Netzwerk gegen Rekommunalisierung
(29. Mai 2015) In Deutschland dominiert ein Triopol von Eon, RWE und EnBW das Verteilnetzgeschäft bei Strom und Gas mit einem jährlichen Umsatzvolumen von insgesamt rund 16 Milliarden Euro. Von den rund 20.000 Konzessionsverträgen für Strom und Gas ist mehr als die Hälfte in der Hand der Konzerne Eon, RWE und EnBW, haben Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal-Institut herausgefunden. Drei Jahre hat die Recherche gedauert, weil Netzagentur und Kartellamt mauerten.
Man kann sagen, dass sich inzwischen ein regelrechtes Netzwerk gegen Rekommunalisierungen gebildet hat, dem auch namhafte Behörden und Institutionen angehören. Mit Presseerklärungen, Gutachten und Stellungnahmen wird hier ganz offensiv Meinungsbildung betrieben.
Da wird dann beispielsweise behauptet, dass Rekommunalisierung zu einer "Zersplitterung der Verteilernetzlandschaft" führe, die dann gegenüber großen Netzverbünden wesentlich ineffizienter sei, oder es wird der scheinbare Beleg gebracht, dass Rekommunalisierungen in den Gemeinden nicht die erhofften Effekte brächten. Keine dieser Behauptungen lässt sich in der Realität belegen; im Gegenteil. Eine Untersuchung der Professoren Joachim Müller-Kirchenbauer und Uwe Leprich zeigt, dass die vom Bundeskartellamt, von der Netzagentur und der Monopolkommission befürchteten Ineffizienzen bei kleinen Verteilnetzbetreibern definitiv nicht nachzuweisen sind. Es ist vielmehr von Netzübernahmen großer Betreiber bekannt, dass danach vielerorts erhebliche Wartungs- und Instandhaltungsdefizite festgestellt wurden.
Bei Vergabeverfahren sind die Konzerne den einzelnen Städten und Gemeinden haushoch überlegen. Sie bauen gegenüber den Gemeinden eine Drohkulisse auf und nutzen sämtliche Regelungslücken im Energiewirtschaftsgesetz für sich nach dem Motto "Kampf um jede Konzession".
Über 50 Prozent der Konzessionen auf der Verteilnetzebene für Strom und Gas sind an die drei Konzerne Eon, RWE und EnBW vergeben. Wenn über 10.000 der insgesamt rund 20.000 Konzessionsverträge im Besitz von nur drei Konzernen sind, haben wir es hier mit einer kollektiven Marktmacht zu tun. Nach dem Kartellgesetz gelten drei Unternehmen, die mehr als 50 Prozent Marktanteil besitzen, sogar als marktbeherrschend.
Fest steht auf jeden Fall: In Deutschland dominiert ein Triopol von Eon, RWE und EnBW das Verteilnetzgeschäft bei Strom und Gas mit einem jährlichen Umsatzvolumen von insgesamt rund 16 Milliarden Euro.
Die Konzerne selber sind bei ihrer Informationspolitik in diesem Bereich sehr zurückhaltend. Man hat große Mühe, genaue Zahlen zu finden. Das heißt, die Altkonzessionäre spielen mit verdeckten Karten und vermeiden es sehr stark, ihre Marktmacht auf der Verteilnetzebene preiszugeben.
In den schriftlichen Berichten der Aufsichtsbehörden oder auf den Homepages von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur sind diese Strukturmerkmale des Verteilnetzgeschäfts ebenfalls nicht auffindbar. Auch die Landeskartellbehörden geben diesbezüglich keine Auskünfte. Man stößt bei der Recherche auf ein Kartell des Schweigens.
Die Konzerne verfügen damit gleichzeitig – und das seit vielen Jahrzehnten – über ein riesiges Know-how und Erfahrungswissen in Sachen Konzessionsvergabe, Konzessionsverträge und Verhandlungsführung. Bei Vergabeverfahren sind sie den einzelnen Städten und Gemeinden haushoch überlegen.
Diese kollektive Marktmacht wird auch für Lobbyarbeit genutzt. Das Energiewirtschaftsgesetz ist bereits mehrfach im Sinne der großen Stromkonzerne novelliert worden. Der Einfluss und die Anzahl der Konzernlobbyisten im Bundestag ist sehr groß. Die Städte und Gemeinden sind die Leidtragenden, weil deren Entscheidungsspielräume bei Konzessisonsvergaben stark eingeschränkt wurden.
