ED 04/12 Eine Welt ohne Öl (S.30-31)
„Die EU hat 1997 Strom- und Gasmärkte für den Wettbewerb geöffnet. Die Strompreise für Verbraucher sind seitdem weder gesunken, noch gerechter geworden. Das hat auch die EU lange erkannt. Die heute verkündeten Maßnahmen sind richtig, aber nicht ausreichend“
Pressemitteilung vom Bund der Energieverbraucher e.V.

Energieverbraucher begrüßen Energie-Sommerpaket der EU: „Richtig, aber nicht ausreichend“

(15. Juli 2015) Der Bund der Energieverbraucher hat das Energie-Sommerpaket der EU-Kommission begrüßt. „Die EU hat 1997 Strom- und Gasmärkte für den Wettbewerb geöffnet. Die Strompreise für Verbraucher sind seitdem weder gesunken, noch gerechter geworden. Das hat auch die EU lange erkannt. Die heute verkündeten Maßnahmen sind richtig, aber nicht ausreichend“, äußerte der Vereinsvorsitzende Dr. Aribert Peters. Erfreulich sei die Stärkung der Rechte der Energieverbraucher und auch der Einsatz für besonders benachteiligte Verbraucher. Auch den lange überfälligen neuen Ansatz zur Verbrauchskennzeichnung begrüßt der Verbraucherverband.

Leider wird der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht konsequent verwirklicht. So ist es kein Zufall, dass ausgerechnet am heutigen Tag zehn Stromhändler eine Klage gegen EU-Milliardensubventionen für das Atomkraftwerk Hinkley Point beim EuGH eingereicht haben.

Ein kurzer Rückblick zeigt, welchen Einfluss die EU in den vergangenen 20 Jahren auf die Energieversorgung genommen hat.

Es zeigt sich, dass die EU den Energieverbrauchern besonderen Schutz angedeihen lässt  und auch wichtige Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz ergreift. Schritte zu einer längerfristigen Sicherung der Energieversorgung lässt die Kommission vermissen.

Die gesamte wettbewerbliche Öffnung der Strom- und Gasmärkte geht auf den Einfluss der EU zurück. Ausgangspunkt war ein Richtlinienentwurf der EU aus dem Jahr 1992, der eine komplette Entkopplung von Energietransport und Energieverkauf vorsah, das sogenannte Unbundling. Denn ein freier Wettbewerb setzt voraus, dass die bisherigen Netzbetreiber sich komplett aus dem Energieverkauf zurückziehen und damit im Wettbewerb der Energieverkäufer keine eigenen Interessen verfolgen und der Netzzugang deshalb diskriminierungsfrei ermöglicht – man stelle sich vor, BMW könnte die Autobahngebühren festlegen.

Die 1997 beschlossene erste Energierichtlinie wurde auf Druck Deutschlands soweit aufgeweicht, dass nicht einmal eine staatliche Aufsicht über die Netzentgelte vorgeschrieben wurde. Deutschland erließ 1998 ein neues Energiewirtschaftsgesetz, ohne jedoch die Details des Netzzugangs zu regeln. Die Versorger regelten die Netzentgelte im Einvernehmen  mit den Industrieverbänden, den sogenannten Verbändevereinbarungen. Das Energiewirtschaftsgesetz 2002 legitimierte das nachträglich als gültige Regelung. Naturschutzbund und Bund der Energieverbraucher e.V. beschwerten sich in Brüssel über überhöhte Netzentgelte und verzerrten Wettbewerb.

