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Energieautonomie

Energieautonomie

Energie aus eigenen nachhaltigen Ressourcen, stets verfügbar und frei von Fremdbestimmung - Energieautonomie bietet enorme politische und wirtschaftliche Vorteile. Kein Wunder, dass das neue Buch "Energieautonomie" von Hermann Scheer ein Plädoyer für erneuerbare Energien ist. energieverbraucher.de veröffentlicht eine Kurzfassung des Buches.

(9. September 2005) - Eine Prognose ist schon jetzt gesichert: Erneuerbare Energien werden eines Tages die einzigen sein, mit denen die Menschen ihre Energiebedürfnisse befriedigen. Wenn der Umschwung zu erneuerbaren Energien nicht in den nächsten beiden Jahrzehnten gelingt, wird die Welt absehbar in gewaltträchtige Ressourcenkonflikte schlittern.

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Hermann Scheer - Bundestagsabgeordneter, Träger des alternativen Nobelpreises und Präsidentvon Eurosolar

"How long? Not Long!" Diese kurze Frage wie klare Antwort hämmerte Martin Luther King in den 60er Jahren der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ins Bewusstsein, um sie von der nahen Chance der Realisierung ihrer Ziele zu überzeugen. Mit solcher Entschlossenheit und Zuversicht wird die Phantasie vieler angeregt, die soziale Atmosphäre belebt sich, neue praktische Ideen sprießen. So sind in kurzer Zeit ungeahnte Entwicklungssprünge möglich.

"How long? Very long!": Dieses Denken dominiert leider bisher in der Diskussion über die Zeitperspektive des Energiewechsels. Selbst überzeugte Ökologen geben sich damit als realistisch. Aber lange Zeithorizonte entlassen Menschen aus ihrer unmittelbaren Verantwortung und führen dazu, die Angelegenheit den professionellen Experten zu überlassen.

Not long: Energieautonomie

Die wichtigste Ressource für erneuerbare Energien - die gesellschaftliche - bleibt dann unausgeschöpft. Deshalb geht es mir vor allem darum, diejenigen Ansätze erneuerbarer Energien erkennbar zu machen, die auf die viel gestellte Frage "how long?" die Antwort "not long!" erlauben.

Das Leitmotiv dafür ist Energieautonomie. Es ist gleichermaßen politisch, wirtschaftlich und technologisch gemeint. Es ist, als verallgemeinerbares Konzept, nur mit erneuerbaren Energien möglich. Energieautonomie ist aber nicht nur das Ergebnis eines Wechsels zu erneuerbaren Energien, sondern zugleich der harte Kern der praktischen Strategie: Autonome Initiativen von Individuen, Organisationen, Unternehmen, Städten und Staaten sind geboten, um das Ganze zu bewegen. Die neue Politik für erneuerbare Energien ist, diesen Initiativen die Räume zu öffnen, in denen sie sich ungehindert entfalten können.

Dem schwedischen Wirtschaftsnobelpreisträger und Soziologen Gunnar Myrdal zufolge kann ein gesellschaftliches Projekt durchgesetzt werden, wenn es nur von fünf Prozent passionierter Menschen zielstrebig und ausdauernd verfolgt wird.

Fossiler Energierausch

Wie weit wir davon entfernt sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen, zeigt die reale Entwicklung seit den 70er Jahren. Vor dem Ausbruch der Weltölkrise 1973 lag der Weltenergieverbrauch, gemäß den statistischen Angaben der Internationalen Energie-Agentur, bei 6.034 Millionen Tonnen ROW (Rohöleinheiten). 2002 waren es 10.213 Millionen Tonnen - eine Steigerung um 69 Prozent, also um mehr als zwei Drittel.

Der Anteil der erneuerbaren Energien ist in diesem Zeitraum mit knapp 14 Prozent konstant geblieben. Die Weltenergiekonferenz kam in Sydney im Spätsommer 2004 zu dem Schluss, dass kein Weg an einer Steigerung des fossilen Energieverbrauchs um 85 Prozent bis zum Jahr 2050 vorbei führt und dass der künftige Stellenwert der Atomenergie höher sein werde als jener der erneuerbaren Energien.

Das explosionsartige Wirtschaftswachstum samt den Konsumsteigerungen hat besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine weltweite Orgie fossilen Energieverbrauchs ausgelöst. Die industrialisierte Welt stürzte in ein Energie-Delirium - einen anhaltenden und den Rest der Welt zur Nachahmung animierenden Rauschzustand, der allenthalben die Sinne vernebelt.

