Glück im Himalaya und anderswo
Was würde passieren, wenn wir beim 100-Meter-Lauf nicht die Zeit messen würden, sondern die Eleganz der Läufer? Weil wir die Zeit messen, wird immer schneller gelaufen. Was wir messen, ist das, was uns wichtig ist und was wir uns auch als Ziel setzen. So ist es auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg eines Landes. Wir messen bisher das Bruttosozialprodukt. Das Glück und die Zufriedenheit der Menschen wurde bisher kaum untersucht, gemessen oder gar zum wichtigsten Ziel einer Regierung erklärt.
(10. Dezember 2013) In Bhutan ist das ganz anders: Es ist überaus erstaunlich, dass eines der ärmsten Länder der Welt das einzige Land ist, in dem Glück zu den erklärten Zielen der Politik gehört und in dem es differenzierte empirische Messungen des Glücks seiner Bewohner gibt.
Der vierte König des Himalaya-Staates Bhutan erklärte im Jahr 1972 das Glück seiner Bewohner zum Staatsziel, wichtiger als das Bruttosozialprodukt. Aber es sollten noch 30 Jahre ins Land gehen, bevor man in Bhutan das Glück überhaupt messen konnte. Jetzt allerdings steht Bhutan mit einem durchdachten und erprobten Konzept für das Bruttosozialglück (Gross National Happiness GNH) weltweit an der Spitze. Das Glück genießt in Bhutan Verfassungsrang. In Artikel 9 Absatz 2 der Verfassung heißt es: „Der Staat bemüht sich, jene Bedingungen zu fördern, die das Streben nach Bruttoinlandsglück ermöglichen“. Aber bereits im Jahr 1729 stand dort in einem Gesetz: Wenn die Regierung kein Glück für seine Einwohner hervorbringen kann, dann hat sie keine Existenzberechtigung.
USA: Reichtum wächst, Glück nicht
Ähnliches schrieb George Washington, der erste US-Präsident: „Das gesamte Glück der Gesellschaft, das am besten durch die Ausübung einer guten Politik gefördert wird, ist oder sollte der Zweck jeder Regierung sein“. Allerdings stieg in den USA seit 1960 das Pro-Kopf-Einkommen auf das Dreifache, das Glück der Bevölkerung nahm aber nicht zu. Mehr Reichtum führt also nicht immer zu mehr Glück. Statt das Bruttosozialprodukt zu erhöhen, sollte jede Regierung sich intensiv um das Glück der Bevölkerung kümmern.
Deutschland
Wirtschaftlicher Erfolg macht auch in Deutschland die Bewohner nicht glücklicher und stellt sie noch nicht einmal finanziell besser. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf steigt seit 1999, der durchschnittliche Bruttolohn jedoch stagniert und nimmt nicht zu (siehe Grafik)!
Quelle: Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Bericht der Enquetekommission, BT 17/13300, S. 291
Da die Heizkosten aber steigen, muss bei stagnierendem Einkommen ein immer höherer Einkommensanteil für Energie ausgegeben werden. Nach einer Emnid-Befragung saßen an kalten Tagen hochgerechnet 6,2 Millionen Deutsche mit Stiefeln in der Wohnung, um sich warm zu halten und weniger zu heizen. 16 Millionen wärmten sich in der Wohnung mit Decken.
Mit den Ausnahmeregelungen im Erneuerbaren-Energien-Gesetz erhöht man möglicherweise das Bruttosozialprodukt. Aber die Strompreise für Einwohner und Mittelstand steigen dadurch stärker an. Die 300.000 jährlichen Stromsperren und sechs Millionen Sperrandrohungen belasten die Betroffenen und mindern deren Glück.
Ist eine Meldung in der Tagesschau denkbar: „Die Lebenszufriedenheit des Durchschnittsdeutschen ist im vergangenen Jahr um drei Prozent angestiegen. Das hat der Sachverständigenrat für Glück und Zufriedenheit heute bekanntgegeben“?
Wir haben die Freude als erstes Gut und als angeboren erkannt, von ihr lassen wir jede Neigung und Abneigung ausgehen und sie ist das Ziel, an dem wir jedes Gut messen (Epikur, Brief an Menoikens).
Der Glücksindex von Bhutan
Doch zurück nach Bhutan. Die einfache Glücksfrage (siehe unten) sagt nicht die ganze Wahrheit und erlaubt auch keine Rückschlüsse auf die Ursachen und Mängel für Glück und Zufriedenheit. Deshalb wurde in Bhutan ein Glücksindex entwickelt.
Das Glücksministerium in Bhutan hat einen 44-seitigen Fragebogen entwickelt mit 249 Fragen. Über 7.142 Einwohner wurden auf dieser Basis im Jahr 2010 ausführlich interviewt. Zugrunde liegen 33 Indikatoren aus neun Bereichen.
Folgende neun Bereiche wurden untersucht:
- Zeitverwendung: Arbeitszeit, Freizeit, Schlafenszeit.
- Psychologische Zufriedenheit: Lebenszufriedenheit, emotionale Ausgeglichenheit, Spiritualität.