Das Bundeskartellamt beziehungsweise die Bundesnetzagentur müsste im ersten Schritt die Zahlen offenlegen. Das heißt, die Öffentlichkeit müsste darüber informiert werden, wie viele Strom- und Gaskonzessionen Eon, RWE und EnBW jeweils besitzen. Anschließend wäre vom Bundeskartellamt die Prüffrage zu stellen, ob und inwieweit hier nicht der Tatbestand der kollektiven Marktbeherrschung nach Paragraf 18 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorliegt.
Die Bundesbehörden müssten angewiesen werden, beim Verteilnetzgeschäft für Strom und Gas die notwendige Transparenz zu schaffen. Dabei ist es auch ein Unding, dass sich Bundesbehörden wie Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur aus fadenscheinigen Gründen als dezidierte Rekommunalisierungsgegner bekennen. Das passt nicht zusammen mit dem energiepolitisch erklärten Postulat, mehr Wettbewerb um die örtlichen Verteilnetze schaffen zu wollen. Das Bundeswirtschaftsministerium müsste hier ebenfalls tätig werden und dafür sorgen, dass sich die Behörden neutral verhalten und das Energiewirtschaftsgesetz so geändert wird, dass beim Auslaufen von Konzessionsverträgen ein fairer Wettbewerb um die Neuvergabe stattfinden kann.
Die Altkonzessionäre verfügen über umfangreiche Strategien zur Besitzstandswahrung. Die Netze sind quasi der letzte Bereich, mit dem sie Geld verdienen. Ansonsten haben die großen Energiekonzerne mit Milliardenverlusten und wegbrechenden Gewinnen zu kämpfen.
In unserer eigenen Studie zeigen wir, dass Stadtwerkegründungen und Rekommunalisierungen sehr wohl dazu führen, dem Primat der kommunalen Energiepolitik wieder mehr Geltung zu verschaffen. Die Ziele von Rekommunalisierungen sind erreichbar.
Ende 2013 urteilte der Bundesgerichtshof, Gemeinden müssten "diskriminierungsfrei und transparent" entscheiden, wer die Konzession für ihr Stromnetz bekommt.
Das Urteil bedeutet, dass die berechtigten Interessen einer Gemeinde, vom steuerlichen Querverbund zu profitieren, Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu schaffen, die Einnahmesituation des kommunalen Haushalts zu verbessern et cetera, nicht berücksichtigt werden dürfen. Fiskalisch geht es hier dann ausschließlich um die Höhe der Konzessionsabgabe, und die ist durch die Konzessionsabgabenverordnung bereits geregelt. Hier zahlen quasi alle Netzbetreiber die höchsten zulässigen Sätze. Die Vorgabe von streng netzbezogenen Kriterien diskriminiert die berechtigten Interessen der Kommunen. Der neoliberale Wettbewerbsgedanke wird somit über die Entscheidungsfreiheit der demokratisch gewählten Kommunalpolitiker gesetzt.
Ausschreibungspflicht beim Netz
(2. Januar 2014) Der Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden (Az: KZR 65/12 und KZR 66/12), dass Städte und Landkreise Stromnetze nach Ablauf der Konzessionen für private Versorger nicht ohne weiteres wieder selbst übernehmen dürfen. Sie müssen das Netz transparent ausschreiben und dürfen Mitbewerber nicht diskriminieren, auch wenn sie den Netzbetrieb an einen Eigenbetrieb geben wollen. Dabei gebe es keinen Vorrang der kommunalen Selbstverwaltung, so der BGH.
Im verhandelten Fall scheiterten die Stadt Heiligenhafen und 36 weitere Kommunen in Schleswig-Holstein, weil sie ihre Konzessionen nicht korrekt ausgeschrieben hatten. Die Gemeinden hätten in einer diskriminierungsfreien Vergabeentscheidung vorrangig das Niveau der Netzentgelte sowie die Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen, hieß es. Bis 2016 laufen laut VKU über 2000 Netzverträge mit privaten Versorgern aus.
Hamburg rekommunalisiert
(27. September 2013) Die Hamburger wollen ihre Strom-, Gas- und Fernwärmenetze wieder voll in städtischer Hand. 50,9% waren beim Volksentscheid für den Vorschlag der Initiative "Unser Hamburg – unser Netz", 49,1% dagegen.