Gefahr ruinöser Turbulenzen

Der Welt drohen ruinöse Turbulenzen, wenn aus unbegründeter Angst vor dem Wechsel zu erneuerbaren Energien das Spiel mit dem atomaren und fossilen Feuer fortgesetzt wird. Man fühlt sich an das Handlungsmuster einer altgriechischen Tragödie erinnert, in der alles auf ein unheilvolles Ende hinausläuft. Alle Beteiligten sehen es voraus, aber keiner kann sich aus seinem eigenen Verhaltenszwang lösen, der es mit herbeiführen wird.

Realität ist, dass die Menschheit vor der größten Herausforderung der Zivilisationsgeschichte steht und sich dieser trotzdem nicht in der gebotenen Weise stellt. Sie hat sich mit den fossilen und atomaren Energien auf zwei "prometheische" Großversuche eingelassen, von denen sie nicht aus freien Stücken ablassen will.

Welche Gesellschaft wird noch durch zielbewusstes Handeln fähig sein, sich ein neues, Überleben sicherndes Energiefundament zu schaffen, wenn der Flächenbrand der Energiekrisen voll um sich gegriffen hat?

Energieautonomie - Eine neue Politik für erneuerbare Energien Hermann Scheer 314 Seiten, 17,90 Euro Verlag Antje Kunstmann München ISBN 3-8889-7390-2

Das Potenzial Erneuerbarer

Dass die erneuerbaren Energien den gesamten Weltbedarf an Energien befriedigen können, ist seit den 70er Jahren in wissenschaftlichen Szenarien wiederholt detailliert dargelegt worden: weltweit, für die USA, mehrfach für Europa, für Deutschland und Japan, für Schweden oder Österreich - und auch für Regionen einzelner Länder. Diesen ist gemeinsam, dass sie in der Energiediskussion systematisch ignoriert werden, selbst von einschlägigen Umweltinstituten.

Beispiel Strom

Der jährliche kommerzielle Stromverbrauch lag 2001 weltweit bei 15,5 Billionen Kilowattstunden. Um diese Strommenge ausschließlich durch Windkraft bereitzustellen, müssten - ausgehend von 2,5-MW-Anlagen, die unter mittleren Windgeschwindigkeiten sechs Millionen Kilowattstunden im Jahr erzeugen - weltweit 2,5 Millionen Windkraftanlagen auf dem Erdball installiert sein.

Um dieselbe Strommenge mit Photovoltaik-Anlagen zu erzeugen, müssten - setzt man eine Produktionsleistung von 75 Kilowattstunden Strom pro Quadratmeter Solarzellenfläche und Jahr an, was ein relativ geringer Wert unter deutschen Einstrahlungsbedingungen ist - weltweit rund 210.000 km2 Solarzellen installiert werden.

Das ist deutlich weniger als die allein in der EU überbaute Fläche, in die Solarzellen vielfältig integriert werden könnten. Bei solarthermischen Kraftwerken müssten es - gemessen daran, dass pro Hektar Kollektorfläche etwa zehn Millionen Kilowattstunden produziert werden - weltweit 155.000 Quadratkilometer Kollektorfläche sein, installiert in Wüstengegenden oder auf anderen sonst nicht genutzten Flächen.

Beispiel Heizwärme

Um den gegenwärtigen Wärmeenergiebedarf der Weltbevölkerung durch Sonnenwärme zu befriedigen, würden - gemessen am Verbrauch des Jahres 2001 in Höhe von 3,34 Billionen Kilowattstunden - 15.000 Quadratkilometer Solarkollektoren reichen, berechnet auf der Basis von nur 2,25 Kilowattstunden Solarwärmeleistung pro Quadratmeter Kollektorfläche.

Beispiel Kraftstoff

Würde der heutige fossile Kraftstoffbedarf in Höhe von 21 Billionen Kilowattstunden durch Biokraftstoffe gedeckt, müssten dafür, gemessen an einem durchschnittlichen Energieertrag von 50.000 Kilowattstunden pro Hektar 4,19 Millionen Quadratkilometer Wald- oder Ackerfläche für kontinuierliche Energieernten zur Verfügung stehen. Das entspricht etwa acht Prozent der weltweiten Wald-, Wiesen- und Ackerflächen.

Die Hemnisse

Das sind Hochrechnungen einzelner Optionen erneuerbarer Energien, für die es so wie skizziert keine Realisierungsbedarf gibt.

