Jahresrechnung Strom: Zahlungsverweigerung zulässig?
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben es schon erlebt: Trotz ordnungsgemäß abgelesener und gemeldeter Zählerstände bei Strom und Gas enthält die Jahresrechnung auf einmal völlig falsche Verbrauchsangaben.
Von Leonora Holling
(29. April 2024) Ist der in der Jahresrechnung angegebene Verbrauch zu hoch, ist das ärgerlich, berechtigt aber nicht, eine etwaige Nachforderung deshalb einfach nicht zu zahlen. „Falsch“ und damit für den Verbraucher unverbindlich ist eine Rechnung nach der jeweiligen Grundversorgungsverordnung (GVV) nämlich nur dann, wenn der Fehler „offensichtlich“ ist. Dies trifft nach der Rechtsprechung nur auf aus der Rechnung selbst ersichtliche Rechenfehler zu. Falsche Verbrauchswerte gehören nicht dazu. Der Verbraucher ist deshalb gut beraten, zunächst zu zahlen und dann mit Nachweis der richtigen Verbrauchswerte den zu viel bezahlten Betrag kurzfristig zurückzuverlangen.
Noch mehr Vorsicht ist geboten, wenn statt der abgelesenen Werte in der Jahresrechnung sogenannte Verbrauchsschätzungen auftauchen. Da leider immer wieder zu beobachten ist, dass einzelne Versorger offenbar systematisch gemeldete Verbrauchswerte ignorieren, sollte zur Kontrolle jeder Jahresrechnung auch unbedingt ein Blick in die Übersicht der Verbrauchswerte gehören.
Hier finden sich meist optisch recht kleine Hinweise, wie der in der Rechnung angegebene Zählerstand ermittelt wurde. Neben „Kundenablesung“, „Ablesung durch Netzbetreiber“ finden sich auch die Angaben „Rechnerisch ermittelt/abgegrenzt“ oder „Schätzung“ beziehungsweise „Schätzung durch Netzbetreiber“. Die rechnerische Ermittlung ist dann unproblematisch, wenn ein Preiswechsel zu diesem Zeitpunkt vorgenommen wurde. Auf jeden Fall muss der Anfangs- und Endzählerstand einer Rechnung aber einen „Ablesewert“ enthalten.
Geschätzte Jahresrechnung
Wird nämlich geschätzt, ist die Jahresabrechnung nur vorläufig und gibt nicht den tatsächlichen Verbrauch wieder. Da die Verbrauchsschätzungen häufig zu niedrig ausfallen, können sich so über Jahre hinweg nicht gezählte Verbräuche aufsummieren. Wird nunmehr einmal tatsächlich abgelesen und der echte Verbrauch der letzten Jahre festgestellt, kann dieser dann in der folgenden Jahresrechnung auf einmal komplett zu den aktuellen Preisen abgerechnet werden.
Das hängt damit zusammen, dass eine geschätzte Jahresrechnung als vorläufige Rechnung angesehen wird und daher nicht der sonst geltenden, dreijährigen Verjährungsfrist für Energierechnungen unterliegt. Nach der Rechtsprechung könne der Verbraucher nämlich bei Schätzungen nicht darauf vertrauen, dass die Abrechnung endgültig erfolgt sei. Darüber hinaus sei er auch verpflichtet, die Rechnung im Hinblick auf die Verbrauchswerte zu kontrollieren. Beim Bund der Energieverbraucher sind Fälle bekannt geworden, in denen Versorger teilweise Forderungen der letzten zehn Jahre (!) erfolgreich geltend gemacht haben.
Besonders ärgerlich ist, wenn die Verbrauchsstelle in diesem Zeitraum einem anderen Verbraucher gehört hat, man den Verbrauch also selbst gar nicht verursacht hat. Leider kann sich der Versorger in einem solchen Fall an den letzten Kunden halten. Dieser muss dann seinerseits versuchen, den tatsächlichen Verursacher des Verbrauches in Haftung zu nehmen.
Neue EU-Richtlinie stärkt Verbraucherinnen und Verbraucher
Hoffnung macht eine neue Richtlinie der EU. Nach dem dortigen Art. 21 Abs. 2 soll die nicht ordnungsgemäße Abrechnung des Verbrauchs durch den Versorger nicht mehr zulässig sein. Vielmehr wäre ein Schadensersatzanspruch gegeben. Bisher ist diese Richtline aber noch nicht in deutsches Recht umgesetzt.
In der neuen Richtlinie ist auch vorgesehen, dass die Erstellung einer zeitnahen Rechnung für Versorger nach Ablauf des jeweiligen Versorgungsjahres verpflichtend werden soll.
Derzeit beklagen viele Verbraucher, dass Versorger häufig keine Abrechnungen nach dem Vertragsjahr erteilen und so unklar ist, ob der bisher gezahlte Abschlag der Höhe nach noch zutrifft. Insbesondere wenn vermutlich eine Abschlagssenkung in Betracht kommt, ist das ärgerlich.
Verbraucher sollten in einem solchen Fall ihren Versorger unter Fristsetzung auffordern, eine Rechnung zu erstellen und auch die neuen Abschläge zu berechnen. Unterlässt der Versorger dies weiterhin, sollte man rechtlichen Rat einholen. Auch eine Kürzung der Abschläge kommt ohne Weiteres nicht in Betracht, solange der Vorjahresverbrauch nicht abgerechnet wurde. Keinesfalls wäre es zulässig, einfach die Abschläge nicht weiterzuzahlen, denn der Versorger beliefert den Verbraucher ja auch weiterhin mit Energie. Hieraus steht ihm ein Anspruch auf Abschlagszahlung zu.