Anlegbarkeit ablegen
Der Preiswettbewerb zwischen Gas und Öl entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Fiktion, die längst von gezielten Aquisekampagnen abgelöst wurde.
(13. Juni 2005) - "Gaspreise für Haushalte sind fair. Denn die Verbraucher können sich ja zwischen Gas und Öl entscheiden. 75 Prozent aller neuen Häuser werden mit Gas beheizt. Ein klarer Beweis für die Wettbewerbsfähigkeit von Gas." So rechtfertigt die Gaswirtschaft ihre Preise. Obwohl man also seinen Gasanbieter nicht wechseln kann, sorge der ständige Wettbewerb zwischen Gas und Öl für einen wettbewerbsfähigen Preis, auch ohne staatliche Kontrolle.
Anlegbarer Gaspreis
Der Fachbegriff dafür ist der "anlegbare Gaspreis": Der wettbewerbsfähige Gaspreis errechnet sich aus den Verbrauchskosten der Konkurrenzenergie. Abgezogen werden die Kapital- und Betriebskostendifferenzen zwischen den Energieträgern. Die nicht rechenbaren Vorteile des Erdgases werden addiert ("sauber", "komfortabel" …), die nicht rechenbaren Nachteile abgezogen ("Explosionsgefahr" …). In der Lieferkette wird dieser Preis zurückgerechnet, indem Verteil- und Transportkosten abgezogen werden ("net-back-Rechnung"). Dieser "anlegbare Preis" hat mit den tatsächlichen Beschaffungskosten des Gases nicht das geringste zu tun.
Die Verkaufspreise (Arbeitspreis lt. Herlen-Report) des Gasimporteurs Ruhrgas (rot) haben mit dem Grenzübergangspreis (blau) nicht viel zu tun. Sie richten sich entsprechend einer mathematischen Formel mit einer Verzögerung von drei Monaten nach dem über sechs Monate gemittelten Heizölpreis im Inland (grün).
Gleichpreisigkeit für Neu- und Altkunden?
Der anlegbare Preis ist nur stimmig, solange Gaskunden auch nach der Entscheidung für Gas wirklich zum Öl zurückwechseln können. Durch die gewaltigen Umstellungskosten (neuer Tank, neuer Heizkessel, Entwertung der hohen Anschlusskosten ans Gasnetz) ist ein Wechsel jedoch mit sehr hohen Kosten verbunden und dadurch praktisch unmöglich. Das macht nichts, argumentiert die Gaswirtschaft, denn jeder Gasaltkunde bekommt denselben Preis wie der Bauherr eines Neubaues. Der Gaspreis für diesen möglichen Neukunden unterliegt dem direkten Preiswettbewerb, denn der Neukunde vergleicht die Preise von Öl und Gas und trifft danach seine Entscheidung. Die Gleichpreisigkeit für Neu- und Altkunden ist also ein zentrales Element wettbewerbsfähiger Gaspreise: "Da der Gaspreis für den angeschlossenen Kunden der gleiche ist wie für den Neukunden oder den Erneuerer, wirkt sich der beim Neukunden oder Erneuerer stattfindende Wettbewerb zwischen Heizöl und Erdgas preislich uneingeschränkt auch zu Gunsten des angeschlossenen Gaskunden aus. Diese von der klassischen Vorstellung einseitiger Leistungsbestimmung deutlich abweichende Ausgangslage steht der Anwendung des § 315 BGB auf Gaspreise für Tarifkunden … entgegen …", schreibt der Staranwalt der Gaswirtschaft Dr. Bernd Kunth in der Neuen Juristischen Wochenschrift (Mai 2005, S. 1313-1315). Wie sieht die behauptete Gleichpreisigkeit im Alltag faktisch aus?