Worin soll also das prinzipielle Hindernis bestehen? Die vorgestellten Hochrechnungen dienen allein der Öffnung der Gedanken. Mit jedem Schritt näherer und differenzierterer Betrachtung des natürlichen und technischen Anwendungspotenzials wird die praktische Attraktivität erneuerbarer Energien größer.

Die Behauptung, es sei nicht möglich, mit erneuerbaren Energien zu einer umfassenden Energieversorgung zu kommen, ist eine Beleidigung der Kreativität von Physikern, Chemikern oder Ingenieuren.

Überall, wo es um neue Bereitstellungskapazitäten geht, haben dezentral genutzte Energien einen klaren Zeitvorteil.

Das eigentliche Zeitproblem erneuerbarer Energien ist kein wirklich technologisches und auch kein wirtschaftliches, sondern ein politisches und geistiges: Das politische hat die Form zahlreicher willkürlicher administrativer Hürden, das geistige liegt in der Notwendigkeit eines Einstellungswandels.

Die weit verbreitete Vorstellung, dass die für konventionelle Energie entstandene Struktur der Maßstab einer modernen Energieversorgung ist und deshalb auch für erneuerbare Energien die beste wäre, ist irrig. Sie setzt beim dritten Schritt der Entwicklung eines Energiesystems - den heutigen Strukturen - an, also nach dem ersten - der Wahl der Energiequelle - und nach dem zweiten, der für deren produktivste Nutzung notwendigen und möglichen Technologie.

Speicherung

Dass die Sonne nicht scheinen und der Wind nicht wehen könnte, wenn man den daraus gewinnbaren Strom gerade braucht, wird als unüberwindliches Hindernis dargestellt - als würden im Gegensatz dazu die Kohle oder das Uran in dem Moment aus dem Bergwerk geholt, in dem Kohle- oder Atomstrom nachgefragt wird. Zunehmend mehr Aufmerksamkeit erfährt unter anderem die Speicherung in Form von Druckluft. Kleinere Mengen können in Druckluftbehältern gespeichert werden. Mit Druckluftbehältern - etwa in der Größe eines Zehn-Kubikmeter-Containers - ist eine durchgängige autonome Hausstromversorgung auf der Basis einer Photovoltaikanlage realisierbar.

Vorzüge Erneuerbarer

Die volkswirtschaftlichen Vorzüge erneuerbarer Energien liegen:

  • in ihrer heimischen Verfügbarkeit und damit in der Deviseneinsparung und der Verbesserung der internationalen Zahlungsbilanz durch vermiedene Energieimporte;
  • in der Ersetzung kommerzieller Brennstoffkosten durch kostenlose Primärenergie, das heißt, in der Substitution von Brennstoffkosten durch Technologie - und damit in der Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Anlagenproduktion. Im Gegensatz zum Großkraftwerksbau, der nicht breit gestreut werden kann, ist die Produktion dezentraler Anlagen potenziell in fast allen Ländern möglich;
  • in der Vermeidung von Infrastrukturkosten durch regionalisierte Energiegewinnung;
  • in der durch solares Bauen und Biomassenutzung eintretenden Förderung von Handwerk und Landwirtschaft, was kleine und mittlere Unternehmen und damit das regionalen Wirtschaftsgefüge dauerhaft stabilisiert;
  • in der breiten Eigentumsstreuung durch das Entstehen dezentraler Betreiberformen;
  • in der Vermeidung ökologischer Folgekosten, unter anderem durch die Reduzierung der Gesundheitskosten und der Kosten für Katastrophenvorsorge und -kompensation; sowie
  • in der Vermeidung internationaler Sicherheitskosten.
Fossiler und atomarer Autismus

Am liebsten wäre es den Trägern des überkommenen Energiesystems, so weiterzumachen wie bisher. Ihre Stellung ist einmalig. Alles hängt an ihren Strippen.

Wie jedes andere System zielt auch das Energiesystem auf seine Selbsterhaltung. Es sind die Szenarios von BP und Shell, die in den letzten Jahren viel Beifall aus der Umweltszene erhielten und auch auf Erneuerbare-Energien-Konferenzen häufig zitiert wurden: Erneuerbare Energien können - so deren Aussage - bis 2050 die Hälfte des Weltenergiebedarfs decken. Allerdings legen sie dieser Prognose die Annahme zugrunde, dass sich der Weltenergiebedarf bis dahin verdoppelt habe.

