungen herbeigeführt haben.

Wenn Ihr Kopf sagt, als Einzelner könne man doch nichts ausrichten und das eigene Verhalten spiele daher keine Rolle, erinnern Sie sich daran, dass selbst kleine Wirkungen große Änderungen herbeiführen können. Und viele kleine Aktionen können zu einer neuen Welt führen. Immer, wenn Sie sich als verantwortungsvoller Hüter dieser schönen Erde fühlen, tragen Sie zu dieser großen Änderung bei.

Positive Signale wahrnehmen

Ohne die vielen schlechten Neuigkeiten der Klimawissenschaft und der Medien zu ignorieren, können Sie sich auf die Wahrnehmung positiver Signale konzentrieren. Die Preise für Erneuerbare fallen ständig, immer mehr Länder wollen bis 2050 oder noch früher emissionsfrei sein, viele Städte verbieten Verbrennungsautos und immer mehr Geld wird in öffentliche Verkehrsmittel sowie Erneuerbare investiert. Alles das geschieht noch nicht im notwendigen Umfang. Aber es passiert.

Optimismus besteht darin, dies bewusst wahrzunehmen und damit die erwünschte Zukunft aktiv herbeizuführen.

Das Paris-Abkommen

Die Kraft des Optimismus wird in der Schilderung des Paris-Abkommens deutlich, das die Buchautorin Christiana Figueres zum Erfolg führte. Als Figueres von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Verantwortung für die internationalen Klimaverhandlungen übertragen bekam, glaubte keiner der UN-Verantwortlichen, dass ein weltweites Klimaabkommen möglich sei. Jeder dachte, das sei zu kompliziert, zu teuer und außerdem sowieso zu spät. Eine der schwersten Aufgaben bestand darin, diese negativen Meinungen zu ändern. Der erste Schritt war die eigene Haltung.

Als neugebackene Stimme des gesamten internationalen Prozesses gab sie ihre erste Pressekonferenz im fensterlosen Saal des Maritim Hotels in Bonn. Sie wurde gefragt: „Ist ein weltweites Klimaabkommen möglich?“ Sie antwortet spontan: „Nicht im Leben“, und drückte damit die Überzeugung aller Anwesenden aus. Sie erkannte diese negative Haltung als das Problem, das es zu überwinden galt. „Unmöglich“ ist kein Fakt, sondern nur eine Haltung. Sie wusste nun, dass es ihre Aufgabe war, jedermann einen Beitrag zu einer gemeinsamen Lösung zu ermöglichen. Wie das möglich sein sollte, war unklar. Aber es gab keine Alternative.

Der entscheidende Erfolgsfaktor war die ansteckende Geisteshaltung des Optimismus. Optimismus bedeutet Mut, Hoffnung, Vertrauen, Solidarität und der tiefe Glauben, dass wir Menschen einander helfen können, das Schicksal der Menschheit zu verbessern.

Es war ein unglaublicher Moment, als im Dezember 2015 das Paris-Abkommen beschlossen wurde: 5.000 Menschen sprangen auf von ihren Sitzen, klatschten, weinten, schrien, hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Zweifel, ob das wirklich wahr sei. So viele Menschen hatten jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet, und jetzt war es Wirklichkeit geworden.

www.globaloptimism.com

Was Sie jetzt tun können.

Die Autoren geben in ihrem Buch abschließend konkrete Anregungen: „Das ist eine Handlungsanleitung für die wachsende Bewegung von unbeugsamen Klimaaktivisten.“

Genau jetzt

  1. Einen tiefen Atemzug nehmen und sich dafür entscheiden, das gemeinsam zu tun und dabei deinen Part übernehmen. Du wirst ein hoffnungsvoller Visionär der Menschlichkeit sein in diesen dunklen Tagen. Von diesem Moment an endet die Verzweiflung.
  2. Reduziere die durch dich verursachte Klimabelastung bis zum Jahr 2030 um die Hälfte des heutigen Wertes. Versuche 60 Prozent zu erreichen. Es wird dich nicht aufhalten, dass du noch nicht weißt, wie du das anstellen sollst. Wir lernen alle.

