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Mehr als fünf Millionen Haushalte beziehen in Deutschland Ökostrom. Was das eigentlich bedeutet, beleuchtet eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes.

Ökostrom zwischen Euphorie und Kritik

Mehr als fünf Millionen Haushalte beziehen in Deutschland Ökostrom. Was das eigentlich bedeutet, beleuchtet eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes.

(3. Juli 2014) Jede fünfte Kilowattstunde Strom wird in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt. Dafür zahlen Verbraucher einen Aufpreis von derzeit gut sechs Cent je Kilowattstunde. Wer noch mehr für den raschen Ausbau der Erneuerbaren tun will, baut entweder selbst eine Anlage oder beteiligt sich an einer Gemeinschaftsanlage. Bereits über eine Million Verbraucher haben das schon getan. Eine weitere Möglichkeit ist vermeintlich der Bezug von Ökostrom auf dem normalen Strommarkt. Ob damit wirklich deutliche Umwelteffekte verbunden sind oder ob es sich lediglich um eine Verkaufsmasche cleverer Marketingstrategen handelt, beleuchtet eine Studie des Umweltbundesamtes.

377 1888 Stromsteckdose / Foto: Photocase.de/jarts

Egalstrom oder Ökostrom

Jede Kilowattstunde Strom im Netz ist identisch: Egal ob sie aus Kohlekraft, Atomkraft oder erneuerbaren Energien hergestellt wurde. Der Stromfluss zwischen Kraftwerken und Verbrauchern unterscheidet nicht zwischen den Tarifen der Kunden. Strom aus erneuerbaren Energien wird in das deutsche Verbundnetz eingespeist und ist danach nicht mehr von konventionell erzeugtem Strom zu unterscheiden. „Es gibt viele Gründe, zu Ökostromanbietern zu wechseln, der Strom selbst gehört nicht dazu“, erklärt Prof. Uwe Leprich. Aus der heimischen Steckdose kommt nämlich auch weiterhin der gleiche Energiemix wie vor dem Anbieterwechsel.

Ob durch den Wechsel zu einem Ökostromanbieter neue grüne Stromerzeugungsanlagen entstehen, ist sehr fraglich. Es dürfte aber in der weit überwiegenden Zahl der Fälle kaum der Fall sein. Es wird kritisiert, dass Stromanbieter durch den Verkauf von Strom aus seit Jahrzehnten bestehenden Wasserkraftwerken lediglich ohnehin erzeugten Ökostrom umverteilen. „Durch das europaweite Überangebot an EE-Strom entsteht kein Anreiz zum Neubau entsprechender Anlagen und kein Klimaschutzeffekt“, so die UBA-Studie.

377 Frau mit Stromkabel Stecker / Foto: Photocase.de/Bastografie

Herkunftsnachweis

Um das Problem mit den grünen und schwarzen Elektronen zu lösen, den Strom also doch noch nach gut und schlecht sortieren zu können, hat man sich etwas einfallen lassen: den sogenannten Herkunftsnachweis. Mit der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien entstehen einerseits physikalischer Strom und andererseits ein Zertifikat über die Herkunftsart des Stroms. Wer seine Kunden mit Ökostrom beliefert, muss neben der reinen Lieferung des Stroms auch die entsprechende Menge an Zertifikaten kaufen und entwerten.

Ein Großteil des in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms wird nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet. Dieser Strom wird ins Stromnetz eingespeist und über die Strombörse vermarktet. Dieser Strom darf nicht als Ökostrom vermarktet werden, da der nach dem EEG vergütete Strom von den Übertragungsnetzbetreibern abgenommen und an der Leipziger Strombörse (EEX) vermarktet werden muss. Dort wird EEG-Strom zusammen mit Strom aus anderer Herkunft als sogenannter Graustrom gehandelt.

Stromkennzeichnung

Stromversorger sind durch § 42 Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet, den Anteil der einzelnen Energieträger an ihrem Strommix auf jeder Stromrechnung auszuweisen. Die Bundesnetzagentur muss diese Kennzeichnung überprüfen. Ab November eines Jahres sind jeweils die Werte des vorangegangenen Kalenderjahres zu verwenden. Seit Januar 2013 darf ein Energieversorger Strom nur dann als solchen aus erneuerbaren Energien (EE) kennzeichnen und auf der Stromrechnung ausweisen, wenn er für die gelieferte Menge EE-Strom auch Herkunftsnachweise im Herkunftsnachweisregister entwertet hat. Damit wird die Stromkennzeichnung verlässlicher und eine Doppelvermarktung wird ausgeschlossen. Das Herkunftsnachweisregister beim Umweltbundesamt (HKNR) ist am 1. Januar 2013 in Betrieb gegangen.

