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Archiv Energiewende aus 2019

Alle Meldungen und Artikel aus dem Jahr 2019

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Zu den aktuellen Artikel zu Energiewende

Datteln 4

Neues Kohlekraftwerk genehmigt

Datteln 4: Neues Kohlekraftwerk genehmigt

Von Louis-F. Stahl

(28. Dezember 2019) Während Deutschland über den von der Kohlekommission empfohlenen und von den Regierungsparteien angenommenen Kohleausstieg streitet, weil dieser nach Ansicht Vieler zu langsam erfolgen wird, hat der aus E.on hervorgegangene Kohlekraftwerksbetreiber Uniper offenbar unbemerkt einen Hinterzimmerdeal ausgehandelt. Uniper hat allem Anschein nach kürzlich die Inbetriebnahme eines neuen Kohlekraftwerkes genehmigt bekommen. Gut ein Jahr nach dem erklärten Kohleausstieg wird somit voraussichtlich im Januar 2020 in Deutschland ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission hatte sich in ihrem Schlussbericht gegen eine Genehmigung des seit 2007 im Bau befindlichen Kohlekraftwerkes „Datteln 4“ ausgesprochen. So ist es nicht verwunderlich, dass weder das Bundeswirtschaftsministerium noch der Kraftwerksbetreiber die Inbetriebnahme selbst ankündigten, sondern dies nur beiläufig durch eine Tickermeldung der Strombörse EEX ans Licht kam. Ursprünglich hätte das Kraftwerk bereits im Jahr 2011 den Betrieb aufnehmen sollen. Damals wurde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks vom Oberverwaltungsgericht Münster für rechtswidrig erklärt. Diese Entscheidung wurde später vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Danach wurde bekannt, dass das 1.100-MW-Kraftwerk erhebliche Baumängel aufweist und ohnehin nicht hätte in Betrieb gehen können. Mit einer neuen Genehmigung und nach Behebung aller Baumängel könnte das Kraftwerk in Kürze mit 9 Jahren Verspätung die Kohleverbrennung aufnehmen.

Als Journalisten Vertreter der Bundesregierung im Rahmen der Bundespressekonferenz zu diesem Vorgang befragten, gab es neben allgemeinen Lippenbekenntnissen zum Kohleausstieg lediglich ausweichende Ausflüchte. Ein sehenswertes Video dieser Pressekonferenz ist abrufbar.

Ortstermin: Kohleausstieg im Kieler Wärmenetz

Deutschland debattiert über den Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 – die Kieler Stadtwerke haben bereits dieses Jahr Fakten geschaffen.

Ortstermin: Kohleausstieg im Kieler Wärmenetz

Deutschland debattiert über den Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 – die Kieler Stadtwerke haben bereits dieses Jahr Fakten geschaffen: Das Kohlekraftwerk der Stadt wurde im Frühjahr endgültig abgeschaltet. Ein vollkommen neuer Kraftwerkstyp wird das Wärmenetz der Stadt und damit die Kieler Haushalte zur Heizsaison 2019 hocheffizient mit Wärme und Strom versorgen.
Von Louis-F. Stahl

(23. Oktober 2019) Ein Großkraftwerk besteht für gewöhnlich aus einer großen Anlage mit einem Generator. Tritt eine Störung auf, geht das Kraftwerk komplett vom Netz. Im Betrieb muss wiederum eine Mindestlast gefahren werden, damit das Kraftwerk funktioniert, was bedeutet, dass eine Regelbarkeit nur im Bereich von 0 Prozent (aus) sowie zwischen etwa 45 Prozent (Mindestlast) und 100 Prozent (Volllast) gegeben ist. Lediglich durch den Bau mehrerer großer Kraftwerksblöcke lässt sich eine Flexibilisierung erzielen, doch damit steigt auch die Leistung und die Kosten vervielfachen sich mit jedem zusätzlichen Kraftwerksblock. Auch beim Kaltstart sind selbst neue Großkraftwerke behäbig und damit kaum zum Ausgleich fluktuierender Erzeugung aus Sonne und Wind geeignet: Ein Kaltstart benötigt bei Kohlekraftwerken mehrere Stunden und Gasturbinenkraftwerke, wie das hochmoderne GuD-Kraftwerk in Irsching bei München, schaffen einen Start in bestenfalls 30 bis 40 Minuten.

Vom außerhalb des Stadt-Kerngebietes liegenden „Küstenkraftwerk“ mit seinem 30 Millionen Liter Wärmespeicher verläuft unter der Kieler Förde hindurch ein Tunnel mit den Fernwärmeleitungen zu den 70.000 Wärmeabnehmern der Stadtwerke.

Blockheizkraftwerke als Lösung?

Mit motorischen Blockheizkraftwerken (BHKW) gibt es zwar eine binnen 3 bis 5 Minuten schnellstartfähige Alternative zu Gasturbinen. Aber auch BHKW sind im Betrieb nur in den oben genannten Grenzen regelbar. Zudem ist die Leistung begrenzt: Gasmotoren mit Leistungen von 100 Megawatt – oder gar den 850 MW, die der Gasturbinenblock 6 in Irsching liefern kann – gibt es bisher nicht und solche Motoren wären vermutlich auch für viel Geld nicht konstruierbar. Motoren bis 10 MW werden hingegen von diversen Herstellern serienmäßig gefertigt und sind vergleichsweise kostengünstig am Markt verfügbar.

