importiertes Content-Bild aus EW_IMAGES

ED 04/14 Bürgerprotest: Beispiel Lübeck (S.18)
Die Politik lässt die Energiewirtschaft auf allen Ebenen gewähren.

Stiefkind des Verbraucherschutzes

In großen Städten wohnen 70 Prozent aller Verbraucher zur Miete. Zwischen Versorgungsunternehmen und Vermieter sind ihre Handlungsmöglichkeiten gering. Besonders betroffen sind häufig Mieter in fernwärmebeheizten Wohnungen. Die Politik lässt die Energiewirtschaft auf allen Ebenen gewähren. Es ist an der Zeit, dass mit mehr Verantwortung für den Klimaschutz auch wieder politische Steuerungsinstrumente genutzt werden.
Von Gunhild Duske, Lübeck

(24. April 2007) - Zu den kommunalen Klimaschutzmaßnahmen gehört besonders in Ballungsgebieten die Förderung der Fernwärme. Um viele emissionsreiche Einzelfeuerungsanlagen wirtschaftlich zu ersetzen, ist eine hohe Anschlussdichte erforderlich. So lassen sich 20 bis 30 Prozent der durch Heizen verursachten Emissionen einsparen.

Glückliches Flensburg

Die günstigsten Fernwärmepreise bei einer Anschlussdichte von über 90 Prozent hat Flensburg. Bereits 1969 begann man dort mit dem Ausbau des Versorgungsnetzes. Das stadteigene Kraftwerk wurde 1971 zum Heizkraftwerk mit 170 Megawatt elektrischer und 800 Megawatt thermischer Leistung umgebaut. Vier Reserveheizwerke garantieren die Versorgungssicherheit. Unmengen von CO2-, Staub- und anderen Emissionen sind während mehr als 30 Jahren vermieden worden. Dieser Erfolg für den Klimaschutz ist einer vorausschauenden Planung und einer vernünftigen, maßvollen Preispolitik zu verdanken.

117 Flensburg

Glückliches Flensburg: Günstige Fernwärmepreise und hohe Anschlussdichte.

Fernwärme förderungswürdig

Damit sich umweltfreundliche Fernwärme durchsetzen kann, muss sie kostengünstig sein. Die Besteuerung von Heizkosten sollte sich an deren Umweltverträglichkeit orientieren. Fernwärme verdient daher einen reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Für eine geringere Besteuerung spricht Folgendes:

  • Raumwärme ist Teil der Daseinsvorsorge.
  • Wärmelieferung ist eine Dienstleistung.
  • Wärmelieferungen sind fast ausschließlich regionale Monopole.

Aber:

  • Es ist keine Preisregulierung durch Wettbewerb verschiedener Anbieter möglich.
  • Es gibt bislang keine Preisaufsicht für Fern-/Nahwärme. Nicht einmal die Landeskartellbehörden kümmern sich um Fernwärmepreise, obwohl dies zu ihrem gesetzlichen Auftrag gehört.

Die zu beheizenden Gebäude sollten einen guten Dämmstandard haben (+/- 150 kWh/m2) oder aber vor dem Anschluss an Fernwärme nachgedämmt werden. Denn diese Heizform ist je Kilowattstunde teurer als Öl oder Gas. Schlechte Dämmung ist deshalb ein unbezahlbarer Luxus. Ein kommunaler Anschluss- und Benutzungszwang ist durch örtliche Satzung nur für Neubaugebiete zulässig.

Öffentliche Preiskontrolle unabdingbar

Für die Fernwärme muss eine langfristige Preisbindung und -kontrolle sichergestellt werden (Negatives Beispiel: Böblingen). Die Preisbildung sollte transparent sein und öffentlich kontrolliert werden. Die Preisänderungsklauseln müssen den neuesten gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Verbrauchsabrechnungen sollten für die Mieter übersichtlich und nachvollziehbar gestaltet sein. Bei extrem hohen Heizkosten müssen die Stadtwerke eine "Plausibilitätsprüfung" vornehmen. Der Vermieter muss durch den Abrechnungsservice feststellen lassen, ob Ablesefehler vorliegen. Eine Energieberatung hilft dabei, das Verbrauchsverhalten der Betroffenen zu optimieren. Bei ungünstiger Lage der Wohnung im Gebäude sollte in bestimmten Wohnungen die Grundmiete gesenkt werden (Grafik).

Fernwärme im sanierungsbedürftigen Wohnungsbestand

Der Wohnungsbestand in Städten mit großen Kriegsschäden und/oder hoher Flüchtlingszuwanderung nach 1945 (z. B. Lübeck) hat schlechte bis miserable Wärmedämmung, also hohe Verbräuche (bis zu 290 kWh/m2) bei der Raumheizung. Meist gehören diese Miethäuser/Siedlungen großen Wohnungsbaugesellschaften, neuerdings zunehmend auch "Heuschrecken". Diese sind bekanntermaßen nicht an energiesparenden Investitionen - sondern an der nackten Rendite interessiert.