Damit müssen Senat und Bürgerschaft den vollen Rückkauf der Netze angehen, eine Netzgesellschaft gründen und sich zunächst um die Konzession für den Betrieb der Stromnetze bewerben, die als nächste ausläuft. Bislang ist Hamburg mit 25,1% an der Stromnetz Hamburg GmbH beteiligt, den Rest hält die Vattenfall GmbH. SPD, CDU und FDP hatten sich zuvor gegen den Rückkauf der Energienetze ausgesprochen. Von Vattenfall hieß es, man nehme das Votum mit Respekt zur Kenntnis. Die Stromnetz Hamburg werde unabhängig davon mit Hochdruck die Bewerbungsunterlagen für das Konzessionsvergabeverfahren vorbereiten, weil man sich in einem transparenten Vergabeverfahren gute Chancen ausrechne. Von E.ON gab es noch keine Reaktion.
Studie: Rekommunalisierung lohnt
(24. September 2013) In Berlin findet Anfang November ein Volksentscheid zur Stadtwerke-Gründung statt, in Hamburg steht einer für den 22. September über den Rückkauf der Netze an.
Seit 2005 habe es rund 70 Neugründungen von Stadt- und Gemeindewerken im Strombereich gegeben, so eine Sondierungs-Studie des Wuppertal Instituts. Sie ist eine Bestandsaufnahme neu gegründeter Stadtwerke seit 2005 und soll eine Hilfestellung für politische Entscheidungsträger aus dem kommunalen Bereich sein. Das Fazit: Bei den wichtigsten zehn Zielen, die mit einer Neugründung verbunden werden, wie Energiewende und Klimaschutz, kommunalwirtschaftliche und strukturpolitische Aspekte sowie im Bereich Daseinsvorsorge und Sozialpolitik, ist die Wahrscheinlichkeit, diese zu erreichen, hoch bis sehr hoch. Mit eigenen Stadtwerken könnten sich die Kommunen einen großen Handlungsspielraum schaffen und den umwelt- und klimafreundlichen Umbau der örtlichen Energieversorgung voranbringen, heißt es.
Die örtlichen Energieeffizienzpotenziale im Strom und Wärmebereich ließen sich besser ausschöpfen, die erneuerbaren Energien forcierter im Gemeindegebiet nutzen und der Ausbau der dezentralen KWK lasse sich schneller vorantreiben. Auch die damit verbundenen wirtschaftlichen und fiskalischen Ziele seien erreichbar.
Kommunale Entscheidungsträger sollten sich daher von Rekommunalisierungskritikern und negativen Expertisen nicht entmutigen lassen, sondern ihr Vorhaben mit sorgfältiger Vorbereitung und externem Sachverstand konsequent weiterverfolgen. Die Studie beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen von Konzessionsvergabeverfahren, gibt Hinweise für rechtssichere Vergabeverfahren, vergleicht die Bestimmungen der Ländergemeindeordnungen zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden miteinander und beleuchtet die Praktiken der Altkonzessionäre beim Auslaufen vonKonzessionsverträgen.
Die Stromkonzerne behindern durch eine Reihe halblegaler Praktiken die Übernahme örtlicher Verteilnetze durch die Kommunen.
Rekommunalisierung mit Hindernissen
Die Stromkonzerne behindern durch eine Reihe halblegaler Praktiken die Übernahme örtlicher Verteilnetze durch die Kommunen. Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie berichten über eine neue Studie dazu.
(16. Juni 2013) Derzeit laufen in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden Konzessionsverträge für Strom und Gas aus. Das eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, die Konzession für den Netzbetrieb neu zu vergeben und damit auch, die Netze zu rekommunalisieren. Doch der Wettbewerb um die örtlichen Verteilnetze ist unfair ausgestaltet und durch behinderndes Verhalten der Altkonzessionäre sowie eine asymmetrische Wettbewerbssituation gekennzeichnet. Dazu zählen Regelungslücken im Energierecht, diskriminierende Auslegungsgrundsätze geltender Gesetze und behördliche Vollzugsdefizite. Diese Mängel werden von den Stromkonzernen systematisch genutzt, um örtliche Stromnetzübernahmen zu verhindern.
Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie
Aber auch Anreize oder Sanktionen gehören zum Umfang ihrer Aktivitäten. Eine jetzt vorgelegte Kurzstudie des Wuppertal Instituts zeigt, welche Behinderungspraktiken die Stromkonzerne beim Wettbewerb um örtliche Stromnetze anwenden.
Von den in der Abbildung genannten Strategien werden im Folgenden einige beschrieben:
Zu hoher Netzpreis: Ein deutlich zu hoher Netzpreis ist trotz der bisherigen Novellierungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) immer noch das gängigste Argument der Altkonzessionäre, drohende Rekommunalisierungen zu verhindern. Denn in § 46 EnWG ist bislang nicht klar geregelt, zu welchem Preis ein Netz verkauft werden soll. Die Rechtsprechung (z.B. im Fall Kaufering, BGH-Urteil von 1999) sowie die Empfehlungen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur in ihrem gemeinsamen Leitfaden von 2010 sind inzwischen eindeutig: Es gilt nicht der Sachzeitwert, sondern der oft weitaus niedrigere Ertragswert.
Drohung mit Arbeitsplatzverlusten: Kommunen, die Filialen, Schaltzentralen, Werkstätten oder ähnliche Niederlassungen des Altkonzessionärs in der Kommune beherbergen, wird gedroht, dass bei einer durchgeführten Rekommunalisierung oder Vergabe des Konzessionsvertrags an einen anderen Netzbetreiber diese Betriebsstellen geschlossen werden.
Landschaftspflege: Hierunter fallen Strategien aus dem Bereich des Sponsorings (beispielsweise für Sportvereine) sowie die Einbindung wichtiger kommunaler Mandatsträger in Beiräten. Beim Sponsoring wird die Unterstützung häufig an einen Fortbestand der Konzession gebunden. Lukrative Vergütungen weniger Beiratssitzungen führen zu Abhängigkeiten oder zumindest Verpflichtungsgefühlen.
Verweigerung der Datenherausgabe: Will eine Kommune (oder ein Wettbewerber) ein Netz kaufen, braucht sie ausreichende und verlässliche Daten zum Mengengerüst. Denn nur dann kann sie abschätzen und erfahren, in welchem Zustand sich das Netz befindet und wie die sogenannte Erlösobergrenze definiert ist. Die Konzerne geben diese netzrelevanten Daten oft nicht, nur teilweise oder sehr spät heraus. Die Gemeinden haben seit der Neuregelung des § 46 EnWG im Jahr 2011 einen Anspruch auf rechtzeitige Herausgabe der Daten. Leider wurde im Gesetz keine Aussage darüber getroffen, welche netzrelevanten Informationen der Altkonzessionär zur Verfügung stellen muss.
Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben: Aufgrund entstehender Verzögerungen kann häufig bis zum Auslaufen des Konzessionsvertrages der Netzbetrieb nicht an den vorgesehenen neuen Netzbetreiber übergeben werden. In solchen Interimszeiten weigern sich viele Altkonzessionäre, die weiterhin über den Strompreis vereinnahmten Konzessionsabgaben an die Kommune auszuzahlen. Damit setzt man die betroffenen Kommunen finanziell erheblich unter Druck, da die Einnahmen aus Konzessionsabgaben für sie eine wichtige Einnahmequelle darstellen.
Peter Becker und Wolf Templin, erfahrene Fachanwälte aus Berlin, weisen auf weitere Praktiken hin, die Altkonzessionäre unter Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung dann anwenden, wenn sich die Gemeinde bereits für die Konzessionsvergabe an einen Neukonzessionär entschieden hat. Dabei geht es um
- Verweigerung von Kaufvertragsverhandlungen,
- Verweigerung der Netzübertragung und
- Verweigerung einer zügigen Netzentflechtung.
Ziel dabei ist immer, eine diskriminierungsfreie Konzessionsvergabe zu erschweren.