Im Klartext heißt das auch: Am Kernbestand der konventionellen Energieversorgung wird nicht gerüttelt. Der öffentlich nicht bekannte Verfasser der Shell-Studie hatte intern ein 100-Prozent-Szenario vorgerechnet, aber es wurde ihm bedeutet, dass sich der Konzern eine solche Aussage nicht erlauben könne.

Erdgas und "Clean Coal"

Es ist nicht zu sehen, wie die weltweite Nachfragesteigerung von gegenwärtig etwa 200 Milliarden Kubikmeter im Jahr auf etwa 300 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2025 befriedigt werden kann. Der Nachhaltigkeitsrat stellt fest, dass die Kosten eines CO2-freien Kraftwerks heute höher liegen als für die Erzeugung derselben Energiemenge durch erneuerbare Energie.

Goldenes Wasserstoffzeitalter?

Das "Wasserstoffzeitalter": Es gibt keinen triftigen Grund, ein Zeitalter nach einer Sekundärenergie zu benennen - und dabei einer, die absehbar nicht die tragende Rolle spielen kann und wird.

Die Atomenergie-Community ist traditionell bestens darin geübt, Milliarden öffentlicher Mittel auf ihre Mühlen zu lenken und dann zu verschleudern. Indem sie sich als potenzieller Wasserstoffproduzent ins Spiel bringt, erhofft sie sich nachlassenden Widerstand gegen Atomenergie in der umweltbewussten Öffentlichkeit. Deshalb ist sie, für viele noch unbemerkt, die treibende - und für eine konstruktive Perspektive des Wasserstoffs kontraproduktive - Kraft hinter vielen Wasserstoffkonferenzen.

2393 Atomenergie

Atomenergie sichert die Macht der fossilen Großindustrie.

Atomenergie?

Schätzungen, dass die Uranvorkommen nur noch maximal 60 Jahre reichen werden, beziehen sich auf den Verbrauch der laufenden Anlagen, das heißt, schon bei verdoppelter Anzahl halbiert sich unweigerlich der Verfügbarkeitszeitraum. Vier Jahrzehnte Entwicklung in allen großen Industriestaaten haben das Brüter-Konzept ad absurdum geführt.

Die Welt heute steht vor der existenziellen Entscheidung über die Energieversorgung im postfossilen Zeitalter: der Wahl zwischen Solar und Atom. Faktisch sind die Zukunftsaussichten der Atomenergie - die der Schriftsteller Carl Amery den "faulen Zauber der Zauberlehrlinge" nennt - alles andere als positiv, selbst wenn es keinen Widerstand gegen sie geben würde.

Deshalb spielen die mit ihr verbundenen Projektionen eine so große Rolle: Sie dienen dem hergebrachten Energiesystem als Faustpfand gegen die Umorientierung auf erneuerbare Energien, besonders vor dem Hintergrund des Weltklimaproblems. Die Vorliebe der fossilen Großwirtschaft für die Atomenergie rührt daher, dass sie mit ihr die Energiemacht aufrechterhalten zu können glaubt.

Strukturmacht brechen

Es bleibt keine andere Wahl, als die Strukturmacht des etablierten Energiesystems zu brechen, ihm den Weg zur künstlichen Existenzverlängerung zu versperren und unabhängig davon die erneuerbaren Energien zu mobilisieren. Doch mit welchen Methoden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Handelns und mit welchen Akteuren?

Handlungsblockaden

Wer abhängig ist oder sich so fühlt, wird untertänig. Je ausschließlicher die Energieversorgung von der Energiewirtschaft organisiert wurde, desto größer wurde die Abhängigkeit. Doch die Menschen erlebten sie zunächst überwiegend positiv, bescherte sie ihnen doch nie zuvor erlebte Erleichterungen und wirtschaftliche Wachstums- und Einkommenssteigerungen.

Die Energiewirtschaft darf wie selbstverständlich ihr eigenes Interesse mit dem der Gesellschaft gleichsetzen. Auch wenn sie privatwirtschaftlich organisiert ist, spielt sie quasi die Rolle eines Staatsorgans.

