„Mut kann man spüren“

Ohnmacht überwinden, Mut finden, Gemeinschaft sammeln: Michael Sladek, Stromrebell und Mitbegründer der EWS, über Anläufe, Hürden und Siege.
Von Michael Sladek

(1. November 2024) Wenn ich zurückdenke, habe ich über die Jahre hinweg viel Ohnmacht erlebt. Und ich weiß: Bei der Ohnmacht ist es immer wichtig, dass es einem gelingt, sie schnell zu überwinden – damit man aus der Ohnmacht in die Macht kommt. Und Macht bedeutet für mich, dass man handeln kann. Auch wenn die Umstände sagen, das geht alles gar nicht, dass man trotzdem einen Weg findet. 

 importiertes Content-Bild aus EW_IMAGES
nur online auch für ED 03/2024 „Mut kann man spüren“ (S.11) 

Dr. Michael Sladek, geboren 1946 in Murrhardt, ist Allgemeinmediziner und Mitbegründer der „Schönauer Energie-Initiativen“. Für sein außerordentliches und vorbildliches Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Nuclear-Free Future Award, den Europäischen Solarpreis und den Deutschen Gründerpreis.

Jawohl, wir machen es!

Wie aber kann ich den Weg von meinem Gehirn, das über die Informationen verfügt, zu meinem Herzen, das die Entscheidungen über mein Verhalten trifft, verkürzen? Mein Bild war: Fühle ich mich machtlos oder sage ich: Auf mich kommt es an, ich will ins Handeln kommen? 

Die Utopie von Schönau

Unsere Utopie war klar, zielorientiert und emotional aufgeladen: eine Zukunft ohne Atomstrom. Eine riesige Aufgabe, an der man natürlich scheitern kann – aber wir sagten uns: Jawohl, wir machen es! Wir entwickelten anfangs Stromsparwettbewerbe unter dem Motto „Wir sparen die AKWs weg“, denn auch am eigenen Herd wird entschieden, wie schnell wir die AKWs loswerden. So fing es an. Und ein paar Jahre später haben wir gesagt, wir bringen das Schönauer Stromnetz in Bürgerhand und damit auch die Energieversorgung im Ort.

Dann kam auch die Zeit zum Feiern, des Ausruhens und der Gelassenheit. So tanke ich wieder Kraft für den nächsten Schritt. Das Tollste ist: Ich muss ihn ja nicht allein gehen. Ich bin in einer Gemeinschaft – und die trägt mich. Und wenn manche Dinge nicht gelingen, dann klopft man sich gegenseitig auf die Schulter und sagt: „Gut, das ist nicht optimal gelaufen. Aber deswegen geben wir nicht auf.“ Das hat was mit Mut zu tun. Sonst wagst du dich nicht auf den Weg. Und Mut kann man spüren.

Wie schaffen wir eine enkeltaugliche Zukunft?

Angesichts der Klimakrise stehen wir vor einer noch größeren Herausforderung als damals. Natürlich liegt wieder viel Verantwortung bei der Politik, die nicht handelt, und bei den Konzernen, die weiter Millionen scheffeln – aber auch wir selbst stehen mit in der Verantwortung.

Wir müssen uns heute entscheiden, ob wir den kommenden Generationen – und damit meine ich nicht nur meine Enkel, sondern auch die Enkel dieser Enkel – ein Leben ermöglichen möchten oder ob wir sagen, dieses Ziel ist uns zu ambitioniert und wir wollen lieber zu unseren Lebzeiten möglichst viel Komfort und Luxus erleben.

In der Klimakrise ist jeder von uns durch sein Handeln direkt Mittäter. Wir müssen erkennen, dass jede Handlung – jede Entscheidung, die wir treffen – das Potenzial hat, die Erde zu heilen oder weiter zu schädigen. Es geht darum, bewusst zu wählen, welchen Weg wir einschlagen wollen, und zu verstehen, dass unsere Entscheidungen und Handlungen das Erbe sind, das wir hinterlassen. Der Feind sitzt also nicht nur außerhalb, sondern auch in uns selbst. Wie gehen wir mit dieser Ohnmacht gegenüber uns selbst um? Das ist für mich ein ungelöstes Problem. Trotzdem glaube ich an das Wunder, dass wir den Schalter noch rechtzeitig umlegen werden. 

Eine neue Form von Gemeinschaft

Dazu müssen wir uns nicht nur eine bessere Welt vorstellen können, sondern auch eine neue Form von Gemeinschaft entwickeln. Erst wenn beim Einzelnen dieses „gute Gefühl“ entsteht, kann er seine eigene Verhaltensänderung als Gewinn erleben und seine politische Veränderungskraft wieder spüren. Wir müssen kraft unserer Lebensfreude einen Weg finden, wie wir nicht nur die Menschheit, sondern auch die Schöpfung an sich bewahren können – indem wir nicht nur an uns denken, sondern auch an das Leben in seiner Gesamtheit. Und deshalb brauchen wir auch wieder viel mehr das Gemeinschaftliche. Dazu gehören auch Kultur und das gemeinsame Erleben von Freude, Sinnlichkeit und Spaß an der Gestaltung einer besseren Welt.

Neue Wege gehen

Es ist eine Zeit gekommen, in der wir den Mut haben müssen, um grundlegend neue Wege zu gehen. Auch Wege, die uns heute vielleicht noch fremd erscheinen. Nur so können wir hoffentlich eine Welt schaffen, die nicht nur lebenswert, sondern auch lebenssicher für alle nachfolgenden Generationen ist. Dieser Verantwortung müssen wir uns stellen! Vielleicht ist das Gute nicht nur eine Kulturleistung des Einzelnen, sondern vielmehr eine Kulturleistung der Gemeinschaft. Ich bin mir sicher, am Ende geht es nur in Gemeinschaft. Und Gemeinschaft braucht Mut!

Gekürzte Fassung eines Beitrags aus dem Energiewende-Magazin

letzte Änderung: 07.02.2017