Neuland betreten

Das brachte die Kieler Stadtwerke auf eine Idee: Warum nicht einfach 5, 10 oder gleich 20 preisgünstige Standard-BHKW mit jeweils 10 MW in eine Halle stellen und so ein Kraftwerk in der passenden Größe erschaffen? Ein solches Gasmotorenheizkraftwerk (GHKW) wäre schnellstartfähig und je nach aktuellem Leistungsbedarf lassen sich einfach mehr oder weniger Motoren einschalten. Ein valides Argument gegen das Konzept fand sich nicht, nur gebaut hat ein solches GHKW bisher noch niemand. Die Kieler Stadtwerke haben den Schritt gewagt und noch bevor ihr „Küstenkraftwerk“ am Netz ist, haben mit den Stadtwerken Wiesbaden und Chemnitz bereits andere Wärmenetzbetreiber mit dem Bau eigener GHKW begonnen.

Vortrag im Dezember 2015 „Große Gasmotoren für die Fernwärmeversorgung in Kiel“: https://youtu.be/bzW0tLK9wF8

Der Kieler Stadtwerke-Vorstand Dr. Jörg Teupen erläutert im Gespräch mit der Energiedepesche die Hintergründe des Kieler GHKW-Leuchtturmprojektes.

Unser Interviewpartner Dr. Jörg Teupen leitet seit 2012 als Vorstand Technik das Projekt „Küstenkraftwerk“ bei den Stadtwerken Kiel.

Frage: Was veranlasst Kiel, den Kohleausstieg bereits heute zu vollziehen?

Antwort: Für uns stellte sich vor gut 12 Jahren die Frage, ob es Sinn ergibt, das bestehende Kohlekraftwerk aufwendig zu sanieren oder ein neues 800-Megawatt-Kohlekraftwerk zu errichten. Bereits damals hat die Stadt Kiel als Anteilseigner der Stadtwerke dieses Vorhaben aus Klimagesichtspunkten kritisch betrachtet und auch aus Flexibilitätsgesichtspunkten erschien ein einzelnes Kraftwerk zu träge. Heute können wir – auch wirtschaftlich – froh sein, dass im Jahr 2009 dieser große „Plan A“ verworfen wurde.

Frage: Aus welchem Grund fällt das neue Kraftwerk mit knapp unter 200 MW deutlich kleiner als „Plan A“ aus?

Antwort: Das geplante Kohlekraftwerk hätte als Dauerläufer klassisch der Stromerzeugung gedient und nur einen Teil der Abwärme in das Fernwärmenetz eingespeist. Das neue Gasmotorenkraftwerk soll hingegen ausschließlich unter Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Und dank eines großen Wärmespeichers, der Stromerzeugung und Wärmebereitstellung entkoppelt, können wir flexibel auf den Strommarkt beziehungsweise die fluktuierende Erzeugung aus erneuerbaren Quellen reagieren.

Frage: Inwiefern eignet sich ein „flexibles“ Gaskraftwerk als Partner für die Erzeugung aus Erneuerbaren?

Antwort: Unser bisheriges Kohlekraftwerk bestand aus einem einzigen Kraftwerksblock, der vier Stunden zum Hochfahren benötigte. Das neue Gasmotorenkraftwerk besteht aus 20 einzelnen Blockheizkraftwerken mit jeweils 10 Megawatt elektrischer Leistung. Unsere Anforderung ist ein vollständiges Hochfahren der Leistung innerhalb von maximal 5 Minuten, eine sofortige Abschaltbarkeit sowie die Fähigkeit, die Motoren mehrmals täglich starten zu können. Damit ist das neue Kraftwerk neben der reinen Erzeugungsleistung auch sehr gut am Regelenergiemarkt platzierbar.

Herzstück des Küstenkraftwerks sind 20 Blockheizkraft-werke vom Typ Jenbacher J920 FleXtra. Das gesamte Kraftwerk wird für die Stadtwerke vom Generalunternehmer Kraftanlagen München errichtet.

Frage: Warum setzen Sie auf Erdgas und nicht auf erneuerbare Energien?

Antwort: Durch den Umstieg von Kohle auf Gas sowie die gesteigerte Effizienz des neuen Kraftwerkes senken wir den CO2-Ausstoß um mehr als 70 Prozent gegenüber einem Kohlekraftwerk und katapultieren die Stadt Kiel mit einem Schlag in die Erreichung ihrer Klimaschutzziele für das Jahr 2020. Zudem benötigen Planung und Bau eines großen Kraftwerkes Vorlaufzeiten von vielen Jahren. Vor gut zehn Jahren wurde unser klimafreundliches Projekt sehr kritisch betrachtet – damals planten andere Versorger noch Kohleblöcke. Man muss aber auch sehen, dass bei einer Dunkelflaute im Winter Strom und Wärme irgendwo erzeugt werden müssen. Die einzig belastbare und bezahlbare Antwort auf dieses Bedürfnis war vor zehn Jahren – und ist auch heute – ein hochflexibles Gaskraftwerk, zumal das Gasnetz durch die zunehmende Einspeisung grüner Gase oder Power-to-Gas für die Energiewende bestens gerüstet ist. Heute übernehmen andere Stadtwerke unser Gasmotoren-Kraftwerkskonzept. Und wir prüfen derzeit mit einer Machbarkeitsstudie, ob wir unser Küstenkraftwerk um eine Großwärmepumpe erweitern sollen. Außerdem haben wir einen Elektrodenkessel mit 35 MW errichtet, der theoretisch Windstromüberschüsse verheizen und negative Regelleistung erbringen könnte.