"Code" verbietet Vollversorgung

Im Energiewirtschaftsmilieu wird erwartet, dass seine Mitglieder die Überlegenheit der konventionellen Energieversorgung auch als langfristige Perspektive anerkennen, also den erneuerbaren Energien nur eine untergeordnete Rolle zugestehen. Wer sich an diesen "Code" hält, internalisiert damit zwangsläufig einen Inferioritätskomplex in seinem Engagement für erneuerbare Energien, tritt nur noch zurückhaltend auf und empfindet es bald als peinlich, große und schnelle Schritte zur Ablösung nicht erneuerbarer Energien zu fordern (...). Dass sich Politiker und auch Umweltorganisationen davor scheuen, das Ziel einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien offen zu vertreten, ist meist mit mangelndem Wissen oder einem starken Anerkennungsbedürfnis zu erklären (...).

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Strukturmacht des etablierten Systems brechen

Energiewirtschaft als Staatsorgan

Die im Wirtschaftsleben außergewöhnliche Sonderstellung der Energiewirtschaft, die bis zur Bereitstellung der Infrastruktureinrichtungen ausgeweitet wurde, hat auch die in jüngerer Zeit nahezu eingeleitete Liberalisierung der Stromversorgung überdauert. Trotz Liberalisierung haben die privaten Unternehmen das Recht zum privilegierten Leitungsbau für Strom- oder Gasnetze behalten.

Ihre ambivalente Rolle als gewöhnliche Unternehmen mit staatlichen Rechten blieb unangetastet (...). Die traditionelle Energiewirtschaft rückte damit in die Rolle eines Quasi-Staatsorgans. Die Politik reduzierte sich auf die Rolle des Moderators zwischen divergierenden Interessen der Energiewirtschaft.

Anstoß durch Parlamente

Die politischen Entscheidungen in Deutschland, die in den letzten Jahren zu einem Aufbruch zu erneuerbaren Energien führten, sind nicht durch einen Konsens mit der Energiewirtschaft zustande gekommen, sondern im heftigen und anhaltenden Konflikt. Es war kein Zufall, dass dieser Aufbruch nicht von der Regierung eingeleitet wurde, sondern durch Initiativen aus dem Parlament.

Auf der Ebene der europäischen Institutionen zeigt sich das gleiche Bild: Alle auf EU-Ebene beschlossenen weiterführenden Initiativen für erneuerbare Energien hat das EU-Parlament verlangt und durchgesetzt und der Kommission und dem Ministerrat abgepresst. Das Primat der Politik wurde für die erneuerbaren Energien und gegen die Energiewirtschaft in Anspruch genommen. Deren Rolle als vierte Staatsgewalt wurde nicht länger akzeptiert.

In Deutschland empfand das die Stromwirtschaft sogar als Verfassungsbruch und klagte - erfolglos - beim Bundesverfassungsgericht und vor dem Europäischen Gerichtshof.

Militärische Lösungen

Das kurzsichtigste und in jeder Beziehung kostspieligste Krisenmanagement ist der Versuch, den Zugang zu den sich erschöpfenden Erdölressourcen militärisch zu sichern. Dieser politische Kraftakt führt bloß schneller in das Debakel, das er vermeiden will.

Nach Berechnungen des Professors der National Defense University in Washington, Donald Losman, wurden jährlich bis zu 60 Milliarden Dollar für die amerikanischen Streitkräfte auf der arabischen Halbinsel ausgegeben, obwohl der Wert des aus der Golfregion in die USA gelieferten Öls zwischen 1992 und 1998 nur bei knapp über zehn Milliarden Dollar lag.

Neue Großkraftwerke

Trotz der gegenwärtigen jährlichen Zuwachsrate von 3.000 Megawatt für erneuerbare Energien in Deutschland sprechen die Stromkonzerne, der überwiegende Teil der Wirtschaftspresse und auch das Gros der Wirtschaftspolitiker beharrlich von der Notwendigkeit, die auslaufenden Großkraftwerke in vollem Umfang durch neue ersetzen zu müssen - als wären die erneuerbaren Energien eine Nulloption.

Verlogene Energiepreisdebatte

Die ausschließliche Reduzierung aller Fragen auf den isoliert gesehenen Preis, die selbst in Bezug auf das Verhalten einzelner Marktteilnehmer wirklichkeitsfremd ist, hat in grundlegenden gesellschaftlichen Fragen wie der Nutzung von Energie noch irrealere Züge. Sie führt zu einem Kostensenkungsextremismus, der als höchste Rationalität gepriesen wird, selbst wenn die Folgen im höchsten Maße irrational sind: Gegenwartsbesessenheit, gepaart mit Zukunftsvergessenheit.