Die „Beschleunigungsrichtlinie“ der EU aus dem Jahr 2002 schaffte das Schlupfloch für Deutschland ab. Deutschland wurde zur staatlichen Regulierung der Netzentgelte gezwungen, das Schlaraffenland war zu Ende. Die Richtlinie enthielt auch einen Anhang mit Rechten der Energieverbraucher. In Deutschland wurde die Richtlinie mit einem Jahr Verspätung durch das Energiewirtschaftsgesetz 2005 umgesetzt, durch das auch die Bundesnetzagentur entstand. In der Folge sanken die Netzentgelte erst einmal deutlich. Und der Wettbewerb auf dem Gasmarkt wurde durch die Bundesnetzagentur schrittweise erzwungen, wenngleich deutlich langsamer als von Brüssel  vorgeschrieben.

Den EU-Wettbewerbshütern ging die Entflechtung von Netz und Vertrieb schnell und nicht weit genug. Deshalb wurde ein sogenanntes „drittes Richtlinienpaket“ in Brüssel am 13. Juli 2009 beschlossen und war von den Mitgliedsstaaten bis 3. März 2011 umzusetzen. Wieder hatte Deutschland die vollständige Entflechtung von Netzen und Vertrieb verhindert, den alle anderen EU-Staaten für notwendig hielten: für Netze mit weniger als 100.000 Kunden genügt eine getrennte Rechnungslegung – die allerdings in Deutschland nie entsprechend den Regeln ordnungsgemäßer Buchführung umgesetzt wurde. „Die zwangsweise Eigentumsentflechtung wurde abgewendet“, jubelte die Bundesregierung. Die Richtlinie stärkte die Verbraucherrechte (Anbieterwechsel innerhalb von drei Wochen  zwingend, unabhängige Schlichtungsstelle, Definition und besondere Rechte für schutzbedürftige Verbraucher, Transparenz von Energierechnungen, smart Metering). Zum Zeitpunkt des Richtlinienerlasses lief noch ein Verfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik, weil noch nicht einmal die Kundenschutzregeln des zweiten Richtlinienpakets umgesetzt waren. 2011 beschwerte sich der Verein in Brüssel über die ausbleibende Umsetzung des Dritten Richtlinienpakets in Deutschland.

Durch die Liberalisierung sind die Energiepreise für Haushaltskunden und Mittelstand weder niedriger, noch gerechter geworden. Im Gegenteil. Die Vorteile der Energiemärkte haben einseitig die Großfirmen genutzt und für etliche Jahre auch die Energiekonzerne.

Das steht ganz im Gegensatz zur politischen Programmatik der EU-Kommission: Noch im Juni 2015 bekamen wir es schriftlich vom Energiekommissar Dominique Ristori: „Verbraucher stehen im Zentrum der EU-Energiepolitik. Das haben die Energieminister aller 28 Mitgliedsstaaten unterstrichen“.

Für schutzbedürftige Verbraucher bringt die dritte Richtlinie viel: Obwohl Deutschland keine schutzbedürftigen Verbraucher definiert hat, gerät Deutschland hier spürbar unter Druck. Ein gerade erschienener Report der Kommission über Energiearmut und schutzbedürftige Verbraucher zeigt kein gutes Bild für Deutschland im EU-Vergleich.

Die 2011 entstandene Schlichtungsstelle Energie ist ein Ergebnis des dritten Richtlinienpakets, sie wäre ohne diese Vorgaben nie entstanden, auch wenn die Verbraucherseite hier nur zu 25 % beteiligt ist.

Die Rechte der Energieverbraucher sind durch die EU-Aktivitäten wesentlich gestärkt worden. Bereits in der Richtlinie von 2003 waren Verbraucherrechte fixiert, die 2009 noch deutlich verstärkt wurden. 2007 begann die Kommission eine Diskussion über eine „Charta der Rechte der Energieverbraucher“. Diese Charta wurde nie erlassen, die Forderungen aber fanden teilweise Eingang in die Richtlinie von 2009.

Dennoch war in ganz Europa und nicht nur in Deutschland zu beobachten, dass die Haushaltskunden bei der Liberalisierung leer ausgegangen waren. Das wurde auch thematisiert: In Berichten der Kommission seit dem Jahr 2004, auf dem jährlichen  London Bürgerforum Energie, bei den Verbraucherorganisationen und Regulierungsbehörden.

