Wärmewende und Sektorenkopplung neu denken

Ökostrom kann auch im Wärmesektor hocheffizient eingesetzt werden und dadurch fossile Energieträger einsparen. Allerdings kommt es auf das richtige Zusammenspiel aller Faktoren der Energiewende an – und auf den zügigen Ausbau der Erneuerbaren.
Von Axel Horn

(11. Mai 2023) Die gute Nachricht zuerst: Elektrischer Strom aus erneuerbaren Energien ist eine hocheffiziente Energieform. Wenn er direkt genutzt wird, spart das nicht nur die Erzeugung derselben Strommenge in einem konventionellen Kraftwerk ein, sondern zusätzlich noch einmal so viel fossile Energie, die sonst als Abwärme aus dem Kraftwerk kommen würde. Eine ähnlich ineffiziente Überproduktion von Abwärme ist bei jedem Auto mit Verbrennungsmotor zu beobachten, wo der größere Teil des Kraftstoffs im Kühler und nicht bei den Rädern ankommt.

Dieselben Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik wirken in umgekehrter Richtung beim Einsatz elektrischer Energie in Wärmepumpen. Hier zieht die elektrische Energie zusätzlich zweimal so viel Wärme aus der Umgebung.

Zweimal mit dem Faktor 3 Energie eingespart – in den Kraftwerken wie in den Häusern? Das klingt überzeugend und daher ist es nicht verwunderlich, dass Ökostrom nicht nur für herkömmliche Anwendungen im Stromsektor zum Einsatz kommen soll, sondern zunehmend auch bei der Mobilität und im Wärmesektor. Das Schlagwort dafür lautet Sektorenkopplung.

348 425 769 982 1851 1900 Axel Horn

Axel Horn ist seit 1991 Mitglied und Experte für Solarthermie im Bund der Energieverbraucher. Seit 1992 betreut er Fachfirmen bei der Planung, Installation und Optimierung von Heizungsanlagen auf Basis von Ökoenergien. www.ahornsolar.de

Hindernisse der Sektorenkopplung

Zuallererst fehlt es beim Ökostrom noch an der Menge: Im Durchschnitt der letzten Jahre liegt der Anteil der Stromerzeugung aus Wind und Sonne hierzulande erst bei knapp 40 %. Gemessen an dem durch die Sektorenkopplung zukünftig doppelt so hohen Stromverbrauch sind das nur 20 %. Wir müssen uns also noch lange Zeit entscheiden, wofür wir eine frisch produzierte Kilowattstunde Ökostrom einsetzen wollen. Diese spart 1 kWh Kohlestrom und damit 3 kWh Kohle ein. Stattdessen kann sie zum Antrieb eines Autos genutzt werden und damit 2 kWh Diesel einsparen; oder sie erzeugt 1 kWh Wärme und spart dabei mittels Wärmepumpe 3 kWh Gas ein. Mit einem Elektroheizstab ist es allerdings nur 1 kWh Brennstoffeinsparung. So oder so ist jede kWh Ökostrom nur einmal einsetzbar – am Schluss hat sie sich in Wärme aufgelöst.

Ohne eine Verfünffachung der Windräder und PV-Anlagen wird die „Energiewende durch Elektrifizierung“ nicht funktionieren, ist die allgemein gängige Annahme. Das ist an sich kein unüberwindliches Problem. In den 1990er-Jahren noch wurde den erneuerbaren Energien nachgesagt, sie könnten nicht mehr als 5 % des Stromverbrauchs decken. Das haben wir durch technologischen Fortschritt und immer bessere Wirtschaftlichkeit der Windenergie- und PV-Anlagen weit hinter uns gelassen.

1900  Haus mit Photovoltaik und Solarthermie / Foto: Axel Horn

Während aber in den Pionierzeiten tatsächlich jede Kilowattstunde aus Erneuerbaren-Anlagen jederzeit ins Stromnetz eingespeist werden konnte, zeigen sich jetzt erste Sättigungseffekte. Wenn der Stromverbrauch der Industrie gedeckt ist, die E-Autos vollgeladen sind und die Wärmepumpen alles in den Häusern maximal aufgeheizt haben, ist der viele Strom aus Wind und Sonne ohne Speicher nichts mehr wert.

Stromumwandlung in Wärme

Elektrische Energie lässt sich mit geringem technischem Aufwand in Wärme umwandeln. So sind in letzter Zeit viele große Anlagen entstanden, mit denen die zeitweisen Windstromüberschüsse zur Einspeisung beispielsweise in Wärmenetze verramscht werden. Von der anfangs beschriebenen Effizienz mit Faktor 3 bleibt dabei allerdings nichts mehr übrig. Ebenso ist zu beobachten, dass Photovoltaikstrom vom eigenen Dach nicht nur dann zur ineffizienten direktelektrischen Wärmeerzeugung genutzt wird, wenn er „überschüssig“ ist, sondern wenn die Wärmepumpe mit ihrer elektrischen Leistungsaufnahme nicht mithalten kann oder überhaupt nicht vorhanden ist.