Eine Energiediskussion, die der Gesellschaft unter Ignorierung aller vorhandenen und absehbaren Energieprobleme einhämmert, nichts sei wichtiger als der aktuelle Energiepreis, ist fatal.

Die Idee der Marktwirtschaft degeneriert damit von einem wirtschaftlichen Ordnungsprinzip zu einer Organisation gesellschaftlicher Verantwortungslosigkeit. Zu einer Wettbewerbsordnung gehören untrennbar die Verhinderung von Monopolen und Oligopolen sowie die Begrenzung wirtschaftlicher Freiheitsrechte durch elementare gesellschaftliche Interessen.

Oppenheimers und Röpkes Ideen einer marktwirtschaftlichen Ordnung machen erkennbar, wie heuchlerisch die im Namen des Wettbewerbs erhobenen Forderungen sind, erneuerbare Energien sollten sich am Markt durchsetzen. Mindestvoraussetzung dafür wäre die Chancengleichheit zwischen atomar-fossilen und erneuerbaren Energien auf dem Markt - und eine gesellschaftliche Gleichwertigkeit aller Energieoptionen in Bezug auf ihre Umweltbelastung und die Verfügbarkeit in der Zukunft.

Doch selbst wenn alle Subventionen und Privilegien für atomare und fossile Energien unverzüglich abgeschafft würden, wäre noch keine Chancengleichheit erneuerbarer Energien gegeben.

Subventionen zurückzahlen

Erst wenn den Anbietern atomarer und fossiler Energien auferlegt würde, auch die früher erhaltenen Subventionen zurückzuzahlen, könnte für die erneuerbaren Energien von einzelwirtschaftlicher Marktgleichheit gesprochen werden. Da das aber nicht realisierbar ist, sind Spott und Empörung über ambitionierte politische Förderprogramme für erneuerbare Energien unter Verweis auf den Markt entweder scheinheilig oder zeigen, dass ihre Autoren die tatsächlichen Zusammenhänge nicht verstanden haben.

Die reine Marktbetrachtung geht von einer Neutralität der Energieformen aus, die keineswegs gegeben ist und die bei anderen Produkten zu Aufständen führen würde: Sollten etwa auch schadstoffhaltige und schadstofffreie Babynahrung gleiche Marktchancen haben?

Die in vielen Jahrzehnten auf nicht marktgemäße Weise erlangten Marktvorsprünge und Privilegien sind nicht rückspulbar, und auch der billionenschwere Subventionssegen für das herkömmliche Energiesystem ist nicht rückholbar.

2393 Windräder am Wasser

Integrativer Bestandteil des künftigen Landschaftsbildes

Faire Preisbetrachtung

Der gegenwärtige von der Energiewirtschaft hochgehaltene Preisvergleich zwischen konventioneller Energie aus amortisierten Altanlagen und erneuerbaren Energien aus neuen Anlagen ist ohnehin ohne jede Aussagekraft. Schon ein Preisvergleich mit den Energiekosten aus Neuanlagen konventioneller Energien ergibt ein anderes Bild.

Dieses verändert sich nochmals zugunsten der erneuerbaren Energien, wenn deren Kostendegressionen durch technologische Optimierungen und durch die Skaleneffekte einer Produktionssteigerung bedacht werden. Und es verändert sich nochmals, wenn man bedenkt, dass durch dezentrale Energiebereitstellung Infrastruktur- und Transportkosten vermieden werden - ganz zu schweigen von den vermiedenen externen Kosten. Bei den erneuerbaren Energien geht es um die Zukunft, darum, die von der herkömmlichen Energieversorgung unheilvoll geprägte Gegenwart hinter sich zu lassen.

Illusion globaler Lösungen

Den weltweiten Durchbruch zu erneuerbaren Energien über globale Verhandlungen realisieren zu wollen, ist eine Illusion. Je größer diese Konferenzen werden, desto mehr Illusionen produzieren sie. Sie werden zu Tempeltreffen zelebrierten umweltdiplomatischen Narzissmus.

Vollmundige Erklärungen werden abgegeben, stets wird neue Hoffnung geweckt. Es wird gemahnt, dass ein weiterer Aufschub nicht mehr zu verantworten ist; anschließend vertagt man sich erneut. Die Abschlusserklärungen sind dann schneller vergessen, als es Zeit brauchte, sie zu verfassen.

Das Kyoto-Syndrom

Ein Dilemma, das auch in der Erklärung der deutschen Klimaforscher zum Ausdruck kommt: Das Protokoll sei ein Riesengewinn, aber es bringt letztlich nichts.

