Kartellrecht als Waffe
Das Kartellrecht bietet nicht nur Firmen, sondern auch Privatkunden Möglichkeiten, sich gegen überhöhte Energiepreise zu wehren.
Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V.
Kartellrecht hilft Verbrauchern gegen überhöhte Energiepreise
(29. November 2007) Das Kartellrecht bietet nicht nur Firmen, sondern auch Privatkunden Möglichkeiten, sich gegen überhöhte Energiepreise zu wehren. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten, das Prof. Kurt Markert für den Bund der Energieverbraucher verfasst hat. Prof. Markert leitete jahrelang die Energieabteilung des Bundeskartellamtes.
Die gravierenden regionalen Preisunterschiede für Strom und Gas rechtfertigen Preiskürzungen, wenn der Versorger nicht nachweisen kann, warum seine Preise zum Beispiel höher liegen als in vergleichbaren Regionen. Wenn der Verbraucher zeigt, dass sein Versorger marktbeherrschend ist und wesentlich höhere Preise verlangt als vergleichbare Versorger, dann muss der Versorger die Preisunterschiede rechtfertigen. Sowohl bei Strom als auch bei Gas unterscheiden sich zwischen den Regionen die Preise um 40 bis 50 Prozent, ohne dass es dafür plausible Gründe gibt.
Weil derartige Forderungen nach drei Jahren verjähren empfiehlt der Bund der Energieverbraucher allen Verbrauchern, noch vor Jahresende entsprechende Ansprüche geltend zu machen. "Auch wer bisher seine Strom- und Gasrechnung voll bezahlt hat, dem bieten sich insbesondere auch mit der gerade von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Verschärfung des Kartellrechts neue Möglichkeiten, sich gegen überhöhte Preise zu wehren", sagte der Vereinsvorsitzende Dr. Aribert Peters.
Das Gutachten ist im Internet verfügbar unter
Download Gutachten Prof. Markert, Nov. 07
Seine Erstellung wurde gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.
Ein Musterschreiben ist in Vorbereitung und dann erhältlich unter:
Das Kartellrecht als Waffe für Verbraucher
Welche kartellrechtlichen Möglichkeiten haben Haushaltskunden, sich gegen als überhöht empfundene Preise oder Preiserhöhungen ihres Strom- oder Gasanbieters zur Wehr zu setzen? Diese Frage hat Prof. Kurt Markert im Auftrag des Bundes der Energieverbraucher untersucht und die Ergebnisse in einem Gutachten zusammengefasst. Prof. Markert leitete früher die Energieabteilung des Bundeskartellamtes.
(29. November 2007)
Prof. Kurt Markert
In einem Gespräch erläutert er die Ergebnisse des Gutachtens.
Energiedepesche: Raten Sie Verbrauchern, sich bei ihrem Protest gegen überhöhte Strom- und Gaspreise künftig auch auf das Kartellgesetz zu berufen?
Markert: Eindeutig ja! Die Berufung auf das Kartellrecht bietet für Verbraucher einen eindeutigen Vorteil: Er ermöglicht die Zuständigkeit der meiner Einschätzung nach in der Regel verbraucher- und wettbewerbsfreundlicheren Kartellgerichte. Auch nach dem Energiewirtschaftsgesetz sind diese zuständig.
Die Folge: Der Prozess landet in letzter Instanz nicht beim VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), der in seinem Urteil vom 13. Juni 2007 im Fall von Herrn von Waldeyer-Hartz keine großen Sympathien für die Verbraucherseite gezeigt hat, sondern beim Kartellsenat des Bundesgerichtshofes.
Energiedepesche: Muss man dafür mit Zahlen argumentieren, die sich auf die Preisgestaltung des spezifischen Unternehmens beziehen?
Markert: Der Verbraucher muss darlegen, dass sein Versorger marktbeherrschend ist und dessen Preis erheblich höher ist als der eines vergleichbaren Versorgers und die Differenz nicht nachvollziehbar ist. Dies ist für niedrigere Vergleichspreise anderer Versorger gerade bei den Gaspreisen nicht besonders schwer, da die im Internet veröffentlichte Erhebung des Bundeskartellamtes Unterschiede bis zu 40 Prozent ausweist. Der Versorger gerät dann faktisch unter Rechtfertigungszwang und muss belegen, dass sein höherer Preis dennoch aus anderen Gründen gerechtfertigt ist.
Energiedepesche: Wie kann man als Verbraucher feststellen, ob eine "räumliche Preisspaltung" vorliegt, der Sie in Ihrem Gutachten eine besonders gute Durchsetzungschance einräumen?
Viele Gebietsversorger bieten bei Strom und Gas neben den Standardtarifen auch besonders günstige Tarife an, um wechselbereite Kunden nicht zu verlieren, die mitunter nicht einmal öffentlich gemacht werden. Ist das eine "räumliche Preisspaltung"?
Markert: Eine räumliche Preisspaltung als Indiz für einen Preishöhenmissbrauch liegt nur vor, wenn ein Versorger auf einem anderen räumlichen Markt Kunden in gleichgelagerten Verbrauchsfällen einen niedrigeren Preis anbietet. Beispiel: Im eigenen Netzgebiet des Versorgers liegt der Preis für 4.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch und sonst gleichen Lieferbedingungen erheblich (mehr als zehn Prozent) höher als außerhalb.
Der Versorger hat dann die volle Beweislast, dass zwingende Sachgründe den höheren Preis rechtfertigen. Solche unterschiedlichen Preise für gleiche Verbrauchsfälle innerhalb des Netzgebiets des Versorgers sind kartellrechtlich nur als Diskriminierungsfall (§ 20 Abs. 1 GWB) angreifbar. Auch in diesem Fall muss der Versorger im Zivilprozess die Rechtfertigung nachweisen. Wenn das Unternehmen jedoch auch dem betroffenen Verbraucher diesen niedrigeren Preis zu gleichen Konditionen anbietet, sehe ich kein Schutzbedürfnis.
Energiedepesche: Gibt es Präzedenzfälle, und wie haben die Gerichte bisher entschieden?
Markert: Zur räumlichen Preisspaltung hat der Kartellsenat des BGH am 22. Juli 1999 die Beurteilungsmaßstäbe zu den Flugpreisen der Lufthansa festgelegt. Für die Strom- und Gasversorgung ist mir nur das Urteil des Landgerichts Frankfurt a. M. vom 7. März 2007 (RdE 2007, 242) bekannt, in dem die Richter von einer verbotenen räumlichen Preisspaltung ausgingen.
Energiedepesche: Empfehlen Sie die Rechnungskürzung um einen gewissen Betrag, den der Verbraucher als überhöht ansieht?
Markert: Dieser Weg ist der Zahlung unter Vorbehalt vorzuziehen. Die Schwierigkeit liegt allerdings in der Bestimmung der Höhe des Kürzungsbetrages. Wenn ein Verbraucher zu stark kürzt, erhöht er sein Prozesskostenverlustrisiko entsprechend.
Energiedepesche: Halten Sie die derzeitigen Netzentgelte für Strom und Gas für missbräuchlich überhöht?
Markert: Dies lässt sich nicht generell beantworten, schon gar nicht für die Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen EnWG am 13. Juli 2005. Inzwischen haben die Regulierungsbehörden für alle Stromniederspannungs- und Gasniederdrucknetze die erste Genehmigungsrunde abgeschlossen.
Ob alle genehmigten Entgelte, insbesondere diejenigen im Zuständigkeitsbereich der Länder, den strengen gesetzlichen Anforderungen entsprechen, ist fraglich.
Selbst die insoweit am wenigsten verdächtige Bundesnetzagentur hat stets erklärt, dass sie in der ersten Runde die Kosten der Netzbetreiber nur schwerpunktmäßig überprüfen konnte. Allerdings sind die Netzentgelte nach § 111 EnWG für den Zeitraum seit dem 13. Juli 2005 kartellrechtlich nicht angreifbar, und genehmigte Entgelte gelten nach § 30 Abs. 1 Nr. 5 EnWG als missbrauchsfrei. Zwar wird dadurch der Unbilligkeitseinwand nach § 315 BGB nicht ausgeschlossen. Es ist aber zu erwarten, dass die Gerichte die Genehmigung als besonders starken Indiz für die Billigkeit des Netzentgelts werten und der Unbilligkeitseinwand deshalb in aller Regel nicht greift.
Etwas anderes gilt für die Zeit vor der Wirksamkeit der Genehmigungsentscheidung. In der Regel hat diese zu einer Entgeltreduzierung geführt,. Ist das der Fall, spricht sehr viel dafür, dass das Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt rechtswidrig überhöht war.
Zusammenfassung des Gutachtens
- Die vormaligen Gebietsversorger sind hinsichtlich der Versorgung von Haushaltskunden mit Strom und Gas nach wie vor marktbeherrschend und unterliegen damit den im GWB geregelten Verboten des Preishöhenmissbrauchs (§ 19 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 und § 29 GWB).
- Die aussichtsreichsten Ansätze für Haushaltskunden, sich gegen als überhöht empfundene Strom- und Gaspreise mit den Mitteln des Kartellrechts zur Wehr zu setzen, sind wegen der hierbei geltenden Beweislastumkehr für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen die räumliche Preisspaltung (§ 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB) und der Vergleich mit niedrigeren Preisen anderer Versorger (§ 29 Satz 1 Nr. 1 GWB).
- Im Rahmen von Lieferverträgen geltend gemachte Forderungen von Preisen, die nach den Vorschriften des § 19 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 und dem geplanten neuen § 29 GWB missbräuchlich überhöht sind, sind nach § 134 BGB im Umfang der Überhöhung nichtig. Eine Zahlungsverpflichtung des Kunden besteht daher insoweit nicht. Der Kunde ist außerdem nach § 33 Abs.1 und 3 GWB berechtigt, soweit die dreijährige Verjährung nach den §§ 195 und 199 BGB noch nicht eingetreten ist, die überzahlten Beträge zurückzufordern, und zwar unabhängig davon, ob die Zahlung nur unter Vorbehalt oder vorbehaltslos erfolgte.
- Zuständig in Zivilrechtsstreitigkeiten sind in allen Fällen, in denen gegen Preisforderungen der Vorwurf des verbotenen Preishöhenmissbrauchs nach dem GWB geltend gemacht wird, die Kartellgerichte (§§ 87 ff. GWB), auch wenn gleichzeitig noch rein zivilrechtliche Rechtsfolgen, z. B. die Unbilligkeit i. S. von § 315 BGB, gegen die Rechtswirksamkeit dieser Forderungen eingewendet werden.
Text des Gutachtens: Download Gutachten Prof. Markert, Nov. 07