Der Zusammenschluss der Europäischen Regulierungsbehörden (CEER und ACER) hat sich unter der Leitung von Baron Sir John Frederick Mogg sehr für die Verbraucherrechte engagiert. Derzeit wird an einer Vision gearbeitet unter der Bezeichnung:  „Brücke  ins Jahr 2025, eine Vision für Europäische Energieverbraucher“. Man will durch eine ganze Reihe von Maßnahmen die Haushaltskunden am Nutzen des Energiebinnenmarkts beteiligen.

Eine deutlich schärfere Gangart gegenüber den Energieversorgern schlägt die europäische Wettbewerbsbehörde an. Wegen vermuteter Marktmissbräuche durchsuchte die EU-Wettbewerbsbehörde im Mai 2006 die Geschäftsräume von E.on. In einem Lagerraum wurde ein Siegel aufgebrochen. E.on musste ein Bußgeld von 38 Mio. Euro zahlen, bestätigte am Ende der EuGH. Selbst die verbliebenen Unterlagen waren offenbar so brisant, dass E.on sich im Jahr 2009  zur Veräußerung seines Stromnetzes an die niederländische TenneT entschloss, um ein Kartellverfahren der Kommission abzuwenden.

Auch Missbräuchen beim Stromgroßhandel ist die Kommission auf der Spur und erzwang durch eine Richtlinie (REMIT) ein Mindestmaß an Transparenz und staatlicher Kontrolle.

Bei der Energiewende und den erneuerbaren Energien spielte die EU eher eine zurückhaltende und bremsende Rolle. Das mag mit dem Einfluss von England und Frankreich in der Kommission zusammenhängen,  zwei Länder, die zivil wie militärisch bis über beide Ohren noch im Atomzeitalter stehen. Die 1957 gegründete Euratom-Gemeinschaft zur Förderung der Atomenergie ist selbst heute immer noch Bestandteil der EU-Kommission. Der frühere Energiekommissar Oettinger ließ keine Gelegenheit aus, über das deutsche EEG herzuziehen. Das war weder ein Zufall, noch blieb es ohne Folgen. Und die von der Kommission genehmigten Subventionen für das neue britische Atomkraftwerk Hinkley Point von über 100 Milliarden Euro sprechen eine deutliche Sprache, Subventionen zu Lasten der Bürger Europas, die von verheerendem Einfluss auf die Marktsituation der Erneuerbaren sind. Gegen die Entscheidung der Kommission hat heute ein Zusammenschluss von zehn Energieversorgern Klage beim EuGH eingereicht. Entsprechend kontraproduktiv sind die Brüsseler Vorgaben für den Ausbau Erneuerbarer wie zum Beispiel die Ausschreibungspflicht.

Die EEG-Umlage stieg in Deutschland ab dem Jahr 2010 in schwindelnde Höhen. Entgegen den Tatsachen wurde das dem gleichzeitig stattfindenden Boom der Erneuerbaren angelastet. Neben der Zwangsvermarktung des EEG-Stroms über die Börse blähten auch die EEG-Befreiungen der stromintensiven Industrie die Umlage auf. Der Bund der Energieverbraucher e.V. sah darin eine unzulässige Beihilfe für die befreiten Betriebe und brachte im Jahr 2011 dagegen eine Beschwerde bei der Kommission vor. Diese eröffnete tatsächlich am 18. 12. 2013 ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland. Wieder zeigte sich, dass auch die EU von der Industrie und den ihr untertänigen Regierungen wie ein Selbstbedienungsladen missbraucht wird. Der stillschweigende Deal: die Atomindustrie bekam Hinkley Point genehmigt und die deutsche Chemieindustrie ihre EEG-Befreiungen. Dazu wurden die Beihilferichtlinien in einer Nacht- und Nebel-Aktion geändert und aufgeweicht.