Frage: Weshalb nur „theoretisch“?

Antwort: Derzeit fehlt der ordnungsrechtliche Rahmen! Wir haben im Küstenkraftwerk einen Kessel, der bei Windstromüberschüssen verhindern könnte, dass Windkraftanlagen abgeschaltet werden müssen. Wenn wir aber zu einem solchen Zeitpunkt den überschüssigen regenerativen Strom in Wärme umwandeln, müssten wir von den Netzentgelten über Umlagen und Steuern so viele Abgaben leisten, dass es für uns nicht bezahlbar ist. Gleichzeitig werden die abgeschalteten Windkraftanlagenbetreiber in Nordfriesland auf Kosten der Stromkunden entschädigt. Die Landespolitik in Schleswig-Holstein hat bereits erkannt, dass dies ökologisch und ökonomisch unsinnig ist. Die Bundespolitik hält hingegen noch daran fest, Windkraftanlagen abzuregeln und ein paar Kilometer weiter fossil Wärme zu erzeugen, die in dem Moment besser und kostengünstiger regenerativ erzeugt werden könnte.

Energiewendeskeptiker

Halbwahrheiten zur Energiewende

Energiewendeskeptiker: Halbwahrheiten zur Energiewende

Von Aribert Peters

(14. Oktober 2019) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelte am 9. August 2019: „Rekordkosten für die Aufrechterhaltung der Stromversorgung, zahlen muss dafür der Verbraucher“ und „Die Welt“ stimmte im gleichen Tenor an: „Der Geisterstrom offenbart den Irrsinn der Energiewende“. Mit Tatsachen haben diese beiden Meldungen wenig zu tun. Doch wenn die Propaganda nur oft genug wiederholt wird, dann wird sie geglaubt und zur herrschenden Meinung, auch wenn sie mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Die Skeptiker der Energiewende argumentieren, wir hätten zu viele erneuerbare Erzeugungsanlagen. Erst müssten die Netze ausgebaut werden, bevor neue Anlagen zu bauen seien. Solche Behauptungen werden durch aktuelle Zahlen im Quartalsbericht der Bundesnetzagentur zu Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen klar widerlegt.

Im Bericht der Bundesnetzagentur wird betont: „Auch im ersten Quartal 2019 wurden rund 95 Prozent der insgesamt vermarkteten erneuerbaren Erzeugung produziert und transportiert, knapp 5 Prozent wurden aufgrund von Engpässen im Rahmen von Einspeisemanagement-Maßnahmen abgeregelt. Diese Quote liegt damit auf dem gleichen Niveau wie im ersten Quartal 2018. Trotzdem zeigen die absoluten Zahlen im ersten Quartal 2019, insbesondere zur Abregelung von Windenergieanlagen, weiterhin bestehende Übertragungsengpässe auf.“ Bei der Abregelung handelt es sich also um ein nachrangiges Problem. Es weist auf Engpässe beim Netzausbau hin, die abgestellt gehören.

Auch bezüglich der Entschädigungszahlungen liegen die Skeptiker falsch, wenn sie unterstellen, die Verbraucher würden durch die Abregelung wesentlich belastet. Die Entschädigungsansprüche werden im Bericht auf 364 Mio. Euro beziffert, was angesichts der insgesamt gezahlten Vergütungen in Höhe von etwa 24 Mrd. Euro nur rund 1,5 Prozent ausmacht.

Schüler fordern sofortigen Klimaschutz

Seit einem halben Jahr demonstrieren Schüler in Deutschland freitags für einen stärkeren Klimaschutz und die sofortige Ergreifung wirksamer Maßnahmen seitens der Politik. Die über 100 lose organisierten Ortsgruppen der Bewegung „Fridays for Future“ haben sich jetzt auf konkrete Forderungen verständigt.

Schüler fordern sofortigen Klimaschutz

Seit einem halben Jahr demonstrieren Schüler in Deutschland freitags für einen stärkeren Klimaschutz und die sofortige Ergreifung wirksamer Maßnahmen seitens der Politik. Die über 100 lose organisierten Ortsgruppen der Bewegung „Fridays for Future“ haben sich jetzt auf konkrete Forderungen verständigt.
Von Louis-F. Stahl

(1. Juli 2019) Eine ernstgemeinte inhaltliche Auseinandersetzung seitens der deutschen Politik-Elite mit den Protesten der Schüler ist bisher nicht zu beobachten. Von PR-Profis gut beratene Politiker sprechen den Schülern zwar inzwischen ihre Anerkennung und Verständnis für die Forderungen aus – unterlassen aber jegliches erkennbare Handeln (siehe ED 1/2019, S. 4). Eine klare Position des Unverständnisses für die Probleme und Herausforderungen unserer Zeit haben nur die Parteien AfD und FDP eingenommen: Klimaschutz „ist eine Sache für Profis“ polterte beispielsweise der FDP-Bundesvorsitzende – wahrscheinlich in Unkenntnis darüber, dass die Schüler seit Beginn der Proteste nicht nur lautstark auf den fehlenden Klimaschutz hinweisen, sondern dabei stets skandieren: „Hört auf die Wissenschaftler, nicht auf uns!“

Zweifelhafte Organisationsform

Woche für Woche – auch in den Ferien – begeben sich deutschlandweit derzeit rund 20.000 bis 25.000 Schüler auf die Straße und koordinieren ihren Protest basisdemokratisch in etwa 110 lokalen WhatsApp-Gruppen.