Kommunen können gegen missbräuchliches Verhalten der Stromkonzerne vorgehen
Vor dem Hintergrund der genannten Praktiken konstatieren Becker und Templin: „Die wettbewerblichen Behinderungen sind nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern stellen ein bundesweites Phänomen dar“ (Becker/Templin 2013, S. 10). So sei die Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben eine Praxis, die von den Altkonzessionären „systematisch und im großen Stil“ betrieben werde. Die Stromkonzerne kennen die „Ausstrahlungswirkung“ dieser Praktiken, die dazu führe, dass viele netzübernahmewillige Städte und Gemeinden und auch potenzielle neue Netzbetreiber abgeschreckt würden. Das heißt, eingeschüchterte Kommunen entscheiden sich aus Furcht für eine Fortsetzung mit dem Altkonzessionär und potenzielle Wettbewerber scheuen das Risiko, sich mit dem „Platzhirsch“ auseinandersetzen zu müssen.
Die Berliner Anwälte reklamieren außerdem, dass das Bundeskartellamt die Wettbewerbslage falsch beurteile. Denn es weise nur den Gemeinden (als einzigem Anbieter der Konzession) eine marktbeherrschende Stellung zu. Dass die Altkonzessionäre als alleinige Inhaber der netzrelevanten Daten selbst marktbeherrschend sind, werde von der Behörde nicht erkannt.
Die Fachanwälte belegen unter Verwendung zahlreicher Gerichtsurteile, behördlicher Beschlüsse, Gesetzesbegründungen etc. ausführlich, dass die Praktiken der Stromkonzerne als missbräuchliches Verhalten im Sinne der §§ 30 und 32 EnWG einzustufen sind. Zudem seien alle Praktiken, die dazu dienen, Kommunen bei Konzessionsvergabeverfahren unter Druck zu setzen (z.B. Einstellung von Sponsoring), unzulässige Verstöße im Sinne der §§ 19, 20 und 21 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Betroffene Gemeinden sollten sich auf jeden Fall wehren. Sie können nach § 30 Abs. 2 energierechtliche Missbrauchsverfahren und nach § 32 Abs. 1 EnWG auch zivilgerichtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen.
Becker und Templin schlagen zur Problemlösung vor, dass Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die missbräuchlichen Praktiken der Altkonzessionäre beim Wettbewerb um örtliche Strom- und Gasnetze thematisieren und verbieten. Die Studie des Wuppertal Instituts liefert zudem einen Überblick über den Stand der Gesetzesinitiativen und macht Vorschläge, wie der rechtliche Rahmen so gestaltet werden kann, dass die Wettbewerbssituation fairer wird.
Verwendete Literatur
Becker/Templin 2013: Missbräuchliches Verhalten von Netzbetreibern bei Konzessionierungsverfahren und Netzübernahmen nach §§ 30, 32 EnWG, in: Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2013, Heft 1, S. 10-18.
Rekommunalisieren bringt nichts
(24. April 2013) Eine Analyse der Rekommunalisierung von Stromnetzen zeige, dass neun der zehn wichtigsten kommunalen Ziele aus rechtlichen oder regulatorischen Gründen verfehlt werden, so eine Studie der Hamburger Unternehmensberatung Putz & Partner in Zusammenarbeit mit der Hamburg School of Business Administration (HSBA), die für 59 Euro unter www.putzundpartner.de bezogen werden kann.
Bei der Rücknahme der Stromnetze in öffentliche Zuständigkeit werde die Versorgung weder ökologischer noch sicherer oder effizienter als bisher. Auch das Ziel, über den Weg der kommunalen Versorgung den Wettbewerb zu steigern, sei als viertes der zehn wichtigsten Ziele zum Scheitern verurteilt. Eine Erreichbarkeit der vier Ziele durch Übernahme der Stromnetze sei sogar vollständig ausgeschlossen, weil rechtlich-regulatorische Hindernisse den Wünschen der Kommunen bei der Umsetzung unverrückbar im Wege stünden, so Putz & Partner. Die rechtlichen Vorgaben seien so weitreichend, dass es den Netzbetreibern z. B. durchs EnWG verboten sei, Einfluss auf den Aufbau von erneuerbaren Energieanlagen zu nehmen.
Wenig besser sehe es mit den Erfolgsaussichten für günstigere Preise, gesteigerte kommunale Erträge oder eine Stärkung der lokalen Wirtschaft aus. Der Untersuchung zufolge ist das zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber höchst unwahrscheinlich. Das gelte abschließend auch für bessere kommunale Einflussmöglichkeiten sowie Vorteile fürs Gemeinwohl, so die Analyse. Einzig das Infrastrukturmanagement lasse sich durch die Rückführung in kommunale Verantwortung verbessern.