Mieter können keine baulichen Veränderungen vornehmen. Die Risiken einer Innendämmung (Holzverschalung, Thermotapeten etc.) sind noch nicht lange und vor allem nicht allgemein bekannt: Bauschäden und Schimmelbefall mit erheblichen gesundheitlichen Folgen! Mieter können praktisch nur durch rationales Heizen und kontrolliertes Lüften ihre Wärme-Verbräuche mindern. Das aber auch nur in den engen Grenzen, die durch die bauliche Substanz und die Lage der Wohnung im Gebäude gezogen sind. Wessen Wohnung im Erdgeschoss über einer ungedämmten Kellerdecke, im Dachgeschoss unter einem ungedämmten Bodenraum oder an der Nordost-Seite des Gebäudes liegt, der wundert sich, wenn er bei gleicher Größe der Wohnung doppelte oder dreifache Heizkosten hat wie ein anderer Mieter etwa im ersten oder zweiten Stock in einer innenliegenden Wohnung im gleichen Haus (Grafik).

117_Die Lage im Gebäude beeinflusst den Energieverbrauch 

Je nach Lage einer Wohnung im Gebäude ist der Heizenergieverbrauch unterschiedlich.

Die hohen Kosten können sie nicht senken, egal was sie tun. Denn durch den Umlageschlüssel ("Grundkosten": Verbrauchskosten) der Kosten für die gesamte Liegenschaft im Verhältnis von 50:50, seltener 40:60 oder 30:70 wird ein großer Teil der Heizkosten nach Quadratmetern umgelegt und nur die verbleibenden 50/ 60/70 Prozent nach den Verbrauchseinheiten. Durch vernünftiges Heizverhalten können Mieter nur zwölf Prozent bis maximal 20 Prozent der Kosten beeinflussen (vgl. Adolf Krohn).

Contracting

Nicht zu verwechseln mit dem sinnvollen Einspar-Contracting ist das Anlagen-Contracting oder Betriebsführungs-Contracting auf dem Wärmemarkt. Das ist vor allem ein einträgliches und dauerhaftes Geschäft. Der Versorger (Contractor) sichert sich oft sogar per Grundbucheintrag dauerhaft seine Rechte. Mit Geschick gelang es den Stadtwerken Lübeck, von den großen Wohnungsunternehmen per Contracting die Beheizung der Wohnblocks übertragen zu bekommen. Die längst abgeschriebenen, zum Teil rettungslos veralteten Heizzentralen wurden "outgesourced". Erneuerung und/oder Umrüstung übernahmen die Stadtwerke.

Eine "win-win"-Situation? So scheint es! Natürlich gibt es auch dabei Verlierer, nämlich die Mieter, die zum Beispiel in Lübeck innerhalb von zwei Jahren 100 bis 200 Prozent höhere Heizkosten hatten ("Lübecker Fernwärmeschock 2002!"). Doch so paradox es klingt: Auch an dieser Stelle war das Klima der größte Verlierer. Die Fernwärmeversorgung wurde für die Verbraucher unattraktiv. Viele Mieter glaubten, "… die Fernwärme ist schuld an der Kostenexplosion!" Tatsächlich war es die Preispolitik der Stadtwerke nach deren Privatisierung im Jahr 2000.

Der Weg zum gerechten Preis

Die "Preisfrage" lautet: Wie kommt man zu einer gerechten Preis-Bildung? Welche Modelle einer Staffelung des Fernwärmepreises sind sozial gerecht? Könnte ein Wärme-Pass, der bei jeder Neuvermietung einer Wohnung dem Mietvertrag beizufügen wäre, das Problem lösen? Das setzt allerdings voraus, dass die Mieter die begrenzten Einspar-Potenziale kennen und auch nutzen können. Zudem ist erforderlich, dass sie ihre Rechte als Verbraucher kennen und auch den Mut haben, sie zu nutzen, dass sie gegen undurchschaubare Abrechnungen und intransparente Preisbestimmungen Widerspruch einlegen. Das geschieht zum Beispiel indem sie sich Hilfe und Unterstützung beim Bund der Energieverbraucher oder bei den örtlichen Verbraucherzentralen holen, dass sie sich mit Nachbarn zusammentun und ihre Rechnungen vergleichen, dass sie Nachbarn, Kollegen und Freunde informieren und ihnen Mut machen, es ihnen gleich zu tun.

Zusammenfassung
  • Fernwärme/Nahwärme aus hoch effizienten Erzeugungsanlagen (Kraft-Wärme-Kopplung) dient dem Klimaschutz.
  • Dicht besiedelte Wohngebiete ermöglichen eine hohe Anschlussdichte. Das macht die Fernwärme für den Versorger und damit auch für den Kunden wirtschaftlich. Vorbedingung sind gut gedämmte Gebäude.
  • Maßvolle, transparente Preispolitik erhöht die Akzeptanz der Kunden und ermöglicht eine hohe Anschlussdichte.
  • MieterInnen brauchen eine intensive Energieberatung, um ihr Heiz-Verhalten zu optimieren und die Kosten zu minimieren. Sie brauchen mehr Beratung über ihre Rechte als Verbraucher gegenüber Versorgern und Vermietern und Unterstützung dabei, diese Rechte auch mutig durchzusetzen.

letzte Änderung: 04.01.2025