Direktelektrische Wärmeerzeuger haben immerhin den Vorteil, dass sie sich mit geringem Aufwand zusätzlich in ein Heizsystem integrieren lassen. Daher sind sie auch dann wirtschaftlich, wenn sie nur betrieben werden, solange ausreichend Ökostrom zur Verfügung steht. Wärmepumpen laufen dagegen häufig als einziger Wärmeerzeuger im Haus auch dann noch, wenn überwiegend Fossilstrom aus dem Netz kommt. Dann holen sie bestenfalls die Wärme aus der Luft, die im Kraftwerk als Abwärme verloren geht. Rein energetisch betrachtet ist das nicht besser oder schlechter als bei einem Gaskessel, der ebenfalls 100 % des Brennstoffs in Wärme umwandelt. Aber der Umweg über den Strom erfordert den Bau neuer Gaskraftwerke und Stromleitungen.

Wärmenetze als Schlüssel für Abwärmenutzung

Letztlich endet jede hochwertige Energie nach der letzten Umwandlung, Speicherung und Nutzung als Wärme. Für den Wärmesektor mangelt es nicht an Abwärme, nur an Infrastruktur, diese nutzbar zu machen. Bereits jetzt nutzen viele Wärmenetze die Abwärme aus konventionellen Kraftwerken. Bei der Umstellung auf ein zu 100 % erneuerbares Energiesystem entsteht so das Problem, nicht genügend Abwärme aus den Kraftwerken zu erhalten, solange Wind und Sonne diese überflüssig machen. Genau dann ist aber günstiger Strom verfügbar, um mit einer Großwärmepumpe das Abwärmepotenzial anzuzapfen und damit das Wärmenetz zu versorgen.

Wettlauf um das CO2-Restbudget

Der Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, der Strom- und Wärmenetze sowie Stromspeicher und der Wasserstoffwirtschaft ist nicht innerhalb weniger Jahre zu schaffen. Es wird bis 2030 dauern, um wenigstens ein Drittel der Heizungsanlagen mit einer elektrischen Wärmepumpe auszurüsten. Wenn es gut läuft, wird dann ein weiteres Drittel aus dem Fernwärmenetz versorgt. Aber das letzte Drittel wird unvermeidlich noch über zehn Jahre lang mit fossiler Energie beheizt werden. Für alle Gebäude gilt daher, dass schon in der Zeit bis zur Installation der Ideallösung Maßnahmen durchgeführt werden sollten, die den Verbrauch fossiler Energie zumindest anteilig senken.

Die Bundesregierung macht dabei Druck: Ab dem 1. Januar 2024 soll eine Heizungsanlage nach dem fällig werdenden Austausch des Wärmeerzeugers zu 65 % erneuerbare Energien nutzen. Viele Fachleute fragen sich, wie das für Gebäude umsetzbar ist, die weder für eine Wärmepumpenheizung noch für einen Holz- beziehungsweise Pelletkessel geeignet sind und für die kein Anschluss an ein Wärmenetz verfügbar ist.

Solarthermie als Stauumfahrung der Energiewende

Solarthermie bietet die Chance, kurzfristig und ohne eine zusätzliche Belastung des Stromnetzes den Verbrauch fossiler Energien einer Heizungsanlage deutlich zu verringern. Die bei heizungsunterstützenden Anlagen zusammen mit den Sonnenkollektoren installierte Speichertechnik und hocheffiziente Wärmenutzung stellt eine hervorragende Basis für die spätere Umstellung auf eine Wärmepumpe oder einen Wärmenetzanschluss dar.

Wärmepumpen sollten vorrangig für das Beheizen von Häusern eingesetzt werden, in denen sie mit dem knappen Ökostrom ein Maximum an Wärme erzeugen. Aktuelle Wärmepumpen sind zwar in der Lage, auch höhere Vorlauftemperaturen zu erzeugen. Aber dieselben Kilowattstunden Heizwärme kosten bei 55 °C Vorlauftemperatur für einen Radiatorheizkreis 30 bis 50 % mehr Strom als bei 35 °C für einen Flächenheizkreis.

Jede zusätzliche Heizfläche, die es ermöglicht, die Auslegungstemperatur eines Heizkreises zu senken, vermindert zwar nicht
die Wärmemenge, die in die Raumheizung fließt, aber die elektrischen Kilowattstunden, die von der Wärmepumpe verbraucht werden und teuer bezahlt werden müssen. Es lohnt sich also, Altbauten zur Senkung der Heizkreistemperaturen energetisch so zu sanieren, dass der Stromverbrauch der Wärmepumpe bezahlbar bleibt. Ansonsten investiert man besser in einen Pelletkessel, der weniger Probleme mit hohen Heizkreistemperaturen hat. Biomassekessel müssen jetzt übrigens mit einer solarthermischen Anlage oder Wärmepumpe kombiniert sein, um Zuschüsse aus dem Bafa-Förderprogramm zu erhalten.

Für die Wärmewende steht eine Vielzahl an unterschiedlichen technischen Lösungen zur Verfügung. Wir müssen alle nutzen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

letzte Änderung: 27.06.2013