ED 01/11

Gebäudetypen

Gebäudetypologie - Instrument für die Energieberatung und die Modellierung von Gebäudebeständen

Wer ohne großen Aufwand eine grobe Schätzung zu Verbrauch und Modernisierungskonzept seines Gebäudes erhalten möchte, dem hilft eine Gebäudetypologie. Sie führt beispielhafte Häuser mit typischen Verbräuchen und konkrete Sanierungsmöglichkeiten auf. Einen genaueren Zuschnitt der Aussagen auf die individuelle Gebäudeform, -größe und technische Ausstattung erlaubt das Kurzverfahren Energieprofil. In wenigen Schritten kann sich ein Eigentümer so über die typischerweise erreichbaren Energieeinsparungen informieren.
Autoren: Tobias Loga / Nikolaus Diefenbach, Institut Wohnen und Umwelt, Darmstadt

(27. Februar 2010, geändert 14. Oktober 2010) Gebäudeexperten benötigen detaillierte und genaue Energiebilanzverfahren, um Energieausweise zu erstellen und auf das Einzelgebäude zugeschnittenen Modernisierungskonzepte zu entwickeln. Damit können Fragen geklärt werden wie: Welchen Einfluss haben nicht überdämmbare Wärmebrücken auf den Energieverbrauch bei diesem Gebäude? Welche Leitungsführung und -dämmung ist in diesem Fall die beste? Soll jedoch ohne großen Aufwand ein Überblick gegeben werden, greift man besser auf vorberechnete Beispiele aus einer Gebäudetypologie zurück. Hiermit kann ein Gebäudeeigentümer in 5 Minuten über die typischerweise erreichbaren Energieeinsparungen informiert werden.

Typische Gebäude zur Veranschaulichung der Energieeinsparpotenziale

Gebäudetypologien werden in Deutschland seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen genutzt, insbesondere im Rahmen von Energiesparkampagnen auf lokaler oder regionaler Ebene. Beispiele für Kommunen sind: Hannover [ARENHA / GERTEC 1992], Heidelberg [ifeu 1996], Münster [ebök 2003], für Bundesländer: Schleswig-Holstein [GERTEC / UTEC 1999], Sachsen [ebök 2001], Hessen [IWU 2002], Bayern [IWU 2006]. Gebäudetypologien dienen hier der beispielhaften Ermittlung und anschaulichen Darstellung des erreichbaren Einsparpotenzials für gegebene Modernisierungsmaßnahmen. Aber auch Vor-Ort-Energieberater können mit Hilfe der typischen Fälle die von ihnen für ein konkretes Gebäude ermittelten Aussagen überprüfen: Sind die von mir ermittelten Einsparpotenziale und ökonomischen Ergebnisse plausibel?

Auch für Wohnungsunternehmen ist es lohnend typische Gebäude aus ihrem Bestand in Form einer Typologie aufzubereiten. So können Standard-Modernisierungen in Abhängigkeit von Gebäudetyp definiert werden. Die ermittelten und dokumentierten typischen Investitionskosten und üblicherweise erreichbare Energieeinsparungen dienen als Vergleichswerte für konkrete Modernisierungsvorhaben (siehe die im EU-Projekt ESAM dokumentierten Beispiele: www.esamproject.org).

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Bild 1: Doppelseite für einen Haustyp der Gebäudetypologie Bayern
(linke Seite: Bewertung des Ist-Zustands / rechte Seite: Mögliche Maßnahmen und Einsparung)

Individuelle Anpassungen

Um im Rahmen der Impulsberatung besser auf individuelle Gegebenheiten eines Gebäudes eingehen zu können, wurde der Typologie-Ansatz in Form des „Kurzverfahrens Energieprofil" verfeinert. Dieses enthält neben typischen U-Werten ein statistisch abgeleitetes Schätzverfahren, mit dem auf Basis weniger Informationen (Wohnfläche, Anzahl Geschosse, Anzahl Nachbargebäude, Beheizungssituation in Keller und Dach) die Hüllfläche überschlägig ermittelt werden kann [IWU 2005]. Außerdem ist eine Klassifizierung der Wärmeversorgung in Form einer Heizsystemtypologie enthalten. Damit eignet sich das Verfahren für eine schnelle Abschätzung des Energiebedarfs, z.B. durch Online-Energie-Checks.