Eine Rückführung der Stromverteilnetze in die öffentliche Hand sei nach Faktenlage in den meisten Fällen nicht sinnvoll, so das Fazit von Putz & Partner. Das stehe erkennbar im Widerspruch zur verbreiteten Stimmungslage in der Bevölkerung, die eine Rekommunalisierung tendenziell befürwortet. Für diese Diskrepanz gebe es zwei wesentliche Gründe: Erstens die fehlende Transparenz und hohe Komplexität des Verteilnetzbetriebs in Verbindung mit Aspekten wie Anreizregulierung, Unbundling und Auswirkung der Energiewende. Und zweitens die eher ideologisch statt fachlich geprägte Diskussion des Themas.
Die Gemeinde versorgt ihre Bürger selbst mit Strom und Gas – das hört sich demokratisch und auch gewinnbringend an.
Konzessionsverträge im neuen Licht
Die Gemeinde versorgt ihre Bürger selbst mit Strom und Gas – das hört sich demokratisch und auch gewinnbringend an. Viele Kommunen haben eine kommunale Energieversorgung. In zahlreichen Gemeinden jedoch gehören die Netze einem überregionalen Energieversorger. Die vier größten Energiekonzerne versorgen immerhin noch 45 Prozent aller Verbraucher.
(1. April 2013) In allen Gemeinden haben die Gemeinden das Wegerecht. Sie können deshalb frei entscheiden, welchem Energieversorger sie das Recht zur Nutzung der öffentlichen Grundstücke für den Betrieb der Leitungen einräumen. Dies geschieht in einem sogenannten Konzessionsvertrag, den die Gemeinden mit einem Versorger ihrer Wahl meist über 20 Jahre abschließen. Der Versorger muss dafür an die Gemeinde Geld bezahlen, das die Verbraucher als sogenannte Konzessionsabgabe aufbringen müssen. Was hat es mit diesen Konzessionsverträgen auf sich?
Netzbetreiber ist nicht der Versorger
Die Welt der Energieversorgung hat sich in den vergangenen zehn Jahren grundlegend geändert. Früher war der Betreiber des Strom- und Gasnetzes automatisch auch der Strom- und Gaslieferant. Heute kann die Gemeinde zwar bestimmen, wer das Strom- und Gasnetz betreiben darf. Wer aber die Bürger versorgt, das können die Verbraucher selbst frei entscheiden, weil sie ja den Anbieter wechseln können. Der Versorger, der die meisten Kunden in einer Gemeinde versorgt, ist als Grundversorger verpflichtet, jedem Bürger die Versorgung anzubieten. Wenn die Gemeinde ihr Stromnetz von einem Versorger zurückkauft, dann bleiben die meisten Kunden wie zuvor Kunden dieses Versorgers.
Endscheidungsvarianten
Hat die Gemeinde in der Vergangenheit die Konzession einem Versorger übertragen, so kann sie nach Ende des Konzessionsvertrags
- demselben Versorger einen neuen Vertrag andienen,
- einen anderen Versorger beauftragen oder
- selbst die Versorgung übernehmen oder
- das Netz übernehmen und verpachten.
In den drei letzten Fällen muss der bisherige Netzbetreiber das Netz an den neuen Netzbetreiber übergeben und verkaufen. Ein Streit um einen fairen Kaufpreis ist vorprogrammiert, zumal die gesetzlichen Regeln dafür unklar gefasst sind. Zwei Beispiele zeigen, wie man das Problem der Netzübernahme lösen oder auch daran scheitern kann.
Beispiel 1: Schönau
Die Bürger der kleinen Gemeinde Schönau im Schwarzwald wollten ihr Netz im Jahr 1994 in eigene Regie übernehmen. Der bisherige Netzbetreiber, die Kraftübertragung Rheinfelden (KWR), wollte dies durch einen extrem überhöhten Kaufpreis von 8,7 Millionen DM zum Scheitern bringen.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit reduzierte die KWR die Kaufpreisforderung auf 5,8 Millionen DM. Dieses Geld bezahlten die Schönauer Bürger unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung. Bundesweite Spenden und Kredite erbrachten den Kaufpreis.