Heute oder Morgen

  1. Ernähre dich mindestens einen Tag in der Woche fleischfrei. Und entscheide dich, wie schnell du weitere Tage hinzufügen willst.
  2. Erzähle anderen von deinem Engagement – Personen oder sozialen Medien. Sei nicht schüchtern. Ermutige andere, dir zu folgen. Dein Beispiel wird sie motivieren.

Diesen Monat

  1. Finde jemand in deinem Umfeld, der politische Aktionen gegen den Klimawandel unternimmt. Mach dabei mit. Demonstriere und marschiere. Erlebe die Inspiration durch eine engagierte Gruppe, die die Welt ändern will.
  2. Pflanze Bäume. So viele wie du kannst. Suche eine örtliche Gruppe, die Bäume pflanzt.
  3. Unterhalte dich mit jemandem, der nicht aktiv im Kampfe gegen den Klimawandel engagiert ist und versuche seine Sichtweise zu verstehen.
  4. Entscheide über dein Engagement. Was genau willst du dieses Jahr noch tun? Wie willst du die beabsichtigten Änderungen in Angriff nehmen?
  5. Beginne mit Achtsamkeitsübungen oder Atemübungen. Mache das jeden Tag für ein paar Minuten. Bringe Licht zwischen dich, die Welt und deine Reaktionen.
  6. Prüfe dein Verbrauchsverhalten. Was hast du gekauft und wie viel Freude hat es dir gebracht. Hinterfrage deine Kaufimpulse und spüre, wie befreiend es ist, weniger zu kaufen.
Neue Formen des Klimaprotestes

Es wird immer offensichtlicher: unser politisches System reagiert nicht angemessen auf die Klimabedrohung. Die Zivilgesellschaft nimmt dies nicht weiter hin und sammelt sich in neuartigen und ganz unterschiedlich ausgestalteten Protestbewegungen parallel zu den etablierten Parteiapparaten.

Neue Formen des Klimaprotestes

Es wird immer offensichtlicher: unser politisches System reagiert nicht angemessen auf die Klimabedrohung. Die Zivilgesellschaft nimmt dies nicht weiter hin und sammelt sich in neuartigen und ganz unterschiedlich ausgestalteten Protestbewegungen parallel zu den etablierten Parteiapparaten.
Von Aribert Peters und Louis-F. Stahl

(18. März 2020) Bei der Übergabe eines Briefes an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als Höhepunkt einer Klimademo vor gut einem Jahr wollte dieser sich als Kohleausstiegsminister feiern lassen. Doch eine Schülerin brachte das auf den Punkt, was tausende Demonstranten dachten: „Sie sind ein Teil unseres Problems, weil Sie nicht für die Menschen oder den Planeten arbeiten, sondern für die Industrie.“ Der zufällig in einem Video aufgefangene Kommentar des Ministers zu seinen Mitarbeitern, bevor er die Bühne unter Buhrufen verlassen musste: „Das war ne Scheißidee!“

Die Reaktion auf eine Politik der kurzfristigen Lösungen im Sinne der Industrie ist die Bildung von neuen Protestbewegungen mit ganz unterschiedlichen Protestformen. Sie fordern sofortige Reaktionen, die sich ohne weitgehende Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht realisieren lassen. Die Mittel der Aktivisten reichen von klassischen Demonstrationen über Klimastreiks bis hin zu zivilem Ungehorsam und gewaltfreiem Widerstand.

Wir führen nachstehend die bekanntesten Gruppierungen auf, ohne die vielen nicht genannten Gruppen abwerten zu wollen:

Fridays for Future (FFF) ist der Name der von Greta Thunberg im August 2018 initiierten Klimastreikbewegung von SchülerInnen und Studierenden, die sich sehr schnell verbreitet hat und zum ersten weltweit organisierten Klimastreik am 15. März 2019 rund 1,8 Millionen Menschen mobilisieren konnte.