Die Kontrolle über die bundesweiten Social-Media-Präsenzen, die deutsche Webseite und damit die Anzeige der Zielkonten für Spenden sowie die Bestimmung was „offizielle Merchandise-Artikel“ sind, befindet sich jedoch in der Hand einer kleinen und undurchsichtigen Gruppe professionalisierter Aktivisten, die zudem über diese Wege die Presseanfragen beantworten und damit die Gesichter der Bewegung in den Medien sind. Diese Konstruktion und die Instrumentalisierung einer Jugendbewegung als persönliches Karriere-Sprungbrett durch einige Wenige ruft nicht zu Unrecht Kritiker auf den Plan – gleichwohl dies nichts an den Überzeugungen, Werten und dem Protest von zehntausenden Jugendlichen ändert. www.fridaysforfuture.de

Scientists for Future

Angespornt durch die weltweiten Schülerproteste haben rund 80 Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen eine Stellungnahme erstellt und stellen darin unmissverständlich fest, dass die „Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen […] berechtigt und gut begründet [sind]. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus. […] Deutschland wird die selbstgesteckten Klimaschutzziele für 2020 verfehlen. […] Ohne tiefgreifenden und konsequenten Wandel ist ihre Zukunft in Gefahr.“ Diese Stellungnahme haben binnen weniger Wochen 26.800 Wissenschaftler unterzeichnet. www.scientists4future.org

Parents for Future

Nicht nur die Wissenschaft steht hinter den engagierten Schülern. Zahlreiche Eltern begleiten ihre Kinder zu den Demonstrationen oder koordinieren die Beaufsichtigung ihrer Schützlinge mit anderen Eltern und haben sich dafür in „Parents for Future“ genannten Gruppen zusammengeschlossen. Eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag der gut vernetzten Eltern hat mehr als 50.000 Unterschriften erhalten, so dass die Politik nun gezwungen ist, sich auch parlamentarisch mit den Forderungen der Schüler auseinander zu setzen. www.parentsforfuture.de

Forderungen der Bewegung

Vertreter der lokalen Schülergruppen haben sich in einem konsensualen Prozess auf sechs Forderungen verständigt, die seit ihrer Veröffentlichung am 8. April 2019 von allen an den Fridays-for-Future-Demonstrationen teilnehmenden Schülern mitgetragen werden. Die drei ersten Forderungen sollen kurzfristig bis zum Jahresende umgesetzt werden:

  • Ende der Subventionen für fossile Energieträger
  • Ein Viertel der Kohlekraftwerke abschalten
  • Eine Steuer auf alle Treibhausgasemissionen, die so hoch ausfallen soll, 
wie die Kosten, die durch die Emissionen zukünftigen Generationen entstehen
  • Kohleausstieg bis zum Jahr 2030
  • Bis zum Jahr 2035 nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie über natürliche Prozesse wieder gebunden werden können
  • 100 Prozent erneuerbare Energien 
bis zum Jahr 2035
Extinction Rebellion

Deutlich radikaler als die Schülerbewegung sind die Ziele und Methoden der „Extinction Rebellion“: 6.000 Aktivisten brachten im November 2018 durch die Besetzung von Brücken über die Themse sowie von wichtigen Straßenkreuzungen den Autoverkehr in London zum Erliegen. In der Karwoche 2019 wiederholte sich dieses Spektakel und führte zur Festnahme von 600 Brücken- und Straßenbesetzern. Am 15. April 2019 hat die Bewegung mit der erfolgreichen Besetzung der Oberbaumbrücke in Berlin durch rund 300 Aktivisten ihre erste größere Aktion in Deutschland gestartet. Sollte die Politik Schülern, Eltern und Wissenschaftlern weiterhin kein ausreichendes Gehör schenken, könnte diese Protestform auch in Deutschland bald zum Straßenbild gehören. www.extinctionrebellion.de

Flaute beim Windkraftzubau

Im Jahr 2018 konnte die Erzeugung von Windstrom in Deutschland laut Zahlen des Umweltbundesamtes um 5,6 Prozent zulegen und hat einen neuen Höchststand erreicht .

Flaute beim Windkraftzubau

Von Louis-F. Stahl

(25. Juni 2019) Im Jahr 2018 konnte die Erzeugung von Windstrom in Deutschland laut Zahlen des Umweltbundesamtes um 5,6 Prozent zulegen und hat einen neuen Höchststand erreicht – obwohl der Bau neuer Windkraftanlagen bereits stockte. Die wenigen neu errichteten Anlagen wurden dafür an besonders guten Standorten, wie beispielsweise Offshore-Parks im Meer, in Betrieb genommen. Auch das Re-Powering – der Austausch alter Anlagen gegen größere Generatoren am selben Standort – konnte zulegen.

An Land ist der Bau neuer Windräder fast zum Erliegen gekommen. Im ersten Quartal 2019 wurden nach Zahlen der Fachagentur Windenergie in ganz Deutschland nur 41 neue Windkraftanlagen gebaut. Ein Einbruch gegenüber dem ersten Quartal im Jahr 2018 um ganze 90 Prozent. In 9 von 16 Bundesländern wurde keine einzige Anlage neu errichtet.

Als Ursache macht die Branche komplizierte Ausschreibungsverfahren, verschärfte baurechtliche Anforderungen an potenzielle Standorte sowie klagende Anwohner verantwortlich. Insbesondere die Aufstellung fertiger Nisthilfen zur Anlockung potenziell seltener und geschützter Vogelarten habe sich zur Verhinderung neuer Windparks etabliert.

