ENSO
Trotz vor dem Bundesgerichtshof verweigert die Gasversorgung ihren Kunden die Rückzahlung zuviel verlangter Preise.
Enso-Streit mit der Landeskartellbehörde Sachsen
Prof. Dr. Kurt Markert Berlin, den 29. September 2008
Direktor beim Bundeskartellamt a. D.
Ilmenauer Str. 2 a
14193 Berlin
gleichlautend auch gesendet vom Bund der Energieverbraucher e.V.
Sächsisches Staatsministerium
für Wirtschaft und Arbeit
Ref. 13 – Landeskartellbehörde
Postfach 100329
01073 Dresden
Anzeige wegen Verstoßes gegen Verbote des GWB
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erstatte ich gegen die ENSO Energie Sachsen Ost AG, Dresden,
Anzeige
wegen Verstoßes gegen die Verbote der § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 GWB.
Begründung:
ENSO hat seit 2004 ihre Gaspreise für Normsonderkunden mehrmals erhöht, ohne hierfür eine vertragsrechtlich wirksame Ermächtigung zu haben. Dies hat der Bundesgerichtshof in einem rechtskräftigen Urteil vom 29. April 2008, KZR 2/07, entschieden. Die fehlende Ermächtigung ergibt sich nach diesem Urteil daraus, dass die in den Lieferverträgen enthaltene Preisanpassungsklausel (§ 2 Ziff. 2) wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. In seinem Urteil hat der BGH auch entschieden, dass ENSO auf dem als relevant anzusehenden Markt für die Belieferung von Gas-Kleinkunden im eigenen Versorgungsgebiet eine marktbeherrschende Stellung hat.
Nach Auskunft der das Gerichtsverfahren begleitenden Verbraucherzentrale Sachsen hat ENSO inzwischen an die an diesem Verfahren beteiligten Sonderkunden die zu Unrecht erlangten Rechnungsbeträge zurückerstattet oder verrechnet und auf Nachforderungen auch anderen Sonderkunden gegenüber verzichtet. Den übrigen nach dem gleichen Liefervertragsmuster belieferten Sonderkunden wurde jedoch offenbar keine entsprechende Erstattung oder Verrechnung gewährt. Daraus ergibt sich der dringende Verdacht einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung, die gegen die Verbote der § 20 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 GWB verstößt.
1. Verstoß gegen § 20 Abs. 1 GWB
Nach dieser Vorschrift dürfen marktbeherrschende Unternehmen andere Unternehmen in einem gleichartigen Unternehmen zugänglichen Geschäftsverkehr nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandeln. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass jedenfalls ein Teil der von ENSO nach dem BGH-Urteil vom 29. April 2008 zugrunde liegenden Vertragsmuster belieferten Sonderkunden das Gas auch für gewerbliche Zwecke beziehen und damit Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB sind. Sollte, was nahe liegt, nur einigen dieser Kleingewerbekunden die Überzahlung erstattet oder verrechnet oder auf Nachforderungen verzichtet worden sein, anderen dieser Kunden gegenüber jedoch nicht, läge eine Ungleichbehandlung in der Form ungleicher Preise für die gleiche Leistung vor. Bei der Belieferung von Kleingewerbetreibenden mit Erdgas handelt es sich auch um einen Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Schließlich fehlt für die Ungleichbehandlung durch die marktbeherrschende ENSO auch die sachliche Rechtfertigung. Denn für diejenigen Sonderkunden, die nicht von einer Rückzahlung, Verrechnung oder einem Verzicht auf Nachforderung profitieren, fehlt mangels einer wirksamen Vertragsgrundlage die sachliche Rechtfertigung der dadurch bedingten höheren Preise. Dies würde nur dann nicht gelten, wenn diese Kunden in Kenntnis der Sach- und Rechtslage ausdrücklich auf eine gleiche Preisanpassung verzichten würden. Dies ist jedoch schwer vorstellbar.
2. Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB
Soweit von ENSO in der vorbezeichneten Weise ungerechtfertigt ungleich behandelte Sonderkunden Unternehmen sind und deshalb ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 GWB vorliegt, verstößt ENSO auch gegen das Verbot des § 19 Abs. 1 GWB. Dieses Verbot erfasst aber auch die Ungleichbehandlung von Kunden durch einen marktbeherrschenden Lieferanten, die keine Unternehmen im Sinne des GWB sind. Zwar fällt die Benachteiligung der ungünstiger behandelten Kunden nicht unter die Missbrauchstatbestände des § 19 Abs. 4 GWB. Diese schöpfen aber den Rahmen des Verbots der Generalklausel des § 19 Abs. 1 nicht aus, sondern sind nur nicht ausschließliche Regelbeispiele für einen Missbrauch im Sinne dieser Vorschrift.
Dass § 19 Abs. 1 GWB nicht nur Unternehmen, sondern auch private Haushaltsabnehmer schützt, ergibt sich aus § 19 Abs. 4 Nr. 2. Es widerspräche deshalb dem Gesetzeszweck des § 19 Abs. 1, dieses Verbot nicht auch auf die Benachteiligung von Haushaltskunden durch ungerechtfertigt unterschiedliche Behandlung bei den von einem marktbeherrschenden Lieferanten geforderten Preise und Geschäftsbedingungen anzuwenden.
Gegenüber den nicht durch eine Rückerstattung, Verrechnung oder einen Nachzahlungsverzicht begünstigten Haushaltssonderkunden verstößt ENSO aber auch gegen das Verbot des § 19 Abs. 1 und 4 Nr. 2. Denn in einem durch einen wirksamen Wettbewerb geprägten Markt wäre eine Preiserhöhung ohne eine bindende vertragsrechtliche Ermächtigung nicht möglich. ENSO fordert deshalb insoweit auf dem von ihr beherrschten Gasmarkt höhere Preise, als sie sich bei wirksamem Wettbewerb auf diesem Markt ergeben würden. Der damit bewirkte Verstoß gegen § 19 Abs. 1 und 4 Nr. 2 betrifft auch die benachteiligten Kleingewerbekunden.
3. Behördliche Eingriffsmöglichkeiten
Nach § 32 Abs. 1 GWB kann die im vorliegenden Fall örtlich zuständige Landeskartellbehörde Sachsen die ENSO verpflichten, die oben unter 1. und 2. dargelegte Zuwiderhandlung gegen die Verbote der § 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 GWB abzustellen. Die Abstellung kann hier praktisch nur dadurch geschehen, dass ENSO die bisher nicht begünstigten Sonderkunden den bereits begünstigten gleichstellt. Dies kann als Konkretisierung der Abstellungsverpflichtung von der Kartellbehörde angeordnet werden.
Sollte ENSO dem nicht nachkommen, kann die Landeskartellbehörde auch den wirtschaftlichen Vorteil, den ENSO durch die nicht erstatteten oder verrechneten Preiserhöhungsbeträge erlangt hat, nach § 34 Abs. 1 GWB abschöpfen. Die Höhe dieses Vorteils lässt sich aus den Geschäftsunterlagen der ENSO ohne weiteres feststellen.
Ein Eingreifen der Landeskartellbehörde im vorliegenden Fall liegt auch angesichts der voraussichtlich sehr großen Zahl betroffener Einzelfälle im öffentlichen Interesse. Die Alternative zu diesem Eingreifen wäre, dass jeder einzelne benachteiligte Sonderkunde den durch rechtsgrundlose Zahlungen unter Verstoß gegen Verbote des GWB erlittenen Schaden im Zivilrechtsweg nach § 33 GWB geltend machen müsste. Dies würde diese Kunden, insbesondere die kleineren Haushaltskunden, mit dem zusätzlichen Nachteil der Prozessführung belasten und würde schon wegen des Prozesskostenrisikos viele von ihnen von diesem Weg abschrecken. Aber auch soweit dies nicht der Fall ist, kann eine Inflation einer Vielzahl von Parallelprozessen nicht im öffentlichen Interesse liegen.
Aus den vorgenannten Gründen bitte ich um die Einleitung eines Kartellverwaltungsverfahrens Ihrer Behörde gegen ENSO nach § 32 und ggf. § 34 GWB.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort der Landeskartellbehörde Sachsen
Antwort von Prof. Markert:
Sehr geehrter Herr Huber,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 10.02.2009.
