Klimagerechtigkeit und Gebäudeenergiewende

Den Gebäudebestand klimaneutral zu machen, ist eine Generationenaufgabe. Richtig angepackt kann damit die Gesellschaft gerechter werden, indem einkommensarmen Haushalten als Mieter und Eigentümer der Abschied von fossilen Energieträgern ermöglicht wird. Dafür müssen die Weichen jetzt dringend neu gestellt werden.
Von Aribert Peters

(7. November 2024) Die Energieversorgung leidet schon lange unter einem Gerechtigkeitsproblem. Die Versorger sind finanzstark, haben eine gute Lobby und Anwälte und sind monopolistisch vernetzt. Verbraucher werden häufig übervorteilt und mit überhöhten Preisen regelrecht ausgenommen. Verbraucherorganisationen versuchen hier ein Gegengewicht aufzubauen. In den Nullerjahren haben sich Hunderttausende Verbraucher gegen überhöhte Strom- und Gaspreise erfolgreich zur Wehr gesetzt und damit ihren Einfluss deutlich gemacht. Dennoch bekommen jährlich über 200.000 Haushalte den Strom abgestellt, weil sie ihre Rechnung nicht bezahlen können. 

Energieungerechtigkeit 

Der Energie-Monitoringbericht einer unabhängigen Expertenkommission kommt zu dem Schluss: Ärmere Haushalte verbrauchen zwar weniger Energie als Gutsituierte, geben aber einen höheren Anteil ihres Einkommens dafür aus. Die relative Energiekostenbelastung für Haushalte im untersten Einkommenszehntel beträgt mehr als das Fünffache der Belastung im obersten Einkommenszehntel (Monitoringbericht, TZ 429). 

Ukraine-Krieg und Energiepreisschock haben die Situation noch verschärft. Der Preis für Erdgas, mit dem 50 % der Haushalte heizen, hat sich 2022 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Im untersten Einkommensdrittel stieg die maximale Belastung im Juni 2023 auf weit über 20 % an, in höheren Einkommensgruppen war der Anstieg nur gering. Der Anteil der Energiearmen – das sind Haushalte, die mehr als 10 % ihres Einkommens für Energie (Heizung, Warmwasser, Strom) ausgeben – hat sich zwischen März 2022 und Juni 2023 von 26 auf 43 % fast verdoppelt, stellte der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen fest und hatte dazu 4.400 Haushalte befragt. 

Die Preise für fossile Brennstoffe werden wegen geopolitischer Risiken und höherer CO2-Steuern künftig weiter wachsen (siehe Grafik). Die Bezahlbarkeit von Energie wird für finanzschwache Haushalte auch deshalb immer mehr zum Problem, weil die unteren Einkommen laut Hans-Böckler-Stiftung in den vergangenen zehn Jahren deutlich weniger gestiegen sind als die mittleren und höheren. 

 ED 03/2024 Klimagerechtigkeit und Gebäudeenergiewende (S.12-13,21) 

Ist Energie noch bezahlbar?

Die Gesellschaft wird, so ist empirisch zu beobachten, immer ungerechter. Und das wirkt sich auf die Bezahlbarkeit von Energie für finanziell benachteiligte Menschen besonders stark aus. Der Anteil jener, die ihre Wohnungen nicht angemessen beheizen können, lag 2023 bei 8 %. Bei den unteren Einkommen ist er auf 12 % angestiegen, in der obersten Einkommensgruppe lag er gerade mal bei 1,9 %. Auf „schutzbedürftige Energieverbraucher“ wie Kinder, Kranke und Alte legt die EU ein besonderes Augenmerk. Deutschland hingegen versäumt es seit Jahren, seiner Verpflichtung zur Definition dieser Gruppe nachzukommen, und lässt damit diesbezügliche EU-Schutzvorschriften ins Leere laufen (Monitoringbericht, TZ 444). 
•    www.bdev.de/eupov

CO2-Emissionen stoppen

Die durch unsere Emissionen verursachte Erderwärmung erzwingt eine Abkehr von fossilen Energien möglichst umgehend, spätestens aber bis 2045. Dabei spielt es durchaus eine Rolle, wie schnell wir diesen Wandel vollziehen. Denn Aufschieben bedeutet im Vergleich zum sofortigen Handeln mehr und vermeidbare CO2-Emissionen, die für die Lebensbedingungen künftiger Generationen durchaus einen Unterschied ausmachen. Dass andere Länder die Zukunft ihrer Kinder durch ihre Emissionen noch stärker aufs Spiel setzen, ist keine gute Entschuldigung für eigenes Fehlverhalten. „Kein Opernhaus wirbt damit, dass es anderswo noch schlechtere Aufführungen gibt“, schreibt Bernhard König in seinem Buch „Musik und Klima“.