Um die SchülerInnen und Studierenden herum haben sich mit der von rund 30.000 Klimaforschern organisierten Bewegung Scientists for Future (S4F), der Elternbewegung Parents for Future, der Künstlerbewegung Artists for Future und der antikapitalistischen Change for Future zahlreiche spezialisierte Unterstützerkreise entwickelt.

Extinction Rebellion (XR), übersetzt „Rebellion gegen das Aussterben“, geht mit ihren Aktionen über klassische Demonstrationen hinaus, da diese von der Politik ignoriert werden. Die im Oktober 2018 in Großbritannien gegründete Umweltschutzbewegung setzt auf Aktionen des gewaltfreien, aber radikalen zivilen Ungehorsams, um die Politik zum Handeln zu zwingen. Die geschätzt 100 Ortsgruppen in Deutschland handeln autonom und selbstorganisiert. Die Aktivisten haben sich den drei Forderungen „Sagt die Wahrheit“, „Handelt jetzt“ und „Politik neu leben“ sowie zehn Prinzipien und Werten der Bewegung verschrieben.

Die Anti-Atom- und Anti-Kohlekraft-Bewegung Ende Gelände ist ein europaweites Bündnis mit rund 60 lokalen Gruppierungen in Deutschland, die Klimacamps, Waldbesetzungen, beispielsweise zum Erhalt des Hambacher Forstes, sowie auch Besetzungen von Kohlekraftwerken organisiert.

Klassisch organisiert wollen unter anderem die Vereine German Zero e.V. und CO2-Abgabe e.V. ihre Forderungen durchsetzen. Der Ansatz von German Zero ist die Erstellung eines Gesetzes, dass Deutschland verpflichtet, bis spätestens zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden. Der Verein für eine nationale CO2-Abgabe konzentriert sich auf die Forderung der Einführung dieses Instrumentes zur Wirtschaftslenkung.

Einen anderen Ansatz verfolgen Klimaklagen gegen die Klima-Ignoranz zahlreicher Regierungen. Die Kläger tragen vor, dass grundlegende und verfassungsmäßig verbriefte Menschenrechte verletzt werden. Gerichte sollen Regierungen zum Handeln zwingen. Darauf zielen zahlreiche Klagen, beispielsweise durch vom Klimawandel betroffene Bauern und Fischer. Sie werden unterstützt durch etablierte Organisationen wie Greenpeace, aber auch von selbst klagebefugten Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe.

Hausfriedensbruch notwendig und angemessen

Rund zwei Dutzend Aktivisten der kleinen Klimajugendbewegung Lausanne Action Climat (LAC) veranstalteten im November 2018 in der Schalterhalle einer Filiale der Bank Credit Suisse in Lausanne ein symbolisches Tennismatch. Mit ihrem Protest wollten die Jugendlichen darauf aufmerksam machen, dass die Credit Suisse stark in den Raubbau fossiler Brennstoffe investiert und damit in den Klimawandel involviert ist und das sportliche Saubermann-Image ihres Markenbotschafters und Tennisstars Roger Federer darüber nicht hinwegtäuschen solle.

2712 Klimaprotest / Foto: Lausanne Action Climat

Gegen zwölf Demonstranten stellte die Bank Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Überraschend wurden alle Aktivisten vom Lausanner Bezirksgericht freigesprochen. Das Gericht befand am 13. Januar 2020, dass die Aktivisten im Hinblick auf den Klimawandel wegen eines „rechtfertigenden Notstandes“ vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freizusprechen seien. Das Verhalten der Jugendlichen sei angesichts der Klimakatastrophe „notwendig und angemessen“ gewesen, so das Gericht.

Die Zivilgesellschaft formiert sich

Die Klimakrise nimmt erschreckende Ausmaße an. Wirtschaft und Politik reagieren darauf bisher nicht adäquat. Das Nichthandeln, so sehen es immer mehr Menschen, bedroht das Überleben unserer Spezies. Aribert Peters berichtet über die verschiedenen Formen des Protestes: Auf der Straße, in den Gerichtssälen und in den Kommunen.

