Abschied von der Kochwäsche
30 Grad weniger und trotzdem sauber - weil viele Hersteller die Zusammensetzung ihrer Waschmittel verändert haben. Man kann mittlerweile bei deutlich niedrigeren Temperaturen waschen. Doch obwohl es einen Trend zum kühleren Waschen gibt, bleiben viele Verbraucher bei ihren alten Gewohnheiten - getreu dem Glauben, nur bei höheren Temperaturen werde die Wäsche auch wirklich sauber.
Von Oliver Stens
(14. Dezember 2007) - Neue Chemie, alter Name: Vor einem Jahr haben große Waschmittelhersteller wie Ariel, Persil und Omo die Zusammensetzung ihrer Waschmittel so verändert, dass alle waschaktiven Substanzen schon ab 20 Grad wirksam sind. Sie folgten damit dem Trend, dass viele Verbraucher ihre Wäsche bei niedrigeren Temperaturen reinigen. Während Henkel die Veränderung still und leise vollzog, bewarb Procter & Gamble sein Produkt (Ariel kalt-aktiv) mit großen Aufwand. Eine Studie des Ökoinstituts dazu zeigte, dass eine niedrigere Waschtemperatur bis zu 40 Prozent Energie sparen kann. Aufs Jahr und auf ganz Deutschland hochgerechnet, entspräche dies dem Strombedarf der Stadt Düsseldorf.
Die Temperatur ist der zentrale Schlüssel zum Stromverbrauch beim Waschen. Während ein Waschgang bei 40 Grad vergleichsweise energiesparsam ist, benötigt das 60-Grad-Programm schon das Doppelte und die früher oft verwendete Kochwäsche sogar das Dreifache an Energie. Doch die Temperatur spielt auch eine wichtige Rolle für die Reinigung.
Sauber oder rein?
Der Sinnersche Kreis (siehe Bild 1) erläutert das Grundprinzip der Reinigung. Danach bestimmen vier Faktoren das Waschergebnis: Chemie, Mechanik, Temperatur und Einwirkzeit. Die Darstellung als Kreis zeigt, dass jeder Faktor durch die übrigen kompensiert werden kann. Wenn Waschmittel also immer wirksamer werden und die Mechanik der Maschine effizienter konstruiert ist, lässt sich dasselbe Waschergebnis auch mit geringeren Temperaturen erreichen. Allerdings darf man dann nicht gleichzeitig den mechanischen Aufwand verringern oder die Zeitspanne verkürzen. Im Programm "Pflegeleicht" wird die Wäsche nur halb so oft mechanisch gewalkt wie im Normalprogramm. Und auch die beliebten Kurzprogramme bedeuten meist schlechter gereinigte Wäsche.
Nun könnten Verbraucher zwar eine niedrigere Temperatur wählen, aber tun sie es auch? Ein Blick auf Studien und Internetforen zeichnet ein durchwachsenes Bild. Dennoch scheint die Skepsis zu überwiegen. Schuld daran sind nicht das simple Verständnis, sondern vielmehr die Tatsache, dass viele Verbraucher Veränderungen zum Thema Sauberkeit leicht als persönlichen Angriff auffassen und daher abwehren. Da finden sich schnell Argumente, um bei den beliebten und bewährten Gewohnheiten zu bleiben.
Das musste auch Reiner Stamminger, Professor für Haushaltstechnik an der Universität Bonn, feststellen. Für eine Studie hat er über 5.000 Waschmaschinen-Benutzer nach ihren Waschgewohnheiten befragt. Ergebnis: Waschen ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Es gibt nicht das typische Verhalten einer bestimmten Haushaltsgröße oder Altersklasse. Durchschnittlich wuschen die Beteiligten bei 46 Grad. Im europäischen Vergleich liegt das recht hoch. Dabei fällt jedoch auf, dass sich die durchschnittliche Temperaturwahl von einem zum anderen Haushalt stark unterscheidet (siehe Bild 2). In Deutschland waschen bereits etwa eine Millionen Haushalte durchschnittlich unter 30 Grad. Und etwa genauso viele Haushalte waschen bei durchschnittlich (!) über 60 Grad.
Nach der Dosiermenge befragt, gaben zehn Prozent der Personen an, bewusst mehr Pulver als empfohlen zu dosieren. Überraschenderweise waren sie trotzdem weniger zufrieden als der Rest der Befragten. Die Frage, was als sauber gilt, ist also ganz von den Erwartungen des Einzelnen abhängig. Jeder zweite Befragte gab dagegen an, dass er weniger als die empfohlene Dosierung verwende, ohne dass das Waschergebnis beeinträchtigt sei.
Prinzip Zahnpasta
Vermutlich lässt sich das Thema Waschen mit der Zahnpasta-Werbung vergleichen: Obwohl dort seit Jahrzehnten eine extralange Zahnpastawurst auf die Bürste gedrückt wird, haben viele längst bemerkt, dass Zähne putzen auch mit weniger Paste funktioniert. Was sich bei Zahnpasta und Waschmitteln schon herumgesprochen hat, könnte sich bei der Temperaturwahl nun fortsetzen.
So schlägt das Öko-Institut in seinem "one-click-down-Szenario" vor, jeweils eine Temperaturstufe niedriger als gewohnt zu waschen: Wo heute das 60-Grad-Programm benutzt wird, sollten künftig 40 Grad ausreichen; Wäsche, die bislang bei 40 Grad in die Maschine kommt, kann auch bei 30 Grad gewaschen werden; für Kleidung, die bislang schon im 30-Grad-Programm sauber wurde, reichen nunmehr 20 Grad. Bleiben die restlichen Waschfaktoren gleich, erzielt man dank wirksamerer Chemie das gleiche Ergebnis. Laut einer unveröffentlichten repräsentativen P&G-Studie waren 85 Prozent der Teilnehmer mit dem Waschergebnis auch dann zufrieden, wenn sie die Temperatur stets eine Stufe niedriger als gewohnt einstellten. Positiver Nebeneffekt: Die sanften Temperaturen schonen Gewebe und Farben der Kleidung.
