Archiv

Punktsieg für Verbraucher Am 16. August veranstaltete der Bund der Energieverbraucher ein Expertengespräch in Hannover. Rechtsanwälte und Experten aus den Verbraucherzentralen diskutierten über die Konsequenzen aus dem jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofs zur

Punktsieg für Verbraucher

(17. August 2007, überarbeitet 16. September) - Am 16. August 2007 veranstaltete der Bund der Energieverbraucher ein Expertengespräch in Hannover. Rechtsanwälte und Experten aus den Verbraucherzentralen diskutierten über die Konsequenzen aus dem jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofs zur Billigkeitsprüfung von Gaspreisen. Die wichtigsten Gesprächsergebnisse werden von Frau Rechtsanwältin Leonora Holling zusammengefasst.

2051 Rechtsexperten diskutieren in kleiner Runde

Rechtsexperten diskutieren in kleiner Runde (v.L. Petra Kristandt, Thorsten Meinecke, Joachim Bluhm, Andre Malitzi, Karin Goldbeck, Aribert Peters, Günter Hörmann, Lovis Wambach, Leonora Holling, Tobias Reininghaus, Thomas Fricke, Reinhard Weeg, Fabian Fehrenbach, Jürgen Schröder, Thorsten Kasper).

Am 13. Juni 2007 hat der Bundesgerichtshof das lang erwartete Grundsatzurteil zur Billigkeitsprüfung von Gaspreisen verkündet. Zunächst hatte die Gaswirtschaft das Urteil als Sieg gefeiert. Ein genauer Blick auf die inzwischen vorliegende Urteilsbegründung zeigt allerdings, dass die Verbraucher mit dem Urteil durchaus zufrieden sein können. Denn im Wesentlichen bestätigt es das Verbraucherrecht auf billige Gaspreise (§ 315 BGB). Für die meisten Gaskunden ist das Urteil kaum von Bedeutung, da es nur für Tarifkunden gilt, die meisten Gaskunden jedoch Sondervertragskunden sind.

Klage gegen Preise

Ein pensionierter Richter aus Heilbronn war mit der Gaspreiserhöhung seines Versorgers nicht einverstanden. Er reichte dagegen Klage ein und begehrte die gerichtliche Feststellung, dass die Preiserhöhung unbillig, also unangemessen sei. Das Amtsgericht Heilbronn gab dem Kläger zunächst Recht. Es stellte die Unwirksamheit der Erhöhung fest, weil der Versorger die Gründe für die Erhöhung nicht schlüssig dargelegt habe. Das Landgericht Heilbronn als Berufungsinstanz hob das Urteil des Amtsgerichts auf und wies die Klage ab, weil der Versorger inzwischen dem Landgericht die Erhöhungsgründe dargelegt hatte und diese Darstellung vom Kläger nicht bestritten wurde.

Der Bundesgerichtshof hat nun das Urteil des Landgerichts bestätigt. Nach der Urteilsverkündung und der Pressemitteilung dazu hatte die Gaswirtschaft zunächst triumphiert. Der BGH habe die Rechtsauffassung der Gaswirtschaft zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Gaspreisen in allen Punkten bestätigt. Doch nach Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsbegründung verflog die Euphorie rasch. Denn es wurde klar, dass der Bundesgerichtshof ganz im Gegenteil bestätigt hatte dass Gaspreiserhöhungen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegen. Das hatte die Gaswirtschaft bis dahin stets in Abrede gestellt.

Auffällig an der Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs ist, dass der BGH ausdrücklich den Umfang seiner eigenen Prüfungskompetenz herausstellt. Der BGH könne nur prüfen, was die Parteien in erster und zweiter Instanz selbst vorgetragen beziehungsweise als rechtsfehlerhaft beanstandet hatten. Der Kläger habe, so stellt der BGH fest, nur die Preiserhöhung angezweifelt, den vor der Erhöhung geltenden Preis jedoch nicht beanstandet. Der Versorger hatte dem Landgericht ferner ein Wirtschaftsprüfergutachten vorgelegt, in dem bestätigt wurde, das die Bezugskosten des Versorgers im selben Umfang gestiegen waren, wie die Endkundenpreise. Auch dieses Gutachten habe der Kläger nicht bestritten. Dazu konnte folglich auch die Revision nichts anderes feststellen.

Anfangspreis und Folgepreise

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Gaspreis bei Vertragsbeginn zwischen Kunde und Versorger vereinbart worden sei. Damit unterliege dieser Preis nicht der Billigkeitskontrolle, weil er nicht einseitig vom Versorger festgelegt wurde. Durch Gasentnahme erkläre sich der Verbraucher mit dem Preis einverstanden (Zustimmungsfiktion). Einige Teilnehmer äußerten die Vermutung, das der Bundesgerichtshof durch diese Sichtweise die Justiz im Lande vor einer Prozesslawine bewahren wollte.

Nicht kritisierte Preisanhebungen

Später vom Versorger geänderte Preise gelten als vereinbart, wenn der Verbraucher diesen nicht ausdrücklich widerspricht oder anstandslos zahlt. Auch hierin sieht der BGH ein Indiz, dass der Verbraucher den Preis akzeptiert. Hierbei reiche es aus, wenn der Verbraucher auf eine Jahresrechnung reagiert. Er müsse nicht jeder Preisanhebungen innerhalb eines Jahres widersprechen. Aber bei der Schlussrechnung muss er dies tun, will er nicht seine Rechte aus § 315 BGB verlieren. Ansonsten werde diese Erhöhungen behandelt wie der Anfangspreis.