Die Zivilgesellschaft formiert sich

Die Klimakrise nimmt erschreckende Ausmaße an. Wirtschaft und Politik reagieren darauf bisher nicht adäquat. Das Nichthandeln, so sehen es immer mehr Menschen, bedroht das Überleben unserer Spezies. Aribert Peters berichtet über die verschiedenen Formen des Protestes: Auf der Straße, in den Gerichtssälen und in den Kommunen.
Von Aribert Peters

(18. November 2020) Die Klimakrise überholt uns gerade. Was befürchtet wurde, spielt sich bereits vor unseren Augen ab. Und alles kommt schneller und schlimmer als vorhergesehen. Aber das ist erst der Anfang. Die Klimawissenschaft ist zu der Gewissheit gelangt, dass die Klimakrise größtenteils menschenverursacht ist. Man braucht kein Schwarzseher zu sein, um zu erkennen: Die Zeit zum Handeln ist spätestens jetzt. „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“, die Partei „radikal:klima“ in Berlin, der Think-Tank „German Zero“, die Aktivistengruppe „Ende Gelände“, der „Verein für eine nationale CO2-Abgabe“ sowie viele, viele andere Gruppierungen und Organisationen – die Zivilgesellschaft merkt, dass die Zeit davonläuft und formiert sich. 

1900 Schild Meeresspiegel / Foto: Stefan Müller (CC BY 2.0)

Der Journalist Dirk Steffens schreibt dazu treffend: „Die Corona-Krise ist wahrscheinlich klein im Vergleich zu Krisen wie Artensterben, Klimawandel und all den anderen Ökoproblemen. Ich subsumiere das unter dem Begriff ‚Ökokrise‘. Jedes Jahr – so die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO und der NASA – sterben bis zu neun Millionen Menschen an den Folgen der Umweltverschmutzung. Und haben Sie irgendwelche Krisenmaßnahmen gesehen? Haben Sie nationale Rettungspakete gesehen? Haben Sie gesehen, dass die Regierung auch nur ansatzweise so entschlossen dagegen vorgeht wie gegen das Coronavirus? Nein!“

1900 Grafik Monatliche durchschnittliche CO2-Konzentration / Quelle: Delorme (CC BY-SA 4.0) / Daten: Dr. Pieter Tans (NOAA/ESRL)
Bremse und Gas gleichzeitig

Stark vereinfachend gesprochen – nichts anderes lässt der beschränkte Raum hier zu – tut die Politik nichts: Sie ernennt die Energiewende zwar zum Regierungsprogramm, torpediert sie aber gleichzeitig nach Kräften: Faktischer Ausbaustopp für Photovoltaik und Windkraft durch überzogene Abstandregeln, Ausschreibung, Bürokratie, EEG-Umlage auf erneuerbaren Strom und vieles mehr. Es gibt keine Gebäudeenergiewende, keine Verkehrswende, keinen vernünftigen Mieterstrom und künftig kommt gerade mal eine minimale CO2-Steuer. Überall dasselbe Bild: Verbale Zustimmung und faktische Hintertreibung. Die Politik ist hier schizophren: Sie tritt gleichzeitig auf das Gas und die Bremse. So geht es nicht vom Fleck. Die Politik ist genauso gespalten wie die Bürger des Landes. Luisa Neubauer von Fridays for Future brachte es in ihrer Rede auf der TAZ-Jahresversammlung 2020 auf den Punkt: „Die große entscheidende Frage der Zeit an die Politik lautet: Wie plant ihr uns zu retten? Bisher gibt es keinen Plan, keine Idee, wie es gehen soll, wie die Paris-Ziele erreicht werden könnten. Die Mächtigen sind ohne Willen, die Willigen ohne Macht.“

„Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen.“
Kardinal Richelieu
Weiter so?

Die Gesellschaft als Ganzes steht vor der Entscheidung: Weiter so – oder nicht? Die Kräfte der Beharrung sind sehr stark. Immer ist es einfacher, alles so zu lassen, denn dafür muss man gar nichts tun. Eine Änderung dagegen fordert starke Kräfte, Einigkeit, und eine Überwindung der Trägheitsmomente. Noch dazu sind die Wirtschafts- und Meinungseliten eng mit der fossilen Energiewirtschaft verflochten.