Eine ausführliche Darstellung der – vermeidbaren – Hemmnisse für die Windkraft in Deutschland sowie dem drohenden Rückbau von gut einem Viertel der bestehenden Windkraftleistung mit dem Ende der 20-jährigen Förderung 
in den Jahren 2021 bis 2023, liefert die Zeitschrift Technology Review (Heft 2/2019, S. 68-83).

Wissenschaft unter Verschluss

Seit dem Jahr 2017 haben allein das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), das Bundesumweltministerium (BMU) sowie das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) gut 280 Studien zum Klimaschutz in Auftrag gegeben.

Wissenschaft unter Verschluss

Von Louis-F. Stahl

(21. Juni 2019) Seit dem Jahr 2017 haben allein das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), das Bundesumweltministerium (BMU) sowie das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) gut 280 Studien zum Klimaschutz in Auftrag gegeben. Gut 140 dieser Studien wurden inzwischen abgeschlossen und von den beauftragten Forschungseinrichtungen an die Ministerien geliefert. Aber 62 dieser Studien werden seitdem von den Ministerien unter Verschluss gehalten.

Die Namen der geheim gehaltenen Studien lesen sich vielversprechend. Von einer Studie zur „Weiterentwicklung der Energiewendeziele in Hinblick auf die Klimaschutzziele 2050“ über eine „Analyse der Anforderungen an die Infrastrukturen im Rahmen der Energiewende“ bis hin zur „Untersuchung der klimapolitischen Wirksamkeit des Emissionshandels“ reiht sich eine spannende Fragestellung mit für die Öffentlichkeit unbekanntem Ergebnis an die nächste.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass in erster Linie Forschungsergebnisse unter Verschluss gehalten werden, die den Ministerien und der Regierung schlechte Arbeit attestieren: „Es ist ein Unding, dass die Regierung unbequeme Wahrheiten offenbar in der Schublade verschwinden lassen will. Immerhin sind diese Studien steuer
finanziert, die Öffentlichkeit hat ein Recht auf diese Erkenntnisse“, prangert die energiepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Julia Verlinden an.

Schulstreik

Schülerproteste gegen Klimapolitik

Schulstreik: Schülerproteste gegen Klimapolitik

Von Louis-F. Stahl

(15. April 2019) Zunächst in Schweden, dann in Europa und inzwischen weltweit gehen Schüler freitags regelmäßig nicht mehr in die Schule, sondern demonstrieren. Die Schüler prangern eine verfehlte Klimaschutz-, Umwelt- und Energiepolitik an, die den Planeten bereits für ihre Generation in Teilen unbewohnbar werden lassen könnte. Zentrale Forderungen sind ein Stopp der Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Umsetzung von Maßnahmen zur Aufhaltung des Klimawandels.

Mit der Aktion angefangen hatte die damals noch 15-jährige Schwedin Greta Thunberg. Nachdem sich weltweit mehr als 100.000 Schüler ihrem wöchentlichen Protest am Freitag unter dem Motto „School strike for climate“ (in Deutschland „Fridays for Future“) anschlossen, sprach sie zuletzt im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Kattowitz und dem Weltwirtschaftsforum in Davos die herrschenden Politiker direkt an.

Die Reaktion der Politiker fiel ignorant aus: Der australische Premierminister Scott Morrison und die britische Premierministerin Theresa May forderten, dass die Schüler lieber zur Schule gehen und etwas lernen sollten, anstatt zu demonstrieren. Am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz deutete Kanzlerin Angela Merkel an, dass sie einen Zusammenhang zwischen den Schülerprotesten und der „hybriden Kriegsführung“ sehe. „Dass plötzlich die deutschen Kinder – nach Jahren ohne sozusagen jeden äußeren Einfluss – auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss,“ könne sie nicht glauben, erklärte Merkel, revidierte diese Einschätzung jedoch nach einer Welle der öffentlichen Empörung und erklärte ihr Verständnis für die Sorgen der Schüler.

  • Greta Thunberg auf Twitter
  • Video mit deutschen UT: School strike for climate - save the world by changing the rules | Greta Thunberg

Bundesrechnungshof kritisiert Energiewende-Umsetzung

Der Bundesrechnungshof hat mit deutlichen Worten kritisiert, wie die Energiewende durch das Bundeswirtschaftsministerium umgesetzt wird.

Bundesrechnungshof kritisiert Energiewende-Umsetzung

Der Bundesrechnungshof hat mit deutlichen Worten kritisiert, wie die Energiewende durch das Bundeswirtschaftsministerium umgesetzt wird. Er richtet sich an den Bundestag und die Bundesregierung und wurde im Internet veröffentlicht. Wir geben nachfolgend die Zusammenfassung des Berichts wörtlich wieder.

(4. Februar 2019)

„Trotz des erheblichen Einsatzes von Personal und Finanzmitteln erreicht Deutschland die Ziele bei der Umsetzung der Energiewende bisher überwiegend nicht.

Die Energiewende wird innerhalb der Regierung nicht koordiniert

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat seit nahezu fünf Jahren die Federführung für die Umsetzung der Energiewende inne. Damit hat es die Rolle, die hierfür notwendigen Aktivitäten zu koordinieren. Allein im BMWi sind 34 Referate in vier Abteilungen damit befasst, die Energiewende umzusetzen. Dazu sind fünf weitere Bundesministerien und alle Länder an der Umsetzung der Energiewende beteiligt. Dennoch hat das BMWi nicht festgelegt, was die Koordination der Energiewende umfasst. Eine gesamtverantwortliche Organisationsform gibt es bis heute nicht.