Auch der auf EU-Ebene organisierte Emissionshandel (European Union Emissions Trading System EU ETS) aus dem Jahr 2003 kann nur als Flop bezeichnet werden. 95 Prozent der Industrieemissionen erhalten kostenlose Zuteilungen. Deshalb liegen die Preise für die Zertifikate sehr niedrig und das theoretisch überzeugende Modell bleibt praktisch wirkungslos.

Verbraucher können sich dennoch über die EU freuen. Denn die Verbraucherschutzrichtlinien der EU schützen Verbraucher besser, als es die deutschen Gesetze tun. So verbieten die Klauselrichtlinie aus dem Jahr 1993 Verbraucher unangemessen benachteiligende Klauseln. In Verbindung mit den verbraucherschützenden Energierichtlinien führte das zu erstaunlichen Ergebnissen. Der EuGH urteilte, dass die gesetzlichen Regelungen für Preiserhöhungen in Deutschland den Erfordernissen des europäischen Verbraucherschutzes nicht genügen und damit begründete Preiserhöhungen nichtig sind. Den Verbrauchern wurde explizit ein Rückforderungsanspruch zugestanden, soweit solche Preiserhöhungen bereits bezahlt worden waren. Ein guter Tag für deutsche Verbraucher!

Positiv sind auch die EU-Regelungen zur Erhöhung der Energieeffizienz. Die EU-Effizienzrichtlinie wurde über Jahre von Deutschland torpediert und auch nach der Verabschiedung einer verwässerten Fassung nicht umgesetzt. Die Ökodesign-Richtlinie ist Grundlage für eine Fülle weiterer Regelungen, die zu mehr Effizienz zwingen. Dazu gehört auch die Gebäuderichtlinie und die Energiekennzeichnung von Elektrogeräten. Gerade die Energiekennzeichnung verwirrt die meisten Verbraucher und bietet die notwendige Orientierung bisher eben gerade nicht. Es ist richtig, das Verfahren grundsätzlich zu ändern. An diesem Beispiel wird deutlich, wie die komplexen und langwierigen Entscheidungswege einer so großen multinationalen Organisation sinnvolle Lösungen erschweren, aber nicht unmöglich machen. Das Glühlampenverbot muss als mutige Aktion der Kommission als sinnvoll begrüßt werden. In die gleiche richtige Richtung geht das Verbot von Standby bei Kaffeemaschinen, das Verbot stromfressender Staubsauger usw.  

Auch die Abschaffung des Schornsteinfegermonopols verdanken wir der EU, ebenso wie neue Bestimmungen für die Eichung von Messgeräten.

Für die Sicherheit der Energieversorgung hat sich die EU noch keine Lorbeeren verdient. Die Importabhängigkeit der EU ist von 43 % im Jahr 1995 auf 53% im Jahr 2012 gestiegen. Für die mit naturwissenschaftlicher Sicherheit absehbaren Verknappungen fossiler Energien hat die EU keine Strategien entwickelt oder auf den Weg gebracht. Die europaweite Öffnung der Energiemärkte ist genau die falsche Strategie, um mit Krisen und Verknappungen umzugehen. Hierfür wären Strategien regionaler oder nationaler Energieautonomie sinnvoll, genau das Gegenteil der bisher verfolgten EU-Strategie. Die Bemühungen um Erhöhung der Effizienz sind zwar richtig, aber ohne ernsthaften  Ausstieg aus der Atomkraft und den Fossilen Energien wird daraus keine nachhaltige Energiestrategie für Europa. Eine solche Strategie wird von den Atom- und Kohlestaaten innerhalb der EU verhindert. Solange der Einigungszwang eine sinnvolle und konsistente Energiestrategie für Europa verhindert, sind national verfolgte Energiewendestrategien die bessere Lösung.

letzte Änderung: 14.07.2023