Kritik

Diese beiden neuen Entscheidungsaspekte stoßen auf Kritik (so zum Beispiel Prof. Markert in RdE Heft 9/2007), weil sie weder mit der früheren Rechtssprechung des achten Zivilsenats, noch mit der Auffassung des Kartellsenats des Bundesgerichtshofs übereinstimmen und auch der sachlichen Logik entbehren. Grundsätzlich darf ein Schweigen, also eine widerspruchslose Zahlung, bei Privatleuten nicht als Zustimmung ausgelegt werden. Ob das Gericht anders entschieden hätte, wenn der Antrag des Klägers anders gelautet hätte, lässt sich nicht absehen.

Nachweis der Billigkeit

Zur Frage, wie die Billigkeit zu überprüfen ist, äußerte sich der BGH ausdrücklich nicht. Er gibt nur Hinweise, wie dies geschehen könnte. Hierzu gibt es in diesem Urteil einen Kernsatz, den jedes Versorgungsunternehmen sicher nicht gerne liest, da doch der Nachweis einer Bezugskostensteigerung ausreichen soll: "Eine auf die Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird."

Selbst wenn die Gaspreise exakt parallel mit den Gasbezugskosten gestiegen sind, etwa durch teureren Einkauf des Versorgers, können sie durchaus unbillig sein. Denn der Versorger konnte möglicherweise in anderen Bereichen die Kosten senken. Er hätte also die Bezugskostensteigerung teilweise auffangen können und die Preiserhöhung hätte geringer ausfallen können. Um das bewerten zu können, muss der Versorger also die Entwicklung aller (!) seiner Kostenfaktoren darlegen.

Fazit

Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs hat es schwerer gemacht, sich richtig gegen neue höhere Preise zu wehren. Die anfängliche Euphorie vieler Gasversorger, der BGH habe ihre Sicht bestätigt, war jedoch völlig verfrüht. Das Gegenteil ist der Fall. Der BGH hat die Verbraucherseite bestärkt und die Offenlegung der Gesamtkalkulation bestätigt. Doch nur diejenigen Verbraucher können Erfolg mit ihrem Protest haben, die sich gut informieren und beraten lassen.

Konsequenzen für Verbraucher

  • An der grundsätzlichen Rechtslage ändert sich für Verbraucher nichts, so die Einschätzung einiger mit der Materie vertrauten Richter und auch der meisten Rechtsexperten auf Verbraucherseite. Jedoch sollten sich Verbraucher im Detail so verhalten, dass ihr Protest auch nach der jüngsten BGH-Entscheidung Bestand hat.
  • Für meisten Gasverbraucher hat das Urteil nur geringe Bedeutung. Denn im konkreten Fall handelte es sich um einen Tarifkunden, während Heizgaskunden in der Regel Sondervertragskunden sind. Auf die Preise von Sondervertragskunden ist das Urteil jedoch nicht übertragbar. Während bei Tarifkunden der Versorger durch eine gesetzlichen Verordnung zur einseitigen Preisbestimmung berechtigt ist und dadurch der Billigkeitskontrolle unterliegt, hat er dieses Recht gegenüber Sondervertragskunden nur, wenn dies vertraglich vereinbart worden ist. Es hilft auch nichts wenn im Liefervertrag vereinbart wurde, dass die gesetzlichen Verordnungen Vertragsbestandteil sind. Das dort festgelegte Preisbestimmungsrecht muss zunächst auf seine Gültigkeit geprüft werden (nach § 307 BGB). In zahlreichen Gerichtsverfahren hat sich herausgestellt, dass es jeweils kein wirksames einseitiges Preisbestimmungsrecht gab. Sollte es jedoch ein wirksames Preisbestimmungsrecht geben, erst dann ist auf die festgelegten Preise die Billigkeitsprüfung nach § 315 direkt anwendbar, schreibt Professor Kurt Markert in seinem Urteilskommentar.
  • Verbraucher sollten durch die Formulierung ihres Widerspruchs klarstellen, dass sich der Einwand der Unbilligkeit auf den gesamten Gaspreis bezieht, und nicht nur auf die Erhöhung. Statt von Preiserhöhung sollte man also von einem "erhöhten Preis" sprechen. Wer in seinem Widerspruchsschreiben nur der Erhöhung widersprochen hat, sollte durch ein weiteres Schreiben klarstellen, dass er den gesamten Preis für unbillig überhöht hält.
  • Bei der Kürzung der Rechnung kann wie bisher verfahren werden. Jedoch sollte man zur Sicherheit zumindest den bei Vertragsbeginn geltenden Preis zahlen. Sofern in der Vergangenheit stärker gekürzt wurde, sollte man bis zu diesem Niveau den Preis nachentrichten.
  • Wer neu in den Protest einsteigt, für den gibt es je nach Risikobereitschaft zwei Möglichkeiten: Risikoarm ist die Kürzung auf das zuletzt ohne Widerspruch akzeptierte Preisniveau. Riskanter ist eine stärkere Kürzung, auch wenn man bisher ohne Beanstandung bezahlt hat. In beiden Fällen empfiehlt es sich, mit der Kürzung nicht unter das bei Vertragsbeginn geltenden Niveau zu gehen.
  • Zur Sicherheit alle Zahlungen nur unter Vorbehalt leisten.
  • Alles dies gilt für Gas und Strom in gleicher Weise.

letzte Änderung: 19.04.2023