- Gesundheit: Selbsteinschätzung, Krankheitstage, Behinderung, geistige Gesundheit.
- Bildung: Analphabetismus, Bildungsabschlüsse, Wissen, Werte.
- Kultur: Sprachen, künstlerische Fähigkeiten, kulturelle Teilhabe, Umgangsformen.
- Regierungsqualität: Politische Teilhabe, politische Freiheit, öffentliche Dienstleistungen, Regierungseinschätzung.
- Gemeinschaftsleben: Nachbarschaftshilfe, Zugehörigkeitsgefühl, Familienbindung, Opfer von Kriminalität.
- Ökologische Qualität: Umweltverschmutzung, Verantwortlichkeit für Umwelt, Tier- und Pflanzenwelt, städtische Mängel.
- Lebensstandard: Einkommen, Haushaltsausstattung, Wohnqualität.
Allen neun Bereiche wird die gleiche Bedeutung zugemessen. Sie werden untergliedert in insgesamt 33 Indikatoren.
Mindestschwelle und vier Glücksgruppen
Für jeden der 33 Indikatoren wird eine untere Mindestschwelle definiert. Dadurch kann für jede Person festgestellt werden, in welchem der Indikatoren die Mindestschwelle erreicht wird. Diese Mindestschwelle wurde in gemeinsamen Diskussionen mit Politikern und Einwohnern in unterschiedlichen Gegenden festgelegt.
Die Bevölkerung kann dann eingeteilt werden in vier Gruppen, die Mindestqualitäten in 50, 66 und 77 Prozent der gewichteten Indikatoren erreichten: Unglückliche, beinahe Glückliche, sehr Glückliche und zutiefst Glückliche. Unglücklich sind zehn Prozent der Bhutanesen. 41 Prozent der Bhutanesen sind sehr oder zutiefst glücklich. 50 Prozent der Bevölkerung in Städten überschreiten die Glücklichkeitsschwelle und nur 37 Prozent der ländlichen Bevölkerung. Männer sind glücklicher als Frauen: 49 Prozent der Männer, aber nur 33 Prozent der Frauen sind glücklich. Schlecht bezahlte Arbeiter, oft Migranten, sind die unglücklichste Gruppe, gefolgt von Bauern. 8,3 Prozent der Bevölkerung sind zutiefst glücklich. 69 Prozent von ihnen wohnen auf dem Land und zwei Drittel sind männlich, 60 Prozent jünger als 40 Jahre alt.
Glücksdefizite im Himalaya
Für die Politik ist wichtig, worauf Glücksdefizite zurückgehen. Die städtische Bevölkerung hat die größten Defizite in den Bereichen Regierungsqualität, Kultur und Zeit. Auf dem Land sind Bildung und Lebensstandard das größte Problem. In der Landeshauptstadt ist das größte Defizit das Gemeinschaftsleben. Gesundheit trägt am wenigsten zum Unglück bei, gefolgt vom Gemeinschaftsleben. Bildung trägt am meisten zum Unglück bei.
Die Gruppe der Unglücklichen hat überdurchschnittlich oft einen geringen Lebensstandard, gesundheitliche Beeinträchtigungen und psychische Erkrankungen. Ein Universitätsabschluss und ein spirituell orientiertes Leben sind der beste Schutz davor, in eine unglückliche Situation zu geraten.
Für die Regionen des Landes hilft der Glücksindex zu einer Diskussion mit den Bezirken über den dortigen Glücksindex und eine Politik, die zu mehr Glück führt. Der breit angelegte Index schützt dabei vor einer oberflächlichen oder eindimensionalen Betrachtung.
Der König von Bhutan fasste die Diskussion so zusammen: „Glück bedeutet so viele unterschiedliche Dinge für viele Menschen, so dass es für mich einfach bedeutet: Entwicklung mit Werten“. Bhutan ist längst kein Königreich mehr und hat sich behutsam dem westlichen Einfluss geöffnet. Das Durchschnittsalter liegt bei 25 Jahren. Drei Viertel der Bevölkerung sind Buddhisten.
Glücksvergleich zwischen Ländern
Das Glück weltweit wird im „World Happiness Report“ unter die Lupe genommen, der von der UN-Konferenz für Glück in Auftrag gegeben wurde. Für grobe Aussagen und weltweite Vergleiche lässt sich das individuelle Glück durch zwei Fragen ermitteln: „Wie glücklich fühlen Sie sich augenblicklich auf einer Stufenskala zwischen null und zehn?“ Und: „Wie zufrieden mit Ihrem Leben insgesamt sind Sie augenblicklich?“
Die glücklichsten Länder liegen in Nordeuropa (Dänemark, Norwegen, Finnland und Niederlande) mit einem Durchschnittsglück aller Einwohner von 7,6. Die unglücklichsten Länder liegen in der Sub-Sahara-Region (Togo, Benin, Zentralafrikanische Republik und Sierra-Leone) mit einem Glückswert von 3,4. Neben dem Einkommen sind auch politische Freiheit, soziale Netzwerke und geringe Korruption für das Glück ausschlaggebend. Deutschland liegt mit einem Wert von 6,5 auf Rang 30 von 150 Ländern.