1900 Schild Klimawandel / Foto: Stefan Müller (CC BY 2.0)

Psychologisch betrachtet ist das Nichtstun immer ungefährlich. Etwas Neues erscheint hingegen als ein Wagnis, ein Risiko. Bei der Klimakrise ist es jedoch genau umgekehrt: Hier hat das „weiter so“ der vergangenen vier Jahrzehnte die Klimakrise überhaupt erst verursacht. Und ein weiteres Nichtstun führt uns mit großer Sicherheit ins Verderben, so die Klimawissenschaft. Nur dringt diese Erkenntnis langsam – viel zu langsam – in die Köpfe.

Klimagerechtigkeit als Systemfrage

Die Klimakrise beschleunigt sich und das politische System reagiert nicht angemessen darauf. Die politische Lethargie mobilisiert die Zivilgesellschaft, sie radikalisiert und eint die Protestbewegungen, über alle Altersgruppen und Ländergrenzen hinweg. Die Profiteure des fossilen Systems halten dagegen: Sie finanzieren Klimaleugner (siehe „Marionetten der Fossilwirtschaft“), beeinflussen Politiker und Journalisten, streuen Angst vor Änderungen, diffamieren die Aktivisten und bedrohen Wissenschaftler sogar persönlich. Und sie schieben die Verantwortung für die Klimakrise gern den Verbrauchern zu: „Ändert Ihr doch mal Euer Verhalten“. Das ist ein durchsichtiger Trick nach dem Schema: Haltet den Dieb. Denn die politischen Rahmenbedingungen müssen dringend und durchgängig geändert werden, damit ökologisches Verhalten sich durchsetzt.

„Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann – tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.“
Margaret Mead

Gemeinsam ist den Klimaaktivisten die Fassungslosigkeit darüber, dass sich Politik, Verwaltung und Wirtschaft weigern, die Weichen für den notwendigen tief greifenden Wandel richtigzustellen. Konsequent wird deshalb „das System“ infrage gestellt mit der Forderung: „System Change – No Climate Change“. Klimagerechtigkeit wird eingefordert, zwischen der heutigen und den künftigen Generationen und zwischen entwickelten Ländern als Verursachern der Klimakatastrophe und den armen Ländern als Leidtragenden.
bdev.de/riseupforchange

Gewaltfreier Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam ist ein gezielter Verstoß gegen rechtliche Normen aus Gewissensgründen, um Unrechtssituationen zu beseitigen. Er war die Blaupause vieler erfolgreicher Bürgerbewegungen nach dem Vorbild von Mahatma Ghandi, Martin Luther King und der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Die renommierte US-Friedensforscherin Erica Chenoweth hat 323 gewaltsame und gewaltfreie Bewegungen der vergangenen 100 Jahre untersucht. Das Ergebnis: Gewaltfreie Aktionen haben eine doppelt so hohe Erfolgschance. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, der Demokratisierung von unten ermöglicht, so Erica Chenoweth.
bdev.de/chenoweth

1900 Protestdemo Brandenburger Tor / Foto: Stefan Müller (CC BY 2.0)

Die verschiedenen Klima-Protestgruppen unterscheiden sich in dieser Frage deutlich: Fridays for Future agiert wesentlich vorsichtiger als die Extinction-Rebellion-Bewegung und diese wiederum deutlich zurückhaltender als die Bewegung „Ende Gelände“. Die Aktivitäten aller Gruppen zielen darauf ab, eine Mehrheit in der Bevölkerung zu gewinnen und durch politischen Druck Änderungen zu erzeugen.

Wende im Kleinen

Anders als auf der behäbigen Bundesebene setzt sich der Bürgerwille an der „politischen Basis“ auf kommunaler Ebene schneller durch. In vielen Gemeinden wird aktiver und vorbildlicher Klimaschutz vorangetrieben. Nicht wenige Kommunen erklären den Klimanotstand und beschließen Klimaneutralität als Ziel. Vorneweg dabei sind die Städte Münster und Bonn. In Bonn hat der Rat der Stadt zudem Bürgerforen beschlossen, in denen zufällig ausgewählte Bürger an den Entscheidungen mitwirken.