Der Bundesrechnungshof hält es für wesentlich, dass das BMWi die Energiewende künftig wirksam koordiniert und dazu festlegt,

  • welche Koordinationsaufgaben es wahrnehmen muss,
  • wie es die Koordinationsaufgaben sachgerecht organisiert,
  • welche gesamtverantwortliche Stelle zur Koordination der Energiewende es einrichtet,
  • ob es einen interministeriellen Ausschuss für die Koordination zwischen den Bundesministerien einrichtet und
  • ob es einen Bund-Länder-Ausschuss für die Koordination der Energiewende zwischen Bund und Ländern initiiert.

Das BMWi sieht keinerlei Handlungsbedarf, weil es die derzeitige Koordination der Energiewende für effektiv und effizient ausgestaltet hält. Es ist der Auffassung, dass zwischen allen Akteuren und auf allen Ebenen bei der Umsetzung der Energiewende mehr als ausreichend koordiniert wird.

Diese Einschätzung überzeugt angesichts der unbestrittenen und zum Teil deutlichen Zielverfehlungen bei zugleich erheblichen Belastungen der Wirtschaft sowie der öffentlichen und privaten Haushalte nicht. Es bleibt ein wesentliches Versäumnis, dass das BMWi nicht bestimmt hat und nicht bestimmen will, was es tun muss, um die Ziele der Energiewende nachweisbar und auf wirtschaftliche Weise zu erreichen. Eine gesamtverantwortliche und mit möglichst weitgehenden Entscheidungsbefugnissen ausgestattete Organisationsform ist dafür unerlässlich.

Keine Kontrolle und Steuerung der Energiewende

Als Steuerungsinstrumente für die Energiewende sieht das BMWi das Monitoring, das strategische Controlling und ein abteilungsinternes Bereichscontrolling vor. Zudem entfalten Gesetze und Verordnungen steuernde Wirkung.

  1. Beim Monitoring-Prozess nutzte das BMWi 48 verschiedene Datenquellen, um anhand von 72 Indikatoren den Stand der Energiewende zu überprüfen. Es will den Monitoring-Prozess verbessern, indem es weitere Indikatoren einführt. Dabei hat es für besonders wichtige Ziele wie „Versorgungssicherheit“ und „Bezahlbarkeit“ bislang keine quantitativen Zielgrößen und Messwerte festgelegt. Solange das BMWi aber nicht alle Ziele der Energiewende messbar und überprüfbar ausgestaltet, ist eine wirksame Steuerung kaum möglich. Sie wird auch nicht über weitere Indikatoren verbessert.
    Das BMWi hat noch immer keine hinreichende Transparenz über Ausgaben und Kosten für die Energiewende geschaffen. Dabei verfügt es über umfassende Informationen zu Ausgaben aus dem Bundeshaushalt, den staatlich beeinflussbaren Bestandteilen der Energiepreise und zum Erfüllungsaufwand energiewendespezifischer Gesetze als Teil der Gesetzesfolgenabschätzung. Solche könnte das BMWi nutzen, um die gesamten Ausgaben und Kosten transparent zu machen. Das Berechnen einer solchen „Bruttosumme“ ist notwendig, um Parlament und Öffentlichkeit besser zu informieren und beispielsweise die Letztverbraucherausgaben für Strom sowie weitere Kosten der Energiewende transparent zu machen.
  2. In den Controllinginstrumenten verwendete das BMWi unterschiedliche Ziele, Soll- und Ist-Werte sowie Indikatoren, um den Stand der Zielerreichung zu messen. Steuerungsrelevante Daten wurden nicht oder unvollständig erfasst. Eine wirksame Steuerung der Energiewende war auch deshalb kaum möglich, weil die steuerungsrelevanten Informationen zu den wesentlichen Indikatoren nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung abgebildet werden können.
  3. Das BMWi steuert die Energiewende auch mit diversen Förderprogrammen. Es führte Förderprogramme fort, obwohl sie kaum nachgefragt waren.
  4. Es gibt derzeit 26 Gesetze und 33 Verordnungen, die mit teils hohem Detaillierungsgrad Erzeugung, Speicherung, Übertragung, Verteilung und Verbrauch von Energie regeln. Die mit Blick auf die Umsetzung der Energiewende notwendigen Änderungen dieser Normen sind zeitaufwendig. Dies erschwert eine flexible Anpassung von Steuerungsmaßnahmen an die dynamische Entwicklung, die die Energiewende mit sich bringt.
    Daher befürwortet der Bundesrechnungshof einen weitgehenden Verzicht auf kleinteilige Regelungen in Gesetzen und Verordnungen. Stattdessen sollte für die Energiewende ein Rechtsrahmen gesetzt werden. Ergänzend käme als nicht „planwirtschaftliches“ Instrument eine allgemeine CO2-Bepreisung in Betracht. Weil die Produktion von erneuerbarer Energie dadurch attraktiver wäre, könnte das BMWi seine Förderung nutzen, um ergänzende Anreize gezielt zu setzen.