Der zweiseitige Fragebogen wurde darüber hinaus in verschiedenen Projekten genutzt, um die energetischen Qualität in größeren Gebäudebeständen zu erheben, z.B. bei der Evaluation des CO2-Gebäudesanierungsprogramms der KfW (Fragebogen Fördermittelempfänger), bei der Vermieter-Befragung im Rahmen der Mietspiegel-Erhebungen der Stadt Darmstadt, bei der Bewertung der energetischen Qualität der Beiträge im Wettbewerb "Energetische Sanierung von Großwohnsiedlungen" des Bundesbauministeriums (mehr Informationen zu den Anwendungen des Kurzverfahrens Energieprofil)

Modell zur Abbildung des Gebäudebestands

Liegen darüber hinaus statistische Angaben vor, kann ein Satz typischer Gebäude auch als Modell zur rechnerischen Analyse des Energiebedarfs des Gesamtbestands verwendet werden. Wohnungsunternehmen schätzen so den Energieverbrauch ihres Gebäude-Portfolios ab und stellen strategische Überlegungen zur schrittweisen Reduzierung an. Das gleiche gilt für den Gebäudebestand auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene (siehe Publikationen zur deutschen Gebäudetypologie [IWU 1990], [IWU 2003], [IWU 2007]).

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Bild 2: Haustypenmatrix der deutschen Gebäudetypologie - Auszug (insgesamt stehen 44 Gebäudedatensätze + Fotos zur Verfügung [IWU 2003])

Ebenso wie bei der Energieberatung für Einzelgebäude sollte auch bei der Analyse des Gesamtbestands nach Möglichkeit der tatsächliche Energieverbrauch ermittelt werden. Dies gilt sowohl für den unsanierten als auch für den sanierten Zustand. Durch diese „Erdung" der Berechnungen bleibt gewährleistet, dass die ermittelten Reduktionspotenziale für den End- und Primärenergieverbrauch und für die CO2-Emissionen realistisch sind.

Füllen von Wissenslücken über den Modernisierungszustand

Wichtig für die Ermittlung von Einsparpotenzialen ist ferner die Frage, welche Maßnahmen in der Vergangenheit im Bestand bereits umgesetzt wurden. Für den deutschen Gebäudebestand liegen hierzu bisher nur unzureichende Informationen vor (vgl. [IWU/BEI 2007]). Mehr Klarheit soll das derzeit laufende Forschungsprojekt „Datenbasis Gebäudebestand" schaffen.

Eine mit Hilfe der Schornsteinfeger durchgeführte repräsentative Befragung von bis zu 10.000 Hauseigentümern soll wichtige Kenntnislücken über den aktuellen Zustand und die Modernisierungstrends schließen - vor allem im Hinblick auf Wärmedämmung und Wärmeversorgungssysteme. Die Hauptphase der Datenerhebung ist im September 2009 gestartet, erste Ergebnisse werden voraussichtlich ab Mitte 2010 vorliegen. (mehr Informationen dazu).

Eine ähnliche, jedoch regional angelegte Untersuchung wurde kürzlich in Hannover vorgestellt: Eine repräsentative Umfrage von Gebäudeeigentümern liefert Informationen über Umfang und Typ von bereits umgesetzten Energiesparmaßnahmen in der Region [Siepe / Brockmann 2009].

Wie sehen typische Gebäude und Energiesparmaßnahmen in Irland oder Polen aus?

Derzeit laufen auch in anderen Ländern Bestrebungen Gebäudetypologien zu erarbeiten und praktisch anzuwenden. Damit wird es möglich, auch einmal über den eigenen nationalen Tellerrand hinauszuschauen: Welche typischen U-Werte, welche typischen Heizungsanlagen gibt es in anderen Ländern? Welche Modernisierungen werden empfohlen, welche Einsparungen erreicht? Wie ist der Modernisierungsfortschritt.

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Bild 3: Auszug aus der niederländischen Gebäudetypologie / Datensatz eines Typgebäudes [SenterNovem 2007]

Voraussetzung für diesen Informationsaustausch ist jedoch die Abstimmung und Harmonisierung der Datenstruktur der nationalen Gebäudetypologien. Daher werden die in verschiedenen Ländern anlaufenden Gebäudetypologie-Aktivitäten jetzt in dem europäischen Projekt TABULA gebündelt („Typology Approach for Building Stock Energy Assessment"), an dem wissenschaftliche Einrichtungen aus 13 EU Ländern beteiligt sind.