Der menschenverursachte Klimawandel ist vor allem ein Gerechtigkeitsproblem. Die „reichen Männer“, die ihn verursachen und Milliarden daran verdienen, können sich vor seinen Auswirkungen schützen: Ihre Jachten und Privatjets haben Klimaanlagen. Der Klimawandel trifft jedoch alle künftigen Menschengenerationen, deren Lebensbedingungen unsere Generation gravierend und ohne Not verschlechtert. Er trifft die Menschen im globalen Süden und dort wie auch bei uns die Ärmsten.

Die Verursachung der Klimakrise ist nicht nur global, sondern auch innerhalb Deutschlands ungleich verteilt. Je reicher Menschen sind, desto mehr klimaschädliche Emissionen verursachen sie. Die untersten 4 % der Haushalte in Deutschland haben einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausstoß von 5,4 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Betrachtet man die direkten Emissionen der reichsten Haushalte, sind sie dreimal so hoch. 

 ED 03/2024 Klimagerechtigkeit und Gebäudeenergiewende (S.12-13,21)  

Energiewende und Gerechtigkeit

Kann man erwarten, dass die Energiewende gerechter ist als die zugrundeliegende Gesellschaft? Ja, denn die Energiewende ist im Kern basisdemokratisch: Abschied von Großtechnik zugunsten dezentraler Erzeugung. Aus Energieverbrauchern werden Energieerzeuger. PV, Wärmedämmung, selbst Windkraftanlagen sind dezentrale, demokratische Techniken.

Die Energiewende ist auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen und es gibt eine breite Zustimmung. Andererseits herrscht große Unzufriedenheit über die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Laut Monitoringbericht stimmen 80 % der Befragten folgender Aussage „voll und ganz“ beziehungsweise „eher“ zu: „Ich finde es ungerecht, dass vor allem reiche Menschen Umweltprobleme verursachen, während vor allem arme Menschen darunter leiden.“

Gelingt es, die Energiewende zu einer Gerechtigkeitsbewegung zu machen, dann erhielte sie noch mehr Auftrieb. Wird in ihr hingegen eine Umverteilung von unten nach oben gesehen, dann schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Kampagne gegen das Gebäudeenergiegesetz (GEG) hat gezeigt, was für einen politischen Sprengstoff das Thema birgt. Die Fossillobby sichert sich ihre Milliardengewinne, wenn sie die Energiewende dadurch in Misskredit bringt. 

Wärmewende und Gerechtigkeit

Die Schlüsseltechniken der Wärmewende sind Dämmung, Wärmepumpen, Nah- und Fernwärme und Solarthermie. All diese Techniken sind über einen längeren Zeitraum betrachtet wirtschaftlich, erfordern aber zunächst eine erhebliche Investition, die in den Folgejahren die Heizkosten dauerhaft senkt.

Das benachteiligt finanzschwache Gebäudeeigentümer, die eine solche Anfangsinvestition nicht aufbringen oder finanzieren können. Sie bleiben damit auf dauerhaft hohen und immer weiter steigenden Energiekosten sitzen. Und es benachteiligt Mieter in schlecht gedämmten Wohnungen, deren Vermieter die Sanierung scheuen, obwohl sie langfristig rentabel wäre. Haushalte mit geringem Einkommen wohnen zu 90 % in Mietwohnungen, die schlecht gedämmt sind. Auch für den Staat sind Wohngeld und Heizkostenunterstützung teuer: 2023 waren es 20,4 Milliarden Euro, davon entfiel ein Viertel auf Wärmeenergiekosten.