Es verpflichtet die Industrieländer, bis zum Jahre 2012 ihre Treibhausgas-Emissionen durchschnittlich um 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Das Intergouvernemental Panel on Climate Change (IPCC), in dem die Klimawissenschaftler aller Länder zusammenarbeiten, hält jedoch bis zum Jahr 2050 eine Minderung um 60 Prozent für dringend geboten.

Gemessen an den tatsächlichen Klimagefahren ist dieses Instrument deshalb unverantwortlich. Es macht praktisch das Minimum zum Maximum.

Das Gros der Klimaspezialisten wird in die Umsetzung der flexiblen Instrumente eingebunden und profitiert davon. Sie bilden eine Armee von Befürwortern dieser Art von Kyoto-Protokoll. Dies erklärt mit, warum es bisher keine breite kritische Diskussion über die Fragwürdigkeiten der flexiblen Instrumente gegeben hat.

Durch das EEG sind in wenigen Jahren bereits direkte CO2-Minderungen von 35 Millionen Tonnen erzielt worden, davon etwa 25 Millionen in nur fünf Jahren. Zum Vergleich: Ziel der mit diesem Gesetz bis 2012 angestrebten Emissionsminderungen ist eine Reduktion um zehn Millionen Tonnen (von derzeit 505 auf 495 Millionen).

Das heißt aber: Zur Erfüllung der deutschen CO2-Minderungsverpflichtungen wäre das Emissionshandelsgesetz gar nicht erforderlich. Allein die Weiterführung des EEG wird zwischen 2005 und 2007 weitere tatsächliche CO2-Emissionsminderungen von mindestens 15 Millionen Tonnen bringen, neben vielen weiteren ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Effekten. Beim EEG geht das ohne Emissionshandelsbürokratie, Zertifizierungs- und Zwischenhändlerkosten.

Die deutsche Energiewirtschaft hat sich zunächst gegen das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz gesträubt. Nach dessen Inkrafttreten versucht sie, die Kyoto- Instrumente gegen politische Initiativen für erneuerbare Energien zu wenden. Überall, nicht nur in Deutschland, sind die Protagonisten der erneuerbaren Energien damit konfrontiert. Für erneuerbare Energien wird das Kyoto-Protokoll damit zu einem Kyoto-Syndrom.

Landschaft erneuerbarer Energien

Den Energiewechsel so ernst zu nehmen, wie es die Energiekrisen gebieten, kann im Klartext nur den breit gestreuten Ausbau erneuerbarer Energien bedeuten: Windkraftanlagen als selbstverständlicher, integrativer Bestandteil des künftigen Landschaftsbildes, und nicht nur in wenigen Windparks zusammengepfercht; Solaranlagen als selbstverständliches Element ganzer Gebäudelandschaften, so wie heute Dachziegel oder Glasfassaden; auch neue Pumpspeicherwerke in gebirgigen Landschaften und kleine Wehre in Flusslandschaften oder der Bau vieler Bioraffinerien in den Regionen. Das heutige Energiesystem prägt und zeichnet die Landschaft. Erneuerbare Energien werden die Landschaft auf ihre Art prägen. Mit der neuen Prägung verschwindet die alte.

NGO und Quangos

NGOs, die bei der Finanzierung ihrer Aktivitäten überwiegend und dauerhaft von Regierungsgeldern abhängig geworden sind und ohne diese Mittel nicht mehr arbeiten können, büßen dadurch ihre Unabhängigkeit ein. Sie werden zu Quasi-NGOs, zu Quangos.

Unbegründete Ängste

Existenzielle Ängste um die Energiesicherheit werden gegen erneuerbare Energien gelenkt, obwohl keiner ihrer Verfechter fordert, zunächst einmal alle konventionellen Energieanlagen abzuschalten, um dann erst auszuprobieren, wie der Energiebedarf gedeckt werden kann. Wo soll das Risiko liegen? Ängste um die wirtschaftliche Existenz werden auf die Kosten für erneuerbare Energien projiziert - obwohl das größte und anwachsende Kostenrisiko der Gesellschaften nachweislich bei der Perpetuierung atomarer und fossiler Energienutzung liegt.

Energieautonomie

Der Leitbegriff der Energieautonomie bedeutet, dass eine selbst- statt fremdbestimmte Verfügbarkeit über Energie das Ziel sein muss - frei und unabhängig von äußeren Zwängen, Erpressungs- und Interventionsmöglichkeiten, nach eigenen Entscheidungskriterien. Dies alles ist auf Dauer nur mit erneuerbaren Energien möglich.

Panikreaktionen

Die ersten fünf Prozent Marktanteile, die der Energiewirtschaft von erneuerbaren Energien weggenommen werden, sind von ihr noch einigermaßen zu verschmerzen. Steigt der Anteil auf zehn oder 20 Prozent, gerät sie immer schneller in den Strudel gleichzeitiger Mengendegression und Kostenprogression. Panik bricht aus - wie es in Deutschland bereits der Fall ist - die zu unterschiedlichen Reaktionen führt: Druck auf Regierungen, das unverantwortliche Treiben zu beenden; öffentliche Kampagnen, die die steigenden Kosten der konventionellen Energiebereitstellung den erneuerbaren Energien zur Last legen; (...)

Das strategische Augenmerk für einen Durchbruch erneuerbarer Energien muss sich deshalb auf drei Punkte richten:

  • auf breit gestreute unabhängige Verfügbarkeit statt einer Konzentration auf besonders wirtschaftliche internationale Standorte, etwa im Sonnengürtel des Erdballs;
  • auf die politische Dezentralisierung statt auf internationale Institutionen und Marktharmonisierung;
  • auf die Stimulierung autonomer Investitionen statt auf staatliche und energiewirtschaftliche Investitionsplanungen.
Gesetzliche Auflagen

Trotz vieler Klagen über die hohen Spritpreise bleibt die Nachfrage verhältnismäßig gering; jedes Taxi-, Bus- oder Speditionsunternehmen könnte erhebliche Betriebskosten sparen, und doch nutzen bisher immer noch relativ wenige diese Chance. Das Solarhaus pur, das in architektonisch anspruchsvoller Weise schon ohne Mehrkosten erstellt worden ist, hat dennoch eher Seltenheitswert - man sucht sogar in sonnenreichen Ländern vergeblich danach.

Für den Wechsel zu erneuerbaren Energien sind deshalb auch gesetzlich aufer-legte Pflichten zum Umweltschutz ein strategisch notwendiges Element.

Umfassender Energiewechsel

Sympathien für erneuerbare Energien sind leicht zu wecken. Sie entsprechen den natürlichen Empfindungen und der Erlebniswelt jedes Menschen, besonders seinem positiven Verhältnis zur Sonne. Aus Sympathie wird praktisches Engagement, sobald den Menschen bewusst wird, dass erneuerbare Energien nicht nur sympathisch, sondern ernst zu nehmen sind und mit ihnen ein vollwertiger Ersatz atomarer und fossiler Energien möglich ist.

Die Verfechter erneuerbarer Energien sollten deshalb an ihrem Lebensort, in ihren Regionen und Staaten konkrete Möglichkeitsszenarien erarbeiten, die der Öffentlichkeit zeigen, dass und wie unter Ausschöpfung des jeweiligen erneuerbaren Energiepotenzials mit bereits jetzt erprobten und verfügbaren Techniken eine Deckung der Energiebedürfnisse möglich ist.

2393 Kinder

Sympathien für erneuerbare Energien sind leicht zu wecken.

Zur Gewinnung gesellschaftlicher Energien reicht die Botschaft aus, dass erneuerbare Energien den Menschen die Chance zur definitiven Überwindung der existenziellen Energiekrisen eröffnen.

Die Gründe für den Energiewechsel sind so zwingend, dass dieser selbst dann betrieben werden müsste, wenn die Horrorzahlen über die Kosten erneuerbarer Energien stimmen würden.

Die größte Schwäche der erneuerbaren Energien sind ihre Neuheit und die weit verbreitete Unterschätzung ihres Potenzials. Ihr potenziell größtes Gewicht ist ihre einzigartige Legitimationskraft, die allerdings nur zur Geltung kommen kann, wenn die Möglichkeit eines umfassenden Energiewechsels allgemein sichtbar wird. Die Energiediskussion muss grundsätzlich kontrastierend geführt werden - und nicht nur als Energiediskussion, sondern als gesellschaftliche Debatte. Zukunftsfähigkeit gegen Vergangenheitsverhaftung. Gemeinwohl statt Egoismus.

Videomitschnitt: Hermann Scheer, Energieautonomie, Vortrag am 25.10.2005 in Heidelberg

letzte Änderung: 11.01.2017