Der Bundesrechnungshof fordert, dass

  • die Bundesregierung die Ziele Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit quantifiziert,
  • das BMWi nur solche Indikatoren nutzt, die auch Steuerungswirkung entfalten können,
  • das BMWi die Kosten der Energiewende mit angemessenem Aufwand möglichst vollständig transparent macht,
  • das BMWi durchgängig an den Zielen der Energiewende ausgerichtete Steuerungsinstrumente nutzt,
  • das BMWi prüft, inwieweit es effektivere -Steuerungsmechanismen, wie insbesondere die CO2-Bepreisung, als weiteres Instrument zur Umsetzung der Energiewende nutzen kann.

Das BMWi hat in seiner Stellungnahme erwidert, es sehe auch bei der Steuerung der Energiewende keinen Handlungsbedarf. Die skizzierte Kostenbetrachtung des Bundesrechnungshofes weist das BMWi als methodisch fragwürdig zurück. So könnten die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes als größte Einzelposition und die angeführten Entlastungen nicht als Kosten der Energiewende angesehen werden. Die Kritik des Bundesrechnungshofes am Controlling weist das BMWi ebenfalls zurück. Das derzeitige Controlling habe seine Steuerungswirkung in der Praxis bewiesen.
Der Bundesrechnungshof nimmt zur Kenntnis, dass das BMWi sein Steuerungssystem für hinreichend wirksam hält und keinen Handlungsbedarf sieht. Angesichts des Umstandes, dass die Ziele der Energiewende voraussichtlich und zum Teil deutlich verfehlt werden, ist der Umgang des BMWi mit seinem Steuerungssystem mangelhaft. Ein wirksames Steuerungssystem liegt erst dann vor, wenn überprüfbare Ziele vorliegen, Handlungsbedarf – auch aufgrund externer Einflüsse wie beispielsweise Wirtschafts- oder Bevölkerungswachstum – erkennbar wird sowie der Wille und die Möglichkeiten für „Kurskorrekturen“ bestehen.

Es ist auch für die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende wesentlich, dass das BMWi finanzielle Auswirkungen der Energiewende eindeutig und nachvollziehbar darstellt. Die der Energiewende zurechenbaren Ausgaben und Kosten betrugen im Jahr 2017 nach Berechnungen des Bundesrechnungshofes mindestens 34 Mrd. Euro. Das BMWi muss die Kosten der Energiewende mit angemessenem Aufwand möglichst vollständig transparent machen.

Schlussbetrachtung

Aus Sicht des Bundesrechnungshofes sind entscheidende Verbesserungen bei der Koordination und Steuerung der Energiewende unumgänglich. Die Bundesregierung bleibt zum Handeln aufgefordert. Anderenfalls könnte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen.“

2018 Sonderbericht des Bundesrechnungshofes: bdev.de/ewrechnungshof

Change – Die radikale Wende

Vorschläge von Graeme Maxton

Change – Die radikale Wende

Die Menschheit braucht eine radikale Wende, und mit jedem Tag, den wir zögern, muss sie noch radikaler werden, sagt Graeme Maxton in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Change“. Der irische Manager und Banker fordert einen sofortigen und radikalen Wandel. Wir zitieren nachfolgend aus seinem Buch.

(21. Januar 2019) „Da der Zusammenbruch bereits relativ weit fortgeschritten ist, lassen sich viele der gravierenden Folgen, die uns bevorstehen, mit keiner Maßnahme der Welt mehr verhindern. [...] Statt den Zusammenbruch zu verhindern, geht es heute darum, den Zusammenbruch in kontrollierbare Bahnen zu lenken und seine langfristigen Folgen zu reduzieren. Nichts davon geschieht. Die Menschheit steuert geradewegs und immer schneller auf eine noch viel schlimmere Krise zu, die ihr langfristiges Überleben in Frage stellt.  [...] Das Problem zu lösen, ist jetzt so dringlich, dass wir es nicht mehr unseren Kindern und Enkeln überlassen können.

Folgen einer Erwärmung um 4 Grad

Wenn wir es zulassen, dass die Durchschnittstemperatur um 4 Grad steigt – was der aktuellen Prognose für das Jahr 2100 entspricht, sofern nichts geändert wird – kippt die Erde in einen Zustand wie vor über 40 Millionen Jahren, in eine Zeit, als es keine Polkappen und Gletscher gab. Dieser Schmelzprozess wird extrem langsam vonstatten gehen und Jahrhunderte dauern.

Nur 500 Mio. Menschen könnten überleben

Aufgrund der Verzögerungen im System und weil die Treibhausgase weiter aufsteigen, auch wenn die Menschheit keine mehr produziert, wird es ab 2020 nicht mehr möglich sein, den Temperaturanstieg auf unter 1,5 Grad zu halten. Das werden wir allerdings erst Anfang oder Mitte der 2030 Jahre zu spüren bekommen. [...] Sobald die 2-Grad-Schwelle erreicht ist, wird sich die Erwärmung immer weiter beschleunigen und zum Ende des Jahrhunderts 4 Grad betragen und danach weiter ansteigen. [...] Die Veränderungen werden so groß sein, dass es für die Menschheit nahezu unmöglich sein wird, so weiterzuleben wie bisher. [...] Schätzungen gehen davon aus, dass kaum 500 Millionen Menschen überleben könnten, ohne Berücksichtigung der Konflikte, die sich aus dem Überlebenskampf ergeben werden.

All unsere Bemühungen zur Klimarettung haben bislang so gut wie nichts gebracht und werden vor allem keine nur annähernd ausreichende Wende in den nächsten 20 Jahren bringen. Trotz aller Investitionen in erneuerbare Energien sind die Treibhausgasemissionen so hoch wie nie zuvor und steigen weiter.