Erst im Jahr 2005 bezifferte der vom Gericht bestellte Obergutachter den Wert des Netzes auf lediglich 3,5 Millionen DM, 43 Prozent des ursprünglich verlangten Kaufpreises. Die heutigen Elektrizitätswerke Schönau (EWS) bekamen 1.195.098,76 Euro zuzüglich Zinsen zurücker-stattet.
Beispiel 2: Bonn
Für die Bonner Stadtteile Beuel und Bad Godesberg liefen die Konzessionsverträge mit der Stadt Bonn Ende 2011 aus. Die Stadt Bonn wollte das Netz selbst übernehmen. Monatelang wurde darum gerungen, welche Anlagen im Detail zum Netz gehören und die RWE verlangte als Kaufpreis 40 Millionen mehr, als aus Sicht der Stadt angemessen ist. Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde Jahre dauern und die RWE will das Netz zwar weiter ohne Vertrag betreiben, ab 2014 aber keine Konzessionsabgaben mehr zahlen. Weil sich die Stadt diesen Mittelausfall nicht leisten kann, wurde ein geheimer Vertrag zwischen RWE und Stadt geschlossen: Die Stadt verpflichtet sich darin, weder Klage einzureichen, noch die Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde einzuschalten und bekommt dafür weiter die Konzessionabgabe bis zur zeitlich unbestimmten Netzübernahme. Der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber (SPD): RWE erpresst und missbraucht seine Marktmacht. Kelber ist in der Bundestagsfraktion unter anderem für Energiepolitik und Verbraucherschutz zuständig.
Darf die Kommune frei entscheiden?
Ein Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung über den Konzessionsvertragspartner eine durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützte, grundsätzlich eigenverantwortlich mit Blick auf die berührten Selbstverwaltungsangelegenheiten zu treffende Entscheidung der Gemeinde sei. Dabei sei es der Gemeinde auch nicht verwehrt, die Kriterien ihrer Auswahlentscheidung so zu wählen, dass sie zu einer bevorzugten Berücksichtigung eines gemeindeeigenen Energieversorgungsunternehmens führen; es könne sachlich einleuchtende Gründe (insbesondere Interesse an verstärkten Steuerungsmöglichkeiten sowie fiskalische Interessen) hierfür geben, die zulässigerweise zugrunde gelegt werden dürften.
Zielkonflikt: Gewinn oder günstige Preise?
Welche Möglichkeiten hat eine Gemeinde, über einen Konzessionsvertrag eigene energiepolitische Ziele durchzusetzen? Zum Beispiel wollen viele Gemeinden erneuerbare Energien beschleunigt ausbauen. Es gibt auch widersprüchliche Ziele: Politisch will man einerseits günstige Strom und Gaspreise für alle Bürger und zugleich auch hohe Gewinnabflüsse in die Gemeindekasse. Hohe Gewinne basieren jedoch auf hohen Preisen für die Bürger und lassen sich mit günstigen Bezugsbedingungen für die Bürger nicht vereinen. Auf die Versorgung kann man mit dem Konzessionsvertrag keinen Einfluss nehmen. Denn er regelt nur den Betrieb des Netzes und hat nichts mit der Energieversorgung, Energiebeschaffung, Preisen und Gewinnen zu tun.
Musterkonzessionsvertrag der Grünen
Es gibt einen Musterkonzessionsvertrag der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Er wird in einem Gutachten rechtlich bewertet und erläutert. Der Mustervertrag geht in wichtigen Punkten über die bisher üblichen Konzessionsverträge hinaus. Er verdeutlicht dadurch die großen Spielräume, die jede Gemeinde beim Abschluss eines Konzessionsvertrags hat.
Regelungen des Musterkonzessionsvertrags
Folgende Regelungen sieht der Mustervertrag vor:
- Der Netzbetreiber wird zu einer transparenten Abrechnung der Konzessionsabgaben verpflichtet.
- Die Erdverkabelung neuer Leitungen wird vorgeschrieben, soweit sie wirtschaftlich zumutbar ist. Dafür trägt der Netzbetreiber die Beweislast.
- Die geplanten Arbeiten am Stromnetz werden ein Jahr im voraus zwischen Netzbetreiber und Gemeinde abgestimmt. Die Gemeinde kann dadurch Arbeiten am Stromnetz mit anderen anstehenden Baumaßnahmen an Straßen, Abwasser, Wasser oder Gasversorgung koordinieren.