Die Bakterien-Angst
Viele Menschen glauben, kalt Gewaschenes sei hygienisch bedenklich, da Bakterien und Krankheitserreger im kalten Milieu besser überleben. In Wirklichkeit verbreiten sich Krankheitserreger in Privathaushalten so gut wie nie über Wäsche. Ohne die Bedeutung der Hygiene zu verkennen, sollte man sich auch darüber klar sein, dass Bakterien und Keime stete Weggefährten des Menschen sind, ohne die er kaum überleben würde. Auf jedem Quadratzentimeter Hautfläche eines gesunden Menschen leben Zehntausende Mikroorganismen. Da scheint es recht belanglos, ob die Maschine im 60-Grad-Programm Keime wirksamer bekämpft als im 30-Grad-Programm. Sobald man in seine sauberen Klamotten geschlüpft ist, erobert die natürliche Hautflora sie im Nu zurück. Das Ökoinstitut samt Gutachter sehen auch bei niedrigen Temperaturen keine hygienischen Bedenken. Das gilt auch für Waschmittelhersteller, obwohl sie - zumindest theoretisch - von überzogenem Hygienedenken wirtschaftlich profitieren.
Von der Mutter zur Tochter
Hersteller von Pflegemitteln sind insgesamt recht vorsichtig, wenn es darum geht, Ratschläge zu erteilen. Viele Kunden verbitten sich eine Einmischung in ihre Gewohnheiten. Schließlich wisse man selber, wie die Wäsche zu waschen sei. Traditionell weisen Mütter ihre Töchter in die Bedienung der Waschmaschine ein. So können Gewohnheiten von einer Generation auf die nächste übergehen, selbst wenn das Verhalten völlig überholt ist. Da die meisten Menschen Hemden, Hosen oder Unterwäsche nur noch einen Tag tragen und nicht, wie früher, mehrere Tage oder gar Wochen, und viele Menschen in klimatisierten Büros arbeiten, statt schweißtreibende Tätigkeiten zu verrichten, ist die Wäsche längst nicht mehr so schmutzig wie vor Jahrzehnten.
Die empfohlene Dosiermenge hat sich in den letzten 30 Jahren auf etwa ein Drittel reduziert, ebenso der Wasserverbrauch. Die Technologie ist dem Verbraucherverhalten voraus. Als letztes Glied der Kette bleibt der Verbraucher übrig. Doch an dieser Stelle geben ausgerechnet die sonst so energieaufwendigen Single-Haushalte einen Hoffnungsschimmer: So mancher Student oder Single wäscht schon allein deshalb bei niedrigeren Temperaturen, weil eine einzige Person es kaum in einer akzeptablen Zeitspanne schafft, genug Wäsche für die hochtemperierten Programme zu sammeln. Und so kann eine neue Gewohnheit auch durchaus von der Tochter auf die Mutter oder vom Sohn aufs Elternhaus übergehen.
Blick ins Ausland
In Spanien ist das Kaltwaschen bei 15 Grad so verbreitet, dass es die mittlere Waschtemperatur auf 33 Grad herunterzieht (Deutschland 46 Grad). In Japan, Australien und den USA haben Waschmaschinen gar keinen eigenen Heizstab. Sie werden meistens mit dem Warmwasser aus der Leitung versorgt. Die Waschtemperatur ist dort für alle Wäschearten gleich. Sie liegt irgendwo zwischen 30 und 40 Grad. Zwar kann das amerikanische Modell wegen Bauart, Größe, und seinem astronomisch hohem Wasserbedarf kein Vorbild für Europa sein. Aber es zeigt, dass in ähnlichen Kulturkreisen ein zufriedenstellendes Waschergebnis möglich ist, ohne die Temperatur genau auf die Waschsituation abzustimmen.
Testweise kalt waschen
Soll man also auch hierzulande ganz auf den Heizstab verzichten? Eher nicht: Aus dem Leitungsnetz kommt das Wasser üblicherweise mit 15 Grad. Bei diesen niedrigen Temperaturen sind die waschaktiven Substanzen noch nicht wirksam, so die Hersteller. Doch auch hier kommt es vermutlich auf den Anspruch des Einzelnen an. Probieren Sie es aus! Sie wären nicht der Erste, der jahrelang unwissentlich kalt wusch. Bis er merkte, dass der Heizstab seiner Waschmaschine kaputt war.
Tipps zum Kaltwaschen
- Lesen Sie auf der Packung Ihres Waschmittels nach, ob es auch bei 20 Grad schon wirksam ist.
- Überprüfen Sie das Reinigungsergebnis mit jeweils einer Temperaturstufe niedriger als gewohnt. Benutzen Sie dabei das Normalprogramm bei gleichbleibender Waschmitteldosierung.
- Achten Sie beim Neukauf einer Waschmaschine darauf, dass das Normalprogramm auch kalt oder mit 20 Grad betrieben werden kann.
Zuschrift zur Energiedepesche 3/07:
Nicht nur in Japan, sondern auch in vielen Ländern Afrikas sowie in Teilen Südamerikas wird mit kaltem Wasser gewaschen. Grund ist die unzureichende Stromversorgung, die oft über einen Generator erfolgt. Die Leistung für Motor und Steuerung kann problemlos bereitgestellt werden, für die Heizung reicht es nicht. Auf Ihre Recherche bin ich sehr gespannt.
Andreas Stemberg, Lage