Die Typologie-Daten sollen dabei von den nationalen Partnern ermittelt und in einem gemeinsamen Datenformat publiziert werden. Für einige Länder wird dieses Instrument damit erstmals zur Verfügung stehen. Länder, die bereits Typologien besitzen, wollen diese methodisch verbessern, mit aktuellen Statistiken hinterlegen und so zu einem strategischen Werkzeug weiterentwickeln (mehr Informationen unter: www.building-typology.eu).

Deutsche Gebäudetypologie: Systematik und Datensätze (PDF)

Literatur
  • [ARENHA / GERTEC 1992]
    Stadtwerke Hannover AG (Hrg.): Einsparmöglichkeiten beim Raumwärmebedarf des Wohngebäudebestandes in Hannover und Langenhagen, Band I und II; Bearbeitung Benedikt Siepe, Wolfgang Schulz (ARENHA GmbH, Hannover), Thomas Tech, Dr. Kai-H. Schlusche (GERTEC GmbH, Essen), Hannover 1992
  • [ebök 2001]
    Gebäudetypologie für den Freistaat Sachsen; ebök, Tübingen 2001
  • [ebök 2003]
    Hildebrandt, Olaf; Hellmann, Rosemarie; Zantner, Marc; Evaluation des Förderprogramms zur Altbausanierung in der Stadt Münster. Anhang zum Endbericht - Gebäudetypenblätter zur Gebäudetypologie; ebök (Tübingen) im Auftrag der Stadt Münster, Amt für Grünflächen und Umweltschutz; Münster 2003
  • [GERTEC / UTEC 1999]
    Investitionsbank Schleswig-Holstein / Energieagentur (Hrg.): Gebäudetypologie für das Land Schleswig-Holstein, Kiel 1999 (Bearbeitung: GERTEC / UTEC)
  • [ifeu 1996]
    Stadt Heidelberg (Hrsg.): Heidelberger Wärmepass / Heidelberger Gebäudetypologie; ifeu, Heidelberg 1996
  • [IWU 1990]
    Ebel, W. et al.: Energiesparpotential im Gebäudebestand; IWU, Darmstadt 1990
  • [IWU 2002]
    Born, R.; Diefenbach, N; Loga, T.: Energieeinsparung durch Verbesserung des Wärmeschutzes und Modernisierung der Heizungsanlage für 31 Musterhäuser der Gebäudetypologie; Studie im Auftrag des Impulsprogramms Hessen; IWU, Darmstadt 2002
  • [IWU 2003]
    Deutsche Gebäudetypologie: Systematik und Datensätze, Institut Wohnen und Umwelt, Darmstadt 2003
  • [IWU 2005]
    Loga, Tobias; Diefenbach, Nikolaus; Knissel, Jens; Born, Rolf: Kurzverfahren Energieprofil; Bauforschung für die Praxis / Band 72; Fraunhofer IRB-Verlag, Stuttgart 2005
  • [IWU 2006]
    Hinz, E.: Gebäudetypologie Bayern: Entwicklung von 11 Hausdatenblättern zu typischen Gebäuden aus dem Wohngebäudebestand Bayerns; Studie im Auftrag des Bund Naturschutz Bayern e.V.; IWU, Darmstadt 2006
  • [IWU 2007]
    Diefenbach, N.; Born, R.: Basisdaten für die Hochrechnung mit der Deutschen Gebäudetypologie des IWU, IWU, Darmstadt, 2007
  • [IWU/BEI 2007]
    Diefenbach, Nikolaus; Loga, Tobias; Cischinsky, Holger (IWU); Clausnitzer, Klaus-Dieter (bremer energie institut): Grundlagen für die Entwicklung von Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudebestand - Untersuchung über die bautechnische Struktur und den Ist-Zustand des Gebäudebestandes in Deutschland; BBR-Online-Publikation Nr. 22/07, Juli 2007
  • [SenterNovem 2007]
    Voorbeeldwoningen estaande bouw; SenterNovem 2007
  • [Siepe / Brockmann 2009]
    Siepe, Benedikt / Brockmann, Maren: Es gibt noch viel zu tun. Energiesparmaßnahmen im Gebäudebestand; HLH Bd. 60 (2009) Nr. 9

 

letzte Änderung: 09.01.2015