Einkommen vierzigfach höher
Die Unterschiede im Glücksindex zwischen den Ländern sind beträchtlich: Dänemark liegt mit einem Durchschnittswert von fast acht an der Spitze, Deutschland bei 6,5, Indien bei fünf, Togo bei drei. Vergleicht man die vier Länder mit dem höchsten Glück, mit den Ländern geringsten Glücks, so unterscheiden sich deren Einkommen um das Vierzigfache, die Lebenserwartung um 28 Jahre und die Korruptionswahrscheinlichkeit liegt bei 33 Prozent im Gegensatz zu 85 Prozent.
Folgende Schlussfolgerungen zieht der Bericht:
- Glückliche Länder sind die reicheren Länder. Aber wichtiger als das Einkommen sind für das Glück soziale Faktoren wie sozialer Zusammenhalt, Korruptionsfreiheit und persönliche Freiheit.
- Mit dem Lebensstandard ist das Glück zwar in den meisten Ländern gewachsen, aber nicht in allen Ländern (die USA bilden eine Ausnahme).
- Arbeitslosigkeit verursacht mehr Unglück als Todesfälle oder Scheidungen.
- Psychische Gesundheit ist der wichtigste Einflussfaktor für das Glück in allen Ländern.
- Familiäre Stabilität und stabile Ehen sind wichtig.
- In Industrieländern sind Frauen glücklicher als Männer, in ärmeren Ländern ist es umgekehrt.
- Glück ist am geringsten in der Mitte des Lebens.
Glücksforschung in anderen Ländern
Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat die Messung von Wohlfahrt, Lebensqualität und sozialem Fortschritt einer Gesellschaft zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Sie unterhält ein Wiki dazu: www.wikiprogress.org.
Zu Beginn des Jahres 2008 setzte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy eine Kommission, bestehend unter anderem aus Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi, ein, die „Kommission zur Messung wirtschaftlicher Leistung und sozialen Fortschritts.“ Der Bericht dieser sogenannten Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission hatte und hat großen Einfluss auf die wissenschaftliche und politische Debatte. Er benennt elf Felder, die universell für Lebensqualität sind: Einkommen und Besitz, Beschäftigung, Wohnen, Gesundheit, Work-Life Balance, Bildung und Fähigkeiten, soziale Beziehungen, bürger-liches Engagement und Einflussnahme, Umweltqualität, persönliche Sicherheit und subjektives Glück.
Die britische Regierung von David Cameron hat die Erfassung und Steigerung des Lebensglücks („Happiness“) der Bevölkerung explizit zu einem Ziel ihrer Politik erklärt und einen entsprechenden Entwicklungsprozess im Bereich der Sozialstatistik angestoßen. Auch in den USA hat die Obama-Administration ein umfangreiches Indikatorenprojekt auf den Weg gebracht. Im Dezember 2010 wurden darüber hinaus in Spanien und Italien nationale Initiativen zur erweiterten Wohlstandsmessung gestartet.
Deutschland: Hirschhausen und der Bundestag
In Deutschland beschäftigt sich nicht nur Dr. Eckhart von Hirschhausen mit dem Thema Glück. Der Bundestag hat eine Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ eingesetzt, die den Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft ermittelt und einen neuen Wohlstandsindikator entwickelt hat. Der 844 Seiten starke Endbericht wurde im Juni 2013 vorgelegt.
Das neue Wohlstands- und Fortschrittsmaß „W3“ soll künftig Auskunft geben, wie es um die Lebensqualität steht. Neben dem „materiellen Wohlstand“ sollen auch die Dimensionen „Soziales und Teilhabe“ sowie „Ökologie“ berücksichtigt werden. Diese drei Kriterien werden wiederum über zehn „Leitindikatoren“ wie beispielsweise Bruttoinlandsprodukt, Einkommensverteilung, Beschäftigungsniveau, Emissionen von Treibhausgasen oder Artenvielfalt sowie über neun „Warnlampen“ und eine „Hinweislampe“ gemessen. Bei Letzteren geht es etwa um den Standard bei der Weiterbildung oder der Arbeitsqualität. Beispielsweise wird als Indikator für die Einkommensungleichheit berechnet, wie viel mehr ein Bürger aus besseren Verhältnissen verdient als ein Bürger der unteren Einkommensschichten. 1999 war es 2,01 mal so viel, 2011 war es 2,14 mal so viel.
Die Kommission will im Bundestag durchsetzen, dass sich Parlament und Regierung künftig regelmäßig mit der Entwicklung der Wohlfahrt auseinandersetzen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wohlstand mehr ist als „materieller Wohlstand“, empfiehlt die Enquete-Kommission dem Deutschen Bundestag, ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß zu etablieren: die W 3-Indikatoren.
Der im Auftrag der Post erstellte „Glücksatlas Deutschland“ zeigt die Lebenszufriedenheit insgesamt in den Regionen und Städten Deutschlands. Sie lässt sich auch aufgliedern in die Dimensionen: Arbeit, Einkommen, Gesundheit und Wohnsituation.