1900 Grafik Globale Temperatur seit der letzten Eiszeit / Quelle: Grafik: twitter.com/rahmstorf Daten: Schakun et al., Nature 20

Finanzmärkte achten auf Nachhaltigkeit

Auch bei Geldanlegern rücken grüne Investments in den Fokus und gelten inzwischen als „Zukunftschance“. So hat beispielsweise der weltweit größte Finanzinvestor „Blackrock“ das Thema Nachhaltigkeit ins Zentrum seiner Investitionsstrategien gerückt und im Januar 2020 alle Unternehmensvorstände zu deutlichen Verhaltensänderungen aufgefordert. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China hat bis 2060 Nullemissionen angekündigt. Zusammen mit der Europäischen Union sind damit 51 Prozent der globalen Emissionen auf dem erklärten Weg zu Nettonull. Selbst der Ölmulti BP hat seine Unternehmensstrategie neu auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.

1900 Schild Pariser Klimaabkommen / Foto: Stefan Müller (CC BY 2.0)

Klimaklagen

Zahlreiche Bürger und von der Klimakrise Betroffene haben neben den klassischen Protestformen einen neuen Weg eingeschlagen: Sie klagen vor Gerichten auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Zukunft. In Deutschland sind vor dem Bundesverfassungsgericht mehrere Klagen anhängig, die die Unzulänglichkeit des Klimagesetzes beanstanden.

Umweltverbände und auch die Fridays-for-Future-Bewegung unterstützen diese Klagen. Das Gericht hat in der Vergangenheit den weiten politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont. Zu welchem Schluss das Verfassungsgericht bezüglich mangelnden Klimaschutzes gelangt, ist bisher noch offen.

Auf EU-Ebene wurde die von Greenpeace unterstützte Klimaklage durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im vergangenen Jahr zurückgewiesen. Sechs Kinder und Jugendliche aus Portugal klagen inzwischen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gegen die Regierungen Europas, dass mangelnder Klimaschutz ihre Menschenrechte gefährde.

Andere Klimaklagen waren bereits erfolgreich. Im Jahr 2015 hatte beispielsweise ein nationales niederländisches Gericht in Den Haag der Stiftung „Urgenda“ Recht gegeben. Die Niederlande müssen ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 25 Prozent statt nur um 17 Prozent verringern, urteilte das Gericht. Die niederländische Regierung ging dagegen in Revision. Im vergangenen Dezember bestätigte das oberste Gericht der Niederlande das ursprüngliche Urteil und gab damit der Klimaklage statt.

Anfang August dieses Jahres hat zudem das Oberste Gericht Irlands die Regierung des Landes zur Räson gerufen. Dabei ging es um den Plan, mit dem die irische Regierung die Emissionen bis 2050 um 80 Prozent gegenüber 1990 senken wollte. Auf die Klage der Organisation „Friends of the Irish Environment“ hin urteilten die Richter, der Plan sei zu vage. Die Regierung muss nun nachbessern.

bdev.de/klimaverfbeschwerde

Demokratie ertüchtigen

Die Ertüchtigung der Demokratie steht auf der Agenda vieler Menschen, die sich von der Politik inzwischen im Stich gelassen fühlen. Die Klimakrise offenbart die Mängel des derzeitigen Parlamentarismus: Krebsartiger Lobbyismus, Parteienklüngelei anstelle persönlicher Verantwortung der Gewählten sowie kurzfristiges auf Wahltermine fixiertes Handeln. Auch sind bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Beamte und Rechtsanwälte, insbesondere aber alte gebildete Männer, in den Parlamenten deutlich überrepräsentiert.