Ich bedauere sehr, Ihnen antworten zu müssen, dass Ihre darin gegebene Begründung, auf meine Anzeige hin nicht tätig zu werden, ist unter keinen rechtlichen Gesichtspunkten haltbar ist. Schon die Tatsachengrundlage ist nicht richtig, da ENSO nach meinen Informationen auch allen Kunden, die die Erhöhungsbeträge unter Vorbehalt gezahlt, aber sich nicht an der Sammelklage beteiligt haben, diese Beträge erstattet hat. Insoweit trifft Ihre Begründung, die Ungleichbehandlung der Kläger gegenüber den übrigen ENSO-Sonderkunden sei durch das höhere Risiko der klagenden Kunden gerechtfertigt, offensichtlich nicht zu.
Aber auch in rein materiell-rechtlicher Hinsicht geht Ihre Begründung fehl. Denn sie bedeutet im Ergebnis, dass das Verbot des § 20 Abs. 1 GWB nur diejenigen schützt, die sich gegen unbillige Behinderungen und Diskriminierungen zivilrechtlich zur Wehr setzen. Diese Rechtsauffassung ist auch nach meiner Kenntnis als Kommentator des § 20 im GWB-Kommentar von Immenga/Mestmäcker bisher weder in der Rechtsprechung der Kartellgerichte, noch im einschlägigen Fachschrifttum vertreten worden. Sie widerspricht auch ganz offensichtlich der Direktwirkung dieses Verbots.
Selbst wenn aber die Ungleichbehandlung von Sonderkunden auf der Grundlage Ihrer Rechtsauffassung als sachlich gerechtfertigt anzusehen wäre, bleibt die Tatsache, dass gegenüber denjenigen Kunden, denen ENSO die Rückerstattung der unrechtmäßig erlangten Erhöhungsbeträge verweigert, von ENSO unter Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB missbräuchlich überhöhte Gaspreise durchgesetzt wurden. ENSO hat nach der rechtskräftigen Feststellung des Kartellsenats des BGH im Urteil vom 29.04.2008, KZR 2/07, auf dem hier relevanten örtlichen Kleinkundenmarkt eine marktbeherrschende Stellung. Dies wird auch durch die Entscheidung dieses Senats vom 10.12.2008, KVR 2/08 – Stadtwerke Uelzen, indirekt bestätigt. Das Fordern und Durchsetzen von Entgelten durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, für die kein zivilrechtlich wirksamer Anspruch besteht, ist ein mindestens ebenso schwerer Ausbeutungsmissbrauch wie das Fordern von Entgelten, die erheblich über denen liegen, die sich bei einem wirksamen Wettbewerb auf dem beherrschten Markt bilden würden (§19 Abs. 4 Nr. 2 GWB). Beides ist nur marktbeherrschenden Unternehmen wegen des Fehlens ihrer Kontrolle durch einen wirksamen Wettbewerb möglich.
Dass den nicht an der Sammelklage beteiligten Kunden von ENSO für die Zukunft neue Lieferverträge angeboten wurden, ändert an der in der Zeit davor liegenden Ungleichbehandlung und Ausbeutung durch überhöhte Preise nichts. Denn diese Verträge wurden offenbar auch den klagenden Kunden, die für die Vergangenheit eine Rückerstattung oder Verrechnung erhalten haben, angeboten
Ich bitte Sie deshalb, Ihre Haltung im Lichte der vorstehenden Ausführungen nochmals zu überprüfen und insbesondere dabei auch den § 19 Abs. 1 GWB zu berücksichtigen. Ich darf noch anmerken, dass der Kartellsenat des BGH in der Entscheidung im Fall Stadtwerke Uelzen die Aufgabe der Kartellbehörden, die von Ausbeutungsmissbräuchen betroffenen Kunden zu schützen, noch dadurch besonders betont hat, dass nach seiner Ansicht nach § 32 GWB auch die Rückerstattung überzahlter Beträge an alle Kunden, nicht nur an Zivilkläger, angeordnet werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Prof Dr. Markert
Antwort
Gesendet: Freitag, 13. März 2009 11:13
An: kurt.markert1@freenet.de
Cc: Kittel, Stefanie (SMWA)
Betreff: Ihre Anzeige gegen ENSO
Sehr geehrter Herr Professor Markert,
Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 04.03.2009. Ich möchte Ihre Argumentation nochmals aufgreifen.