Umstellquoten sinken
Die Umstellquote von Ölkesseln auf Erdgas in gasberohrten Straßen beträgt in den alten Bundesländern 45 Prozent. Diese Quote lag zu Beginn der 90er Jahre schon bei über 60 Prozent, so Dr. Wolfgang Noetel, Bereichsleiter Kunden- und Marketingberater der E.ON Ruhrgas AG auf dem 5. Deutschen Erdgas-Marketing-Tag am 21./22. September 2004 in Kassel (vgl. ZfK Oktober 2004). "9 Millionen nicht mit Erdgas beheizte Wohnungen haben einen Anschluss dafür im Haus, 4,1 Millionen in der Straße und 5,9 Millionen im Haus, zusammen 12,9 Millionen Wohnungen." Gegen die Erneuerung werden vor allem die hohen Kosten und die Gefährlichkeit von Erdgas genannt. Für Umsteller und Erneuerer ist der sparsame Verbrauch das wichtigste Merkmal einer Heizungsanlage. Zunehmend wird der hohe Preis als Nachteil einer Erdgasheizung gesehen. Denn die Brennstoffkosten einer Ölheizung liegen seit Jahrzehnten um 20 bis 30 Prozent unter denen einer Gasheizung. Diese Lage veranlasst die Gaswirtschaft zu Umstiegshilfen.
Für einen Gasanschluss zahlen Verbraucher zwischen tausend und knapp dreitausend Euro.
Umstiegshilfen
Die Gaswirtschaft hilft also etwas nach, um zögernde Verbraucher von den Vorteilen einer Gasheizung zu überzeugen:
- Fehlinformationen über die tatsächlichen Gaskosten: In Auftragsgutachten der Gaswirtschaft werden die hohen Kosten von Gasheizungen schöngerechnet. Unabhängige und seriöse Kostenvergleiche zeigen dagegen regelmäßig die geringeren Kosten einer Ölheizung.
- Zuschussprogramme für Wechsler: Zahlreiche Gasversorger zahlen Prämien für den Umstieg von Öl auf Gas: zum Beispiel REWAG 500 Euro, N-ERGIE 500 Euro, ESB 650 Euro, Gas- und E-Werk Singen 400 Euro, Stadtwerke Essen: 750 Euro, Stadtwerke Schwabach 500 Euro, Stadtwerke Bochum, bis 1.500 Euro, GASAG 300 Euro, Stadtwerke Bielefeld 500 Euro, Stadtwerke Osnabrück 580 Euro, Stadtwerke Kiel 330 Euro und vergünstigte Entsorgung des Öltanks.
- "Dialogmarketing": E.ON Ruhrgas stellt den örtlichen Gasverteilern die Adressen potentieller Umsteller zusammen. Über die Tochter erdgasheizung GmbH werden den Gasverteilern zeitlich befristet "Energieverkäufer" zur Verfügung gestellt. Ein Callcenter "erhebt" von möglichen Kunden als Einstieg "Heizungsdaten", hart am Rand der Legalität: Erfolgsquote 80 Prozent. Bei neun Prozent kommt ein Termin zustande, drei Prozent schließen Gasanschlussverträge ab.
- Bonusprogramme für Handwerker, die sich für das Erdgasmarketing einspannen lassen (Kundenkarten, Miles & More Gutscheinaktionen).
- Druck auf potenzielle Kunden: Die Stadtwerke Lengerich zum Beispiel drohen den Kunden in Hagen den mit 400 DM bereits bezahlten Gasanschluss zu entfernen, wenn man sich nicht für Gasnutzung entscheide.
Die Liste ließe sich mühelos verlängern. Sie zeigt deutlich: Um trotz hoher Gaspreise Neukunden zu gewinnen, setzt die Gaswirtschaft ein ganzes Bündel gezielter Umstiegshilfen ein, von Prämien, Desinformation und Druck bis hin zu gezielter Überredung am Rande der Legalität. Die Umstiegsprämien von der Größenordnung einer kostenlosen Gaslieferung für ein ganzes Jahr wirken wie ein Preisnachlass für Neukunden. Von einer Gleichpreisigkeit für Neu- und Altkunden kann dadurch nicht mehr die Rede sein. Das System der anlegbaren Preise funktioniert nicht. Der Preiswettbewerb um neue Kunden ist eine Fiktion, die von gezielten Aquisekampagnen längst abgelöst wurde.