Die Generationenaufgabe, den Gebäudebestand klimaneutral zu machen, ist für viele ein Gewinn. Menschen frieren nicht mehr in ihren Wohnungen, Umwelt und Klima werden geschützt, Staat und Gesellschaft werden unabhängiger von fossilen Energieträgern und entlastet von hohen Transferzahlungen. Auch ist der Gerechtigkeit gedient, wenn besonders die Belastung jener gesenkt wird, die es allein kaum schaffen.

Was ist zu tun?

Klimageld, Tempolimit auf Autobahnen, Deutschlandticket statt Dienstwagenprivileg sind neuralgische Testpunkte. Wie wichtig sind uns nachfolgende Generationen und Gerechtigkeit? Für den Gebäudebereich gibt es zahlreiche Studien und politische Forderungspapiere, die auf mehr Klimaschutz und sozialen Ausgleich zielen. Allein Verfasser/Auftraggeber und Titel sind aufschlussreich: 

  • Deutscher Mieterbund, Öko-Institut, Averdung: „Sozialgerechte Förderung für energetische Sanierungen im -Mietwohnungsbereich“, Juli 2024 
  • Dena, Öko-Institut: „Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende“, Juli 2024
  • World Wide Fund For Nature (WWF): „Auf die Zukunft bauen: So rechnen sich Sanierungen“, 2024
  • Deutscher Mieterbund: „Förderung im Mietwohnbereich sozial ausrichten“, Juli 2024 
  • Deutsche Umwelthilfe: „Bundeshaushalt 2025: Quick Fixes und strukturelle Reformvorschläge für eine gemeinwohlorientierte Wärmewende“, Juli 2024
  • Klima-Allianz, Diakonie, Nationale Armutskonferenz: „Klimakrise und Armut gemeinsam bekämpfen“, Juni 2024
  • Zukunft KlimaSozial/Institut für Klimasozialpolitik: „Eine sozial gerechte und klimaneutrale Zukunft sichern“, Juni 2024
  • Sozial-Klimarat: „Wie geht sozial gerechte Klimapolitik?“, 2023

Übereinstimmend wird ein großer und dringender Handlungsbedarf gesehen:

  • Der Mieterbund schlägt 15 % an zusätzlicher Förderung von Investitionen vor, wenn eine Mietobergrenze eingehalten wird. In NRW gewährt ein Programm Tilgungszuschüsse von 25 % bei Einhaltung einer Mietpreisbremse. In Frankreich gibt es einkommensabhängige Sanierungszuschüsse über das Programm „MaPrimeRénov’“ (MPR).
  • Es fehlt an gut aufbereiteten verständlichen Informationen und an Wissen über die langfristigen Vorteile energiesparender Investitionen, die den Wert einer Immobilie deutlich erhöhen, so Dena und Öko-Institut in ihrer Studie „Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende“. 
  • Der Klimageschwindigkeitsbonus muss bei Biomasseanlagen auch für vermietetes Wohneigentum gewährt werden.
  • Zwar gibt es für den Heizungstausch einen Extrabonus für einkommensschwache Haushalte (30 % für Einkommen unter 40.000 Euro). Jedoch wird er nur Eigentümern von Gebäuden gewährt, die selbst in ihnen wohnen. Die Expertenkommission Energiewende empfiehlt, darüber hinaus die Hausdämmung zu fördern und auch die Mietwohnungen einzubeziehen. 
  • Auch Wärmenetze in Bürgerhand nach dem Vorbild Dänemarks sind ein wichtiger Baustein für eine sozial gerechte Gebäudeenergiewende (siehe „Fernwärme durch Wärmegenossenschaften“). Und es gibt viele gelungene Beispiele, wie Bürgerinnen und Bürger ihre Energieversorgung in die eigene Hand nehmen. 

•    Dena, Öko-Institut: „Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende“, Juli 2024: www.bdev.de/sozasp
•    „Monitoringbericht der Experten-kommission zum Energiewende-Monitoring“, Juni 2024: www.bdev.de/expmon
•    Lena Bäunker: „Anatomie einer Kampagne: Die Union gegen das Heizgesetz“, Dezember 2023: www.bdev.de/gegkraut
•    Hans-Böckler-Stiftung: Forschungsüberblick soziale Ungleichheit in Deutschland: www.bdev.de/forschungungl

letzte Änderung: 07.02.2017