Wer wissen will, welcher Strom wirklich aus seiner Steckdose kommt, der erfährt dies einfach und kostenlos vom Strompreisbestandteilrechner (siehe Physikalische Strombezugsanalyse).

Ab dem 1. November 2014 müssen Energieversorgungsunternehmen den Stromkunden darüber hinaus die Werte für die Stromlieferung des Kalenderjahres 2013 in der Stromkennzeichnung angeben.

Länder wie Norwegen, Österreich und Schweiz mit einem hohen Anteil an Wasserkraftstrom verkaufen ihre Herkunftsnachweise nach Deutschland. Auch wenn in diesen Ländern Strom ohne Herkunftsnachweis verbraucht wird, weiß jeder dort, wo dieser Strom erzeugt wird. Ob umgekehrt auch deutschen Stromkunden klar ist, woher ihr „Ökostrom“ kommt, ist zumindest fraglich. In Deutschland gibt es 810 Ökostrom-Lieferanten mit mehr als 3.800 unterschiedlichen Ökostrom-Tarifen. 2012 wurden Herkunftsnachweise für 43 TWh Ökostrom in Deutschland entwertet. Die Herkunftsnachweise können für etwa 0,03 Cent je Kilowattstunde von Stromhändlern gekauft werden. Damit kann der Stromhändler seinen Graustrom an den Kunden als Ökostrom verkaufen. Die geringen Preise der Herkunftsnachweise führen zu Ökostromtarifen, die sich von Graustromtarifen kaum unterscheiden.

Wer direkt sein Obst beim Bauern kaufen will, sprich: seinen Strom vom Windmüller oder Solaranlagenbetreiber, der ist richtig beim Grünstromwerk.

Neuer Anlagenbau durch Ökostrombezug?

Einige Ökostromanbieter investieren selbst in den Aufbau neuer Anlagen zur Erzeugung von EE-Strom. Dabei entstehen Anlagen, die auch ohne den Stromhandel wirtschaftlich betrieben werden könnten. Der Zubau wird dadurch nur geringfügig beschleunigt, heißt es in der UBA-Studie. Der Ökostromhandel bewirkt primär eine Umverteilung des EE-Stroms innerhalb Europas.

Physikalische Lieferketten

Auch geschlossene Lieferketten, die auf Stromlieferverträgen beruhen, bewirken keine Veränderung der Stromflüsse, konstatiert die UBA-Studie. Denn die Stromflüsse werden nicht verändert. Deutschland exportiert mit zunehmender Tendenz Jahr für Jahr mehr Strom, als es importiert.

Gleichzeitigkeit

Eine dauerhafte Gleichzeitigkeit zwischen der EE-Stromerzeugung und dem Haushaltsverbrauch ist derzeit systembedingt nicht im großen Maßstab möglich. Denn die Abnahmecharakteristik eines Haushalts ist im konkreten Einzelfall unbekannt.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Vermarktungsmodelle von Ökostrom nur eine marginale Umweltwirkung entfalten können. Es sollte den Verbrauchern gesagt werden, dass der Herkunftsnachweis nur der Stromkennzeichnung auf der Rechnung dient und auch physische Lieferverträge nicht zu zusätzlichen Umweltwirkung führen.

Stromlabel

Die UBA-Studie beschreibt sehr genau die unterschiedlichen zusätzlichen Ökostrom-Label. TÜV Nord und TÜV Süd zertifizieren die größten Strommengen, gefolgt von Ok-power und Grünem Strom Label. Rund 80 Prozent aller Ökostromangebote sind über ein  Label zertifiziert. Die Label achten auf einen zusätzlichen Umweltnutzen, in der Regel durch Reinvestition von Gewinnen oder Aufpreisen in den Neubau EE-Anlagen. Trotzdem gelingt in der Regel nicht der Nachweis, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien direkt auf die Wahl von Ökostromtarifen beim Kunden zurückzuführen ist.

letzte Änderung: 13.06.2022