- Die Gemeinde und der Netzbetreiber verpflichten sich gemeinsam, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung voranzubringen. Dafür wird gemeinsam ein Konzept erarbeitet und umgesetzt.
- Wenn es beim Netzanschluss Probleme gibt, dann dürfen sich die Bürger an eine Schlichtungsstelle in der Gemeinde wenden, die Gemeinde und Netzbetreiber gemeinsam einrichten und betreiben.
- Die Gemeinde stellt öffentliche Flächen auf Dächern für Bürgersolaranlagen zur Verfügung.
- Der Netzbetreiber und die Gemeinde erarbeiten ein Konzept zur Elektromobilität und die Einrichtung von öffentlichen Stromsteckdosen.
- Der Netzbetreiber unterstützt die Gemeinde bei der Erstellung eines Energiekonzepts, stellt dafür Daten zur Verfügung und trägt die Kosten zur Hälfte.
- Der Netzbetreiber unterrichtet die Verbraucher über Einsparmöglichkeiten.
- Der Netzbetreiber verringert die Leitungsverluste im Netz entprechend dem Stand der Technik und der Wirtschaftlichkeit.
- Die Gemeinde kann den Konzessionsvertrag nach zehn und 15 Jahren kündigen mit einer Frist von zwei Jahren.
- Wenn sich die Eigentumsverhältnisse beim Netzbetreiber ändern, er zum Beispiel von einem Konzern aufgekauft wird, dann hat die Gemeinde ein außerordentliches Kündigungsrecht.
- Der Netzbetreiber muss der Gemeinde alle wichtigen Daten des Versorgungsnetzes übermitteln wie zum Beispiel das Alter und den Anschaffungspreis wichtiger Netzbestandteile.
- Der Konzessionsvertrag verpflichtet den Netzbetreiber zu einer problemlosen Übergabe des Versorgungsnetzes nach Auslaufen des Konzessionsvertrags. Nach Beendigung des Konzessionsvertrags darf die Gemeinde das Netz selbst übernehmen oder an ein anderes Unternehmen übergeben. Dafür erarbeiten Gemeinde und Netzbetreiber ein Entflechtungskonzept.
- Der Netzbetreiber trägt die Kosten der Herauslösung des Netzes der Gemeinde aus den Netzteilen, die der Netzbetreiber weiter betreibt.
- Als Kaufpreis wird der Ertragswert des Netzes vereinbart.
Der Vertragsentwurf räumt der Gemeinde deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten ein als andere Vertragsmodelle.
Chancen oft verpasst
Seit 2007 wurden über 60 Stadtwerke neu gegründet und 170 Konzessionen von Kommunen und kommunalen Unternehmen übernommen.
Aber viele Kommunen haben bereits neue Konzessionsverträge abgeschlossen und dabei zum Schaden ihrer Bürger auf viele Möglichkeiten der Einflussnahme verzichtet, die ihnen der Vertragsentwurf der Grünen einräumen würde. Das ist bedauerlich.
In Hamburg und Stuttgart haben die Städte nicht die Netze übernommen, sondern städtische Energieversorgungsunternehmen gegründet. Und in Thüringen kaufen 400 Kommunen gemeinsam die E.on-Tochter Thüringer Energie.
Das kleine Dorf in Gallien
Ist die Stadt Bad Hönningen am Rhein das kleine Dorf in Gallien, das der Belagerung Stand gehalten hat? Alle umliegenden Gemeinden haben bereits mit der örtlich dominanten RWE-Tochter SÜWAG neue Konzessionsverträge abgeschlossen. Bad Hönningen verhandelt nach bereits erfolgter Ausschreibung auf der Basis der Gestaltungsmöglichkeiten aus dem Konzessionsvertrag der Grünen mit potenziellen Partnern.
Diskussion über den Konzessionsvertrag von Bad Hönningen, Armin Lorig (Ingenieur), Aribert Peters (Verein) und Guido Job (Bürgermeister)
Weiteres:
- Versorgerportal Baden-Württemberg: Positionspapier Konzessionsvergabe (PDF)
- PWC Online-Rechner für Sachzeitwertermittlung von Strom- und Gasversorgungsnetzen
Archiv Konzessionsverträge
Alle Meldungen und Artikel zum Thema Konzessionsverträge finden Sie in unserem Archiv: