1964

Die Energiefalle: Rückblick auf das Erdölzeitalter

In seinem neuen Buch "Die Energiefalle: Rückblick auf das Erdölzeitalter" redet uns Wolfgang Gründinger ins Gewissen. Die Energiedepesche zitiert einige Passagen aus dem neuen Werk - mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

(12. September 2006) - Mit dem fossil-atomaren Energieversorgungssystem hat sich die Menschheit in Ketten gelegt. Sie ist in eine Falle geraten, aus der sie sich nur mit mühsamen Anstrengungen und fester Entschlusskraft befreien kann. Sie ist süchtig nach der schwarzen Droge Öl geworden, besessen davon, ihre Lebensgrundlagen zu verbrennen. Die Menschheit leidet unter Pyromanie. …

Wolfgang Gründinger

Das fossil-atomare Energiesystem bedeutet die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit, es bedeutet Ungerechtigkeit, Krankheit, Armut und Krieg. Wir plündern die Natur und ignorieren, dass ihre Schätze begrenzt sind und die Natur zurückschlagen wird.

Solarenergie als Ausweg

Allerdings werden wir nur dann den Weg in den Abgrund verlassen können, wenn wir uns auf den Pfad der solaren Energie begeben. Dieser Wandel muss radikal sein. Jeder fossil-atomare Strukturkonservatismus, jedes "business as usual" wäre ein Selbstmordprogramm. …

Die Ablösung unseres Energiesystems ist keine öko-romantische Tagträumerei, sondern eine ethisch unabweisbare Verpflichtung. Die Verantwortung gegenüber denjenigen, die nach uns kommen, zwingt uns zum Widerstand. Die fossil-atomar induzierten Umweltschäden sind gleichsam eine Subvention nachfolgender Generationen für die heutige Energiewirtschaft. Dem Wahnsinn des fossil-atomaren kapitalistischen Zeitalters darf nicht die Zukunft der Erde geopfert werden. Doch die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Eliten schieben mit aller Kraft die Vernunft beiseite und steuern uns sehenden Auges in den Abgrund. Die Beendigung dieses Lemming-Phänomens erzwingt ein Ende der fossil-atomaren Energieproduktion.

Die Lösung der Energiekrise ist von herausragender Bedeutung für unsere Zivilisation, nichts Geringeres als die Schicksalsfrage des Industriezeitalters, ja "das moralische Äquivalent von Krieg" (Jimmy Carter). Die Solare Revolution muss zum Schlüsselprojekt der Menschheit werden, das wie ein roter Faden sämtliche Anstrengungen und Politikbereiche durchzieht.

Mit Schönheitsoperationen am fossil-atomaren Energiesystem kann eine nachhaltige Entwicklung nicht erreicht werden. Es reicht nicht, etwas mehr erneuerbare Energien zu wollen, die Kraftwerke etwas effizienter zu machen und irgendwann vielleicht noch auf Atomkraft zu verzichten. Wir brauchen keine Verbesserungen im System, sondern einen völligen Systemwechsel. Ein totaler Umbau des Energieversorgungssystems ist unabwendbar notwendig. Eine solare Energiewende muss eingeleitet werden; sie beruht auf drei ineinander übergreifenden Bausteinen:

  1. Solare Energien ausbauen (Substitution)
  2. Energie rational verwenden durch moderne Technologien (Effizienz)
  3. Energie sparen durch veränderte Wohlstandsmodelle (Suffizienz).

Alle drei Strategien müssen gleichzeitig und konsequent verfolgt werden. Das Steuer- und Abgabensystem muss umgebaut, die Subventionen müssen umverteilt und die neoliberale Globalisierung muss politisch gestaltet werden. Dadurch kann innerhalb der nächsten Jahrzehnte die globale Energieversorgung zu 100 Prozent aus der Sonne gespeist werden. Nur so lassen sich Frieden, Wohlstand und Demokratie im kommenden Jahrhundert sichern.

Solare Revolution

Die Anstrengungen, die zur Umsetzung dieses Solaren Marshallplans erforderlich sind, können nur verglichen werden mit anderen Jahrhundertprojekten wie dem Apollo-Programm zur Mondlandung oder den massiven Investitionen in die Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts gegen enorme, aber widersinnige Widerstände. Dass die Energiekonzerne ihre Entmachtung nicht widerstandslos hinnehmen werden, ist klar. Doch an der "schöpferischen Zerstörung" (Josef Schumpeter) der alten Energiestrukturen führt kein Weg vorbei. Die versiegenden Quellen und die überlasteten Senken bereiten dem fossilen Energiesystem unumstößlich das Aus.

Künftige Generationen werden auf das fossile Zeitalter als eine zwar wichtige, aber doch kurze Epoche in der Geschichte der Menschen zurückblicken.

Cover Die Energiefalle - Wolfgang Gründinger

Im Zeitfenster von 2.500 Jahren ist das Erdölzeitalter nicht mehr als ein Wimpernschlag der Menschheitsgeschichte.

Die Menschheit steht an der Schwelle zum Industriellen Solarzeitalter. Künftige Generationen werden im Rückblick von der Solaren Revolution so selbstverständlich sprechen wie von der Industriellen, der Französischen oder der Landwirtschaftlichen Revolution.

Die Solare Revolution ist utopisch, weil selbst ihre überzeugtesten Anhänger sich ihre langfristigen Wirkungen kaum vorstellen können. Sie ist realistisch, weil sie machbar ist. Die Solare Revolution ist eine reale Utopie. Sie ist ethisch notwendig, gesellschaftlich wünschenswert, ökologisch unabweisbar erforderlich, technisch machbar und wirtschaftlich vernünftig. Was fehlt, ist einzig und allein der politische Wille.

Dass sich die fossil-atomaren Besitzstandswahrer an das alte, verkrustete System aus Öl und Atom klammern und sich mit aller Macht gegen den Wandel wehren, ist unverkennbar. Sie haben viel zu verlieren. Die fossilen Energiekonzerne sind die größte und mächtigste Industrie der Welt, reicher und mächtiger als selbst viele wohlhabende Nationen. Die Macht der fossilen Hydra zu brechen, wird eine der schwierigsten Aufgaben auf dem Weg zum Solarzeitalter sein. Durch ständiges Wiederholen ihrer Lügen hat der petroindustrielle Komplex die Köpfe manipuliert.

Die Propagandaschlacht der fossilen Industrie erinnert fatal an Orwells "1984", in dem die Bürger durch die Parole "Krieg ist Frieden - Sklaverei ist Freiheit - Dummheit ist Stärke" gefügig für die Interessen der Herrschenden gemacht werden. Im Energiekampf, im großen Spiel um Öl, Geld und Macht, scheinen alle Mittel erlaubt. "Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Energielügen", begriff der ehemalige US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter.

Wissen und Handeln

Warum wird die Kluft zwischen Wissen und Handeln immer größer? Warum ist die Neigung so gering, sich den wirklichen Zukunftsfragen zuzuwenden? Warum wird selbst in der Sozialdemokratie, die sich traditionell gegen unreflektierte Fortschrittsgläubigkeit wendete, die Energiefrage so wenig und so oberflächlich diskutiert, obwohl es doch so klar auf der Hand liegt, dass die einzige sozialdemokratische Energie nur die Sonne, nicht die Kohle und sowieso nicht die Atomenergie sein kann?

Warum verhält sich die politische Linke so teilnahmslos in der Energiefrage, obwohl schon Karl Marx wusste, dass nicht nur die Arbeit, sondern ebenso die Natur die Quelle allen Reichtums ist? Warum gibt es in christlichen und konservativen Parteien so starke Feinde der Solarenergie, obwohl sie doch die Bewahrung der Schöpfung und ein christliches Menschenbild als ihr ureigenstes Anliegen betrachten müssten?

Warum erklärt man Politiker, die den solaren Systemwechsel als unrealistisch abtun und an fossilen Dinosauriertechnologien festhalten, zu "Realos" und "Modernisierern"? Warum diffamiert man Menschen, die sich für alternative Zukunftsentwürfe stark machen, als "Fundamentalisten"? Warum denunziert man Atomkraftgegner als Technikpessimisten, obwohl sie doch begeistert sind von modernen solaren Technologien?

Warum nur beteiligt sich alle Welt so inbrünstig und überzeugt an dem neoliberalen Pseudorealismus, dessen verheerende soziale und ökologische Folgen wir nach 20 Jahren doch allzu gut kennen müssten? Warum vertrauen wir verkommenen fossilen Großstrukturen, trauen aber nicht dezentralen solaren Energiequellen, die wir selbst vor Augen haben? Warum nur trauen wir den blinden Gesetzen des Marktes mehr als den unverbrüchlichen Gesetzen der Natur?

Eine Krise ist nach Jürgen Habermas ein Zustand, in dem die bisher gewählten Lösungsansätze offenkundig ungeeignet werden und die geeigneten noch nicht gefunden oder ausprobiert wurden. In einer solchen Weltkrise befinden wir uns, doch die neuen Lösungen sind bereits da und müssen nur noch ernsthaft umgesetzt werden. Wir haben noch Zeit zum Handeln, aber keine Zeit zu verlieren. Die Menschheit hat nichts zu verlieren als ihre fossilen Ketten. Sie hat eine Welt zu gewinnen.

Atomkraft vor dem Aus

Angesichts des Grauens von Hiroshima war es für Otto Hahn und die anderen Pioniere der Kernphysik ein Trost, dass die Kernspaltung eine sorglose, saubere Energiequelle verhieß.

"Ich glaube, wir Atomphysiker haben am Anfang alle so gedacht", erinnert sich der große Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der damals maßgeblich für den Triumph der Atomkraft verantwortlich war und lange Zeit vehement für die Kernenergie stritt.

Mitte der 1980er Jahre aber wartete er "mit einer audrücklichen und zitierbaren Korrektur (seiner) älteren Äußerungen" auf: Die Probleme der Kernenergie habe er bislang immer nur technisch isoliert betrachtet und als lösbar empfunden; das sehe er heute kritischer. Gleichzeitig habe die Solarenergie Fortschritte gemacht. Daher, schreibt von Weizsäcker, "trete ich nunmehr entschieden für Sonnenenergie als hauptsächliche Energiequelle, unterstützt durch technisch ermöglichte Energieeinsparung, und gegen die Entscheidung für Kernenergie als Hauptenergiequelle ein; ebenso wenig kann ich die fossilen Brennstoffe für die längere Zukunft als vertretbare Hauptenergiequelle ansehen." Diese geistige Lebhaftigkeit ist allen zu wünschen, die heute Energiepolitik machen!

Die verschrotteten Anlagen sind ein Mahnmal für die ungezählten Toten und für die Milliarden an Steuergeldern, die für eine unwirtschaftliche Risikotechnologie in den Sand gesetzt wurden. Und sie erinnern an die nach fünf Jahrzehnten immer noch ungelöste Frage, wie der hochgiftige Atommüll unschädlich gemacht werden kann.

Die Energiefalle
Wolfgang Gründinger
Verlag C. H. Beck
ISBN 340 65 40 988
12,90 Euro

letzte Änderung: 09.01.2015