1900 Protestdemo / Foto: Stefan Müller (CC BY 2.0)

Die Demokratie ist trotz ihrer Mängel die beste Garantie zur Vermeidung von Kriegen und staatlichen Massentötungen, wie die Politikwissenschaftler Rudolph Joseph Rummel und Erica Chenoweth herausgefunden haben. Andererseits wird der Mehrheitswille durch Techniken der gezielten Meinungsbeeinflussung gesteuert, so die These von Rainer Mausfeld. Wir haben darüber hier schon ebenso berichtet wie über alternative Demokratiekonzepte wie der „flüssigen Demokratie“.

BürgerInnenversammlungen

Statt die repräsentative Demokratie zu ersetzen, will die Klimaprotestbewegung sie durch das Votum von BürgerInnenversammlungen ergänzen und stärken. Bei einer BürgerInnenversammlung handelt es sich um ein zufällig ausgelostes, aber repräsentatives Gremium von BürgerInnen. In einem mehrere Monate dauernden, moderierten Prozess berät sich diese Gruppe auf der Basis ausgewogener Informationen über ein komplexes Thema, erarbeitet eine Reihe von möglichen Maßnahmen und entscheidet darüber.

Problematisch ist die Art, wie Ergebnisse von BürgerInnenversammlungen im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Wenn es sich um reine Empfehlungen handelt, dann haben BürgerInnenversammlungen nur einen sehr geringen Einfluss auf das politische Geschehen. Ein Negativbeispiel ist die in Island von der Bevölkerung erarbeitete neue Verfassung. Sie hat bei der Bevölkerung eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit gefunden, wurde aber vom Parlament verworfen.

Ein positives Beispiel ist die im Juni 2020 abgeschlossene „Convention Citoyenne pour le Climat“. Sie beratschlagte in Frankreich zu der Fragestellung „Wie können die Treibhausgasemissionen in Frankreich bis 2030 auf sozial gerechte Weise um mindestens 40 Prozent gesenkt werden?“. Dabei schlug sie 149 sehr konkrete und weitreichende Maßnahmen vor, darunter drei Verfassungsänderungen.

In Deutschland hat der Bundestag im Juni 2020 den ersten „Bürgerrat“ auf Bundesebene angekündigt. Der Auftrag an die gelosten BürgerInnen ist ein Gutachten zum Thema „Rolle Deutschlands in der Welt“. Inwieweit die Themen Klimawandel und ökologischer Kollaps darunter behandelt werden – und was mit den Ergebnissen überhaupt passiert – ist noch unklar.

Fazit

Die Klimakrise und unser Anteil daran sind ebenso wenig zu ändern, wie die daraus folgende Bedrohung unseres Überlebens als Spezies. Wir müssen rasch dafür sorgen, dass unsere Klimagasemissionen aufhören und wir uns auf die künftigen geänderten Klimabedingungen einstellen. Das kann nur mit Gemeinsamkeit, Mut, Optimismus und demokratischer Entschlossenheit gelingen. Es gibt zahlreiche ermutigende Ansätze.

1900 Buchcover Mondays for Future

Mondays for Future: Freitag demonstrieren, am Wochenende diskutieren und ab Montag anpacken und umsetzen
Prof. Dr. Claudia Kemfert | 21. April 2020 | 200 Seiten | Murmann Publishers | ISBN: 978-3867746441 | 18,00 Euro

1900 Buchcover Vom Ende der Klimakrise

Vom Ende der Klimakrise: Eine Geschichte unserer Zukunft
Luisa Neubauer und Alexander Repenning | 14. Oktober 2020 | 304 Seiten | 2. Auflage | Tropen | ISBN: 978-3608504798 | 10,00 Euro

1900 Buchcover Im Hambacher Wald

Im Hambacher Wald: oder Die Kolonisierung der Erde durch die Untergrabung der Freiheit
Gert Reising | 25. Februar 2020 | 88 Seiten | Dielmann Verlag | ISBN: 978-3866382749 | 16,00 Euro

1900 Buchcover  Wütendes Wetter

Wütendes Wetter: Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme
Dr. Friederike Otto | 3. August 2020 | 240 Seiten | Ullstein Taschenbuch | ISBN: 978-3548062556 | 18,00 Euro

letzte Änderung: 26.07.2023