Ohne radikales Umdenken zieht eine Katastrophe auf, und zwar unweigerlich. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird eine Generation eine klare Vorstellung davon haben, was ihre Kinder erwartet: unkontrollierbarer Klimawandel.“

Die Radikalkur

Das Grundproblem ist das fortwährende Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen Umweltbelastungen. Das Wirtschaftssystem muss also umgebaut werden. Für das zentrale Problem gibt es keine technologische Lösung. Die Treibhausgasemissionen müssen jährlich um mindestens drei Prozent gesenkt werden, in zehn Jahren um 35 Prozent und bis 2040 um 80 Prozent. Maxton hat einen radikalen Plan: „Es dürfen keine Investitionen mehr in die fossile Energiewirtschaft fließen.“ Diese Industrie sollte bis 2030 weitgehend stillgelegt werden, wobei die Kohle an erster Stelle steht. „Flugfreier Himmel und autofreie Straßen: Die Verkehrsemissionen aus fossilen Kraftstoffen müssen bis 2030 um mindestens 35 Prozent gesunken sein, bis 2040 um über 80 Prozent. Stopp dem Zement, Plastik muss kosten, Bäume leben lassen, lokal denken, lokal handeln, Gashahn abdrehen, besser bauen, Strom überall, nachhaltiger Nahverkehr zum Nulltarif, von fossil auf erneuerbar, gemeinsam für die Meere, neu denken und sequestrieren, Abrüstung, die Verursacher zur Kasse bitten.

Die Folgen wären immens: Fast alle Langstreckenflüge würden verboten, ebenso alle Billigflugtickets, die Energiekosten würden steigen, Benzin und Diesel 100 Euro je Liter kosten.

Sind solche radikalen Umstellungen machbar?

Der Schlüssel liegt in der Organisation und in federführenden Vorbildwirkungen. [...] Mir ist vollauf bewusst, dass meine Vorschläge und Warnungen höchstwahrscheinlich auf taube Ohren stoßen werden. Ich weiß aber auch, dass dieser Weg der einzig gute Weg ist, der uns noch bleibt.

Ein Schuldenerlass und hohe Transfers von Nord nach Süd reduzieren globale Ungleichheit und Migration.
Einzelpersonen können nur dann echte Veränderungen bewirken, wenn sie gemeinschaftlich  agieren, als Aktivisten, Aktionäre und Wähler. Einzelpersonen können Freunden und Familie dabei helfen, weiter positiv zu denken.“

Interview mit Graeme Maxton

Kommentar

Verantwortungslose Politik in Berlin

Kommentar: Verantwortungslose Politik in Berlin

(15. Januar 2019) Einen kritischen Kommentar liefert der langjährige Berliner Energie- und Umweltkorrespondent der Süddeutschen Zeitung, Michael Bauchmüller, in der Ausgabe vom 8. Oktober 2018: „Am Rande des Hambacher Forstes wird über das fossile Deutschland verhandelt, über seine Rolle im Kampf gegen die Erderhitzung, dem größten Umweltproblem der Menschheit. Die Jüngeren kämpfen da mittlerweile schon für sich selbst, die Älteren für ihre Kinder und Enkel. Ein Menschheitsproblem? Aus der Bundesregierung hört man dazu wenig. [...] Weniger Ambition geht kaum. Umweltpolitik findet in dieser Koalition nicht statt“.

Auch über die Ursachen dieses Politikversagens äußert sich Bauchmüller: „In der Union hat der Wirtschaftsflügel das Sagen, in der SPD das Gewerkschaftslager. Die Schnittmenge aus beidem ist das Gegenteil von Umwelt- und Klimaschutz. Die Umweltministerin von der SPD merkt zwar zuweilen zu Recht an, dass es auf einem toten Planeten keine Jobs gebe. Ein Aufschrei ist aber von ihr nicht überliefert. [...] Mutlos ist die freundlichere Beschreibung solcher Politik, verantwortungslos die treffendere. [...] Halb Europa will mehr Tempo, Deutschland bremst. [...] Eine Kommission verhandelt über das Ende der Kohle – aber keiner spricht darüber, wie sich im digitalen Zeitalter rasch ein Energiesystem aufbauen lässt, das auf erneuerbaren Energien fußt. Diese Koalition investiert viel Energie in das Gestern, aber wenig in die Gestaltung des Morgen.“

Wie es weitergehen kann, auch dazu schreibt Bauchmüller: „Sehnsucht nach Gestaltung, nach Zukunft – das treibt auch diejenigen an, die nun zu Tausenden mehr Klimaschutz fordern. Dahinter steht auch ein Versagen, das für eine aufgeklärte Gesellschaft schwer zu ertragen ist. Kritische Vernunft und Wissenschaftlichkeit sind für sie zentrale Säulen. Eine Politik aber, die gegen jede Vernunft, gegen gesicherte Erkenntnis handelt, die den Klimaschutz nur im Munde führt, aber immer kneift, wenn er konkret wird, können viele Bürger nicht mehr verstehen und nicht mehr hinnehmen. [...] Solange eine deutsche Regierung agiert wie sie gerade agiert, hält sie den Fortschritt weg von Kohle, Öl und Gas auf. Wenn dieser Fortschritt beginnt, irgendwann einmal, ist es womöglich zu spät. Unter den Folgen dürfte der Untergang des Standorts Deutschland dann noch die harmlosere sein.“

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letzte Änderung: 18.04.2023