In dem Verfahren gegen die ENSO haben 161 Kläger geltend gemacht, die Erhöhungen des Gaspreises gegenüber den Klägern seien rechtswidrig gewesen. Der BGH hat daraufhin die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB festgestellt.
Der BGH hat sein Urteil nicht darauf gestützt, dass die ENSO als marktbeherrschendes Unternehmen den Preis in einer Höhe festgesetzt hätte, die am Markt bei unterstelltem Wettbewerb keinen Bestand hätte haben können. Er führt vielmehr sogar aus, dass der Inhalt der Preisanpassungsklausel sich nicht an kartellrechtlichen Kriterien ausrichten müsse, und prüft dann deren Voraussetzungen nicht weiter.
Ich gebe Ihnen selbstverständlich recht, dass ein missbräuchlich überhöhter Preis den Verdacht auf einen Missbrauch der Marktmacht intendiert. Es trifft aber nicht zu, dass aus der Unwirksamkeit einer Preiserhöhungsklausel auch folge, dass der neue Preis überhöht sei. Denn die Preisanpassungsklausel wäre selbst dann unwirksam, wenn der neu geforderte Preis der niedrigste im ganzen Markt gewesen wäre.
Demzufolge kann die Landeskartellbehörde nicht allein aus dem Urteil entnehmen, der Preis der ENSO wäre an sich bereits überhöht gewesen. Nur dann hätte die Landeskartellbehörde einen Anlass gesehen, auch zugunsten der Kunden, die sich nicht am Verfahren beteiligt hatten, bei der ENSO zu intervenieren. Wir sehen es nicht als Sache des Kartellrechts an, das Zivilrecht dadurch zu überlagern, dass wir in jedem Verstoß gegen das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen durch marktbeherrschende Unternehmen einen Kartellrechtsverstoß vermuten.
Dagegen gilt – ohne kartellrechtliche Komponente betrachtet - in diesem Verfahren gegen ENSO der Grundsatz, dass zivilrechtliche Urteile grundsätzlich nur inter partes wirken. Dieser Kreis erweitert sich, wie Sie zutreffend angemerkt haben, durch die Handhabung, alle anderen gleich zu behandeln, bei denen die neuen Preise noch „offen“ sind, die sich also nicht mit den neuen Preisen dadurch einverstanden erklärt haben, dass sie auf Schritte gegenüber dem Versorger verzichtet haben. Als „offen“ gehalten werden jedoch nicht solche Verfahren angesehen, bei denen die Kunden zumindest konkludent haben erkennen lassen, mit den neuen Preisen einverstanden zu sein. Hierzu korreliert auch die Rechtsprechung des BGH, der den Einwand der Unbilligkeit i.S.d. § 315 BGB nicht zulässt, wenn ein Preis zwischen den Parteien vereinbart worden ist. Als vereinbarten Preis sieht dabei das Gericht auch den neuen Preis nach Preiserhöhung an, wenn der Kunde dem nicht widersprochen hat (BGH v. 13.06.2007, NJW 2007, 2540).
Im Übrigen darf ich Ihnen mitteilen, dass die Landeskartellbehörde eine Abfrage der Gaspreise der sächsischen Gasversorger vorgenommen hat. Die Auswertung läuft noch. Wir werden am Ende sehen, ob der Gaspreis der ENSO im Vergleich zu den Unternehmen auf anderen vergleichbaren Märkten eine kartellrechtliche Maßnahme erfordert.
Mit freundlichen Grüßen
Raimund Huber
Ministerialrat
Leiter Referat 51
Landeskartellbehörde, Landesregulierungsbehörde, Börsenaufsicht,
Banken, Versorgungswerke, Finanzmarktrecht